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Es ist fünf nach Zwölf

Auf die Straße für Demokratie und Rechts­­staatlichkeit, Humanität und Solidarität. Dazu ruft ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Religions­gemein­schaf­ten und zahlreichen zivil­gesell­schaftlichen Gruppen die Konstanzer Bevölkerung auf. Am kommenden Freitag soll mit einer Großdemonstration unter dem Motto “#wirsindmehr” auch in der größten Stadt am See ein unmissverständliches Zeichen gegen den Rechtsruck gesetzt werden. Die Linke Liste Konstanz wird dabei sein.

Die Vorkommnisse in Chemnitz, Köthen und anderen Städten gaben den Anstoß. Tausende Rechtsradikale ziehen, ausländerfeindliche Parolen grölend, durch die Straßen und demonstrieren ihre faschistische Gesinnung mit Hitlergruß, ein wütender Mob macht Jagd auf Menschen, die als “fremd” stigmatisiert werden – erschreckende Bilder, die DemokratInnen aufrütteln müssen, sind die Demo-InitiatorInnen überzeugt. Doch nicht nur die Jagdszenen von Chemnitz, Köthen und anderswo sehen sie als Alarmzeichen. Dazu komme das nun “offen sichtbare, lange geleugnete Bündnis einer Bundestagspartei mit rechtsradikalen Gruppierungen”, heißt es im Bündnis-Aufruf mit Blick auf die AfD. “In bestimmten Kreisen scheint es heute salonfähig zu sein, Hass, Gewalt und nationalsozialistische Gesinnung offen zur Schau zu tragen, unterstützt von scheinbar ‘normalen’ Bürgern”.

In dieser Situation gehe es darum, “für Demokratie; Humanität und Solidarität auch in Konstanz dauerhaft ein Zeichen zu setzen und rechten Parolen und Strömungen eine klare Absage zu erteilen”, schreiben die das Bündnis tragenden Organisationen in einer Medienmitteilung. Zusammengefunden haben sich darin neben allen im Gemeinderat vertretenen Fraktionen auch Gewerkschaften, Kirchen, Flüchtlingsgruppen und weitere zivilgesellschaftliche Initiativen (alle UnterstützerInnen siehe unten). “Mehr denn je”, fürchten sie, “drohen demokratische Werte keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein”.

Mit der Demonstration am 5.10. durch die Konstanzer Innenstadt, für die OB Uli Burchardt die Schirmherrschaft übernommen hat, will das Bündnis die “bedingungslose Wichtigkeit” von Werten wie Toleranz und Weltoffenheit herausstellen und verteidigen. Sie soll öffentlich manifestieren, dass “eine große Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt … sich für die Bewahrung unserer Demokratie und Grundrechte, für eine humane und solidarische Gesellschaft einsetzt.”

MM/jüg

Wer ist dabei? (Stand 28.9., Reihenfolge alphabetisch)

Amnesty International Gruppe Konstanz, AStA Uni Konstanz, Bodensee-Solidaritätsbündnis mit Afrin, Café Mondial Konstanz e.V., CDU Stadtverband Konstanz, DGB Konstanz, DIE LINKE im Kreis Konstanz, FDP Stadtverband Konstanz, Freie Grüne Liste Konstanz, Freie Wähler Konstanz, Friedensinitiative Konstanz, IG Metall, Jüdische Gemeinde Konstanz, Junges Forum Konstanz, Jusos Konstanz, Konstanzer Seebrücke – Schafft sichere Häfen, Linke Liste Konstanz, linksjugend[‘solid] / dielinke.SDS Uni Konstanz, Neuwerk Genossenschaft, Pulse of Europe, Save me Konstanz e.V., SPD Konstanz, SSV Stadtsportverband Konstanz, Stolpersteine Konstanz, Universität Konstanz, ver.di, VVN-BdA Kreisvereinigung Konstanz

Termin: 5. Oktober 2018
Treffpunkt: 16.00 Uhr Konzilvorplatz am Haupteingang
Route: Konzilstraße, Bahnhofstraße, Rosgartenstraße, Marktstätte, Fischmarkt, Zollernstraße, Wessenbergstraße, Münsterplatz
Kundgebung: ca. 17.30 Uhr am Münsterplatz

Mehr Informationen auf der Facebook-Seite des Bündnisses

So ist Konstanz: Vonovia ab- statt aufgehängt

Warum sind die Plakate, die MieterInnen der Vonovia in der Schwaketenstraße aufgehängt hatten, so plötzlich wieder verschwunden, wollte Anke Schwede (LLK) von der Verwal­tung wissen (siehe Kasten). Immerhin ging es um Slogans wie „Mieter bezahlen, Aktionäre strahlen. Wir wehren uns!“ und ähnliche humanitäre Anliegen im Kampf gegen einen extrem raff­gierigen Konzern. Aber wie es in Deutsch­land auch 100 Jahre nach der Revolution von 1918 noch so ist, findet der Protest nur im (Rats-) Saal statt.

Die pfiffig gestalteten Plakate verschwanden einige Tage nach ihrer Hängung wieder, und dies auf Weisung des Bürgeramtes, wie allgemein vermutet wurde. Ein Verdacht, der nahelag, denn die Stadtobrigkeit hatte ja auch bereits die pure Nennung des Namens „Vonovia“ aus dem Podcast der Gemeinderatssitzung herausgeschnitten und so einige Gemeinderätinnen und -räte zensiert, unter anderen Holger Reile (LLK).

Anja Risse, Leiterin des Bürgeramtes, erklärte, die Sondernutzungssatzung erlaube das Aufhängen solcher Plakate nicht. Auf Anke Schwedes Nachfrage, auf welche Rechtsgrundlage sie sich denn berufe, erklärte Risse, es handele sich um die (kein Witz!) „Satzung über den Gemeingebrauch und über Sondernutzungen an öffentlichen Straßen und in den Fußgängerzonen der Stadt Konstanz und Richtlinien über die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen für gewerbliche Nutzungen auf öffentlichen Verkehrsflächen in Konstanz (Gestaltungsrichtlinien)“.

Dort heißt es:

§ 9 Plakatierung
(1) Plakatierungen im öffentlichen Verkehrsraum sind genehmigungspflichtig.
(2) Zur Wahrung des Stadtbildes nach dem Gestaltungskonzept der Stadt Konstanz wird im Rahmen eines Werbenutzungsvertrages nur einem Drittunternehmen das Recht eingeräumt, im Stadtgebiet gelegene öffentliche Verkehrsflächen zum Bau und Betrieb von Werbeeinrichtungen (z.B. Bushaltestellen, Litfaß-Säulen) zu benutzen.
(3) Das Plakatieren kann außerdem abweichend von Absatz 1 im übrigen Stadtgebiet, insbesondere für folgende Zwecke genehmigt werden:
a) Für in Konstanz stattfindende nicht gewerbliche Veranstaltungen, insbesondere aus Kultur und Sport. Ausnahmen sind bei gewerblichen Veranstaltern/Veranstaltungen möglich, wenn diese durch die öffentliche Hand gefördert werden.
b) Für Brauchtums- und Traditionsveranstaltungen sowie Volksfeste in Konstanz oder den unmittelbar angrenzenden Gemeinden Kreuzlingen, Tägerwilen, Reichenau und Allensbach sowie in Meersburg und Überlingen für Institutionen, die in Konstanz ihren Sitz haben.
c) Für Informationsveranstaltungen.
d) Anlässlich von stattfindenden Wahlen und politischen Veranstaltungen.
e) Ausnahmsweise am festen Standort an der Unteren Laube (in Höhe Schulhof Humboldt-Gymnasium) für überregionale Messen, Märkte oder Veranstaltungen.
(4) Die Anzahl der zuzulassenden Plakate und Dauer wird von der Stadt Konstanz begrenzt.
(5) Eine Erlaubnis für sonstiges Plakatieren allgemeiner Art wird nicht erteilt.

Heidenei, unter diesen Bedingungen wird das in Deutschland mit der Revolution nun wirklich nichts mehr. Aber immerhin herrscht Waffengleichheit: Auch die Vonovia darf demnach keine Plakate aufhängen. Und so bleiben uns denn Kunstwerke wie „Unsere MieterInnen sind nur zu geizig, ehrliche deutsche Mieten zu zahlen“ oder „Frau Müller lässt sich von dem Mob in ihrem Treppenhaus doch nicht sagen, wieviel Miete sie zahlen darf!“ erspart.

Anfrage zu Protestplakaten gegen Vonovia in der Schwaketenstraße

Sachverhalt/Begründung:
Die Mieterinnen und Mieter der beiden Wohnblocks in der Schwaketenstraße 98–102 sowie 104–108 haben ab 22. Juli 2018 öffentlich gegen die Modernisierungspläne ihres Vermieters, der Vonovia SE, mit drei verschiedenen Plakatreihen protestiert. Auf diese Weise machten sie ihre NachbarInnen, aber auch den Durchgangsverkehr in der Schwaketenstraße auf ihren Widerstand aufmerksam.
Die Slogans lauteten: „Unsere Fenster werden Müll, weil Vonovia das will“, „Vonovia modernisiert. Miete explodiert” und im dritten Plakat wurde kritisiert, dass der börsennotierte Immobilienkonzern auf Kosten der Mieter hohe Dividenden erwirtschaften will: „Mieter bezahlen, Aktionäre strahlen. Wir wehren uns!”

Die pfiffig gestalteten Plakate verschwanden einige Tage nach Hängung wieder, nach Aussagen einer in der Mieterinitiative Schwaketenstraße engagierten Betroffenen auf Weisung des Bürgeramtes.
Durch welche Abteilung des Amtes und auf welcher rechtlichen Grundlage wurde dies veranlasst?

Die Entscheidung löste bei uns jedenfalls angesichts der zwei Erklärungen des Konstanzer Gemeinderates zur Wohnungspolitik bzw. mangelnden sozialen und ökologischen Verantwortung von Vonovia Unverständnis aus.

Wir würden es begrüßen, wenn die Verwaltung eine Lösung finden und die Plakate wieder zulassen würde.

Corina Jäger von der MieterInitiative Konstanz-Schwaketen übergab Oberbürgermeister Uli Burchardt in der Bürgerfragestunde der letzten Gemeinderatssitzung eine Mängelliste. Nach ihren Angaben baut die Vonovia im Schwaketengebiet bereits um, nachdem sie auf keinerlei Einwände der MieterInnen eingegangen sei. Eine ältere Frau habe vom Baulärm und Stress bereits einen Hörsturz und zwei Nervenzusammenbrüche erlitten, offenkundig setze das Unternehmen auf den Tod älterer und finanziell schwächerer MieterInnen, berichtete eine andere Anwohnerin aus dem Publikum uns Pressemenschen unter vier Augen.

Corina Jäger erzählte auch, dass eine Beobachtung durch die Mieter massenhaft Rechtsverstöße seitens der Vonovia ergeben habe und übergab der Stadt eine entsprechende Liste. Sie forderte die Verwaltung auf, endlich Recht und Bauvorschriften auch gegen die Vonovia durchzusetzen und wünschte sich von der Stadt, den MieterInnen bei dieser „unendlichen Geschichte“ beizustehen. Oberbürgermeister Uli Burchardt sagte ihr die Mitwirkung der Stadt im Kampf gegen etwaige Rechtsbrüche zu.

Was daraus wird? Nun ja, das Paradies der mietenden Massen war Deutschland noch nie, und besser wird’s nimmer unter der Knute des auf Profitmaximierung versessenen Großkapitals. Dagegen helfen keine Petitionen an den Oberbürgermeister, dagegen hilft auch nicht die Gewerbeaufsicht.

O. Pugliese (Fotos: Winfried Kropp; zuerst erschienen bei seemoz.de)

Haltung zeigen gegen den braunen Mob

In Sachsen spielten sich in den letzten Wochen Szenen ab, wie sie die Republik seit 1992 nicht mehr erleben musste. Tausende Rassisten zogen als entfesselter Mob durch die Straßen von Chemnitz und machten Jagd auf MigrantInnen und Linke. Der Hitlergruß wurde selbstverständlich. Die Polizei stand untätig daneben. Mit knapp 600 Mann war sie nicht gewillt, den Neonazis entgegenzutreten – zur Räumung des Hambacher Forsts wurden jetzt ca. 4000 Beamte mobilisiert. Die AfD rechtfertigt die Ausschreitungen und mehrere Abgeordnete beteiligten sich an den Aufmärschen. Gleichzeitig leugnet der Chef des Verfassungsschutzes (VS) in Absprache mit dem Innenministerium die Hetzjagden. Derselbe Hans-Georg Maaßen soll Zahlen des unveröffentlichten VS-Berichts an die AfD weitergegeben haben. Dabei müsste er uns vor solchen Verfassungsfeinden schützen. Diese Vorgänge lassen wir nicht unbeantwortet! Im Bund fordern wir den Rücktritt von Maaßen. In der Region treten wir rechten Umtrieben im Bündnis mit anderen entgegen, in der Stadt beteiligen wir uns an der Vorbereitung einer von der SPD angeregten Demo, die deutlich machen soll: Konstanz steht zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Humanität und Solidarität. Wir laden Sie ein, mit uns Haltung zu zeigen.

Simon Pschorr (auch erschienen im Amtsblatt)

„HambiBleibt“ – Demo auch in Konstanz

Im Hambacher Forst wird weiter gerodet – Umweltschützer und Polizei kämpfen um jedes Baumhaus und jeden Quadratmeter Waldbodens. Derweil formiert sich auch in anderen Landesteilen der Protest: Bislang haben rund 750.000 Menschen eine Online-Petition für den Erhalt des Hambacher Forsts unterschrieben, jedes Wochenende demonstrieren Tausende – jetzt auch in Konstanz. Die Linke Liste unterstützt die Demo und ruft zur Teilnahme auf.

Zahlreiche Organisationen mobilisieren für eine Demonstration am morgigen Freitag. Denn im Hambacher Forst geht die Polizei nun selbst nach dem Tod eines Menschen wieder mit allen Mitteln gegen die Waldschützer vor, um RWE die Rodung des 12.000 Jahre alten Waldes zu ermöglichen. Ein einzigartiges Ökosystem und ein komplexer Lebensraum für bedrohte Tierarten, Pflanzen, Pilze und auch Menschen wird nun von RWE, mit Hilfe unserer Regierung und der Polizei zerstört.

Tausende Menschen demonstrieren, um ihre Solidarität mit den Waldschützern zu zeigen. Am beschaulichen Bodensee ist davon bislang noch wenig zu spüren. Darum rufen zahlreiche Konstanzer Gruppen jetzt zur Solidemo #HambiBleibt und zum friedlichen Protest auch hier in Konstanz auf. Am Freitag, 28.9., um 17 Uhr trifft man sich auf dem Münsterplatz, um gemeinsam zu den bedrohten Bäumen am Büdingenareal an der Seestrasse zu laufen, wo eine Abschlußkundgebung stattfinden wird.

(Eventuelle Änderungen des Ortes werden hier bekannt gemacht.)

Aufrufende Organisationen (in alphabetischer Reihenfolge): BUND für Umwelt und Naturschutz Konstanz, DIE LINKE Kreisverband Konstanz, Ende Gelände Bodensee, Energievisionen Konstanz, Grüne Jugend Konstanz, JUSO Thurgau, Klimastadt Konstanz, Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel – gegen TTIP, CETA, Tisa, Linke Liste Konstanz, Linksjugend [‘solid] Konstanz

MM

Verkehr: Den gordischen Knoten durchschlagen

Der Hitzesommer, unter dem auch Konstanz geächzt hat, ist zwar überstanden. Für Wissenschaftler wie Mojib Latif, einen der führenden Klimaforscher des Landes, ist indes klar: Die lange Dürreperiode ist ein Beleg für die Erderwärmung. Latif hat die Regierung harsch für ihre Blockade von Klimaschutz-Programmen kritisiert. Bei der Reduzierung der CO2-Schadstoffe im Verkehr etwa habe sie „komplett versagt“, das „Geschäftsmodell mit den dicken Autos ist zu ertragreich“. Das gilt nicht nur für Berlin.

Trotz aller Lippenbekenntnisse ist auch Konstanz weit von einer Verkehrswende entfernt. Die Lokalpolitik versucht sich an der Quadratur des Kreises, weil ihre Konzepte eisern an der Vorfahrt für den motorisierten Individualverkehr festhalten, die Radinfrastruktur und den ÖPNV dagegen nur zögerlich ausbauen. Gerade wegen der hiesigen Besonderheiten – Insellage, Tourismusmagnet, Handelszentrum – gilt: Wer den gordischen Knoten entwirren will, muss ihn durchschlagen. Das gelingt nur, wenn wir die Innenstadt autofrei machen. Dazu müssen die Busse takt- und streckendichter, vor allem aber billiger fahren, am besten ticketfrei. Das brächte soziale Vorteile, mehr Lebensqualität und wäre zudem einmal ein wirklicher Beitrag gegen den Klimawandel.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt Nr. 18/2018)

Berlin macht’s vor: Kitas müssen gebührenfrei werden

Kinder kosten Geld und sind für viele Familien heute eine Investition, die sie sich kaum mehr leisten können. Nicht nur Essen, Kleidung und Freizeitaktivitäten belasten den Geldbeutel, entgegen aller Versprechungen ist auch die Bildung nicht kostenfrei. Nun gut – es gibt (bisher) keine Schulgebühren, doch Kindererziehung fängt nicht erst mit der Einschulung an! Frühkindliche Erziehung in der Kita und dem Kindergarten setzt den Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg. Leider sind beide Einrichtungen bis heute gebührenpflichtig. Die Gebühren belasten gerade Eltern, die besonders auf das Betreuungsangebot angewiesen sind: Alleinerziehende und Familien mit so geringen Einkommen, dass beide Eltern auf eine bezahlte Arbeit angewiesen sind. Dann bleiben häufig die im Durchschnitt noch immer schlechter bezahlten Frauen zu Hause oder müssen, prekär beschäftigt, in Teilzeit arbeiten. Das Land Berlin hat daraus jetzt die richtigen Konsequenzen gezogen: Gebührenfreie Kita für alle! Das ist ein wertvoller Beitrag für Bildungsgerechtigkeit, insbesondere aber für Geschlechteregalität. Aus guten Ideen sollte man lernen – das bringen sie einem schon in der Kita bei. Deswegen: Schaffen wir die Kita- und Kindergartenbeiträge in Konstanz ab.

Simon Pschorr (zuerst erschienen im Amtsblatt Nr. 17/2018)

Konstanz muss sicherer Hafen werden

Mehr als 1400 Menschen sind allein im ersten Halbjahr an den EU-Außengrenzen im Mittelmeer ertrunken. Was das mit uns zu tun hat? Viel, denn sie wurden auf der Flucht vor Krieg und Elend Opfer einer rigiden Abschottungspolitik, bei der die deutsche Regierung zu den Taktgebern gehört. Angestachelt durch die Hetze von AfD, CSU und vieler Medien werden Flüchtende zu Sündenböcken für hausgemachte soziale Probleme gestempelt. Bund und Länder verschärfen das eingeschränkte Asylrecht weiter und richten Lager ein. Inzwischen geht man soweit, zivilen Rettungsschiffen das Anlaufen von Häfen zu verweigern und Seenotretter*innen zu bestrafen, während in Libyen Folterlager finanziert werden, um Hilfesuchende fernzuhalten. Doch gegen diese menschenverachtende Praxis regt sich Widerstand. Zehntausende im Land haben für sichere Fluchtwege demonstriert, auch in Konstanz. Zudem wollen immer mehr Städte (u.a. Berlin, Köln, Düsseldorf, Bonn) nicht Teil dieser unmenschlichen Politik sein. Sie haben sich zu „sicheren Häfen“ erklärt, dazu bereit, gerettete Geflüchtete aufzunehmen. Die LLK meint: Dazu muss auch Konstanz gehören und wird deshalb im Rat initiativ werden. Es wäre ein Bekenntnis zu Humanität und eine solidarische Antwort auf die rechte Hetze.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt)

Demo in Konstanz: “Seenotrettung ist kein Verbrechen”

Es war ein starkes Zeichen gegen die Abschottungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten: Um die 400 Leute gingen am 28. Juli in Konstanz auf die Straße, die gegen die Kriminalisierung privater Seenotrettungs-Missionen protestierten und sichere Häfen für die zu Tausenden vor Krieg, Verfolgung und Elend über das Mittelmeer fliehenden Menschen forderten. Die Linke Liste Konstanz und DIE LINKE hatten ihre Mitglieder und Unterstützer*innen zur Beteiligung aufgerufen.

Begonnen hatte die Demonstration, organisiert von einem lokalen Unterstützer*innenkreis der erst vor wenigen Monaten entstandenen internationalen Basisbewegung “Seebrücke”, am Benediktinerplatz mit einer per Lautsprecher an die Teilnehmer*innen übertragenen Botschaft aus Malta. Seenotretter*innen, die auf der Mittelmeerinsel auf Druck unter anderem des deutschen Innenminstiers Seehofer von den örtlichen Behörden am Auslaufen gehindert werden, appellierten an die Demonstrant*innen: “Wir brauchen Eure Unterstützung in Deutschland, um den Politikern jetzt Druck zu machen – wir auf See, Ihr auf der Straße: Gemeinsam für mehr Hilfe und mehr Humanität“.

Der Demonstrant*innen, die dann vom Benediktinerplatz über die Fahrradbrücke durch die Straßen und Gassen Innenstadt zogen, machten unüberhörbar immer wieder deutlich, was eigentlich selbstverständlich ist, in Zeiten des europaweiten Rechtsrucks aber gegen die Seehofer, Salvini, Kurz & Co verteidigt werden muss: “Seenotrettung ist kein Verbrechen”. Lautstark skandierten sie Parolen, die auf die Folgen der EU-Abschottungspolitik hinwiesen, die im Mittelmeer Tag für Tag Menschenleben fordert (“Wir sind nicht alle, es fehlen die Ertrunkenen”), positionierten sich gegen Nationalismus (“raus aus den Köpfen”), forderten offene Grenzen (“No border, no nation: stop deportation”)  und riefen zu internationalistischem Widerstand gegen die Rechtsentwicklung auf (“Solidarität heißt Widerstand, Kampf dem Faschismus in jedem Land”).

Höhepunkt der knapp zweistündigen Protestaktion war dann eine Kundgebung auf der Marktstätte, bei der zwei Aktivisten zu Wort kamen, die sich für die Rettung von Geflüchteten engagieren. Reto Plattner, einer davon, ist Mitglied des in Zürich beheimateten Projekts “Watch The Med – Alarmphone”. Die Gruppe hat eine Art Call-Center für in Seenot geratene Geflüchtete aufgezogen und versucht über Funk und Mobiltelefon Hilfe für Flüchtende zu organisieren und zu koordinieren, denen der Ertrinkungstod droht. Ein Engagement, das oft an den Kampf gegen Windmühlen erinnert. Plattner berichtete von den tödlichen Folgen der EU-Politik durch die gezielte Drosselung staatlicher Hilfseinsätze und die Schließung von Häfen für private Hilfsmissionen. Allein bis Juni seien in diesem Jahr mehr als 1400 Menschen ertrunken, mindestens ebensoviele gelten als vermisst. Das “reiche Europa”, forderte der Zürcher Aktivist abschließend, müsse angesichts des tausendfachen Sterbens im Mittelmeer die Abschottungspolitik endlich einzustellen und die Grenzen für die Geflüchteten öffnen.

Eine Forderung, der sich der zweite Redner unter dem Beifall der Demonstrant*innen anschloss. Friedhold Ulonska kennt das Drama, das sich täglich auf dem Mittelmeer abspielt, aus eigener Anschauung. Er ist einer der Kapitäne der Seenotrettungsgruppe “Sea Eye” und hat selbst sechs Rettungseinsätze geleitet. Vor gebannt lauschenden Demo-Teilnehmer*innen berichtete der gebürtige Norddeutsche, der seit seinem Studium in Rottenburg wohnt, von den Erfahrungen, die er bei den Hilfsaktionen gemacht hat: Vom Gefühl der Ohnmacht angesichts tausendfachen Sterbens, aber auch von der Notwendigkeit der Rettungsmissionen und vor allem von der Wichtigkeit, Widerstand von unten gegen die menschenverachtende Politik der europäischen Autoritäten zu leisten. Den Wortlaut des eindrucksvollen Beitrags, den er uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, veröffentlichen wir im Anschluss.

Ausruhen will man sich bei der Konstanzer Seebrücke auf dem Erfolg der Demonstration nicht, kündigten die Veranstalter*innen am Ende der Kundgebung an. So soll die Stadt Konstanz in die Pflicht genommen werden, dem Beispiel von Städten wie etwa Berlin oder Frankfurt zu folgen, und sich demonstrativ zu einem sicheren Hafen zu erklären, in dem Geflüchtete Aufnahme finden. Dass die Forderungen der Seebrücke-Initiative durchaus mit Resonanz rechnen können, zeigt auch das Ergebnis der Spendensammlung. Rund 700 Euro sind am Samstag in knapp zwei Stunden zusammengekommen. Sie gehen nun an die Rettungsprojekte “Sea-Eye”, “Watch The Med – Alarmphone” und “Humanitarian Pilots Initiative – HPI”.

jüg/Fotos: Andreas Sauer


“Wir brauchen ein Europa, das keine Festung baut, sondern alle Menschen als das behandelt, was sie sind: Menschen”

Guten Tag, vor fast genau einem Jahr war ich auf der „Sea-Eye“ vor der libyschen Küste als Kapitän im Einsatz. Wir waren acht Menschen an Bord. Innerhalb von nur zwei Tagen – am 11. und 12. Juli – wurden 6.920 Menschen aus mehr als 50 Booten vor dem Ertrinken gerettet. Alle Retter haben bis zur Erschöpfung gearbeitet: Wir, die Freunde auf 10 Schiffen anderer ziviler Hilfsorganisationen, die Männer und Frauen an Bord eines halben Dutzends Schiffe der italienischen Küstenwache, die Soldatinnen und Soldaten auf noch einmal genauso vielen europäischen Marineschiffen. Gemeinsam konnten wir diese Menschen retten – soweit ich weiß, musste niemand sterben. Das haben wir gemeinsam geschafft – zivile Helfer, Polizei und Militär haben bestens zusammengearbeitet, um zu tun, was jedes Seemanns Pflicht ist: Menschen in Not auf dem Meer zu helfen, ungeachtet ihrer Herkunft, ungeachtet der Umstände, ungeachtet der Gründe, die sie in ihre Notlage gebracht haben.

In diesem Jahr ist alles anders. Ich wäre gern mit meiner Crew auf der „Seefuchs“ – das ist ebenfalls ein Schiff von „Sea Eye“ – Anfang Juli wieder ausgelaufen. Es wäre meine siebte Mission gewesen, die ich mit dieser Organisation oder auf Schiffen der anderen deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch und Mission Lifeline gefahren wäre. Doch daraus wurde nichts: Unsere Schiffe wurden und werden im Hafen von Valletta auf Malta festgehalten. Wir haben Auslaufverbot – mit fadenscheinigen Begründungen. Der Kapitän der „Lifeline“, den man mit 230 Geretteten an Bord tagelang nicht in den Hafen gelassen hat, steht für seine Rettungstat sogar in Malta vor Gericht – das hatte der Herr Seehofer so gefordert. Zuvor schon hat Italien seine Häfen für Schiffe geschlossen, die Flüchtende an Bord haben – inzwischen lassen sie selbst ihre eigenen Marineschiffe nicht mehr rein. Tagelange Irrfahrten auf dem Mittelmeer waren die Folge – jeder hier erinnert sich sicher noch an Berichte über die „Aquarius“, die „Open Arms“ und andere, die bis nach Spanien fahren mussten, um ihre Gäste in einen sicheren Hafen bringen zu können. Was für ein Skandal!

Dafür gab es damals ein großes Medienecho. Heute sitzen wieder 50 Menschen auf einem Schiff fest – seit nunmehr 16 Tagen! Kein Land lässt sie in den Hafen, weder Malta noch Italien, und selbst Tunesien nicht – man will „keinen Präzedenzfall schaffen“, heißt es zur Begründung. Seit 16 Tagen! Und kaum einer nimmt noch Notiz davon.

Es ist eine Schande, was Europa da gerade vorführt. Die Politik will eine Festung bauen, sich abschotten, dichtmachen – so, als gelte es, unseren Kontinent gegen barbarische Horden zu verteidigen. Europa legt seine zivilen Helfer an die Kette. Selbst das zivile Suchflugzeug Moonbird darf nicht mehr starten. „Moonbird“ hat viele Boote von Flüchtenden entdeckt, die sonst keiner gefunden hätte. „Moonbird“ hat auch dokumentiert, was niemand sehen soll: Zweimal hat die Besatzung z.B. beobachtet, wie europäische Marineschiffe das Weite suchten, als sie in die Nähe eines Flüchtlingsbootes kamen. Gegenkurs und Hebel auf den Tisch!

Ich kann es leider nicht anders sagen: So tötet Europa Menschen.

Offenbar ist sich Europa darin einig, dass Humanität, dass Menschenrechte, dass die Genfer Flüchtlingskonvention nur für Europäer, nur für Weiße gilt, deren Wohlstand es zu verteidigen gilt. In solchen Selektionen haben wir Deutschen ja Erfahrung.

Das Schlimmste daran ist: Das alles geschieht auf dem Rücken gequälter Menschen. Ich habe viele von ihnen gesehen und kennengelernt. Ich habe ihre Geschichten gehört und das Entsetzen in ihren Augen gelesen, wenn sie von ihren Erlebnissen in Libyen erzählten – stotternd meist, denn das lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Schlechte Verpflegung, unzumutbare Camps, fehlende Hygiene sind noch die kleinsten Probleme. Da geht es um Folter und Vergewaltigung. Man lässt die Menschen ihre Verwandten anrufen und prügelt sie dabei – die Schmerzensschreie sollen der Erpressung Nachdruck verleihen. Da werden Menschen demonstrativ erschossen, in Zwangsarbeit gesteckt oder als Sklaven verkauft, für 400 € das Stück.

Das alles geht Europa nichts an? Da fällt unseren Politikern nichts Anderes ein, als dichtzumachen? Und, noch schlimmer: Da finanziert man libysche Milizen wie die sogenannte Küstenwache, damit sie für Europa die Drecksarbeit machen und diese armen Menschen eingesperrt halten? Diese Küstenwache ist nichts Anderes als ein Haufen Gangster, die selbst im Geschäft mit dem Menschenhandel ihr Geld verdient. Jetzt werden sie dafür auch noch von der EU bezahlt, mit meinem und Deinem Steuergeld.

Leute, in Libyen brennt es lichterloh. Die Menschen, die dort in den Lagern sitzen – egal, warum sie dorthin gekommen sind – können nicht zurück in die Heimatländer. Dieser Weg ist ihnen versperrt. Die einzige Möglichkeit, der Hölle in Libyen zu entkommen, ist über das Meer. Selbst das können sie sich nicht aussuchen: Erst, wenn ihre Peiniger sie ausgepresst haben wie eine Zitrone, erst, wenn die Frauen von ihren Vergewaltigern schwanger sind, werden sie auf die Boote geschleppt. Viele haben mir gesagt, sie ertrinken lieber im Meer als nach Libyen zurück zu gehen: Das geht wenigstens schnell. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass schon gerettete Menschen verzweifelt ins Meer sprangen, als ein libysches Schiff auftauchte – aus purer Angst, in die Hölle zurück zu müssen.

Das alles geht Europa nichts an? Aus den Augen, aus dem Sinn?

Uns, die zivilen Seenotretter, legt man an die Kette, damit wir nicht helfen können. Man schikaniert die Schiffe. Man sieht ungerührt zu, wie die Flüchtenden absaufen. Die unmittelbare Folge: 629 Tote im Juni diesen Jahres – das gab es noch nie auf dem zentralen Mittelmeer! Und das sind nur die, von denen man sicher weiß.

Ich höre jetzt oft: Ihr lockt die Leute doch erst auf das Meer. Das ist nachweislich falsch und verdreht die Tatsachen: Wir, die zivilen Seenotretter, sind erst entstanden und gekommen, weil die Menschen geflohen sind – und weil die EU-Staaten 2014 ihre Rettungsmission eingestellt haben. Seitdem die EU angefangen hat, die zivile Rettung zu behindern, hat sich die Zahl der Flüchtenden in Libyen mehr als verdoppelt – eine Million Menschen warten dort jetzt. Wir wären gerne überflüssig!

Ich höre jetzt oft: Sorgt doch lieber dafür, dass die Menschen keinen Grund mehr haben zu fliehen. Ja klar, das ist auch unser Wunsch! Aber es ist wie bei der Feuerwehr: Wenn ein Haus brennt, dann hilft es niemandem, wenn man über Brandschutz diskutiert. Dann muss man erstmal löschen.

Ich höre jetzt oft: Wir können doch nicht alle aufnehmen! Natürlich nicht, das will auch niemand. Und natürlich sind die Geflüchteten für Europa eine Herausforderung. Aber sollen wir sie deshalb ertrinken lassen? Und wer sonst als das reiche Europa – das seinen Wohlstand nicht zuletzt der Ausbeutung Afrikas verdankt – könnte diese Herausforderung stemmen?

Ich höre jetzt oft: Ihr bringt die ganzen Verbrecher in unser Land. Das ist Quatsch. Die weitaus meisten Ganoven sind immer noch Biodeutsche, wie das in bestimmten Kreisen heißt. Und natürlich (sic!) sind unter 1.000 Geflüchteten auch einige Arschlöcher und Verbrecher. Aber nicht mehr als unter tausend Badenern, Schwaben oder Bayern.

Wir, Sea-Eye und die anderen zivilen Retter, sind kein Taxi-Dienst. Wir sind der Notarztwagen. Unsere Mission ist es, das Schlimmste zu verhindern, wenn es schon fast zu spät ist. Wir alleine schaffen es nicht auch noch, die Ursachen zu beseitigen. Wir schaffen es nicht auch noch, die Folgen zu bewältigen – gerade dafür gibt es Gott sei Dank andere Initiativen, zu denen viele von Euch gehören. Vielen Dank für Eure Arbeit!

Ich bin an der Nordsee aufgewachsen. Ich wohne seit meinem Studium in Rottenburg. Vor knapp 20 Jahren habe ich das Bodensee-Schifferpatent gemacht. Es war für mich nur eine kurze theoretische Prüfung im Multiple-Choice-Verfahren – bei aller Eigenständigkeit der See-Staaten wurden mir meine Patente für die Praxisprüfung anerkannt.

Ich bekam Frage 302: „Was tun Sie, wenn ein Mitglied Ihrer Crew über Bord geht?“ Es gab drei Antworten zur Auswahl:

  • Ich gebe Vollgas, fahre in den nächsten Hafen und hole Hilfe.
  • Ich werfe Rettungsmittel aus und versuche, das Crewmitglied wieder an Bord zu nehmen.
  • Ich setze die Flagge auf Halbmast.

Ich denke, auch jeder Nicht-Seemann hier weiß intuitiv, was die richtige Antwort war …

Der humorvolle Beamte, der sich diese Antworten ausgedacht hat, ist sicher längst in Pension. Er hat sich bestimmt nicht träumen lassen, dass heute Politiker die dritte Antwort durchsetzen wollen: Krokodilstränen ok, aber bloß nicht retten! Denn genau das ist es, was Europa gerade vormacht.

Müssen wir jetzt die Bodensee-Schifffahrtsordnung ändern? Nein, das werden wir nicht, sie und das internationale Seerecht bleiben, was die Rettung von Menschen in Not angeht, natürlich wie sie sind. In meinem Europa gilt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das ist nicht umsonst der erste Artikel der EU-Charta und des deutschen Grundgesetzes. Der erste! Alle anderen Themen sind zweitrangig.

Bei den Seehofers und Salvinis und Kurzen gilt diese Priorität nicht mehr. Da gehen Wählerstimmen vor Humanität – Menschenrechte hin oder her. Natürlich muss der Seehofer weg! Natürlich brauchen wir eine Regierung, die nicht von Stacheldraht spricht, sondern vom Leiden der Flüchtenden. Natürlich brauchen wir ein Europa, das keine Festung baut, sondern alle Menschen als das behandelt, was sie sind: Menschen.

Unsere Politiker sind jetzt im Urlaub, vielleicht am Mittelmeer, falls sie sich dort trotz der Asyltouristen, der Migrantenflut, der Invasion aus Afrika noch hintrauen. Ich habe den Eindruck, sie richten sich immer ungenierter nicht mehr nach Grundsätzen und Werten, sondern nur noch nach dem Wind, den sie aus ihrem Wahlvolk wahrnehmen. Das bayrisch-Berliner Schmierentheater vor einigen Wochen war dafür eine passende Inszenierung.

Wenn das so ist: Lasst uns diesen Wind ändern!

Momentan weht er kräftig von rechts. Lasst uns den Wind drehen, so dass er von links, von oben oder unten kommt. Zeigen wir den Politikern, dass der brüllende Sturm aus dem rechten Sumpf nicht „das Volk“ ist! Die „Seebrücke“ ist ein starkes Zeichen dafür, dass sich die Gesellschaft diese Vereinnahmung nicht gefallen lässt. Diese Demonstration heute ist ein Eckpfeiler. Lasst uns so weitermachen – gemeinsam in Orange und jeder an seinem Platz!

Friedhold Ulonska


Kreistag einstimmig für LINKE-Antrag zu Bleiberecht aller Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit

Einstimmig hat der Konstanzer Kreistag bei seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause am 23.7. einen Antrag der LINKEN angenommen, der den Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) auffordert, “allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit – unabhängig von ihren Herkunftsländern – ein Bleiberecht zu erteilen”. Die LINKE-Kreisrät*innen Anke Schwede und Hans-Peter Koch hatten eine Initiative von mehr als 90 baden-württembergischen Unternehmen aufgegriffen. Weiterlesen

Da lachen ja die Hühner

Die Verwaltung ist um einen Kniefall vor einem Großkonzern selten verlegen und hat daher im Podcast der Gemeinderatssitzung am 10.07. das Wort „Vonovia“ mit einem Piepston unhörbar gemacht. Außerdem gab es im Gemeinderat viel Schelte für den lückenhaften Entwurf einer Vereinbarung über das neue Konstanzer KINA, für das die Stadt Flächen auf dem Siemens-Areal anmieten will. Anscheinend hat die Verwaltung aus der Katastrophe Kompetenzzentrum wenig über den Umgang mit privaten Investoren gelernt.

Kräftig Haue bezog Wirtschaftsförderer Friedhelm Schaal vom Konstanzer Gemeinderat für seine Vorlage für das geplante KINA (Konstanzer Innovationsareal) auf dem ehemaligen Siemens-Gelände. Das gesamte Areal gehört inzwischen der Immobilienfirma i+R, nachdem die Stadt auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet hatte. Das Unternehmen „Gründerschiff“, das Jungunternehmen begleitet, will von i+R eine Fläche von 24.100 Quadratmetern auf dem Siemens-Gelände mieten. Davon will die Stadt wiederum 4000 Quadratmeter für das Technologiezentrum (TZK) sowie 6100 Quadratmeter für das KINA haben. Im KINA sollen dann besonders zukunftsträchtige Firmengründungen eine Heimat finden. Erwartet werden Mieten von etwa 3 bis 7 Euro pro Quadratmeter, die aber auch überschritten werden können, mehr ist derzeit nicht bekannt.

Schaal liegt dabei insbesondere ein „Accelerator“ (der neue Firmen schneller erfolgreich machen soll) am Herzen, und es eilt ihm, weil solche Einrichtungen derzeit in den Genuss von Fördermitteln kommen können und die Konstanzer Verwaltung mit ihren Förderanträgen gegenüber anderen Städten nach seinen Angaben schwer zurückliegt – Gründe für diesen zeitlichen Rückstand nannte Schaal übrigens nicht.

Stadt als (Unter-) Mieterin

Die Eigentümerin i+R ist nicht bereit, der Stadt die entsprechenden Flächen auf dem Gelände zu verkaufen. Die Stadt kann also nur Mieterin werden, Ziel ist ein auf 15 Jahre begrenzter Mietvertrag. An dieser Vermietung wollen natürlich sowohl i+R als auch „Gründerschiff“ verdienen. Das motivierte Stephan Kühnle (FGL) zu der etwas späten Erkenntnis, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn die Stadt das Gelände damals selbst gekauft hätte. Holger Reile (LLK) erinnerte ihn daran, dass die Linke Liste damals wenig Unterstützung bei ihrer Forderung erhielt, die Stadt solle das Gelände kaufen: „Jetzt befindet sich die Stadt gegenüber dem neuen Besitzer i+R auch wegen des neuen Innovationsprojekts in der Rolle des Bittstellers, und unser Handlungsspielraum hängt ganz und gar davon ab, ob der Besitzer den Daumen hebt oder senkt. Das muss den BürgerInnen doch wie ein Schildbürgerstreich vorkommen! Trotz wortreicher Beteuerungen bleibt Fakt: Der Rat soll die Katze im Sack kaufen, denn die Miethöhen stehen überhaupt noch nicht fest.“

Bloß keine zweite Investitionsruine

Dass den GemeinderätInnen die schlechten Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum, an dem Schaal ebenfalls führend beteiligt war, noch in den Knochen stecken, zeigte die allgemeine Skepsis, die der Verwaltungsvorlage bei aller grundsätzlichen Zustimmung zum Projekt KINA entgegenschlug. Roger Tscheulin (CDU) sprach wohl dem gesamten Rat aus dem Herzen: „Wir wollen uns nicht über den Tisch ziehen lassen!“ Das Vertrauen in die Redlichkeit von Investoren ist nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum und anderen Projekten der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) in ganz Deutschland zerstört, denn meist zahlt die öffentliche Hand einfach nur drauf.

Aus dem Gemeinderat kamen immer wieder Fragen vor allem zum Vorkaufsrecht, die Schaal teils in Verlegenheit brachten. Roger Tscheulin, als Anwalt mit den Fallstricken in Verträgen bestens vertraut, wies darauf hin, dass das geplante Vorkaufsrecht der Stadt für die fraglichen Flächen nur dann greift, wenn der Besitzer i+R die Flächen eines Tages an Dritte weiterverkauft. Ein eigenes Ankaufsrecht für die Stadt ist laut Tscheulin aber nicht vorgesehen, die Stadt kann also von sich aus nichts tun, um die Flächen von KINA und TZK eines Tages zu übernehmen. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, bemerkte Schaal dazu ziemlich leise, das habe er anders verstanden.

Wasserdichte Verträge

Dass bei diesem Projekt, in dem es um viele Dutzend Millionen geht, nur der Vertragstext zählt und nicht irgendwelche mündlichen Äußerungen des Investors gegenüber dem städtischen Wirtschaftsförderer, schien Schaal nicht berücksichtigt zu haben, er scheint eher blauäugig an die Sache herangegangen zu sein. Er betonte denn auch zu seiner Verteidigung, dass er kein Jurist sei. Über den Eigentümer i+R sagte er, dieser habe „Kaufmannsehre“ und plane, das Areal erst zu entwickeln und später irgendwann wieder zu verkaufen.

Auf die Frage, was denn aus den städtischen Investitionen in KINA und TZK im Falle eines Verkaufs oder einer Pleite wird, antwortete Schaal eher ausweichend, er gehe davon aus, dass die städtischen Investitionen bei der späteren gutachterlichen Festlegung eines eventuellen Kaufpreises berücksichtigt werden. Der OB sprang Schaal zwar bei, es war aber zu spüren, dass ihm sein bei manchen Fragen sichtlich überforderter Wirtschaftsförderer langsam auf die Nerven ging. Schaal hatte ja auch schon als Interims-Geschäftsführer des Bodenseeforums für sich auf Ahnungslosigkeit plädiert.

Keine Vertagung

Angesichts derart wachsweicher Äußerungen forderte die LLK, die gesamte Vorlage zurückzuziehen und in überarbeiteter Form nach der Sommerpause erneut zu beraten. Dem hielt Schaal entgegen, das gefährde die Einhaltung der Antragsfristen für die Fördermittel. Angesichts dieses Zeitdrucks wurde die Vertagung vom Rat mit großer Mehrheit abgelehnt.

Sehr hartnäckige Kritik kam auch von Jürgen Puchta (SPD). Er forderte von der Verwaltung ausdrücklich eine „ordentliche, juristisch abgesicherte“ Beschlussvorlage. Sein Vorschlag, jetzt erst mal einen Rahmenmietvertrag abzusegnen und den schwierigen Punkt des Vorkaufs- und/oder Ankaufsrechts später noch einmal zu verhandeln und zu beschließen, wurde von Schaal wegen der Zeitnot zurückgewiesen.

Am Ende wurde die Beschlussvorlage vom Gemeinderat gründlich umformuliert, was einer ungewöhnlich unverhohlenen Kritik an der Vorlage der Verwaltung gleichkommt. Oberbürgermeister Uli Burchardt nannte das zwar einen angesichts der Größenordnung dieses Geschäfts normalen Vorgang, aber es ist in den letzten Jahren kaum einmal vorgekommen, dass eine Verwaltungsvorlage vom Rat derart zerpflückt wurde. Am Ende wurde die überarbeitete Vorlage dann mit 20 Ja- bei 15 Neinstimmen angenommen.

Zensur oder Irrtum

Holger Reile (siehe Foto), der im Gemeinderat mit seinem schmucken neuen „Vonovia – Nein danke“-T-Shirt so manche Blicke auf sich zog, wollte von der Verwaltung wissen, weshalb in dem im Internet veröffentlichten Podcast der Gemeinderatssitzung am 10.07. der Name des Unternehmens „Vonovia“ aus seinen Redebeiträgen herausgepiepst wurde.

Der Oberbürgermeister wies Reile darauf hin, dass seine Anfrage früher hätte eingereicht werden müssen, weshalb er sie nicht jetzt mündlich, sondern in den nächsten Tagen schriftlich beantworten werde. Außerdem habe er den Podcast mit Reiles Beitrag gar nicht gesehen und wisse daher nicht, worum es überhaupt gehe.

Normen Küttner (FGL), der ebenfalls gepiepst worden war, berichtete, die Verwaltung habe ihm auf seine Anfrage hin mitgeteilt, das sei ein technischer Fehler gewesen. Die Zensur einer öffentlich gehaltenen Rede eines Volksvertreters zum Schutz des übel beleumundeten Konzerns Vonovia war nur ein läppischer technischer Fehler? Wer bitte soll das glauben?

Inzwischen tat die Verwaltung kund und zu wissen, man habe aus Angst vor einer Klage von Vonovia jene Firma, die den Podcast produziert, damit beauftragt, das Wort Vonovia mit einem Piepston unhörbar zu machen. Korrigieren könne man das leider nicht mehr, weil der fragliche Podcast inzwischen nicht mehr im Netz stehe. Aber immerhin gibt sich die Verwaltung einsichtig: Das sei ein Fehler gewesen. Und großzügig gibt sie sich auch, denn immerhin soll der kurze Wortwechsel über das Herauspiepsen des Namens „Vonovia“, der im Gemeinderat am Donnerstag stattfand, im nächsten Podcast zu sehen sein.

Das kann es aber noch nicht gewesen sein. Es stellt sich die Frage, ob die Verwaltung Redebeiträge von GemeinderätInnen nach Herzenslust zensieren darf, wenn sie ihr oder irgendwelchen Unternehmen nicht passen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gemeinderat solche Zensurmaßnahmen nicht klaglos hinnimmt, denn sonst könnten Verwaltung und Unternehmertum schon bald damit beginnen, sich aus den Aufnahmen der Sitzungen am Computer ihre Lieblingsberichterstattung zusammenzuschnippeln.

O. Pugliese (Foto: O. Pugliese)