„Flüchtlinge in Konstanz sind nicht kriminell“

Autor | 22. Januar 2016

In der gestrigen Sitzung des Gemeinderates bot die Verwaltung einen Überblick über den aktuellen Stand in Sachen Flüchtlinge. Demnach ist vor allem unklar, wie viele Menschen die Stadt im Jahr 2016 aufnehmen muss, so dass die Verwaltung immer noch nicht sinnvoll planen kann. Eine wichtige Botschaft sandte die Verwaltungsspitze einmütig aus: Allen Unkenrufen aus interessierten Kreisen zum Trotz ist die Kriminalität in Konstanz durch die Flüchtlinge nicht gestiegen.

Die Fakten, die Bürgermeister Andreas Osner dem Gemeinderat vortrug, sind angesichts der menschlichen Katastrophe, die sich dahinter verbirgt, erschütternd. Am 31.12.2015 lebten in Konstanz 753 Flüchtlinge, von denen 704 oft unwürdig in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Für 2016 gibt es alle möglichen Prognosen, aber man weiß weder, wie viele Menschen gezwungen sein werden, ihr Land zu verlassen und ihr Leben auf der Flucht nach Europa zu riskieren, noch, wie viele davon überhaupt in Deutschland ankommen werden.

Die Stadt hat also keinerlei Planungssicherheit, und Oberbürgermeister Uli Burchardt sprach davon, dass die Verwaltung nur Wenn-Dann-Szenarien durchrechnen kann, die mit einem so breiten Korridor arbeiten, dass sich aus ihnen keine verlässlichen Planungsschritte ableiten lassen. Die Stadt weiß nur, was sie am liebsten will, nämlich eine dezentrale Unterbringung und soziale Durchmischung sowie eine möglichst schnelle Integration, aber planen kann sie dafür noch nicht.

Massenunterkünfte werden demnächst bezogen

Die Container auf dem P+R-Parkplatz an der Byk-Gulden-Straße stehen bereits und werden im März oder April bezugsfertig. Hierzu findet am 25. Januar um 19 Uhr eine Bürgerinformation in der Regenbogen-Schule in der Leipziger Straße statt. Auch auf dem Transco-Gelände werden ab April die ersten Flüchtlinge wohnen. Die Bauanträge für Zergle und Egg liegen bereits in Freiburg und dürften – sehr zum Ärger einiger der AnwohnerInnen – bald genehmigt werden.

Gleichzeitig beschäftigt sich die Verwaltung mit der Planung weiterer Erst- und Anschlussunterkünfte. Nach zwei Jahren in einer Erst-Massenunterkunft des Landkreises haben Flüchtlinge bekanntlich Anspruch auf eine dauerhafte Anschlussunterbringung durch die Stadt, und das wird die deutschen Städte, die wie Konstanz unter erheblicher Wohnungsnot leiden, vor große Probleme stellen. Außerdem müssen natürlich die Kinder der Flüchtlinge auch mit Schul- und Kindertagesstättenplätzen versorgt werden, es braucht LehrerInnen und KindergärtnerInnen. Auf die Massenflucht müssen die deutschen Kommunen schnell mit dem Ausbau ihrer sozialen und baulichen Infrastruktur reagieren, gerade, weil sie diese in den letzten Jahrzehnten teils sträflich vernachlässigt haben.

Keine erhöhte Kriminalität

Eines stellten Uli Burchardt und Andreas Osner ganz klar: Es gibt in Konstanz zwar diffuse Ängste in manchen Teilen der Bevölkerung, es gibt in Konstanz aber keinerlei Probleme mit Flüchtlingen, es gibt keine Steigerung der Kriminalität, keine Vorfälle, keine Sexualdelikte, einfach nichts. Bei aller Hysterie mancher Menschen gerade nach der Silvesternacht in Köln, die von der Bundespolitik und der Presse natürlich gern aufgegriffen wird, bei allen Pauschalverurteilungen ist in Konstanz nach ihren Angaben nichts passiert.

Osner forderte dazu auf, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht von irgendwelchen Gerüchten panisch machen zu lassen, denn dafür gebe es überhaupt Anlass. Als Sabine Feist (CDU) berichtete, sie habe von einer Lehrerin gehört, dass Schülerinnen einer neben einer Flüchtlingsunterkunft gelegenen Schule sich nicht mehr auf den Schulhof trauten, fuhr ihr Uli Burchardt unwirsch in die Parade, dass er so etwas zwar immer wieder über Dritte höre, dass die Polizei aber solche Vorfälle nicht bestätigen könne und dass sich Leute, die so etwas erzählen, zumal wenn sie an einer Schule arbeiten, doch gefälligst an die Verwaltung oder die Polizei wenden sollen. Gabriele Weiner (JFK) jedenfalls, die in der Flüchtlingsbetreuung ziemlich aktiv ist, lehnte die Panikmache von Sabine Feist ab und meinte, ein Risiko gehe eher von alkoholisierten Deutschen aus, die Flüchtlinge zu provozieren suchen.

„Denen“ müssen wir noch was beibringen

Ein kühler Kopf, wie ihn Osner zurecht forderte, ist jedenfalls in dieser Angelegenheit nicht die Sache von Zahide Sarikas (SPD). Ausgelöst durch die traumatisierende Erfahrung, dass ihr als Frau von einem arabischstämmigen Mann der Handschlag verweigert wurde, forderte sie nachdrücklich, dass man „denen“ unsere Werte beibringen müsse, und wer einer Frau die Hand nicht geben wolle, weil das bei ihm zu Hause nicht üblich sei, der solle zurück nach Arabien und habe hier nichts suchen. „Denen“müssten wir sagen, dass sie in einem falschen Land sind, wenn sie sich so benehmen. Kurzum, Sarikas will, dass die Flüchtlingshelfer „denen“ schleunigst unsere Werte beibringen müssten, Demokratie und die Gleichberechtigung der Frau vor allem.

Könnte man Zahide Sarikas nicht strafmildernd ihre immer wieder unter Beweis gestellte aufschäumende Emotionalität, die gelegentlich ihren messerscharfen Verstand verdunkelt, zugute halten, müsste man sie zum sofortigen Übertritt zur AfD auffordern. Man darf aber mit einigem Recht darauf hoffen, dass die anderen SPDlerInnen (bis auf vielleicht einen) bei Sarikas’ Redebeitrag eine neue Dimension des Fremdschämens in sich entdeckt haben.

Flüchtlinge als Chance

Die Aussprache über den Sachstandsbericht Flüchtlinge bot aber noch ein weiteres Highlight: Heinrich Everke (FDP) könnte man stundenlang zuhören, weil er eine so wundervolle Stimme hat, und wenn man vom Inhalt seiner Worte gelegentlich mal absieht, ist das reinstes Easy Listening. Da Everke ein FDPler ist, versprüht er zudem natürlich auch stets Optimismus, denn er gehört zu jenen lebensbejahenden Menschen, nach deren Ansicht in jeder Situation eine Chance darauf lauert, ergriffen zu werden. Natürlich sieht er auch in der Flüchtlingsfrage eine große Chance, die alle Risiken bei weitem überwiegt: Die Chance nämlich, endlich mal Bürokratieabbau zu betreiben, Vorschriften über Bord zu werfen – und endlich einmal beherzt ein paar unfähige Angestellte des öffentlichen Dienstes zu feuern.

Wie bitte? Die Flüchtlingsproblematik bietet die Chance, endlich mal Leute aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen? Goethe hatte wohl eine prophetische Eingebung, als er schrieb „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“

O. Pugliese

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