Eine Idee wird beerdigt: So sieht eine Bürgerbeteiligung à la Burchardt aus

Autor | 30. November 2016

simon-pschorr-2Simon Pschorr beteiligte sich als Vertreter der Linken Liste an der Projektgruppe Bürgerbeteiligung. In diesem Beitrag rechnet der Jurist, den die LINKE im November zum Bundestagskandidaten für den Konstanzer Wahlkreis gekürt hat, mit dem von der Verwaltung als Ergebnis präsentierten “Leitlinien für Bürgerbeteiligung” ab. Am vergangenen Donnerstag hieß sie der Gemeinderat gut, dagegen votierte einzig die Linke Liste. – red

Zweieinhalb Jahre für ein entkerntes Papier. Wenn man sich bürgerschaftlich engagiert, dann fragt man sich manchmal schon: Wofür tue ich das eigentlich? Einen solchen Moment erlebte ich am letzten Donnerstag. Der Gemeinderat stimmte über die „Leitlinien für Bürgerbeteiligung“ ab und beendete damit einen langwierigen und frustrierenden Prozess. Für mich gleicht dieser Abschluss eher einem Grabstein denn einem Schlussstein in einem verwaltungsarchitektonischen Prachtbau.

Warum ich so pessimistisch und enttäuscht bin? Nun, ich habe den Prozess als Mitglied der Projektgruppe Bürgerbeteiligung selbst von Anfang an begleitet und möchte Ihnen einfach mal erzählen, wie die jetzigen Leitlinien zustande kamen und woran sie meiner Meinung nach kranken.

Katz und Maus mit ungleichen Akteuren

Die Initiative zum Bürgerbeteiligungsprozess kam 2014 von Oberbürgermeister Burchardt. Er hatte im Wahlkampf versprochen, die Konstanzer Bürgerschaft in alle Entscheidungen der Kommune einzubeziehen und für Transparenz und Offenheit zu sorgen. Deshalb sollte ein Papier zur Beteiligung der Bürgerschaft her – und wie könnte man ein solches Papier besser erstellen als in einem gemeinschaftlichen Akt von Verwaltung und Bürgern? Deshalb wurde die „Projektgruppe Bürgerbeteiligung“ geschaffen, die sich aus Vertretern der Gemeinderatsfraktionen, Interessengruppen der Bevölkerung und einigen Verwaltungsvertretern zusammensetzte.

Die Projektgruppe machte sich voller Elan ans Werk. Martin Schröpel, Koordinator des Prozesses und Vorkämpfer für einen neuen Arbeitsstil im Verwaltungskorpus, sei hier noch einmal ausdrücklich für sein unermüdliches Engagement gedankt. Er hatte die leidvolle Aufgabe, die vielen, teilweise widersprüchlichen und vor Kreativität blühenden Ideen aller Beteiligten nach innen zu kommunizieren und in einem verwertbaren Text zu bündeln.

Doch der erste Schock kam Mitte des Jahres 2015. Zu diesem Zeitpunkt fand – entgegen aller Planung – das erste Treffen mit dem Oberbürgermeister statt. Anstatt von Anfang an gemeinsam mit dem OB an einem Text zu arbeiten, hatte die Projektgruppe einen vollständigen und schlagkräftigen Entwurf vorgelegt. Dieser wurde von OB Burchardt rundum verworfen. Die Projektgruppe, so sagte er, hätte ihren Auftrag vollkommen missverstanden. Von einem eigenen Entwurf sei nie die Rede gewesen. Wenn, dann könne ein Entwurf zur Bürgerbeteiligung nur aus den Reihen der Verwaltung kommen, die mit den Ideen der Projektgruppe sowieso nichts anfangen könne.

Ab diesem Moment fochten wir Rückzugsgefechte. Stückchen für Stückchen wurden die Kernelemente der “Leitlinien Bürgerbeteiligung” vom Oberbürgermeister und den mittlerweile fast vollständig abwesenden Mitarbeitern der Verwaltung zerpflückt. Mitte des Jahres 2016 drohte das Projekt gänzlich zu scheitern – zu groß war die Angst der Gemeinderäte, das Papier in seiner unangetasteten Form in den Gemeinderat einzubringen und zu sehr die Luft raus, um erneut einen eigenen Vorschlag vorzulegen. Das in der Rückschau traurige Ergebnis dieses „Beteiligungsprozesses“ liegt Ihnen nun vor und wurde vom Gemeinderat beschlossen.

Defizite des Papiers

Das vorliegende Papier krankt an einigen zentralen Stellen. Beginnen wir mit der Rechtsqualität des Konstrukts im Ganzen: Das vorliegende Papier bezeichnet sich selbst als “Leitlinien”. Dies ist ein Terminus, der keine verwaltungsrechtliche Bedeutung kennt. Im Verwaltungsrecht gibt es einerseits Satzungen und Verordnungen – das sind bindende Rechtsakte, die Gesetzeswirkung entfalten – und andererseits Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften wirken als Anleitung für die Verwaltung und geben intern eine Richtung vor.

Noch unterhalb dieser Ebene steht die Leitlinie. Im Ergebnis ist sie ein rechtliches Nichts, eine Handlungsempfehlung ohne jedwede Bindungswirkung. Die Verwaltung kann sich daran halten oder sie einfach ignorieren. Konsequenzen? Keine. Auch die Tatsache, dass der Gemeinderat hierüber einen Beschluss gefasst hat, ändert daran nichts – er hat ja schließlich selbst entschieden, ein solches Nichts zu beschließen. In der von der Projektgruppe vorgelegten Fassung war vorgesehen, die Kernelemente der Leitlinien in einer rechtlich bindenden Satzung festzuschreiben und damit deutschlandweit Vorreiter zu werden. Doch daraus sollte nichts werden.

So wenig, wie die Verwaltung durch die jetzt verabschiedeten Leitlinien rechtlich bindend verpflichtet wird, so wenig binden sich damit die einzelnen Organe der Stadtpolitik. Weder der Gemeinderat noch, allen voran, der Oberbürgermeister unterwerfen sich dem Votum der Bürgerinnen und Bürger. Die Letztentscheidungskompetenz bleibt beim Gemeinderat, respektive in seinem Hoheitsbereich beim Oberbürgermeister. Beiden Organen wird durch die Leitlinien ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, die Bürgermeinung vollständig zu ignorieren und gegenteilig zu entscheiden. Der Oberbürgermeister wehrt sich auch strikt gegen einen Einfluss des Gemeinderates über das zentrale Hilfsmittel der Vorhabenliste. Auch dies war in den früheren Entwürfen anders vorgesehen.

Doch Silvia Löhr, Justiziarin der Stadt, äußerte juristische Bedenken. Wie von der Projektgruppe vorgeschlagen, neben dem vertrauten Bürgerentscheid neue Mittel einer wirksamen Bürgerbeteiligung zu etablieren, verstieße Ihrer Meinung nach gegen die Gemeindeordnung. Allerdings: Eine entsprechende wegweisende Gerichtsentscheidung dazu gibt es nicht. Warum? Es hat sich einfach noch nie eine Kommune in Deutschland getraut. Im Wege der freiwilligen Selbstbindung hätte der Gemeinderat meiner Meinung nach auch ohne Verstoß gegen die Gemeindeordnung zumindest die Richtung seiner Entscheidung vorgeben können und ein „Soll“ der Zustimmung begründen können. Der Gemeinderat hätte nach grundsätzlich freiwillig an das Ergebnis der Bürgerbeteiligung binden können, ohne gegen die Gemeindeordnung zu verstoßen. So muss der Gemeinderat nicht einmal sein abweichendes Votum separat begründen – das steht ja alles in den Beschlussprotokollen der Sitzungen.

Die Angst in der Verwaltung ist zu groß

Womit wir beim „Soll“ sind: Dieses Papier strotzt nur so von Ermessens-Normen und vermeidet „Ist“-Bestimmungen, die klare Handlungsanweisungen an die Verwaltung zum Ausdruck gebracht hätten. Stattdessen wird der Verwaltung allenthalben die Freiheit eingeräumt, Bürgerbeteiligung doch nicht durchzuführen. Eine Überwachung ihres Arbeitsprozesses findet nach den Leitlinien nicht statt. In einer älteren Version war vorgesehen, dass nicht das jeweilige Fachamt, sondern eine übergeordnete “Fachstelle Bürgerbeteiligung“ über Art und Ablauf des Beteiligungsprozesses im Rahmen des Gemeinderatsbeschlusses entscheidet. Diese Stelle sollte mit Fachleuten für Bürgerbeteiligungsprozesse besetzt werden. Übrig geblieben ist davon heute nur noch eine Anlaufstelle für hilfesuchende Fachämter. Zu groß war wohl die Angst vor einem „Superministerium“.

Und wenn den Bürgerinnen und Bürgern das alles nun nicht passt? Was ist, wenn sie selbst auf die Idee kommen, Bürgerbeteiligung anzuregen? Die vorliegenden Leitlinien geben der Bürgerschaft dieses Recht. Dazu müssen in ganz Konstanz 800 Unterschriften gesammelt werden. Betrifft eine Entscheidung nur einen Stadt-/Ortsteil, dann reichen 200 Unterschriften aus diesem Ortsteil aus.

Meines Erachtens sind das ziemlich hohe Hürden. Man beachte allerdings, in welcher Zeit die Unterschriften beizubringen sind: Nach Veröffentlichung der Vorhabenliste, dem Kernstück Burchardtscher Transparenzpolitik, kann innerhalb von drei Wochen eine Bürgerinitiative angemeldet werden. Danach werden weitere vier Wochen eingeräumt, um die Unterschriften beizubringen. Mehr nicht. Wird eine dieser Fristen versäumt, ist Bürgerbeteiligung gestorben. Ausschlussfristen für Bürgerbeteiligung? Geht’s noch?

Fristen zur Verhinderung

Kommt unter dem Jahr eine Frage oder ein Vorhaben auf, das nicht auf der Liste steht, bei dem sich die Bürgerschaft aber denkt, man könne doch mal beteiligt werden, so scheitert ein entsprechendes Begehr schon daran, dass nur drei Wochen nach der Veröffentlichung der Vorhabenliste begehrt werden darf. Ansonsten ist die Bürgerschaft auf das gnädige Entgegenkommen der Verwaltung angewiesen, ihre Vorhabenliste zu ändern. Ab dem Zeitpunkt laufen die gleichen Fristen.

Dieselben Hürden bestehen auch für organisierte Gruppierungen der Bürgerschaft. Hier seien vorrangig die Bürgergemeinschaften und Ortsvereine genannt. In einer Vorgängerversion waren diese bevorzugt. Man hat ausdrücklich das Engagement und die Repräsentativität solcher Gemeinschaften für ihre jeweiligen Stadtteile anerkannt und ihnen ein Initiativrecht eingeräumt. Das aber hat OB Burchardt verhindert. Er sieht darin eine ungerechte Ungleichbehandlung der Engagierten gegenüber all den schweigenden Bürgern. Ja – natürlich ist das eine Ungleichbehandlung. Aber eine Ungleichbehandlung wesentlich Ungleicher.

Die Bürgergemeinschaften tragen zur Gestaltung unserer Stadt bei und sind eine bedeutende Stimme im öffentlichen Diskurs. In ihren Gremien findet demokratische Meinungsbildung statt. Sie bilden sich nicht ad hoc nach dem Geschrei des Lautesten, sondern diskutieren Fragen intern aus, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen. Ich sage: Es wäre ein Zeichen des Respekts vor diesem ehrenamtlichen Engagement und ein Symbol des Vertrauens in Bürgerorganisationen gewesen, diese Gruppierungen besser einzubinden.

Chancen wurden verschenkt

Leider haben wir die Möglichkeiten, die Konstanz als Stadt offenstanden, verschenkt. Die Stadt am Bodensee hätte zur Keimzelle einer neuen Politik der Offenheit und Transparenz werden können. Es bestand die Chance, die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt mitzunehmen, einzubinden und am politischen Leben teilhaben zu lassen. Ein besseres Mittel gegen Angst, Hass und Politikverdrossenheit gibt es kaum. Stattdessen haben versteinerte Strukturen gewonnen. Wir werden sehen, ob das am Donnerstag gegebene Versprechen in Zukunft Konsequenzen hat oder sich als leer erweist. Ich jedenfalls höre mit meiner Arbeit nicht auf.

Simon Pschorr
Mitglied der Projektgruppe Bürgerbeteiligung,
Bundestagskandidat DIE LINKE Wahlkreis Konstanz

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