Oberbürgermeister Uli Burchardt hat kurzfristig vor der gestrigen Gemeinderatssitzung einen Antrag der Linken Liste von der schon veröffentlichten Tagesordnung genommen. Dessen Ziel war eine Resolution des Konstanzer Gemeinderates gegen weitere von der Landesregierung geplante Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge. Die gemeinderätliche Seele kochte hoch, aber der Oberbürgermeister beharrte auf seinem Standpunkt.
Die Nachrichten, die aus Afghanistan in den Westen gelangen, zeichnen ein in weiten Teilen von Terror, Krieg und Bürgerkrieg zerstörtes Land, in dem viele Menschen tagtäglich um ihr Leben fürchten müssen. Während andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein sich nicht an den Abschiebungen nach Afghanistan beteiligen, ist die grün-schwarze Landesregierung in Stuttgart mit von der Partie.
In Konstanz haben nach Angaben von Anke Schwede (LLK) rund 160 Afghaninnen und Afghanen Schutz gefunden, darunter 22 minderjährige, unbegleitete Afghanen. Etliche dieser Flüchtlinge sind von der Abschiebung bedroht, und am Rande der Sitzung war zu hören, dass viele Minderjährige gleich nach ihrem 18. Geburtstag in ihr Herkunftsland zurückgeschafft würden.
Auf Antrag der LLK hatte bereits das Internationale Forum, in dem Verwaltung, GemeinderätInnen, sachkundige BürgerInnen sowie Sozialverbände zusammensitzen, einstimmig eine Resolution beschlossen, in der ein Abschiebestopp für AfghanInnen gefordert wird. Dieser Resolution sollte sich jetzt auch der Konstanzer Gemeinderat anschließen und dies dem grün-katholischen Landesvater Winfried Kretschmann zur Kenntnis bringen. So zumindest hatte es Anke Schwede am 14.3. beantragt. Dieser Antrag war auch auf der Tagesordnung der gestrigen Gemeinderatssitzung gelandet. Am Vorabend der Sitzung allerdings wurde Anke Schwede darüber informiert, dass dieser Tagesordnungspunkt aus juristischen Gründen gestrichen sei.
Was darf der Gemeinderat?
Die Gründe, die Oberbürgermeister Uli Burchardt für seinen Schritt hat, mögen politischer Natur sein, aber Spekulationen darüber sind müßig, denn der OB argumentierte nicht humanitär und nicht politisch, sondern rein juristisch. Silvia Löhr, Justiziarin der Stadt, wurde im Laufe des Nachmittags mehrfach ans Mikrophon gebeten, um ihre Sicht der Rechtslage zu erläutern. Danach sieht die Sache so aus: Ein Gemeinderat darf sich nur mit örtlich relevanten Fragen befassen und hat kein allgemeinpolitisches Mandat. Angelegenheiten des Landes oder des Bundes gehen ihn nichts an. Diese Rechsprechung hat sich nach Löhrs Angaben vor Jahrzehnten herausgebildet, als Städte oder Landkreise versuchten, sich für atomwaffenfrei zu erklären.
Der Oberbürgermeister müsse, bevor er die Tagesordnung erstellt, prüfen, ob die einzelnen Tagesordnungspunkte rechtlich zulässig sind. Leider habe er wegen des Urlaubs einer damit befassten Mitarbeiterin erst zu spät gemerkt, dass diese Resolution auf der bereits veröffentlichten Tagesordnung nichts zu suchen habe. Deshalb habe er den Punkt am Vorabend kurzfristig abgesetzt. Uli Burchardt verwies darauf, dass er so fair gewesen sei, die Antragsstellerin Anke Schwede davon zu unterrichten, wozu er eigentlich gar nicht verpflichtet sei.
Aber es kommt noch besser: Da der Gemeinderat keine Befassungskompetenz für Abschiebungen hat, darf er über diese Absetzung von der Tagesordnung auch nicht groß debattieren und – Schluss der Vorstellung. An einen Antrag auf Wiederaufnahme sei auch nicht zu denken. Schon die Resolution des Internationalen Forums sei rechtswidrig gewesen, das habe aber damals niemand bemerkt. Den Gemeinderat, so das Fazit der Ausführungen der Verwaltung, geht das Schicksal von AfghanInnen schlichtweg nichts an.
Für eine Kultur der Anerkennung
Anke Schwede wurde darob sichtlich giftig. Sie hatte eine Erklärung vorbereitet, die sie trotz des Protestes des von all diesem Gutmenschentum sichtlich genervten Oberbürgermeisters verlas. Darin verwies sie darauf, dass der Gemeinderat Konstanz im Juli 2012 auch die ihrer Meinung nach ähnlich gelagerte “Konstanzer Erklärung FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus” verabschiedet hat. Außerdem erinnerte sie daran, dass auch der Stadtrat in München eine Resolution zum Abschiebestopp beschlossen habe. Nicht zuletzt aber sei es auch eine Konstanzer Angelegenheit, da die Abschiebungen auch AfghanInnen in Konstanz beträfen. Dagegen wandte die Verwaltung ein, dass die in Konstanz lebenden afghanischen Flüchtlinge aber in Unterkünften des Landes leben, weshalb sie den Konstanzer Gemeinderat nichts angingen. Außerdem vermerkte der OB spitz, dass in Schwedes Resolutionstext das Wort “Konstanz” nicht ein einziges Mal auftauche. Also keine Konstanzer Angelegenheit?
Man merkte im Laufe der Sitzung deutlich, dass es in vielen GemeinderätInnen rumorte, und zwar quer durch alle Fraktionen. So kam das Thema Afghanistan-Resolution denn immer wieder zur Sprache. Gabriele Weiner (JFK) etwa fragte später, ob der Gemeinderat die Resolution denn beschließen dürfe, wenn man sie nicht “Resolution” nenne, sondern als Bitte an den Ministerpräsidenten formuliere. Der OB: Nein. Silvia Löhr musste erneut in die Bütt und belehrte die Anwesenden, dass ein Gemeinderat ein Verbandsorgan sei, das so etwas nicht dürfe, weil dafür seine “abstrakte Betroffenheit” nicht genüge. Eine Frau aus dem Publikum murrte an dieser Stelle “die soll erst mal was Richtiges schaffen, ehe sie hier solch Zeug schwätzt”.
Menschenleben zählen kommunal nicht viel
Diese Gemeinderatssitzung bot ein Trauerspiel. Das Bedürfnis, von der Abschiebung nach Afghanistan und damit an Leib und Leben bedrohte Menschen zu retten, stand auf der einen Seite. (Dass eine solche Resolution des Gemeinderates in Stuttgart wohl kein Umdenken und auch sonst nichts bewirkt hätte, sei dabei einmal verschwiegen.). Auf der anderen Seite stehen Paragraphen, die in Konstanz (anders als in München) so verstanden werden, dass ein Gemeinderat keinerlei Recht hat, für bedrohte Flüchtlinge einzutreten. Will sagen: Wenn Tausende im Mittelmeer ertrinken oder in Afghanistan im Bombenhagel sterben, geht das den Konstanzer Gemeinderat nichts an. Sollen aber drei Pappeln dran glauben, dürfen die Gemeinderätinnen und -räte gern auch tagelang darüber diskutieren und abstimmen.
Dem Nichtjuristen kommt das ziemlich schräg vor, denn es atmet genau jenen Geist der untertänigen Paragraphenhuberei, der einst all den Mitläufern, Arisierern und Profiteuren, all den Brunos und den Helmles in ihren Amtsstuben, Werkshallen und Vernichtungslagern ein bis an ihr Lebensende so ruhiges Gewissen bescherte.
Es rumort weiter
Die – unerlaubte – Debatte über die Resolution nahm übrigens nicht das vom OB gewünschte schnelle Ende. Normen Küttner (FGL) fragte irgendwann, ob man den Text denn nicht als Appell beschließen dürfe. Der OB schaute etwa so erfreut drein wie Obelix, wenn Troubadix beim Wildschweinessen ein Lied anstimmen will. Silvia Löhr setzte noch einmal nach und erläuterte, ein solcher Beschluss würde die staatliche Kompetenzenteilung verletzen.
Selbst Klaus-Peter Kossmehl (FWK), der sonst vor allem als leidenschaftlicher Vordenker des freien Unternehmertums das geschliffene Wort zu ergreifen pflegt, konnte zu diesem Thema nicht schweigen, zog es aber trotzdem vor, stumm zu bleiben. Er stiftete vielmehr seinen Fraktionskollegen Anselm Venedey zu der klugen Frage an, mit welchen Strafen der Gemeinderat denn rechnen müsse, wenn er die Resolution trotzdem beschließe. Er erhielt keine Antwort.
In diesem Moment aber wirkte der Oberbürgermeister auf einmal unerklärlich heiter. Vermutlich ist ihm plötzlich Recep Tayyip Erdoğan eingefallen. Der darf sich ja in Zukunft immer dann ein neues Parlament wählen lassen, wenn ihm das alte nicht mehr passt.
O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz.de)