„Viel mehr als die vielen Männer in den Führungsetagen der DAX-Unternehmen ärgern mich die schlechten Arbeitsbedingungen in den sogenannten Frauenberufen“, fand Gerlinde Strasdeit am vergangenen Freitag. Auf Einladung ihrer Konstanzer GenossInnen berichtete die linke Tübinger Stadträtin im Rahmen der hiesigen Aktionswochen zum Internationalen Frauentag über die besorgniserregende Lage in der Kranken- und Altenpflege. Mit im Gepäck hatte sie: Eine Bettpfanne.
Aus erster Hand konnte die langjährige Personalrätin am Universitätsklinikum Tübingen von den aktuellen Tarifkonflikten an den vier Unikliniken Baden-Württembergs informieren. Dort fordern die Pflegekräfte derzeit bessere Arbeitsbedingungen, wie weniger Personal- und Zeitdruck. Die seit kurzem bestehende Aussicht auf Einigung sei wesentlich auch Folge des zunehmenden öffentlichen Drucks. Mit dialogorientierten Protestaktionen, wie dem Sammeln von Erfahrungsberichten von PatentInnen und Pflegenden sowie kreativen Kundgebungen in Bademantel und mit Bettpfannen bewaffnet, habe man auch außerhalb der Kliniken für das Anliegen geworben.
Mit Erfolg: Nun stehen verbindliche Regelungen für Mindestbesetzungen und die Einführung eines Ausfallmanagements in Aussicht. Eine bittere Notwendigkeit, wie Gastgeberin Angelika Böhl aus dem Vorstand der Konstanzer Linken bereits zu Beginn des Abends dargelegt hatte: Während eine Pflegekraft in Norwegen sich im Schnitt um 3,8 Patienten kümmere, seien deren KollegInnen in Deutschland für mehr als zehn zuständig. LLK-Stadträtin Anke Schwede verdeutlichte mit Blick auf die Situation im Landkreis Konstanz, wie schlecht es um die Pflege in Deutschland bestellt sei. Hier sei die Misere insbesondere aufgrund der Nachbarschaft zur Schweiz besonders angespannt, die mit höherer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen locke.
Scharfe Kritik übte Strasdeit an der aktuellen Landesregierung. Anstelle des grünen Versprechens von umfassenden Investitionen in die Gesundheitsversorgung seien massive Kürzungen in dreistelliger Millionenhöhe erfolgt. Zu sehr hätten Sozialminister Manfred Lucha und die für die Universitätskliniken zuständige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (beide Grüne) sich einem Diktat der schwarzen Null unterworfen. Die linke Forderung eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems, das als öffentliche Daseinsvorsorge begriffen würde, sei mit den Grünen im Land derzeit bedauerlicherweise nicht zu machen.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sah Strasdeit zwar einige vielversprechende Vorsätze, die im besten Fall ein Ende der leidigen Fallkostenpauschale bedeuten könnten. Gleichzeitig verwies sie aber auch auf das geringe Durchhaltevermögen der SPD bei der Bürgerversicherung und die jüngsten Äußerungen des neuen Gesundheitsministers Jens Spahn. „Wo Spahn ist, wird gehobelt“, konstatierte sie skeptisch am Beispiel eines Sprichwortes. Beim Blick in die Kliniken bleibt jedoch zu hoffen, dass durch beherztes Hobeln der Personalvertretungen und den öffentlichen Druck bald auch in Berlin mal ein Spa(h)n fällt.
dsc (erschienen auf seemoz.de)