TTIP: Anschlag auf demokratische und soziale Rechte

Autor | 2. Oktober 2014
TTIP-Veranstaltung am 30. September in Konstanz

Beleuchteten verschiedene Aspekte des geplanten transatlantischen Handelsabkommens (von links nach rechts): Ver.di-Vertreter Pit Wuhrer, Schriftsteller Jochen Kelter, Linke-Bundestagsabgeordnete Karin Binder, Moderator Mario Müller und BUND-Aktivist Eberhard Koch (Bild: Hans-Peter Koch).

Für viele der rund 80 TeilnehmerInnen muss es sich angehört haben wie ein schlechter Scherz, was die ReferentInnen im Konstanzer Treffpunkt Petershausen berichteten. Das Konstanzer Bündnis gegen TTIP hatte zur Infoveranstaltung geladen. „Nach dem, was ich heute gehört habe, hätte ich vieles lieber nicht gewusst“, stellte Moderator Mario Müller fest, um am Schluss zusammen zu fassen: „TTIP ist ein Anschlag auf die Demokratie“.

„TTIP soll die Standards im Umweltschutz, im Arbeitsrecht, in der Kultur, im Verbraucherschutz und vielen anderen Lebensbereichen zwischen Europa und den USA angleichen. Für Menschen in Deutschland heißt das in den meisten Fällen – absenken auf amerikanisches Niveau“. Darin waren sich die vier Referenten einig. Was sie dann aber an Beispielen vortrugen, erschreckte viele doch gehörig. Das begann mit dem Eingangs-Statement der linken Bundestagsabgeordneten Karin Binder: „Ich brauche mich um den Verbraucherschutz nicht mehr zu kümmern, wenn die Investor-to-State-Klagen in den Verhandlungen zum TTIP-Vertrag durchkommen.“

Was Investor-to-State-Klagen so gefährlich macht

Diese Investor-to-State-Klagen – Investorenschutz genannt – sind deswegen problematisch, weil dadurch das europäische Vorsorgeprinzip zu verschwinden droht. Nach dem Vorsorgeprinzip müssen neue Chemikalien und Verfahren hierzulande lange vorher in Studien getestet werden, so Binder, bevor sie auf den Markt kommen. In Amerika muss hingegen erst nachgewiesen werden, dass durch Chemikalien und/oder Verfahren ein Schaden entstanden ist, ehe sie als schädlich deklariert werden können.

Doch wer glaubt, dass die Sache dann vom Markt und aus der Industrie verschwinde, der irrt: Wenn ein Staat aufgrund der Gefahrenlage ein neues Gesetz erlassen will, könnte nach dem Investorenschutz in TTIP ein Konzern den Staat auf Gewinnausfall verklagen, da die neue Richtlinie seinen Gewinn schmälern könnte.

Schon jetzt werden Staaten verklagt

Und wer eine Kostprobe davon erhalten will, was droht, wenn die Abkommen TTIP, TiSA und CETA diese Art des Handels auf eine völkerrechtlich verbindliche Ebene bringen, der muss sich nur umschauen, wie weltweit bereits über 3000 Freihandelsabkommen zwischen kleineren Wirtschaftsräumen und Staaten sich auswirken: Das französische Müll-, Transport- und Energieunternehmen Veolia verklagt derzeit Ägypten wegen der Anhebung des Mindestlohns von umgerechnet 41 auf 72 Euro im Monat – eine der wenigen wichtigen Errungenschaften für die  Beschäftigten dort in den letzten Jahren.

Das Abkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexico sorgte beispielsweise dafür, dass Kanada mehrfach Bestimmungen im Bereich Umweltschutz wieder zurücknehmen musste, weil entschieden wurde, dass diese vor allem für US-Unternehmen Handelshemmnisse darstellten.   Oder um es noch konkreter zu machen: Das schwedische Unternehmen Vattenfall verklagt derzeit die Bundesrepublik Deutschland vor dem Schiedsgericht der Weltbank auf Schadensersatz, weil der Konzern durch den geplanten Atomausstieg seine Meiler Krümmel und Brunsbüttel früher schließen muss als geplant – auf Grundlage eines Freihandelsabkommens zwischen Schweden und Deutschland. Stilllegungskosten entstünden, so die Argumentation, und man könne den gewonnenen Strom nicht mehr verkaufen: Die Summe, um die es geht: 3,7 Milliarden Euro.

Die „Schattengerichte“, die mit den Streitfällen zwischen Staaten und Konzernen betraut sind, beschäftigen ganze Anwaltskanzleien und sind oftmals auf beiden Seiten vertreten. Für sie geht es ums Geschäft. Noch viel kritischer: Die Urteile sind für die Öffentlichkeit nicht einsehbar und anfechtbar schon gar nicht. Vor dem Hintergrund dieser drohenden Änderungen wird sich ein Staat also in Zukunft zweimal überlegen, ob er Umweltstandards anhebt oder die Rechte von Beschäftigten ausbaut.

Auch Umwelt betroffen

Verbraucherschutz und Umwelt hängen eng zusammen. Eberhard Koch, preisgekrönter Umweltschützer und als Vertreter für den BUND auf dem Podium, monierte, dass durch das Freihandelsabkommen nicht nur gentechnisch veränderte Pflanzen in die Ladenregale kommen, sondern dass die Kennzeichnungspflicht dafür sogar entfallen könnte, da die Firmen, die das produzieren, sagen, das sei eine Diskriminierung. Aber nicht nur das: Sollte gentechnischer Anbau ermöglicht werden, würde Pollenflug und Insekten einen biologischen Anbau unmöglich machen, da die Umwelt vollständig kontaminiert werden könnte.

Kultur vor dem Ausverkauf

Der Schriftsteller Jochen Kelter verwies darauf, dass der Kulturbereich im besonderen Maße betroffen sein könnte:. „Ich mache ein großes Fragezeichen hinter die Ausführungen Grütters’, man könne die Kultur aus den Verhandlungen herausnehmen.“ Marion Grütters, das ist die Kulturstaatsministerin.„Laut Grütters mache Kultur nur zwei Prozent des Handelsvolumens zwischen der EU und den USA aus. Doch zum einen dürfte der Anteil der Kultur weit höher liegen. Zum anderen werden die USA sich sehr darum bemühen, ihren Filmen, ihren Musicals, ihrer Musik den gänzlich ungehinderten Zugang zum europäischen Markt zu ermöglichen.“ Zwei Systeme, die nicht zueinander passen, sollten durch die Freihandelsabkommen miteinander kombiniert werden. „In Europa ist die Kultur weitgehend eine Staatsaufgabe wie die Bildung. In den USA ist sie fast ausschließlich Privatsache, also Geschäft.“ Der Broadway und Hollywood werden nicht subventioniert. Die Subventionen von Theatern und Filmproduktionen durch den Statt oder öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland könnten dann als Wettbewerbsverzerrung ausgelegt werden.

Privatisierungen, soweit das Auge reicht

Ähnliches droht auch in der Wirtschaft, stellte Pit Wuhrer fest. Öffentliche Dienstleistungen könnten durch TISA privatisiert werden und es soll ein Mindestprivatisierungsgrad vorgegeben werden: „Einmal getätigte Privatisierung sollen dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können.“ Dass diese Art der Politik Kommunen handlungsunfähig macht, eventuelle Fehlentscheidungen zu revidieren, brachte im Landkreis Roth in Bayern 16 Bürgermeister dazu, TTIP abzulehnen – 14 von ihnen Mitglied der CSU, die eigentlich für TTIP ist. Aber auch andere Bereiche der Beschäftigungspolitik könnten betroffen werden – das Streikrecht, Schutzbestimmungen für Beschäftigte, Rechte der Gewerkschaften.

Das Argument, TTIP bringe Arbeitsplätze, stimme so nicht. „Da ist ausschließlich von Jobs die Rede, nicht von ordentlichen Arbeitsverhältnissen“, spielte Wuhrer auf die Tatsache an, mit was da eigentlich geworben wird. Karin Binder greift eine Frage aus dem Publikum auf: „Ich denke, da wird immer mit Jobs geworben, aber die Gegenrechnung, wie viel beispielsweise kaputt gemacht wird, macht niemand auf.“

„Man sollte allerdings auch nicht auf die Idee kommen, zu schimpfen, es läge nur an den bösen Amis“, so Wuhrer: „In 25 US-Bundesstaaten, vornehmlich im gewerkschaftsfeindlichen Süden, gibt es ein right-to-work. Das hört sich gut an, ist aber tatsächlich das Recht, unbehelligt von Streikposten und kollektiver Arbeitsorganisation zur Arbeit zu gehen.” Und es seien gerade deutsche Konzerne, die bevorzugt in diesen Staaten Niederlassungen unterhalten. Solche Verhältnisse drohen mit TTIP auch bei uns.

Was tun?

Zum Schluss blieb die Frage, wie man gegen TTIP vorgehen könne, schließlich kamen einigen Gästen die Unterschriftenlisten etwas dürftig vor. Und obwohl die Unterschriften-Aktion der europäischen Bürgerinitiative vorläufig abgelehnt worden ist, macht man sich Hoffnung, dass der Europäische Gerichtshof die Ablehnung durch die Kommission revidiert.

Einig war man sich, dass man jetzt Druck machen müsse. Das könne über Demos oder den europaweiten Aktionstag am 11. Oktober passieren. „Wichtig ist, dass ihr auf eure kommunalen Vertreter in den Gemeinderäten zugeht und dort Druck macht. In den Konstanzer Kreistag und in den Gemeinderat werden demnächst von der Linken, der FGL und der LLK zwei Resolutionen dazu eingebracht“, wies zum Schluss ein Zuhörer aus dem Publikum auf die vielfältigen Möglichkeiten vor Ort hin.

Ryk Fechner

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