Flüchtlingspolitik und der Streit um eine Petition

Autor | 28. Juli 2015

„Wir unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Flüchtlingen“. Auch mit diesem Argument verweigerte sich Die Linke im Konstanzer Kreistag einer Petition, die vornehmlich einer flotten Abschiebung von Roma in den Westbalkan das Wort redet. Doch nur ein Grüner schloss sich bei der Abstimmung im Kreistag dieser Position an.

Diese Kreistags-Resolution an die Gesetzgeber in Bund und Land hat eine Vorgeschichte: Bereits im Vorfeld hatten sich die beiden linken Kreisräte Marco Radojevic und Hans-Peter Koch gegen eine, von Landrat Hämmerle formulierte Fassung ausgesprochen. Dennoch wurde dieser Entwurf von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD sowie von den Freien Wählern (FW) nochmals überarbeitet, so dass in der letzten Sitzung des Kreistages zwei Fassungen zur Abstimmung standen: Die ursprüngliche Fassung wurde mit 35 Stimmen aus dem Lager von CDU, FW und FDP angenommen, der alternative Vorschlag bekam 14 Stimmen von Grünen und SPD, und nur drei Kreisräte (Beyer-Köhler von den Grünen sowie Koch und Radojevic von der Linken) votierten gegen beide Fassungen.

Deren Kritik richtete sich vor allem gegen die unveränderte Aussage, „dem Migrationsdruck aus den Westbalkanstaaten“ müsse Einhalt geboten werden, „da in nahezu allen Fällen kein Anspruch auf Asyl besteht“. Stark beschleunigte Verfahren (zur Abschiebung, d. Red.) sollten zeitnah umgesetzt werden. Kreisrat Radojevic machte in seiner Rede deutlich, dass damit vornehmlich Roma gemeint seien, denen in ihren Herkunftsländern jedwede Diskriminierung droht, Roma seien die meist geschundene Gruppe in Europa, auch in Deutschland. Deshalb seine Warnung: „Diese Resolution … ist Öl ins Feuer derer, die ihren Hass auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft projizieren“. Dieser Appell verhallte jedoch bei den bürgerlichen Kreisräten, siehe Abstimmung.

Ein bezeichnendes Licht auf die Diskussionskultur warf dann jedoch die nachfolgende Debatte: Radojevic wurde vorgeworfen, sich zum Sprachrohr der Hetze gegen Roma zu machen. Und das nur, weil er – um das Maß der Diskriminierung zu illustrieren – aus dem Hetzartikel einer ungarischen Zeitung zitiert hatte. Da wurde das Ross zum Reiter stilisiert.

WORTLAUT | Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir – die beiden Kreisräte der Linken – werden unter keinen Umständen der heutigen Resolution zum Thema Asyl zustimmen können. Wir erkennen die Bemühungen an, eine Verbesserung der Lage der Flüchtlinge mit Bleiberechtsperspektive zu erreichen, und wir glauben auch, dass es an der Zeit ist, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge zu verkürzen oder noch besser aufzuheben und diese bestmöglich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Dennoch zielt die vorliegende Resolution in ihrem Wesenskern auf eine weitere Verschlechterung im deutschen Asylwesen für Menschen aus den Westbalkanstaaten ab. Wir alle wissen, dass es sich bei einem großen Teil der Flüchtlinge aus eben jenen Ländern um Roma handelt. Was wir aber wohl nicht alle wissen ist, wie prekär die Situation der Roma in den Staaten des Westbalkans tatsächlich ist. Und deshalb lasse ich es auch nicht gelten, sich hier hinter den Regelungen zu den angeblichen sicheren Herkunftsstaaten zu verstecken.

Und wenn nun, wie in dieser Resolution, gar davon gesprochen wird, „materielle Anreize“ für diese Flüchtlingsgruppe zu verringern, dann ist das Bild des schmarotzenden Flüchtlings nicht mehr weit entfernt. Diese Sprache findet natürlich auch einen gesellschaftlichen Nährboden in Deutschland: Die Antidiskriminierungstelle des Bundes kommt nämlich zum Fazit, dass Sinti und Roma in Deutschland in allen Lebensbereichen systematisch diskriminiert werden und dass rassistische Übergriffe seitens der Polizei auch in Deutschland keine Seltenheit sind. Keiner anderen Gruppe wird in der deutschen Gesellschaft mehr Antipathie entgegengebracht, so stellt dies zumindest die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fest, der man ganz sicher nicht vorwerfen kann, dass sie eine Vorfeldorganisation der Linken ist.

Die Europäische Grundrechtsagentur kommt zum Ergebnis, dass Roma die am meisten diskriminierte Gruppe in Europa sind. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ kommt zum Fazit, dass auch in Ländern wie Italien, Tschechien, Deutschland und Ungarn rassistische Übergriffe auf Roma an der Tagesordnung sind.

In der serbischen Romasiedlung Antena außerhalb von Belgrads sind die humanitären Zustände geradezu katastrophal: Der Spiegel beschreibt hier eine Siedlung ohne fließendes Wasser, Bodenlöchern als Toiletten und die Luft würde nach Urin, Schimmel und verbranntem Plastik riechen. In Rumänien fordern rechte Gruppen die Sterilisation von Roma-Frauen.

Zsolt Bayer, Mitbegründer der ungarischen Regierungspartei Fidez und Vertrauter von Ministerpräsident Victor Orban schreibt in einer regierungsnahen ungarischen Tageszeitung:

„Der Großteil der Zigeuner ist zum Zusammenleben nicht geeignet. Diese Zigeuner sind Tiere, und benehmen sich wie Tiere. Sie wollen sich sofort mit jedem paaren, den sie erblicken. Wenn sie auf Widerstand stoßen, morden sie. Sie entleeren sich, wo und wann es sie überkommt. Wenn sie sich darin eingeschränkt fühlen, morden sie. Diese Zigeuner sind jeglicher menschlich zu nennender Kommunikation unfähig. Aus ihren Tierschädeln brechen höchstens unartikulierte Laute hervor, und das Einzige, was sie von dieser elenden Welt verstehen, ist Gewalt“ Ein Auschlussverfahren aus der Fidez scheiterte übrigens.

Wir haben bisher praktisch alle Bemühungen des Landkreises mitgetragen, die Flüchtlinge menschenwürdig in unserer Region unterzubringen und wir werden auch weiterhin alle Maßnahmen unterstützen, die dieses Ziel verfolgen. Diese Resolution aber ist Öl ins Feuer derer, die ihren Hass auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft projizieren. Diese Resolution wäre ein fatales Signal des Landkreises, in Zeiten in denen in Deutschland wieder Flüchtlingsheime brennen. Der syrische Bürgerkriegsflüchtling soll hier Schutz und Unterkunft bekommen, genauso soll aber auch der Roma-Flüchtling hier Schutz vor der Diskriminierung in seinem Heimatlanden finden. Dies ist nicht nur aufgrund der deutschen Geschichte und dem historischen Leid, das Deutschland den Roma zugefügt hat, keine Kür, sondern Pflicht. Es ist aber auch Gebot der Humanität, sei diese nun christlich, jüdisch, muslimisch oder philosophisch begründet.

Herr Landrat Hämmerle, sie reden immer davon wie wichtig es ist, dass die gesellschaftliche Stimmung nicht zuungunsten der Flüchtlinge kippt. Da sind wir voll und ganz bei Ihnen. Aber lassen sie mich noch hinzufügen, nicht diejenigen, gegen die gehetzt wird, ist schuld an einer Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung, sondern diejenigen, die hetzen sind an einer solchen Veränderung schuld. Deshalb wünsche ich mir, dass wir natürlich mehr Unterstützung von Bund und Land einfordern, damit wir unsere Aufgaben gut erfüllen können. Doch ich glaube nicht, dass sich der Landkreis an dieser Einteilung in „gute“ schutzbedürftige Flüchtlinge und „schlechte“ nicht-schutzbedürftige Flüchtlinge beteiligen sollte. Hetze löst man nicht dadurch, dass man den, gegen den gehetzt wird in ein Land abschiebt, in dem weiter gegen ihn gehetzt wird, sondern indem man sich den Hetzern in Deutschland, Baden-Württemberg und Konstanz, aber auch in Serbien, Ungarn und im Kosovo entgegenstellt. Wir glauben nicht, dass diese Resolution diesem Anspruch gerecht wird und werden Sie deshalb ablehnen. Wir fordern alle anderen Kreisräte und Kreisrätinnen uns dies gleichzutun. Marco Radojevic

Keine Zustimmung aus Singen

Ansonsten herrschte überwiegend Einigkeit, als es im Kreistag um Maßnahmen zur Flüchtlingsbetreuung ging. Und doch nicht so ganz: Als der Planungsauftrag für eine neue Gemeinschaftsunterkunft an der Worblinger Straße in Singen erteilt wurde, enthielten sich – quer durch alle Fraktionen – die Abgeordneten aus Singen mit OB Häusler an der Spitze. Aber auch sie haben natürlich nichts gegen Flüchtlinge – an sich.

Immerhin werden allein in diesem Jahr fast 500 000 Euro für neue Stellen für die Arbeit mit Flüchtlingen bewilligt. Techniker, Architekten, Hausmeister und Sozialarbeiter, insgesamt 19 an der Zahl, sollen zusätzlich eingestellt werden. Auch dafür wird Platz gebraucht: Neue Büros sollen noch in der Sommerpause angemietet werden – dem Landrat wurde das Recht auf Eilentscheidungen eingeräumt.

600 Plätze bis Jahresende

Grundlage für solche Eilentscheidungen ist, dass bis Ende 2016 zusätzlich 2248 neue Wohnplätze für Flüchtlinge geschaffen werden müssen – 600 davon noch in 2015. Schon ist eine Kreisturnhalle in Konstanz als Notunterkunft vorgesehen (seemoz berichtete), parallel wird die Errichtung von Zelt- und Containerstädten vorbereitet. Außerdem sind fünf weitere Liegenschaften in Vorbereitung, über 25 Objekte wird derzeit verhandelt und 67 Angebote aus der Bevölkerung konnten noch nicht einmal geprüft werden. (red)

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