Wie ist es um unsere Stadtgesellschaft moralisch und ethisch bestellt?

Autor | 26. Februar 2016

Der Gemeinderat hat die Entscheidung über die geplante Flüchtlingsunterkunft am Hörnle zwar vertagt, beantwortet ist die Grundfrage in der Debatte um geeignete Standorte für die Unterbringung von Geflüchteten in Konstanz noch lange nicht. Denn der Streit dreht sich nicht nur um die Eignung dieser oder jener Fläche oder Immobilie. Es geht längst vor allem darum, wie unsere Stadtgesellschaft mit den Menschen umgeht, die aus höchster Not aus ihren von Kriegen zerissenen Heimatländern geflüchtet sind. Der Linke Liste-Stadtrat Holger Reile hat sich in seinem Redebeitrag auf der Gemeinderatssitzung mit dieser Frage beschäftigt. Sein Beitrag im Wortlaut:

Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen und zahlreich erschienene Gäste, die Debatte über angebliche oder tatsächliche Alternativstandorte ist richtig und auch wir unterstützen die Forderung, diesbezüglich die Bürgerinnen und Bürger früher zu informieren und sie – soweit wie möglich – in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Doch eines ist auch klar: Der Umgang mit der Flüchtlingsfrage ist kein Verschiebebahnhof, frei nach dem Motto: Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber beim Nachbarn wären sie besser aufgehoben. Will heißen: Der Hinweis, ein Standort am Flughafen sei doch sehr viel besser als der am Hörnle, hilft uns keineswegs weiter – denn wir brauchen sowohl den einen und auch den anderen und noch mehrere dazu. Das ist Fakt und da müssen wir uns auch nichts vormachen.

Blicken wir über unseren lokalen Suppenteller hinaus, müssen wir folgendes konstatieren, so bitter es für viele auch klingen mag. Wir stehen weltweit vor Entwicklungen, die wahrscheinlich in den nächsten Jahren zu einer völligen politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Umgestaltung ganzer Kontinente führen wird. Millionen haben sich bereits auf den Weg gemacht und viele weitere Millionen werden folgen. Und wir können auch nicht die Augen davor verschließen, dass wir dabei – mal mehr und mal weniger – Pate gestanden haben. Wir waren mit im Boot, als der Nahe und Mittlere Osten destabilisiert wurde. Denn dort ging es vorrangig nicht um den Bau von Schulen und Kindergärten, dort ging es vielmehr um geostrategische Interessen, um milliardenschwere Waffenexporte, um Absatzmärkte, Bodenschätze, Macht und Einfluss.

Und wir sind auch nicht ganz unschuldig daran, dass vor allem die europäischen Billigexporte zu einer weitgehenden Vernichtung der afrikanischen Märkte geführt haben. Dazu: Die Einschätzung, bei den nordafrikanischen Staaten handle es sich um sichere Herkunftsländer, ist lediglich das Produkt einer hilflosen Abwehrhaltung, die einer Überprüfung nicht stand hält. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Diese vorschnelle Etikettierung löst das Problem nicht, das uns in Bälde ebenfalls vor die Füße fallen wird.

Und wer darüberhinaus glaubt, der schmutzige Pakt mit dem skrupellosen Diktator am Bosporus würde auch unsere Kommune vor weiterer Zuwanderung schützen, der wird gewaltig irren. Genausowenig hilfreich ist der Rückzug auf nationalstaatliche Borniertheit und kleinkarierte Abschottung. Das wird nicht funktionieren. Und wer darüber hinaus der Meinung ist, er müsse der Leimrute enthemmter Hetzer und Rassisten folgen, begibt sich auf einen sehr gefährlichen Weg. Die partiell menschenverachtenden und hassgeschwängerten Parolen der Höckes, Orbans, Petrys und wie sie auch immer heißen mögen, tragen nur dazu bei, das gesamtgesellschaftliche Klima europaweit weiter zu vergiften, und das kann nicht in unserem Sinne sein. Null Toleranz auch gegenüber dem feigen und kriminellen Mob, der seit Monaten sengend und brennend durch unser Land zieht.

Sachliche und zielführende Kritik hingegen ist erlaubt und auch erwünscht, denn wir stehen in der Tat vor einer gewaltigen Aufgabe, bei der es auch immer wieder Rückschläge geben wird – eine Aufgabe, die aber auch Chancen in sich birgt, die man nicht einfach ignorieren sollte. Und so gesehen ist die Debatte um den Standort Hörnle nur ein weiterer Mosaikstein, der zeigen wird, wie es um unsere Stadtgesellschaft moralisch und ethisch bestellt ist.

In diesem Zusammenhang, und damit komme ich zum Schluß, ist es uns ein Anliegen, das ehrenamtliche Engagement vieler KonstanzerInnen und Konstanzer zu würdigen, die in Initiativen wie Save me, Cafe mondial oder beim Projekt 83, wichtige und auch vorbildliche Arbeit leisten. Ihnen allen gebührt unser Dank, denn ohne sie ginge es nicht.

Holger Reile

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