Gemeinderat macht der Verwaltung Dampf bei der Flüchtlingsunterbringung

Autor | 24. Juli 2015

Das hatten sich der Oberbürgermeister und seine Mannen von der Verwaltungsspitze ganz anders vorgestellt. Sie wollten sich schwerpunktmäßig in den nächsten Monaten mit der Suche nach Grundstücken und Räumlichkeiten für Gemeinschaftsunterkünfte befassen und dafür die unmittelbar anstehenden Anschlussunterbringungen in Egg und am Zergle in Wollmatingen “vorerst” zurückstellen und die Bürger erst einmal ausführlich konsultieren. Dafür wurden sie vom Gemeinderat kräftig abgewatscht.

Das Thema Flüchtlingsunterbringung kocht angesichts explodierender Flüchtlingszahlen hoch, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Stadt Konstanz die ganze Angelegenheit auf die lange Bank schieben will, um unter Verweis auf fehlende Unterbringungsmöglichkeiten möglichst wenige Flüchtlinge beherbergen zu müssen. Während andere Gemeinden des Landkreises ihr Soll übererfüllt haben, liegt die Stadt Konstanz in Sachen Flüchtlinge weit zurück, und das gibt die Verwaltung in ihrer Vorlage auch unumwunden zu: “In einer Mail vom 13. Juli 2015 teilt das Landratsamt mit, dass derzeit 336 Flüchtlinge in Konstanz in zwei Unterkünften [Steinstraße und Atrium] untergebracht sind. Bis Ende 2015 muss Konstanz insgesamt 694 Flüchtlinge aufnehmen.” Das heißt, es fehlen bis Jahresende in Konstanz weitere 358 Plätze.

Gemeinschaftsunterbringung versus Anschlussunterbringung

Um die teils heftige Debatte im Gemeinderat zu verstehen, muss man wissen, dass es zwei Typen der Flüchtlingsunterbringung gibt:

In Gemeinschaftsunterkünften (wie etwa in der Steinstraße) erfolgt die Erstunterbringung von Flüchtlingen, für die zwar der Landkreis zuständig ist (= zahlen muss), für die die Kommunen dem Landkreis aber zuarbeiten, indem sie beispielsweise Immobilien vorschlagen und an den Landkreis vermitteln oder vermieten. Das sind Objekte, in denen mindestens 40 Personen untergebracht werden können. Pro Flüchtling besteht ab 2016 ein Anspruch auf 7 Quadratmeter zuzüglich der Flächen für gemeinschaftliche Sanitär- und Küchenbereiche. Flüchtlinge sind verpflichtet, bis zur Entscheidung über das Asylverfahren in diesen Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Der Landkreis wird jetzt Turnhallen als Gemeinschaftsunterkünfte nutzen, so groß ist die Not.

Sobald eine Entscheidung über den Status der Flüchtlinge getroffen wurde, oder wenn die Asylsuchenden 24 Monate in der Gemeinschaftsunterbringung gelebt haben, dürfen sie dort ausziehen. Jede Gemeinde des Landkreises hat dafür je nach ihrer Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen und ist für diese Anschlussunterbringung selbst zuständig. Aufgrund der Situation auf dem Wohnungsmarkt ist es meist unmöglich, für Flüchtlinge auf dem eine Wohnung zu finden. Die Gemeinde muss daher für die Flüchtlinge oft selbst Wohnraum suchen oder bauen. Dies können Einzelwohnungen, aber auch Wohnkomplexe oder ähnliches sein. Die Gemeinde hat also ein Problem.

Die Stadt Konstanz hat für eine solche Anschlussunterbringung bisher das Zergle und einen Platz in Egg ins Gespräch gebracht. Dafür hat das Land Fördergelder von 1.071.000 Euro am Zergle und 677.250 Euro in Egg zugesagt. Diese Förderung ist gesichert, wenn der erste Spatenstich für die jeweiligen Projekte am 01. März 2016 getan wird, aber Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn philosophierte schon über eventuelle Verlängerungsmöglichkeiten, was nichts Gutes verheißt.

WORTLAUT | Stadtrat Holger Reile erläuterte in seinem Redebeitrag die Position der Linken Liste: Dieser Vorlage können wir nicht zustimmen, denn sie weist in eine völlig falsche Richtung. Wir sollten weiterhin Flächen oder Leerstand für Erstunterkünfte und gleichzeitig Standorte für Anschlussunterbringungen suchen. Von letzterem abzusehen wäre ein fataler Fehler.

Ablehnen müssen wir auch den Vorschlag, anstehende Bauvorhaben für Anschlussunterbringung einzumotten und vorab ein sogenanntes Konsultationsverfahren mit wieder mal externer Hilfe für sage und schreibe 50 000 Euro auf den Weg zu bringen. Das nenne ich Verschleppung, diese zeitliche Verzögerung inklusive der Geldausgabe sollten wir uns sparen.

Wir brauchen sofort schnelle Lösungen für die kommenden Monate. Will heißen: Leerstehenden Gewerberaum umgehend ermitteln, dazu auch leerstehende Immobilien in der Stadt rasch auflisten. Denn es gibt sie und zwar nicht zu knapp. Ihre Aussage, Herr Oberbürermeister, das brächte gerade mal Platz für wenige Familien, ist so nicht richtig. Unser Vorschlag ist weiterhin: Mit den Besitzern leerstehender Immobilien verhandeln und ihnen anbieten, finanziell bei der Sanierung ihrer Häuser und Wohnungen unter die Arme zu greifen und im Gegenzug dafür langfristige Pacht- oder Mietverträge zu sozial verträglichen Konditionen zu bekommen. Das kann man meinetwegen auch nichtöffentlich machen, damit der Vorwurf der Denunziation im Keim erstickt wird. Unser Gremium sollte aber informiert werden, wie sich diese Bemühungen gestalten.

Nun stehen wir vor der Situation, dass spätestens nach der Sommerpause die ersten Turnhallen mit Flüchtlingen belegt werden. Wir halten das für einen gefährlichen Weg, denn damit spielt man den Brandstiftern aus der rechten Ecke in die Karten. Gehen wir aber diesen Weg, dann könnte die Konstanzer Willkommenskultur schnell kippen und ins Gegenteil umschlagen. Ich habe einigen hier schon mal geraten, sich auch auf lokalen und regionalen Seiten auch hier im Netz umzuschauen. Was sich da massenhaft zusammenbraut ist mehr als besorgniserregend. Turnhallen müssen unserer Meinung nach auf der Optionsliste ganz weit unten stehen. Sie ohne die Prüfung anderer Möglichkeiten zu belegen wäre pure Zündelei.

Auch die vielfach geäußerte Aussage, Container seien nicht mehr zu haben, ist falsch. Gerade baut in Berlin eine Firma aus Österreich ein Containerdorf für rund 2500 Flüchtlinge und das sind wirklich keine heruntergekommenen Blechhütten. Anderswo plant man ähnlich. Auch diese Option sollten wir umgehend auf ihre Machbarkeit überprüfen. Einbinden könnte man auch unseren Behindertenbeauftragten Stephan Grumbt, der als hauptberuflicher Logistiker sicher bereit ist, seine Erfahrungen einzubringen. Geeignete Standorte für Containerdörfer haben wir – beispielsweise den Parkplatz am Schwaketenbad. Wir bleiben dabei: Diese Vorlage ist aus vielerlei Gründen nicht geeignet, das anstehende Problem zu lösen.

Holger Reile

Will sich die Stadt drücken?

Wie gesagt: Die Verwaltung wollte jetzt erst einmal verstärkt nach Gemeinschaftsunterkünften (für den Landkreis) und erst dann irgendwann nach individuelleren Anschlussunterkünften suchen, um den eigenen Pflichten nachzukommen, statt beides gleichzeitig voranzutreiben. Weshalb eigentlich in dieser Reihenfolge? Warum nicht beides gleichzeitig oder die Anschlussunterbringung, die doch ureigenste Aufgabe der Stadt ist, zuerst? Weshalb also diese beiden Projekte Egg und Zergle “vorerst” zurückstellen und erst einmal ausgiebige Konsultationen mit den Bürgern durchführen?

Die Stadtoberen führten ihre persönliche brutale Arbeitsbelastung sowie Personalengpässe an – ausgerechnet jene Herrschaften also, die am Personal sparen, wo es geht, außer natürlich, wenn es sich um Schickimicki-Fummel wie duale Karrieren oder Kongresshäuser handelt, für die immer wieder bestens dotierte Stellen vom Himmel fallen.

Der (tatsächlich überarbeitete) Sozialbürgermeister Andreas Osner beklagte, dass er mittlerweile 33% seiner Arbeitszeit für Flüchtlingsfragen aufwenden müsse, obwohl er auch noch Schulen, Sport und viele andere Themengebiete am Halse habe. Er lasse sich bisher auch noch in den als Standort vorgesehenen Ortsteilen von den Menschen verbal verhauen und wolle deshalb die Menschen mitnehmen, denn man komme in dieser Frage nicht mit dem Kopf durch die Wand. Oberbürgermeister Uli Burchardt behauptete, die Stadt kriege das nicht gebacken schlichtweg aus Mangel an Manpower (die er selbst zu verantworten hat, was er aber zu erwähnen vergaß) und bejammerte die “Kriegsgewinnler”, die Container für 20 Flüchtlinge für 10.000 Euro Monatsmiete anböten (Zwischenruf Holger Reile von der LLK: “Das stimmt doch nicht!). Man darf beim wirtschaftswarmen Uli Burchardt allerdings getrost vermuten, dass er es als Vermieter von Containern nicht anders hielte.

Warum das alles?

Hmmm, eine gute Frage. Die Stadtverwaltung: Guten Willens, aber heillos überlastet. Die Flüchtlinge: Herzlich willkommen, aber zu zahlreich und zudem noch gänzlich unangemeldet. Der Wohnungs- und Grundstücksmarkt: Leer, zumindest für Schlecht- oder Normalbetuchte. Die Bürger: Guten Willens, aber man muss mit ihnen doch erst mal ein paar Monate lang reden, weil vor ihrer eigenen Haustür, Ängste und so.

Ist es diese Gemengelage, die die Stadtoberen zu sehr belastet, als dass sie gleichzeitig beide Unterbringungsmöglichkeiten, Gemeinschafts- und Anschlussunterkünfte, vorantreiben könnten?

In der Vorlage für den Gemeinderat findet sich ein verräterischer Satz: “Der Landkreis unterscheidet bei den zu belegenden Plätzen nicht nach Anschlussunterbringung und Erstaufnahme. […] Die Stadt Konstanz müsste zum Ende des Jahres insgesamt 694 Flüchtlinge/Asylbewerber in Unterkünfte aufnehmen.” Und dabei ist es egal, ob sie die Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterbringung oder Anschlussunterbringung verfrachtet. Und da ist die Gemeinschafts(massen)unterbringung natürlich die einfachere Lösung, zumal die der Landkreis an der Backe hat. Aber das sagt so natürlich niemand in Konstanz. Da ist Arbeitsüberlastung ein viel sympathischerer Beweggrund.

Wie auch immer, um Motive ging es dem Gemeinderat am Donnerstag nicht, als er der Verwaltung – mit Verlaub – kräftig in den Arsch trat. Nach beinahe zweistündiger Diskussion, in der Christiane Kreitmeier (FGL) gleich mehrere Sternstunden hatte (“Herr Osner, wenn 33% ihrer Arbeitszeit für die Flüchtlinge nicht reichen, dann arbeiten sie doch mehr”), wurde trotz sinistrer Drohungen des Oberbürgermeisters (“wenn Sie das beschließen, müssen wir mehrere andere Projekte sterben lassen”) beschlossen, dass 1. die Verwaltung gefälligst gleichzeitig Anschlussunterbringung und Gemeinschaftsunterbringung vorantreiben soll, dass 2. spätestens am 1. März 2016 im Zergle und in Egg (wo auch immer dort) Baubeginn für die Anschlussunterbringung sein soll und dass es 3. gleichzeitig 50.000 Euro für jene Bürgerkonsultation gibt, für die die Stadt kein Personal hat – da fragt sich doch: warum lässt man eigentlich die Integrationsbeauftragte Elke Cybulla so konsequent außen vor?

Eine schlanke Verwaltung ist scheint’s schnell mit humanitären Aufgaben wie mit mehr Bürgerbeteiligung überfordert. Und die Klatsche, die sie sich eingefangen hat, haben zumindest Teile der Verwaltung in diesem Fall aus humanitären Gründen redlich verdient.

O. Pugliese

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