“Nur wer gegen den Strom schwimmt, hat auch die Chance, die Quelle zu erreichen”

Autor | 22. April 2016

Stadtrat Holger Reile begründete bei der gestrigen Gemeinderatssitzung, warum die Linke Liste Konstanz (LLK) den Antrag der FGL unterstützt und weshalb die LLK die Auseinandersetzung um das Scala mehr ist, als die Frage ob es auch künftig ein Kino an der Markstätte geben wird. Der Fall Scala werfe exemplarisch die Frage auf, wem die Stadt eigentlich gehöre. Es gehe darum, welchen Weg in Konstanz in der Stadtentwicklung eingeschlagen werden soll. Wollen die politischen Funktionsträger die Stadt achselzuckend dem Markt und dem Kommerz überlassen, oder zählen auch soziale und kulturelle Bedürfnisse? Wem gehört die Stadt? Der Beitrag im Wortlaut:

Werte Gäste, Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der Antrag auf Aufstellung eines Bebauungsplans und einer Veränderungssperre wahrscheinlich keine Mehrheit finden wird, wird ihn die Linke Liste dennoch unterstützen.

Ich möchte dazu die Kernpunkte meiner Ausführungen aus dem TUA nochmal kurz zusammenfassen und um einige Aspekte erweitern.

Zuvor aber noch eine Anmerkung in Ihre Richtung, Herr Kollege Heider von der CDU: In der TUA-Sitzung haben sie sinngemäß erklärt, wer sich für eine Veränderungssperre einsetze, könne eventuell dafür persönlich haftbar gemacht werden, wenn Schaden entstünde. Derlei – nennen wir es freundlicherweise Vorsicht -hätten wir uns vor einigen Jahren auch gewünscht, als eine Mehrheit dieses Gremiums mit dem Maultaschenfall und der Causa Müller-Esch sich auf höchst riskante Prozesse eingelassen hat – die uns überregional viel Spott einbrachten und darüber hinaus den Steuerzahler rund eine Million Euro gekostet haben. Mir ist nicht bekannt, dass die damaligen Entscheidungsträger dafür jemals zur Kasse gebeten worden wären. Da wäre also sozusagen noch ein Deckel offen.

Zum aktuellen Thema: Selbstverständlich ist es jammerschade, wenn heute das Scala offiziell zu Grabe getragen werden sollte. Herr Rabe mag den alten Schriftzug gerne ans Cinestar nageln – wieder mal geht ein Stück Konstanz verloren. Ich erinnere mich – der kleine melancholische Ausritt sei erlaubt – noch an meinen ersten Konstanz-Besuch vor exakt 40 Jahren. Mein Weg führte mich in eben dieses Scala, gezeigt wurde damals der Film „Einer flog übers Kuckucksnest“.

Mit dem zu erwartendem Ergebnis heute stehen wir meiner Meinung nach vor einem Scheidepunkt bezüglich der zukünftigen Stadtentwicklung. Selbstverständlich leben wir vom Tourismus und einer funktionierenden Wirtschaft, und das wird auch in Zukunft so sein, aber sie muss im Einklang stehen mit den soziokulturellen Bedürfnissen unserer Bevölkerung. Und da geht die Schere mittlerweile doch weit auseinander. Immer mehr Konstanzerinnen und Konstanzer fühlen sich nicht mehr wohl in ihrer Stadt und fragen sich: Wem gehört sie eigentlich? Den Fielmanns, Müllers, den dm-s, dem hiesigen Einzelhandel, den Einkaufstouristen aus dem benachbarten Ausland? Wie sieht sie aus in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren, wie steht es um die soziale Ausgewogenheit? Und: Haben wir nicht längst die Grenzen der Belastbarkeit erreicht oder sogar überschritten? Wollen wir unsere Kommune weiter ausbeinen lassen und auch noch den letzten Quadratmeter den Meistbietenden auf dem Silbertablett anbieten?

Ist es darüber hinaus ein Zeichen für Lebensqualität, wenn angeblich 400 000 Menschen den Weihnachtsmarkt besuchen – wobei ich mich immer frage, wer die eigentlich zählt – und: sind 100 000 Besucher oder mehr bei einem verkaufsoffenem Sonntag wirklich nur ein Grund zum Jubeln? Wollen wir uns weiterhin damit abfinden, dass die Stadt mittlerweile immer öfter im Verkehr erstickt? Ist das die Vorstellung von einer sozialen und und lebenswerten Stadt? Dazu: Sollte das Gemeinwohl nicht grundsätzlich über gewinnbringenden Partikularinteressen stehen? Das sind nur einige Fragen, die wir uns alle – auch selbstkritisch – stellen und schlußendlich zusammen beantworten müssen.

Dass diese Diskussion in den vergangenen Monaten mit ein Hauptthema war, ist ein Verdienst der Bürgerinitiative „Rettet das Scala“, die mit ihrer Hartnäckigkeit auch überregional auf sich aufmerksam gemacht hat. Dafür gebührt ihr Dank und Anerkennung. Ich hoffe – auch wenn die Abstimmung nicht in ihrem Sinne ausgeht – dass sich diese Initiative weiterhin engagiert und nicht genauso schnell wieder verschwindet wie sie aufgetaucht ist. Denn es gibt nicht nur eine Holschuld, sondern auch eine Bringschuld, wenn man tatsächlich etwas bewegen will. Und Möglichkeiten, Projekte von Anfang an zu begleiten, gibt es. Da ist der Stadtverwaltung kein Vorwurf zu machen.

Bleiben Sie also am Ball, mischen Sie sich ein, gestalten Sie mit. Sie werden dabei auf Widerstände stoßen – ich weiß, wovon ich rede. Aber erinnern Sie sich an die Erkenntnis eines weisen Philosophen, der einmal sinngemäß formuliert hat: Nur wer bisweilen gegen den Strom schwimmt, hat auch die Chance, die Quelle zu erreichen.

Holger Reile

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