Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in Konstanz wachsen

Autor | 27. Juli 2015

Wie heftig die Wohnungsnot ohnehin schon unterprivilegierte Menschen trifft, zeigt der Bericht des Bürgerbüros für 2012–2014, der dem Gemeinderat pünktlich zu seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause vorgelegt wurde. Danach ist die Zahl der Obdachlosen in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und immer mehr Menschen haben unter unerträglichen Wohnverhältnissen zu leiden, zumeist ohne Aussicht auf Besserung, denn die Wartelisten der städtischen Wobak sind lang.

Es ist derzeit viel von Wohnungsnot die Rede, von Menschen, die sich ihren Wohnraum kaum noch leisten können, von der Schwierigkeit, Flüchtlinge auch nur halbwegs angemessen unterzubringen. Dabei geht oft unter, dass es Menschen gibt, die ihre Wohnung längst verloren haben, und deren Zahl steigt weiterhin deutlich. So berichtet das Bürgeramt der Stadt Konstanz: „Aufgrund der Wohnungsmarktsituation wird es für das Bürgeramt als Obdachlosenbehörde immer schwieriger, obdachlose Menschen oder von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen mit Wohnraum zu versorgen.“

seemoz-Obdachlosigkeit2Die Zahl dieser amtlicherseits als „Unterbringungsfälle“ bezeichneten Menschen ist von 70 (2011) auf 137 (2014) gestiegen, hat sich also innerhalb von drei Jahren annähernd verdoppelt. Dass es sich bei diesen Zahlen nur um die verhältnismäßig kleine Spitze eines großen Eisberges handeln dürfte, versteht sich von selbst. Diese Zahlen sind trotzdem ein deutlicher Beleg dafür, in welche Richtung sich die sozialen Verhältnisse in Konstanz entwickeln, und welche Schwerpunkte die Politik auf allen Ebenen vom Bund bis hinunter zu den Kommunen setzt: Der Kampf gegen offenkundiges Elend gehört scheint’s nicht dazu.

Notunterkunft platzt aus allen Nähten

Entsprechend deutlich sind die Belegungszahlen in der Notunterkunft am Haidelmoosweg gestiegen. Die durchschnittliche Belegung pro Nacht stieg von 5,6 Personen im Jahr 2011 auf 9,9 Personen im Jahre 2014. Zeitweise reichen die Schlafplätze in der Notunterkunft nicht mehr aus, und „die bis 2011 praktizierte Regelung, die Erfrierungsschutzunterkunft in der warmen Jahreszeit zu schließen, kann aufgrund des massiven Anstiegs an obdachsuchenden Menschen nicht mehr umgesetzt werden. Seit 2012 sind wir gezwungen, die Notunterkunft auch in der warmen Jahreszeit zur vorübergehenden Unterbringung von obdachlosen Personen zu nutzen.“ Seit 2013 stehen dem Bürgeramt zusätzlich fünf Unterbringungsplätze in einem privaten Hostel zur Verfügung, und auch das dürfte eher ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Die Lage ist düster, die Aussichten auch

Der von Hans-Rudi Fischer, dem Leiter des Konstanzer Bürgeramtes, verantwortete Bericht, konstatiert: „In den letzten Jahren hat sich die Lage auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt für einkommensschwache Haushalte deutlich verschlechtert. Monatlich sprechen zwischen 25 und 30 Personen beim Bürgeramt vor, die bezahlbaren Wohnraum suchen. Einige sind direkt von Obdachlosigkeit bedroht, andere suchen für ihre Familien größere Wohnungen, weil sie unter unzumutbaren Zuständen (z.B. 5 Personen in einer 1-Zimmer-Wohnung) oder in gesundheitsgefährdenden Umständen (z.B. massive Schimmelbildung in der Wohnung) leben.“

Nicht nur die Zahl der Hilfesuchenden steigt deutlich, es ist auch logisch, dass sich angesichts des langjährigen Rückzuges der öffentlichen Hände aus dem sozialen Wohnungsbau die Chancen auf angemessenen Wohnraum weiter verschlechtert haben. „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger“, so der Bericht, „sozialadäquate Unterbringungslösungen zu realisieren. Personen mit geringem Einkommen haben massive Probleme, in Konstanz eine bezahlbare Wohnung zu finden. Betroffen hiervon sind vor allem Alleinerziehende, Familien mit mehr als zwei Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund.

Mit anderen Worten: Die Zeche für eine verfehlte Wohnungspolitik, die konsequent auf die unsichtbare ordnende Hand des freien Marktes setzte, zahlen die Schwächsten unserer Gesellschaft, darunter auch viele Kinder.

Ansturm auf die Wobak

Die Aussichten für ärmere Wohnungssuchende sind finster, denn am 31.12.2014 waren laut Bericht bei der Wobak insgesamt 2.726 BewerberInnen (1.961 Deutsche, 756 ausländische MitbürgerInnen) registriert. Das bedeutet jahrelange Wartezeiten, und das oft genug ohne jede Aussicht auf Erfolg, auch dies das Ergebnis einer bürgerlichen Politik, die über viele Jahre die Augen vor der Lebenswirklichkeit ganz einfach zuklappte oder sich auf zumindest einem Auge blind stellt.

Die Stadt versucht seit rund zwei Jahren, mit dem „Handlungsprogramm Wohnen“ dagegen zu halten, das bis 2030 den Bau von 5.300 Wohnungen vorsieht, aber dabei bezeichnenderweise einkommensschwachen Schichten keine Priorität einräumt, sondern auch im gehobenen Segment bauen will – für das preiswerte Wohnen ist nur ein Sechstel der Kapazitäten des Handlungsprogramms vorgesehen, und zwar 879 Wohneinheiten, während im mittleren und oberen Preissegment 4396 Wohneinheiten entstehen sollen. Es steht also durchaus zu erwarten, dass dieser eher halbherzige Versuch in den nächsten 15 Jahren nur für wenige jener Menschen, die sich heute schon in Not befinden, eine Lösung bringt. Von denen, die in den nächsten Jahren noch durch den Rost fallen werden, ganz zu schweigen.

Im vom Sozial- und Jugendamt initiierten Projekt „Wohnraumakquise“ werden außerdem Vermieter kontaktiert, die über leerstehenden Wohnraum verfügen, in der Hoffnung, kurzfristig zumindest ein paar Wohnungen für wohnungslose Menschen zu finden. Auch ein Neubau am Mühlenweg trägt ein wenig zur Linderung der Wohnungsnot für „Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ bei. Unter der Ägide der Wobak entstanden hier seit Ende 2014 zwölf Einzimmer- und sechs Zweizimmerwohnungen, die unter anderem auch die benachbarte Wohnwagensiedlung ersetzen sollen.

Angesichts der schieren Zahlen Obdachloser und Wohnungssuchender erscheinen all diese amtlichen Maßnahmen eher als ein wohlmeinender Witz – das Handlungsprogramm Wohnen leidet unter einer sozialen Schlagseite und wird für viele Opfer der verfehlten Sozial- und Wirtschaftspolitik ebenso wie des Billiglohnsektors nichts bringen. Der Bericht des Bürgeramtes liest sich in diesen Teilen zugleich als Armutsbericht wie als Armutszeugnis. Eins scheint hingegen sicher: Angesichts der aktuellen politischen Perspektiven können wir diesen vorliegenden Text in drei Jahren praktisch unverändert wieder abdrucken – und müssen dann nur einige Zahlen durch noch deprimierendere ersetzen.

O. Pugliese

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