Buspreise: Es soll bei Kosmetik bleiben

Autor | 6. März 2019

Die Linke Liste fordert seit langem den ticketlosen Nahverkehr, zumindest aber eine drastische Senkung der teuren Preise für den Roten Arnold. Auch aus einigen anderen Fraktionen waren zuletzt Stimmen zu vernehmen, die Entlastungen anmahnten. Nun haben die Stadtwerke ein Schreiben an den Aufsichtsrat verfasst, in dem sie zu den Bustarifen Stellung nehmen.

„Tarifmaßnahmen und deren Wirkung“ ist das vom Geschäftsführer Norbert Reuter und Ralph Stöhr, dem Geschäftsbereichsleiter Bus, unterzeichnete Konvolut überschrieben, das die Ergebnisse einer Prüfung verschiedener Vorschläge zu einer Veränderung der Tarifstrukturen und deren Auswirkungen etwa auf das Mobilitätsverhalten zusammenfasst (das Dokument hier zum Nachlesen). Gestützt hat man sich dabei auf Erkenntnisse einer öffentlichen Informationsveranstaltung im September des vergangenen Jahres, bei der mehrere Referenten „die Wirkung unterschiedlicher Tarifmaßnahmen analysiert und bewertet“ hatten.

Die geladenen Experten hatten damals fast alle von unterschiedlicher Seite zur Debatte gestellten Vorschläge verworfen, darunter die Halbierung der Preise für „Gelegenheitsfahrten“ oder einen fahrscheinlosen Busverkehr an Samstagen, von der Forderung nach Nulltarif für den Roten Arnold ganz zu schweigen. Einzig die Einführung eines Kurzstrecken-Tickets fand Gnade vor den Augen der Verkehrsexperten. Bewertungen, die sich nun die Stadtwerksführung im Schreiben an den Aufsichtsrat zu eigen macht.

Ein Blick auf die Referentenliste kann helfen, die Aussagekraft ihrer Urteile zu bewerten. Auf der standen nämlich neben dem Konstanzer Geschäftsbereichsleiter Stöhr selbst noch ein vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar bestallter „Tarifexperte“ (Thomas Schweizer) sowie der Unternehmensberater Ferry Quast von „Probst & Consorten“. VertreterInnen von Sozial- oder Umweltverbänden einzuladen hielt die Stadtwerksführung offenkundig nicht für nötig. Vorrangig geht es den Stadtwerken offenbar nicht um die sozialen und ökologischen Dimensionen von Maßnahmen, sondern um wirtschaftliche Auswirkungen und die Aussichten auf Marktgewinne.

Mit Thomas Schweizer etwa hatte man sich einen Angestellten des baden-württembergischen Verkehrsverbunds geholt, der im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Modellprojekts dafür verantwortlich war, dass die Stadt Mannheim aus der Erprobung eines fahrscheinfreien Nahverkehrs ausgestiegen ist. Stattdessen, heißt es dazu im Stadtwerkeschreiben, „wurden verschiedene Maßnahmen zur Tarifabsenkung vorgenommen sowie auch angebotsverbessernde Maßnahmen wie bspw. der Erhöhung von Taktverdichtungen oder dem Einsatz von Hybridbussen“. Für den Verbund, so Schweizer, ein gutes Geschäft: Zum „Ausgleich der entstehenden Mindereinnahmen aus Tarifmaßnahmen“ kann er vom Bund 26 Millionen kassieren, die Kosten der betrieblichen Maßnahmen für diesen Zeitraum belaufen sich auf 6,2 Millionen Euro. Das ist Musik in den Ohren des Konstanzer Bus-Chefs Stöhr.

Ins marktwirtschaftliche Horn stieß – wenig verwunderlich – auch Unternehmensberater Quast, der sich zur Halbierung der Preise im „Gelegenheitsverkehr“ – gemeint sind Einzel-, Mehrfahrten- und Tageskarten – sowie zum Nulltarif an Samstagen äußerte. Für ihn sind solche Vorschläge allein schon deshalb obsolet, weil sich „hier kaum zusätzliche Nachfragewirkung“ erzeugen lasse. Und auch die Nulltarif-Samstage bewertet Quast skeptisch. So habe die Einführung einer solchen Regelung in Tübingen zwar fünf Prozent mehr Fahrgäste in die Busse gelockt, verursache aber gleichzeitig Mindereinnahmen von 10 bis 15 Prozent. Auch Aschaffenburg, das ein ähnliches Modell erprobe, lege mit einem prognostizierten von 300.000 Euro jährlich drauf.

Eine Absage erteilt die Stadtwerksführung im Einklang mit ihren Experten selbstverständlich auch der Idee eines generellen Nulltarifs im Konstanzer Personennahverkehr. Auf einer ganzen Seite des Schreibens gelingt es den Autoren allerdings nicht so richtig, stichhaltige Gegenargumente zu finden.

Dass die genauen Auswirkungen auf die Emissionen nicht beziffert werden können, wie in dem Papier beklagt wird, ist schließlich mangels ausreichender praktischer Erfahrungen kein Wunder. Unbestritten ist allerdings, dass die Luft besser werden wird. Dass womöglich hauptsächlich Fußgänger oder Radfahrer auf den ÖPNV umsteigen könnten, ist eine Behauptung, die auf ziemlich wackeligen Füssen steht. In der als Beispiel genannten belgischen Stadt Hasselt, sagt eine Untersuchung, sollen 23 Prozent der Umsteiger vorher Auto oder Motorrad gefahren sein. Im ebenso erwähnten estnischen Tallin hat der motorisierte Privatverkehr seit dem Start des Nulltarif-Projekts 2013 ebenfalls deutlich abgenommen. Und dass schließlich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen den ticketlosen Nahverkehr für keine gute Idee hält, weil vielerorts heute schon stark ausgelastete Busse zusätzliche Fahrgaststeigerungen nicht verkraften würden, kann nur jemand vorbringen, der den Status quo beibehalten will. Unter Nulltarif-Befürwortern dagegen ist unstrittig, dass solche Konzepte nur mit einem Ausbau der entsprechenden Infrastruktur funktionieren.

Ein Blick auf die Nachbarstadt Radolfzell hätte der Stadtwerks-Führungsriege vielleicht gutgetan. Dort fahren die Stadtbusse seit 2017 für einen Euro am Tag, vor kurzem senkte man auch die Preise für Zeitkarten. Die Stadtverwaltung hatte während der zwölfmonatigen Testphase mit Mindereinnahmen von rund 100.000 Euro gerechnet, das Minus betrug dann allerdings lediglich 40.000. Die Zahl der Fahrgäste nämlich stieg um mehr als 100 Prozent, was nicht nur die Verluste reduzierte, die Stadt kann zudem spürbar weniger Verkehr vermelden. Die Radolfzeller Stadtwerke nehmen nun neue Haltestellen und eine häufigere Taktung ins Visier.

Immerhin versprechen Reuter und Stöhr in ihrem Papier, die Erfahrungen „beobachten“ zu wollen, die man andernorts mit solchen Tarifexperimenten macht (zuletzt wurde etwa bekannt, dass auch Luxemburg den Nulltarif im ÖPNV plant). Bis dahin wollen sie die KonstanzerInnen mit einem Kurzstreckenticket vertrösten, das noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt ist. Eine klimafreundliche und soziale Verkehrswende sieht anders aus.

J. Geiger (Text & Foto; zuerst erschienen bei seemoz.de)

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