Michael Leherr, Bürger

Autor | 26. Februar 2016

Es ist eine beeindruckende Zahl: 1851 Unterschriften hat die Initiative gegen den Erstunterbringungs-Standort am Hörnle gesammelt, 461 gibt es zusätzlich noch im Internet. Bei der gestrigen Gemeinderatssitzung wurden diese dem Oberbürgermeister übergeben. Der Bürger Michael Leherr hielt bei dieser Gelegenheit im Namen der Initiative eine denkwürdige Rede, in der er deren Sachargumente gegen den Standort nochmals zusammenfasste. Und die haben es in sich!

Michael Leherr ist ein weltoffener und besonnener Bürger, der aus Sorge um das Gemeinwohl, speziell aber um das von Flüchtlingen und erholungssuchenden Hörnle-Besuchern seine mahnende Stimme erhebt, um Schlimmes von den Menschen abzuwenden: Nämlich eine Flüchtlingsunterbringung auf dem Gelände des Tennisclubs nahe dem Hörnle.

Bürger Leherr ist doch kein Rassist!

Sichtlich erbost ihn, dass ihm dieses Engagement nicht von allen Mitbürgern und Mitbürgerinnen gedankt wird. Er beklagte sich vor dem Gemeinderat denn auch gleich mal darüber, dass ihn namentlich Zahide Sarikas (SPD) als Rassisten verleumdet habe. Man vergesse nicht, er ist ein weltoffener Mensch, dieser Bürger Leherr. Jedenfalls in seinen eigenen Augen. Im Publikum murmelte jemand, er sei früher gar Turnlehrer an einem Konstanzer Gymnasium gewesen. Eine Respektsperson also?

Da Michael Leherr so weltoffen ist, fallen ihm bei Flüchtlingen nicht Krieg, Flucht und Elend ein. Nein, als erstes fallen ihm die Kölner Vorfälle aus der Silvesternacht ein, und die pure Sorge überkommt ihn, was in Konstanz alles passieren wird im nächsten Sommer. Denn in Köln, daran erinnerte Bürger Leherr [Achtung, das Folgende ist keine Satire, das hat er wirklich so gesagt!], in Köln also „an Silvester waren die Frauen angezogen und es war kalt, und am Hörnle haben sie im Sommer nur einen Bikini an“, und warm ist es auch.

Er zog daraus keinen ausdrücklichen Schluss, er stellte dieses Faktum nur mal so in den Raum für die Nachdenklichen unter uns. Bürger Leherr liebt Tatsachen und keine Polemik. Für ihn ist es wahrscheinlich selbstverständlich, dass aus Ausländer plus deutsche Frau im Bikini plus Wärme nur eins resultieren kann: Vergewaltigung. Aber das sagte er natürlich nicht, denn er ist ja ein guter, weltoffener Bürger. Einer unserer Besten. Und doch einer wie ganz viele.

Bürger Leherr weiß, wie Muslime ticken

Statt Stimmungsmache zu betreiben, hat Bürger Leherr recherchiert, und zwar unter Muslimen. Ad fontes, wie der Lateiner sagt (Herr Leherr ist doch sicher auch einer?), und das heißt sinngemäß: Erkundige Dich an der Quelle. Davon erzählte Bürger Leherr sichtlich gern: Er hat von seinen zahlreichen muslimischen Gewährleuten erfahren, dass der Anblick von so viel Nacktheit, wie sie am Hörnle im Sommer zu sehen ist, weiblichen Muslimen verboten ist. Also kann man den Armen ja gar nicht zumuten, in der Nähe des Hörnles untergebracht zu werden, da sie die Unterkunft überhaupt nicht verlassen dürften, um sich integrieren zu gehen, weil überall Halbnackte herumlungern. Und im nahe gelegenen Wald könnten sie sich auch nicht ergehen. Weshalb sie nicht in den Wald können, wurde wieder nicht recht klar. Der Schatten? Die Bäume? Der viele Wald gar, dessen Anblick diese armen Wüstenbewohner ja gar nicht gewöhnt sind?

Dass an den Stränden muslimischer Länder wie der Türkei und Nordafrikas millionenfach Bikini getragen wird, ohne dass die einheimische weibliche Bevölkerung zu ihrem Schutz deportiert wurde, scheint Bürger Leherr entgangen zu sein. Auch auf die Idee, dann in der Unterkunft nahe dem Hörnle einfach atheistische Flüchtlinge unterzubringen, kommt Bürger Leherr nicht, da für ihn scheint’s gilt: Flüchtling gleich radikaler Moslem, und dem Moslem geht radikalste Glaubensstrenge ohnehin über alles. Weiß man doch. Dass sehr viele Menschen auch in muslimischen Ländern mit Allah so wenig am Hute haben wie die meisten Menschen in Deutschland mit Gott, scheint ihm nicht in die Rübe zu gehen. Aber eigentlich ist das alles ja auch völlig egal, denn diese Argumente schiebt Bürger Leherr ja nur vor. Um des Gemeinwohles willen, wollen wir ihm mal unterstellen, denn Bürger Leherr ist ja kein Rassist, Ausländerfeind oder gar rechter Demagoge.

Bürger Leherr sorgt sich um die Kinder

Herr Leherr spricht von der Angst der Initiative, dass Kinder am Hörnle nicht mehr sicher wären, wenn in der Nähe Flüchtlinge untergebracht würden. Warum Flüchtlinge ein Sicherheitsrisiko für Kinder sein sollen, sagte Bürger Leherr natürlich wieder nicht, das setzt er einfach als bekannt voraus. Man kann es also nur vermuten: Diese Flüchtlinge sind Ausländer und Muslime, und das sind alles Kinderschänder, denkt der Bürger Leherr. Weiß man doch. Hat man doch in Köln gesehen, in Köln waren’s zwar keine Kinder, aber das auch nur, weil es spät und kalt war. Würde Herr Leherr noch ein wenig weiterdenken, fiele ihm sicher gleich noch ein, dass selbst die aktivste kinderschändende Vereinigung der Welt, die katholische Kirche, mehrheitlich aus Ausländern besteht, auch wenn sie zeitweise mal einen deutschen Chef hatte.

Und so fragt der Bürger Leherr denn allen Ernstes den verbliebenen Gemeinderat (einige Gemeinderätinnen und -räte hatten bereits unter Protest gegen ihn den Saal verlassen), wer denn die Verantwortung für die sexuellen Übergriffe am Hörnle übernehmen werde, etwa die Stadt?

Bürger Leherr an und für sich

Was der Herr Leherr, in seinen eigenen Augen sicher ein ehrenwerter, liberaler, weltoffener Mensch, eigentlich will, entrutschte ihm dann in einem ganz unscheinbaren Satz: „Die Leute wollen halt unter sich sein am Hörnle.“

Stopp, wie war das? Unter sich sein? „Die“ Leute? Welche Leute? Wer soll dort rumlaufen dürfen und wer nicht? Und damit haben wir, worum es bei der ganzen Angelegenheit geht: Die Leute, die dort und anderswo in und um Konstanz wohnen, all die braven, anständigen Bürger, all die Bürger Leherrs wollen dort unter sich bleiben. Das ist des Pudels Kern! All der Firlefanz vorher war nur Theaterdonner! Da ist es endlich: Das ist ein fettes „Ausländer raus!“-Schild, das Herr Leherr da in den Rasen bürgerlichen Vorgartenglücks gerammt hat. Flüchtlinge haben nichts zu suchen, wo der Bürger Leherr wohnt und wo er sich sonnt.

Zahide Sarikas hat ihn einen Rassisten genannt, bejammert Bürger Leherr? Hoffentlich hat sie das getan, denn verdient hat er’s allemal! Allerdings muss man ihm zugute halten, dass er es selbst nicht bemerkt. Seine Ausländerfeindlichkeit ist für ihn so natürlich, rassistische Positionen sind für ihn so selbstverständlich, dass sie ihm selbst gar nicht auffallen können. Er ist ein typischer Bürger, der Bürger Leherr, ein ganz normaler Mensch wie tausend andere. Und hätte ihn nicht die Initiative gegen die Flüchtlingsunterbringung auf dem Gelände des TC Konstanz losgeschickt, wäre das niemandem groß aufgefallen.

Vermutlich fragt Bürger Michael Leherr heute in seinem Abendgebet bang’: „Vater, mein Vater, was ist ein Rassist?“ Und vom Himmel säuselt Gott: „Das musst Du nicht wissen, weil Du’s längst bist.“

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz)

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