Vergebene Chance

Autor | 24. August 2022

Im August 1970 erschoss Hans Obser den damals 17-jährigen Lehrling Martin Katschker mit einem Hasentöter. Vorausgegangen war der Tat eine wochenlange Hetze gegen „Gammler“, organisiert von Walter Eyermann, einem ehemaligen Mitglied der rechtsradikalen NPD. Vor rund zwei Jahren stellte die Linke Liste den Antrag, am Blätzleplatz, dem Ort der Bluttat, eine Gedenktafel aufzustellen. Daraufhin wurde Stadtarchivar Jürgen Klöckler beauftragt, ein Gutachten und einen passenden Text für das geplante Mahnmal zu verfassen. Das gestaltete sich schwierig.

In einem ersten Textentwurf Klöcklers für die Gedenktafel war weder der Name des Opfers zu lesen, noch die von Obser und Eyermann. Angeblich müsse das postmortale Persönlichkeitsrecht berücksichtigt werden, so die Erklärung. Erst auf Drängen des Kulturauschusses wurde wenigstens Katschker namentlich erwähnt. Ein nahezu grotesker Vorgang, denn über einen auf der Gedenktafel angebrachten QR-Code kommt man auf das umfangreiche Gutachten von Klöckler, in dem alle Beteiligten namentlich genannt werden. Völlig unverständlich ist zudem, dass auf Veranlassung von Jürgen Klöckler Ende Juli die Tafel nahezu klammheimlich aufgestellt wurde – im Rahmen einer eiligst einberufenen Pressekonferenz und dem Hinweis, dass damit die Tafel „der Öffentlichkeit übergeben“ werde. Doch die Öffentlichkeit wusste gar nichts davon, ebenso wenig der Kulturausschuss. Angemessen wäre gewesen, die Tafel bei einer von städtischer Seite organisierten Gedenkfeier zu enthüllen und dazu die Bevölkerung einzuladen. Denn der damalige Vorfall zeigt ebenso wie aktuelle Angriffe, wozu Hass und Hetze gegenüber anderen Lebensentwürfen führen können. Die Erinnerung an Martin Katschker hat mehr Würde und Selbstreflexion verdient. Aber so bleibt eher der bittere Eindruck, dass man die ganze Angelegenheit schnell vom Tisch haben wollte.

Holger Reile (zuerst erschienen im Amtsblatt Nr. 17 / 2022).
Das Bild zeigt die (Interims-)Mahntafel, die die Linke Liste Konstanz nach der Gedenkveranstaltung für Martin Katschker Ende August 2020 anbrachte.

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