Der allzufrühe Tod von Jürgen Geiger hat viele Menschen in dieser Stadt bewegt. Ohne sein jahrzehntelanges Engagement wären manche Initiativen in Konstanz nicht entstanden. Er war es auch, der dafür sorgte, dass die Linke Liste Konstanz (LLK) heute aus der kommunalpolitischen Landschaft kaum mehr wegzudenken ist. Von Anfang an war Jürgen Fraktionsmitarbeiter der LLK und setzte regelmäßig wichtige Impulse. Nun ist er nicht mehr unter uns. Ein immenser Verlust, der nur schwer zu kompensieren sein wird.
Es war auch sein Verdienst, dass die LLK ihr kommunalpolitisches Nischendasein hinter sich gelassen hat. Waren es anfangs nur einzelne wie Michael Venedey, Monika Schickel und Vera Hemm, die linke Politikansätze in den Konstanzer Gemeinderat brachten, hat die LLK heute mit drei Sitzen Fraktionsstatus. Der LLK-Slogan: „Weil die Stadt uns allen gehört“, war auch Jürgens Credo. Unermüdlichbereitete er unsere Fraktionssitzungen vor, beackerte die oft sehr umfangreichen Vorlagen, verfasste pointierte Redemanuskripte und formulierte Pressemitteilungen, die das jeweilige Thema akkurat auf den Punkt brachten. Vor anstehenden Kommunalwahlen kümmerte er sich fast im Alleingang um nötiges Informationsmaterial, stellte Flyer und Broschüren zusammen, zog die Fäden, blickte über den Tellerrand hinaus, debattenfest und stets bestens informiert. Ihn konnte man auch zu später Stunde noch kontaktieren und um Hilfe bitten, wenn es nötig war. Jürgen war umgehend zur Stelle. Kurz und gut: Zuverlässige Mitstreiter mit diesen Qualitäten gibt es nur ganz wenige. Uneitel, solidarisch und selbstlos – das zeichnete Jürgen aus.
Jürgens Blick galt vor allem denjenigen, die um ihren Lebensunterhalt kämpfen müssen, oft an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden und nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Er setzte sich unermüdlich für das Wohlergehen anderer ein. Dabei war es ihm gleich, ob es sich um deutsche oder ausländische ArbeiterInnen, gebürtige KonstanzerInnen oder Zugezogene, junge oder alte Menschen handelte. Jürgen war ein internationaler Sozialist, der seine Überzeugungen auch auf die Kommunalpolitik herunterbrach. Für ihn verliefen die Grenzen nicht zwischen innen und außen, sondern zwischen oben und unten. Deshalb bekämpfte er aufrecht und unerbittlich jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus. Ihm war bewusst, dass politische Veränderung an den Wurzeln, in den Köpfen der Menschen beginnt und aus der Gesellschaft in die Politik getragen werden muss. Jürgen engagierte sich deshalb für die Vernetzung sozialer Bewegungen mit der politischen Arbeit. Ein besonderes Anliegen war ihm die Solidarität mit den unterdrückten KurdInnen – nicht nur bei den Newrozfesten der Konstanzer Gemeinde war er ein herzlich willkommener Gast.
Sein Tod reißt eine klaffende Lücke in die politische Landschaft der Stadt Konstanz. Wie kaum ein anderer hat er sowohl bei seinen MitstreiterInnen als auch bei seinen politischen GegnerInnen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Wir betrauern nicht nur den Verlust eines aufrichtigen Genossen. Wir betrauern den Verlust eines langjährigen Kampfgefährten, stolzen Antifaschisten und wahren Freundes. Wir werden ihn nicht vergessen.
Könnte er diese Zeilen noch lesen, würde er wohl leise lächeln und sagen: „Es ist gut jetzt. Macht Euch an die Arbeit, der Kampf geht weiter“.
Für die LLK: Anke Schwede, Simon Pschorr und Holger Reile.
Als es uns Mitte der 1990er Jahre nach Konstanz verschlagen hat, suchten wir auch am See nach Genossen und stießen natürlich auf Jürgen. In dieser satten, gutbürgerlich-selbstgefälligen Stadt hatte er sich schon damals den Ruf des politischen Spieleverderbers erworben. Er wusste sehr gut, wie in Stadt und Kreis die (Macht-) Karten verteilt sind und deckte das mit seinen Mitteln und Möglichkeiten immer wieder auf. Wir erinnern uns beispielsweise an seine Arbeit gegen das Projekt eines Mega-Konzerthauses, das die ansässige Tourismus-Lobby vorantrieb.
Als das zwangsvereinte Deutschland damals begann, sich in Jugoslawien einzumischen und schließlich am NATO-Krieg gegen Serbien teilzunehmen, organisierte er dagegen Büchertische, Kundgebungen, Veranstaltungen mit Menschen aus dem Kriegsgebiet, Ausstellungen…
So hartnäckig und unbestechlich wie Jürgen bei diesen und anderen Kampagnen war – nach getaner Arbeit ließ er sich auch beim Feiern nicht lumpen – wie etwa damals auf der Terrasse von Olivera, die von diesem Krieg ja ganz persönlich-familiär betroffen war.
So schätzten wir Jürgen im Laufe unserer Konstanzer Jahre (bis 2007) zunehmend nicht nur als unermüdlichen politischen Mitstreiter, sondern gewannen in ihm auch einen aufmerksamen, sensiblen Freund.
Und das wollen wir von ihm behalten: bei aller politischen Militanz nicht die persönlichen, menschlichen Seiten zu vernachlässigen und das Leben womöglich ohne Entfremdung zu genießen – so wie Jürgen, für den – wenn der Wind günstig war – ein Törn mit seinem Segelschiff stets hohe „politische“ Priorität hatte.
Ciao compagno! Grazie!