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Betteln ist kein Verbrechen – LLK will Auskunft zu Kampagne der Stadt

Seit einigen Wochen stößt man an vielen Stellen der Innenstadt auf Plakate gegen “aggressives Betteln”. Sie sind Teil einer Kampagne der Konstanzer Stadtverwaltung, mit der Menschen aus dem Stadtbild verbannt werden sollen, die ihr Leben durch Betteln fristen müssen. Mit Flyern und Plakaten, heißt es dazu aus dem Rathaus, erkläre man, “welche Formen des Bettelns erlaubt und welche verboten sind”. Zudem gingen die Stadtbehörden in Zusammenarbeit mit der Polizei durch verstärkte Kontrollen “gegen das aufdringliche und bandenmäßig organisierte Betteln” vor. Städtische und polizeiliche Ordnungskräfte hätten darüberhinaus mit der Räumung von Lagern begonnen, in denen die ins Visier genommenen Menschen Unterkunft finden.

Als “aggressiv” gilt der Verwaltung dabei schon, wer eine Person anspricht oder auf sie zugeht. Schon im Mai hatte Oberbürgermeister Uli Burchardt die Öffentlichkeit auf die Kampagne eingestimmt. So verstieg er sich etwa zu der Aussage, wer Bettler*innen Geld spende, verschärfe das Problem noch. Ziel sei es, konkrete Hilfestellungen zu erarbeiten, “wie sie (die Bürger) persönlich mit dem Thema betteln umgehen beziehungsweise wie sie sich verhalten können”. Ärgert sich das Stadtoberhaupt, dem vermutlich die Geschäftswelt in den Ohren liegt, etwa, dass die meisten Leute sich an den bettelnden Menschen kaum stören oder sogar Geld geben.

Ein zynisches Handeln, das Abscheu erregen muss. Nicht gesellschaftliche Zustände, die Menschen zum Betteln zwingen, skandalisieren die wohlbestallten Stadtfunktionäre, sondern deren schwächsten Opfer. Die Menschen, die der entfesselte Kapitalismus mittlerweile auch in seinen europäischen Stammländern in wachsender Zahl ins soziale Aus befördert, gelten ihnen offenbar nur als hässliche Flecken auf dem herbeihalluzinierten Hochglanzbild vom (Einkaufs-)Paradies Konstanz. Nach bekanntem Muster bekämpft man deshalb die Armen und nicht, wie es die eigentliche Aufgabe verantwortungsbewußter Stadtpolitik sein müsste, den gesellschaftlichen Skandal der Armut.

Um dieser schlechten Sache Nachdruck zu verleihen, greifen die Verantwortlichen auf unbewiesene Behauptungen zurück, wonach etwa oft organisierte Bettelbanden zu Werke gingen, denen anschließend “Hintermänner” das Geld abnähmen (nebenbei: im Wirtschaftsleben nennt man sowas Firma). Beweise für diese seit Jahren landauf, landab kolportierten Vorwürfe kann die Verwaltung allerdings nicht vorlegen.

Das abstoßende Vorgehen der Stadtverwaltung war für die Linke-Liste-Stadträtin Anke Schwede Anlass, der Verwaltung schriftlich kritische Fragen zu dieser Kampagne zu stellen. Der Wortlaut:

“Wir bitten im Zusammenhang mit der Plakatkampagne der Stadt Konstanz gegen sogenanntes aggressives Betteln um die Beantwortung folgender Fragen:

Erstens: Welche Definition aggressiven Bettelns legt die Stadt bei ihrem Vorgehen gegen bettelnde Menschen zugrunde? Die in der Stadt dargestellten Plakate zeigen, dass schon das körpernahe Ansprechen vorbeilaufender PassantInnen durch einen auf dem Boden sitzenden Bettler verboten ist. Ebenfalls aggressiv ist demnach aus Sicht der Stadt Betteln, wenn eine Bettlerin ein Kind auf dem Schoß hält. Ohne eine nachvollziehbare Definition von verbotenem Betteln legen die Plakate aber eine Pauschalverurteilung sämtlicher BettlerInnen nahe. Denn nicht die BettlerInnen selbst sind in Konstanz das Problem, sondern die Umstände, durch die Menschen zu mitunter zweifelhaften Methoden gezwungen werden, ihr Überleben zu sichern.

Zweitens: Wie viele BettlerInnen wurden von Polizei und Ordnungsdienst kontrolliert und geahndet? Welche Strafen wurden ausgesprochen?

Drittens: Welche handfesten polizeilichen Beweise liegen vor, dass in Konstanz Betteln bandenmäßig organisiert ist?

Viertens: Wie viele Schlaflager von bettelnden Menschen wurden aufgelöst und wie will die Stadt sicherstellen, dass nicht auch „stille“ BettlerInnen von dieser Maßnahme betroffen sind?”

Antwort auf diese Fragen hat der Oberbürgermeister für die nächste Gemeinderatssitzung am 19. Juli in Aussicht gestellt. Es wäre wünschenswert, wenn die Rät*innen dabei nicht unter sich blieben. Gegen die städtische Anti-Bettler*innen-Kampagne macht inzwischen erfreulicherweise auch eine Gruppe von Aktivist*innen mobil, die breite Unterstützung verdient hat. Den Rechtsruck der Gesellschaft erleben wir auf vielen Politikfeldern. Die zynische Verwaltungs-Kampagne ist eines davon.

jüg

LLK im Gemeinderat: Nein zum “Konstanz-Panorama”

Eine Investorengruppe um die Bierbrauer-Familie Ruppaner will Konstanz eine weitere touristische Attraktion bescheren. Neben der Schänzlebrücke soll bald das sogenannte Konstanz-Panorama die Kassen der Betreiber klingeln lassen. Die Pläne sehen einen massiven, fast 40 Meter hohen Rundbau vor, in dessen Innern ein Monumentalbild des Leipziger Malers Yadegar Asisi den Besucher*innen einen Eindruck vom mittelalterlichen Leben in Konstanz zu Konzilszeiten vermitteln soll.

Stadtverwaltung und bürgerliche Fraktionen begrüßen das Projekt und ebneten bei der Gemeinderatssitzung am 10. Juli den Investoren den Weg. Wieder mal wittert das bürgerliche Lager eine “Chance”, um den “Standort” aufzupolieren. Aus dem Schaden, den die Stadt in der jüngsten Vergangenheit durch solche vermeintlichen Standort-Knüller erlitten hat – nur ein Stichwort: Bodenseeforum -, scheint man nicht klug werden zu wollen. Mit den Stimmen von CDU, FWG, FDP und JFK beschloss der Rat, das dafür vorgesehene Grundstück an der Schänzlebrücke vom Bund zu kaufen.

Die Linke Liste lehnt das Projekt ab, weil es erneut einen falschen Akzent in der Stadtentwicklung setzen würde. Konstanz braucht nicht noch mehr Tourismusattraktionen, sondern dringend Wohnungen, die sich die Bürger*innen leisten können. Die einseitige Zurichtung der Stadt auf die Geschäftsinteressen der Branchen, die mit dem Fremdenverkehr Geschäfte machen, kollidiert zudem nicht nur immer öfter mit den Bedürfnissen der Bürger*innen, sondern macht auch die Stadt vom Erfolg eines einzigen Wirtschaftszweigs abhängig. Der Redebeitrag von Linke-Liste-Stadtrat Holger Reile im Wortlaut.

Kolleginnen und Kollegen, wenn man hier einigen so zuhört, dann könnte man den Eindruck gewinnen, Konstanz stünde vor einer gewaltigen kulturellen und wirtschaftlichen Bereicherung, die den Ruhm der Stadt in die weite Welt tragen werde. Dem aber ist meiner Meinung nach nicht so und wir werden auch nicht zustimmen.

Seit einiger Zeit rührt auch die hiesige Tageszeitung gewaltig die Trommel für das Projekt und gebärdet sich als ehrenamtlicher Projektförderer. Allein schon dieser Kampagnenjournalismus müsste uns äußerst vorsichtig stimmen und noch mehr, wenn man bedenkt, welche Projekte in der Vergangenheit vom örtlichen Meinungsmacher als angebliche Chancen für die Stadt bezeichnet wurden. Da sei nur an das als „Jahrhundertchance“ titulierte „Konzert- und Kongresshaus“ auf Klein Venedig erinnert – das durch die Vernunft der BürgerInnen gerade noch verhindert werden konnte – oder auch an das Bodenseeforum, dessen dickes Ende bald um die Ecke kommen wird. Für beide Projekte stand die angeblich so kritische Heimatzeitung lange Zeit Pate.

Nun also ein Panoramaturm, der – so stand kürzlich zu lesen – sogar zum Wahrzeichen der Stadt werden könnte. Da stimmen wir doch eher der Aussage von Museumsleiter Tobias Engelsing zu, der schon im Vorfeld befürchtete, hier bahne sich erneut ein Projekt an, an dessen Sinn man durchaus zweifeln dürfe. Wir zweifeln mit, denn das Vorhaben ist einzig und allein darauf bedacht, noch mehr Touristen in die Stadt zu locken und mit ihnen in Zukunft fette Kasse zu machen. Und erneut stellt sich die Frage: Was verträgt unsere Stadt noch und was ist im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger? Noch mehr Tourismus, noch mehr Hotels? Konstanz als Spielwiese für Spekulanten und Profitmaximierung, während gleichzeitig hunderte befürchten müssen, dass ihnen – der laut Oberbürgermeister Burchardt „unanständige“ Immobilienhai Vonovia – das Leben vermiest und sie in ihrer Existenz bedroht. Ist das die Richtung, die Konstanz einschlagen soll?

Unserer Meinung nach wären die Investoren des geplanten Panoramaturms gut beraten, ihre Millionen in ein Projekt zu investieren, zu dem sie aufgrund der Eigentumsverhältnisse direkten Zugriff haben. Ich meine das Areal der alten Ruppanerbrauerei in der Hussenstraße, also direkt im Herzen der Stadt. Seit Jahren schon kümmert dieser Schandfleck vor sich hin. Wie wäre es denn, frage ich die Familien Scheidtweiler und Ruppaner hier vor laufender Kamera, wenn sie an dieser Stelle ihr Füllhorn ausschütten und dort in Angriff nehmen, was unsere Stadtgesellschaft mit am allernötigsten braucht: Nämlich den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Damit könnten Sie ein Zeichen setzen. Ich bin gespannt auf ihre Antwort.

 

Dampf machen für eine soziale Wohnungspolitik

LLK und Linke unterstützen Mieter*innen in der Schwaketenstraße, die sich gegen Vonovia wehren.

Der Gemeinderat hat Stellung bezogen gegen die mit Modernisierungen begründeten Mieterhöhungen von Vonovia in der Schwaketenstraße, der OB richtete gar einen Videoappell an das Unternehmen. Ein gute Entwicklung, denn noch im Mai lehnten es Rat und OB ab, Ross und Reiter zu nennen. Zu verdanken ist das vor allem dem durch den Protest der Betroffenen aufgebauten Druck.

Für uns war von Beginn an klar: Es ist nicht hinnehmbar, dass der Immobiliengigant Baumaßnahmen nutzen will, um die BewohnerInnen noch unverschämter abzukassieren. Nicht vergessen werden darf aber: Die Abzock-Masche ist dank vermieterfreundlicher Gesetze ganz legal und nur möglich, weil Bund und Land seit Langem öffentliches Eigentum an Investoren verscherbeln. Auch die Häuser in der Schwaketenstraße, einst sozialer Wohnraum in öffentlicher Hand, gelangten so in den Besitz des Miethais.

Konstanz macht dieses Spiel mit und rollt häufig genug selbst den Roten Teppich für Vonovia & Co aus, während Forderungen nach mehr sozialem Wohnungsbau oft unbeachtet verhallen. Schluss damit: MieterInnen sollten gemeinsam der Stadt und den Parteien Dampf machen für eine soziale Wohnungspolitik in Kommune, Land, Bund. Miethaie gehören enteignet – Wohnen ist keine Ware, sondern Menschenrecht.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt 14/2018)

Rechte Hetze für „ethnokulturelle“ Volksgemeinschaft – Stadt soll Stellung nehmen

Gerangel und Tumult auf der Konstanzer Marktstätte, “Nazis-raus”-Sprechchöre schrecken Café-BesucherInnen und Pas­santInnen auf. Einige AntifaschistInnen empörten sich am vergangenen Samstag lautstark über Angehörige der sogenannten Identitären Bewegung (IB), die rund um den Kaiserbrunnen Propagandamaterial ver­teil­ten. Nicht zum ersten Mal warben die Rechts­extremen in der Universitätsstadt für ihre völkisch-nationalistischen Ziele, diesmal hatten sie dazu sogar den Segen der Stadt­ver­waltung, wie von IB-Akteuren mehrfach betont und auf Anfrage auch von der Polizei bestätigt wurde. Weiterlesen

Solidarisch mit Herz, Kopf und Füßen

Packende Zweikämpfe, traumhafte Pässe, atemberaubende Torschüsse – all das könnte protokolliert werden in einem Bericht über das Jedermensch-Fußballturnier am vergangenen Samstag auf den Plätzen der Schänzlesporthalle zu Konstanz. War aber nicht die Hauptsache, denn gekickt wurde vor allem gegen Rassismus und Sexismus, und dabei stand es am Ende 24:0 für Humanität und Solidarität.

24 Teams samt Anhang waren es nämlich, die dem Ruf der OrganisatorInnen vom Café Mondial gefolgt waren, mit ihrer Teilnahme ein Zeichen gegen Rassismus und Sexismus zu setzen. Eine stattliche Zahl buchstäblich bunt gemischter Kickerkollektive, die Mut macht. Umso mehr als das Sportfest unter dem Eindruck eines EU-Treffens stand, den die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zutreffend als “Gipfel der Unmenschlichkeit” bezeichnet hat.

Bei strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen jagten sie am Samstag dem runden Leder nach – muslimische Frauen, gestandene Alteingesessene, Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien, MigrantInnen aus Kurdistan und der Türkei, AntifaschistInnen aus Deutschland, sogar einige AnarchistInnen aus Griechenland wurden gesichtet – kurzum Menschen aus aller Frauen Länder, im sportlichen Wettstreit vereint.

Eingestimmt auf das bunte Spektakel hatte zu Beginn der Veranstaltung für die OrganisatorInnen Anna Blank. Die Referentin für Diversity an der Konstanzer Uni bezeichnete Rassismus und Sexismus als Phänomene, die “nur in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Privilegien und ungerechten Machtverteilungen” funktionieren. Systeme, die geändert werden können, wenn Menschen “Kollektive bilden, die eine subversive Kultur leben, Gegenkulturen stark machen und etablieren”. Blank verwies auf die “wunderbare Selbsterklärung” der Stadt Konstanz gegen Rassismus, die aber nur mit Veranstaltungen wie dieser und an Orten wie dem Café Mondial mit Inhalten gefüllt werde. An Sozialbürgermeister Alexander Osner, der zuvor das Grußwort der Stadt gesprochen hatte, appellierte sie: “erhalten Sie, pflegen Sie und ermöglichen Sie politisch diese Räume”. Und noch ein zweites Anliegen gab sie dem Bürgermeister mit auf den Weg: Die Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle bei der Stadt.

Natürlich dürfte allen Beteiligten, als sie am Ende des kräftezehrenden aber hoch gelungenen Turniers vom Platz wankten, klar gewesen sein, dass es deshalb nicht weniger „deutsch in Kaltland“ (Anna Blank) geworden ist. Mut schöpfen für die kommenden Herausforderungen im Kampf um gesellschaftliche Emanzipation konnte mensch am Samstag auf dem grünen Rasen aber allemal.

War noch was? Na gut, hier also die sportlichen Ergebnisse: Platz eins belegt Team Agrana, Zweiter wird Lokomotiv Toleranz, den dritten Rang teilen sich Afghan Konstanz und Kabul United.

jüg (Fotos: jüg/hpk)

 

Herrn Burchardts Zensur-Versuch

Bei der Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstag wurde heftig über den Immobilienriesen Vonovia debattiert, der auch MieterInnen in Konstanz das Fürchten lehrt (siehe hier). Ganz am Ende der Sitzung dann ein Eklat: CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt fragte den Rat, ob es nicht besser sei, die kritischsten Passagen Richtung Vonovia im Podcast zu löschen. Da brach ein Sturm der Entrüstung los. Anlass des oberbürgermeisterlichen Zensur-Angebots war vor allem der Redebeitrag von LLK-Rat Holger Reile. Hier sein Text im Wortlaut.

Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, noch frisch in Erinnerung ist uns, als hier Mieterinnen und Mieter um Hilfe gebeten haben, weil sie befürchten, durch die Übernahme ihrer Wohnungen von Vonovia würden ihre Mieten steigen, und zwar zum Teil um bis zu 50 Prozent. Ihre Ängste sind berechtigt, denn mietrechtlich einseitige Regelungen ermöglichen es auch dem Vonovia-Konzern, die angekündigten teuren Modernisierungsmaßnahmen zum großen Teil auf die Mieterinnen und Mieter abzuwälzen – eine Art Raubzug, den vor allem Vonovia bundesweit in Gang gesetzt hat.

Die derzeitigen Möglichkeiten einer Kommune, dem entgegen zu wirken, sind begrenzt, denn die Hauptverantwortung für diese Entwicklung tragen der Bund und die Länder. Mit dem Ausstieg aus dem öffentlich betriebenen Sozialwohnungsbau, Gesetzesänderungen zu Lasten von Mieterinnen und Mietern, dem großflächigen Verkauf von öffentlichem Grund an Privatinvestoren – auch in Konstanz lange so und zum Teil immer noch praktiziert – und der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit seit den 90er Jahren wurden die Voraussetzungen für diese Fehlentwicklungen geschaffen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an Artikel 14 im Grundgesetz erinnern. Ausdrücklich fordert dieser, dass der Gebrauch des Eigentums auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen solle. Das gelte in besonders starkem Maß für Grund und Boden sowie für Wohnraum. Wir brauchen deshalb unverzüglich gesetzliche Vorgaben, die Wohnungsunternehmen zu sozialer Bewirtschaftung, Instandhaltung und Mietermitbestimmung verpflichten.

Fakt ist, nun auch bei uns: Langjährige Mieter fürchten um ihre Zukunft und einige müssen damit rechnen, sich die bald steigenden Mieten wegen angeblicher Sanierungsmaßnahmen nicht mehr leisten zu können. In einer Presseerklärung ließ der Oberbürgermeister verlauten, er habe mit den Vonovia-Verantwortlichen darüber geredet und man hätte ihm versichert, dass Vonovia für derlei Probleme Lösungen finden würde. Doch genau das behauptet Vonovia überall da, wo sie sich Wohnungen zum Leidwesen ihrer Opfer unter den Nagel gerissen haben – Beschwichtigungsversuche, für die Deutschlands mittlerweile größtes Wohnungsunternehmen sattsam bekannt ist.

Nun liegt uns also ein Resolutionsentwurf der Verwaltung vor, der den Mietern den Rücken stärken soll, uns aber nicht überzeugt, da er die Vonovia als Verursacherin der existentiellen Bedrohung für die Betroffenen nicht benennt. Damit ist denen allerdings nicht gedient, denn überall dort, wo der Konzern wütet, wird er auch benannt.

Sie ließen – Herr Oberbürgermeister – im Vorfeld sinngemäß verlauten, eine Nennung von Vonovia würde zu unnötiger Schärfe beitragen. Wir denken, dass Klartext in Richtung dieses Konzerns durchaus angebracht ist.

Einige der Forderungen in der Resolution sind dúrchaus richtig, aber in der Vorlage sind auch Formulierungen zu finden, die wir so nicht mittragen können. Nur zwei Beispiele: „Steigende Mieten“, so der Eingangssatz, „könnten in unserer Stadt zunehmend zum Armutsrisiko werden“. Mit Verlaub, sie könnten nicht nur, denn teilweise sind sie das längst. Oder die Behauptung, von unserer Seite würden in Sachen Wohnungsversorgung die, Zitat: „Handlungsmöglichkeiten einer Kommune voll ausgeschöpft“. Dem ist leider nicht so, und das wissen Sie auch. Oder, drittes Beispiel: In der Vorlage steht zu lesen, Zitat: „Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt droht zudem Konstanzer Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt zu verdrängen“. Zitat Ende. Auch das eine Verharmlosung, denn der Vertreibungsprozess ist längst im Gange.

Ich komme zum Schluß: Mit der Verabschiedung einer wie auch immer gearteten Resolution ist es für uns von der Linken Liste nicht getan. Vielmehr geht es darum, die betroffenen Mieter auch weiterhin tatkräftig und solidarisch zu unterstützen – und zwar nicht nur mit einem Papier, das in der Vonovia-Zentrale postwendend in irgendeiner Schublade verschwinden wird. Ich denke, es ist an der Zeit, diesen und auch anderen Betongoldhändlern zu verdeutlichen: Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware, mit der nach Belieben spekuliert oder gehandelt werden darf.

red (Foto: H. Reile)

Wohnen: So darf es nicht weitergehen

Die Vonovia SE ist nicht nur die größte private Vermieterin in Deutschland, sondern hat auch allerbeste Chancen, bei der Umfrage nach dem seinen Kunden verhasstesten deutschen Unternehmen einen unrühmlichen Spitzenplatz zu erzielen. Auch in Konstanz treibt der Konzern aus Bochum MieterInnen auf die Barrikaden. Der Gemeinderat beschloss gestern angesichts der Vorgänge in der Schwaketenstraße eine Resolution an Bund und Land zur Wohnungspolitik plus einige Zeilen an die Adresse der Vonovia.

Auch in der gestrigen Gemeinderatssitzung traten in der Bürgerfragestunde wieder betroffene Mieterinnen ans Mikrofon. So wollte eine Vertreterin der Mieterinitiative Schwaketen von Oberbürgermeister Uli Burchardt wissen, welche Zusicherungen der denn in seinem Telefonat mit Klaus Freiberg, einem Mitglied des Vorstandes von Vonovia, erreicht habe und ob es die auch schriftlich gebe.

Sie verwies noch einmal darauf, dass in den betroffenen Wohnungen in der Schwaketenstraße überflüssige Sanierungen vorgenommen werden sollen, deren Kosten dann auf die Mieter abgewälzt würden. Die Zusage von Einzelfallregelungen in sozialen Härtefällen sei sinnlos, denn hier brauche man keine Einzelfallregelung, sondern eine Gesamtlösung für alle. Die Vonovia wolle dort 15 Jahre junge Fenster durch neue ersetzen und eine stärkere Isolierung anbringen, weil solche Kosten auf die Mieter umgelegt werden können. Die marode und gesundheitsgefährdende Wasserversorgung hingegen werde nicht repariert. Sie lud den Oberbürgermeister ein, die Schwaketenstraße zu besuchen und sich vor Ort ein Bild von den Zuständen dort zu machen.

Vonovia liefert „Factsheet“

Der Oberbürgermeister nahm ihre Einladung an und berichtete, außer besagtem Telefonat mit dem Vorstand habe es auch ein Treffen mit zwei Regionalverantwortlichen der Vonovia im Rathaus gegeben, und das sei ein „sehr kritisches“ Gespräch gewesen. Die Vonovia habe vor wenigen Stunden wie vereinbart ein Informationsblatt geliefert, das die Verwaltung jetzt in Zusammenarbeit mit ExpertInnen in Ruhe auswerten und dann veröffentlichen wolle. Ansonsten stehe man mit der Vonovia im Dialog, und der sei noch nicht abgeschlossen – weiteres dann in einer der Gemeinderatssitzungen im Juli. Der Oberbürgermeister wies auch mehrfach darauf hin, dass die Stadt Konstanz auf die Wohnungspolitik keinen Einfluss habe, denn Wohnungspolitik sei Bundes- und Ländersache. Mangels eigener Befugnisse könne die Stadt also nur das Gespräch suchen, mehr gehe nicht.

Als dann der Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen wurde, eine „Erklärung des Gemeinderates der Stadt Konstanz an den Bund und das Land Baden-Württemberg zur schnelleren Entlastung des Wohnungsmarktes“, hatten sich die Publikumsstühle leider schon weitgehend geleert. Es wäre interessant gewesen, die Reaktionen der betroffenen MieterInnen auf die Debatte mitzuerleben.

Ein „Raubzug“

Der Resolutionsentwurf der Verwaltung erwähnte die Vonovia mit keinem Wort und begann so: „Steigende Mieten könnten in unserer Stadt zunehmend zum Armutsrisiko werden.“ Für den ersten Redner, Holger Reile (LLK), war das ein gefundenes Fressen, er sprach von „einer Art Raubzug, den vor allem Vonovia bundesweit in Gang gesetzt hat“ und gegen den man auch durch die Nennung des Firmennamens Klartext reden müsse, was der Oberbürgermeister als unnötige Schärfe abgelehnt habe. Auch, dass steigende Mieten zunehmend zum Armutsrisiko werden „könnten“, wie die Verwaltung schrieb, schien Reile lächerlich formuliert: Die Mieten seien bereits seit Längerem ein reales Armutsrisiko, und BürgerInnen würden durch die hohen Mieten schon jetzt aus Konstanz vertrieben. Ihm war die Vorlage der Stadt insgesamt nicht scharf genug, sondern eine Verharmlosung der für viele MieterInnen existenziell bedrohlichen Lage. „Mit der Verabschiedung einer wie auch immer gearteten Resolution ist es für uns von der Linken Liste nicht getan. Vielmehr geht es darum, die betroffenen Mieter auch weiterhin tatkräftig und solidarisch zu unterstützen. Es ist an der Zeit, diesen und auch anderen Betongoldhändlern zu verdeutlichen: Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware, mit der nach Belieben spekuliert und gehandelt werden darf.“

Roger Tscheulin (CDU) fand die namentliche Erwähnung der Vonovia in der Erklärung durchaus möglich, verwies aber darauf, dass es nicht nur die Vonovia sei, sondern etliche Firmen, die vor allem in Ballungsräumen die Mieten in die Höhe treiben. Das sei eine Folge der verfehlten Wohnungspolitik der Vergangenheit, die ausschließlich auf die Innenverdichtung statt zusätzlich auch auf Außenentwicklung gesetzt habe (ein Seitenhieb in Richtung Grüne).

Er forderte neben einer Regulierung des Mietrechts auch eine verstärkte Neubauförderung, das Bereitstellen von Grundstücken sowie schnellere Genehmigungsverfahren. Aber all’ das sei Sache der Bundespolitik – dass die seit Langem von seiner Partei dominiert wird, die die derzeitige miese Lage der MieterInnen damit maßgeblich zu verantworten hat, erwähnte er nicht eigens. Er nannte eine Renovierung, die zu 199 Euro mehr Miete führe, dem Mieter aber nur eine Einsparung von 11 Cent pro Quadratmeter und Monat bringe, mit allem Recht „nicht nachhaltig“. Er hätte auch von„Beutelschneiderei“ sprechen können.

Ein Versagen (fast) aller Parteien

Ganz in seinem Element war bei diesem Thema natürlich Herbert Weber (SPD), der Vorsitzende des Mieterbundes, der schon früh dafür eingetreten ist, auch die Außenentwicklung voranzutreiben und Areale wie den Hafner zu bebauen. Er forderte an Reiles Adresse, der Konstanzer Gemeinderat solle sich einstimmig hinter die Resolution an Bund und Land stellen. Er sah die Schuld daran, dass Konzerne wie Vonovia so viele Wohnungen kaufen konnten, auf allen Seiten, bei Schwarzen und Grünen ebenso wie ausdrücklich auch bei seiner SPD, denn die öffentliche Hand habe über Jahre hinweg ihre Wohnungen an die Konzerne regelrecht verschleudert. Er berichtete, dass der Mieterbund einen Architekten beauftragt habe, die Baumaßnahmen der Vonovia zu kontrollieren, aber das sei schwierig. Der Bochumer Immobilienriese arbeite nämlich kaum mit örtlichen Handwerkern zusammen, sondern setze auf Unternehmen von außerhalb, die letztlich zu seinem eigenen Einflussbereich gehörten.

Für die Freien Wähler erklärte Jürgen Faden, dass die ausufernden Bauvorschriften in Deutschland bei Neubauten 30 bis 40 Prozent der Kosten ausmachten. Er forderte, in Zukunft höher zu bauen und die Bauverfahren zu beschleunigen. So beschäftige man sich bereits seit vier Jahren mit dem Marienweg in Litzelstetten. Er nannte auch das nach seiner Meinung beste Mittel gegen Altersarmut: Sich beizeiten eine Immobilie zu kaufen. Da hätte er auch genau so gut den Armen empfehlen können, einfach reich zu werden.

Zwei Texte beschlossen

Der Oberbürgermeister betonte noch einmal, dass die vorgelegte Resolution sich nicht an die Vonovia, sondern an Bund und Land richte, und schlug vor, zwei Texte zu beschließen. Der erste ist eine Resolution an Bund und Land, in der die Stadt Konstanz u.a. folgendes fordert:

– Der soziale Wohnungsbau muss besser gefördert werden.
– Bund und Land sollen Grundstücke aus ihrem Besitz gezielt an kommunale Träger [wie die Konstanzer Wobak] zu ermäßigten Konditionen veräußern.
– Bundes-und Landesregierung sollen Planungsprozesse beschleunigen.
– Der Deutsche Bundestag soll so schnell wie möglich mit Hilfe geeigneter gesetzlicher Regelungen die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt begrenzen, wofür die Stadt etliche Einzelvorschläge unterbreitet.
– Der Bau von Betriebswohnungen soll gefördert werden.

Zusätzlich, und das war der intensiven Debatte und wohl auch dem entschlossenen Auftreten der Mieterinnen geschuldet, hat der Gemeinderat einen zweiten Text beschlossen, der sich gegen Vonovia richtet, und der lautet meiner Erinnerung nach sinngemäß so geht (er wurde erst während der Sitzung formuliert und liegt daher noch nicht schriftlich vor): „Die Wohnungswirtschaft hat eine soziale und ökologische Verantwortung. Der Gemeinderat der Stadt Konstanz hält den Austausch von Fenstern und andere geplante Maßnahmen in der Schwaketenstraße für verfrüht und unwirtschaftlich und fordert die Vonovia SE daher auf, darauf zu verzichten und sich auf Maßnahmen zu beschränken, deren Nachhaltigkeit nachweisbar ist.“

Es steht allerdings zu befürchten, dass man sich bei der gigantischen Vonovia (3,6 Milliarden Euro Umsatz, 8500 MitarbeiterInnen) diese Erklärung nicht mal hinter den Spiegel steckt, weil da schon längst kein Platz mehr für weitere Resolutionen ist. Aber es ist erfreulich, dass alle Gemeinderätinnen und -räte aus allen Lagern mittlerweile erkannt haben, dass es so nicht weitergehen darf.

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz.de)

Falsches Signal

2017 kam in Lodi, Partnerstadt von Konstanz seit über 30 Jahren, eine neue Bürgermeisterin ins Amt: Sara Casanova von der rechtsextremen Lega. Wir meinen – wie bereits in einer Stellungnahme der LLK zu ihrem Amtsantritt formuliert -, dass beim ersten offiziellen Besuch der Lega-Politikerin kritische Worte des Oberbürgermeisters angebracht gewesen wären. Angesichts des wachsenden Einflusses von fremdenfeindlichen und islamophoben Parteien können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die Lega wie eine „normale“ demokratische Partei behandeln.

In ganz Europa sind politische Kräfte auf dem Vormarsch, die auf soziale Probleme, die konzern- und bankenhörige Regierungen in globalem Maßstab zu verantworten haben, mit der Mobilisierung von menschenfeindlichen Ressentiments reagieren. Statt die eigentlich Verantwortlichen für diese Ungerechtigkeiten zu benennen, von denen zunehmend auch die reichen kapitalistischen Kernländer betroffen sind, suchen die Höckes, Le Pens, Orbans & Co nach Sündenböcken. In Italien besorgt dieses Geschäft die Lega – leider so erfolgreich, dass sie nun in der Regierung sitzt. Kaum an den Schalthebeln der Macht, lässt sie ihrer Hetze rassistische Taten folgen und verwehrt beispielsweise einem Schiff mit rund 600 erschöpften MigrantInnen an Bord die Einfahrt in einen italienischen Hafen; Innenminister und Lega-Chef Salvini will sogar alle privaten Seenotretter vertreiben. Ein Akt beispielloser Unmenschlichkeit angesichts tausender ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer.

Für diese Politik steht auch Casanova – sie ehrenvoll zu empfangen, ist das falsche Signal. In der Konstanzer Erklärung „FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ haben sich Oberbürgermeister und Gemeinderat verpflichtet, „Nein zu sagen, wenn Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit Migrationsgeschichte angefeindet werden“. Am 11. Juni wurde diese Chance verpasst.

Beide Stadtoberen könnten sich ein Beispiel am Handeln eines ihrer Amtskollegen nehmen. Leoluca Orlando, der Bürgermeister der sizilianischen Hafenstadt Palermo, wandte sich am 10. Juni gegen die Absicht der italienischen Rechtsregierung, die Häfen für alle Schiffe zu sperren, die Geflüchtete im Mittelmeer aufnehmen. Er kündigte an, dass Palermo alle diese Rettungsschiffe aufnehmen wird. Orlando initiierte auch eine „Charta von Palermo“, in der es heißt: „Von der Migration als Problem zur Freizügigkeit als unveräußerlichem Menschenrecht“. Bravo, das ist ein Politiker, dessen Eintrag das Goldene Buch der Stadt schmücken würde.

Anke Schwede (Foto: Stadt Konstanz)

Veranstaltung mit Gökay Akbulut: „Es kommt auf jede Stimme an“

Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt. Es geht um das Amt des Staatspräsidenten, zudem entscheiden die Wähler*innen über die Zusammensetzung des Parlaments. Im Wahlkampf hat der autoritär regierende Amtsinhaber Erdogan die Zügel der Repres­sion noch einmal angezogen und drangsaliert die Opposition. Der lange Arm des Autokraten reicht dabei bis nach Deutschland. Die Lage in der Türkei vor den Wahlen ist am 21.6. auch Thema einer Veranstaltung im Treffpunkt Petershausen in Konstanz mit der linken Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut.

Nicht nur 59 Millionen Wahlberechtigte in der Türkei können am 24. Juni ihre Stimmen abgeben, auch rund drei Millionen im Ausland lebende Menschen mit türkischem Pass sind an die Urnen gerufen, fast die Hälfte davon (1,44 Mio.) lebt in Deutschland. Wer indes dieser Tage Kolleg*innen oder Bekannte mit familiären Wurzeln in der Türkei auf das Thema anspricht, erntet oft reserviertes Schweigen.

Für Gökay Akbulut, die 1990 mit ihren Eltern nach Deutschland kam, ist das keine Überraschung. Auch hierzulande habe sich unter den türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren eine Stimmung der Einschüchterung breitgemacht, sagt die Linke-Abgeordnete mit kurdischen Wurzeln, die sich in ihrer Heimatstadt Mannheim in kurdischen Vereinen engagiert. „Viele trauen sich nicht mehr, ihre politische Haltung offen kundzutun, weil sie fürchten, dass sie dadurch Probleme für ihre Angehörigen in der Türkei verursachen könnten.“ Zudem habe die türkische Regierung, so Akbulut weiter, „ein breites Netzwerk an Spitzeln und Agenten inmitten der Bundesrepublik installiert“, die ungehindert Informationen über Oppositionelle sammelten und an die Regierungsbehörden in Ankara weiterleiten. „Zu glauben, dass diese Praxis sich nicht auf das Wahlverhalten der Stimmberechtigten in Deutschland auswirkt, wäre naiv.“

Quo vadis Türkei?

Welch große Bedeutung den Auslandsstimmen zukommt, hat Amtsinhaber Erdogan Anfang Juni deutlich gemacht, als er die Wahlberechtigten im Ausland aufrief: „Bringt auch in Europa mit Gottes Hilfe die Urnen zum Platzen“. Für Erdogan geht es bei diesen Wahlen um viel. Gewinnt der im Ausnahmezustand autoritär regierende Staatspräsident erneut, kann er die im April letzten Jahres beschlossene Verfassungsreform, die das Land in eine Präsidialdiktatur verwandeln würde, umgehend in Kraft setzen und damit seine Alleinherrschaft endgültig zementieren.

Die Türkei vor den Wahlen: Wer stoppt Erdogans Marsch in die Diktatur?
Veranstaltung mit Gökay Akbulut, MdB DIE LINKE

Veranstalter: Bodensee-Solidaritätsbündnis Afrin/Rojava, seemoz e.V.
Termin, Ort, Zeit: 21. Juni 2018, Konstanz, Treffpunkt Petershausen, 18:30 Uhr

Unmut wächst

Die Vorverlegung des eigentlich erst für November 2019 vorgesehenen Wahltermins um mehr als ein Jahr kann als Indiz für die wachsende Nervosität des Autokraten gewertet werden. Noch vor wenigen Monaten hatte sich Erdogan für unantastbar gehalten und vorgezogene Wahlen kategorisch abgelehnt. Der nach dem vermeintlichen Pusch 2016 von ihm entfesselte nationalistische Hype, dem er seinen Höhenflug verdankte, verfängt indes zunehmend weniger. Die desaströsen Folgen der Politik des Regierungsbündnisses aus der reaktionär-islamistischen AKP und der ultranationalistischen MHP sind inzwischen unübersehbar. Die türkische Wirtschaft lahmt, die Erwerbslosigkeit wächst stetig, die Inflationsrate steigt dramatisch und der staatliche Schuldenberg wird immer größer.

So hat die türkische Lira in rasanter Talfahrt rund 20 Prozent an Wert gegenüber Dollar und Euro verloren. Gleichzeitig steigen die Preise drastisch, um bis zu 18 Prozent sind es für Lebensmittel, was selbst für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen empfindliche Einbußen bedeutet. Wie ernst das Regime selbst die Lage nimmt, zeigt nicht zuletzt Erdogans Aufruf an die Bevölkerung, private Dollar- und Eurobestände in Lira umzutauschen, um die Währung zu stützen.

Der soziale Preis, den die Bevölkerung für Erdogans aberwitzig teure Großmachtpolitik und seine Kriegsabenteuer zahlt, ist inzwischen so hoch, dass sich wachsender Unmut bemerkbar macht. Mit den vorgezogenen Wahlen will der Amtsinhaber den Sack nun zu machen, solange er sich noch fest im Sattel glaubt.

Freie Wahlen? Fehlanzeige

Im Wahlkampf, der unter den Bedingungen des Ausnahmezustands stattfindet, hat der autokratische Machthaber die Repressionsschraube noch einmal kräftig angezogen. Zu den Tausenden, die wegen Regierungskritik schon in den Gefängnissen sitzen, sind in den vergangenen Wochen scharenweise weitere Regierungskritiker*innen gekommen. Mit aller Härte gehen Polizei und Justiz gegen Angehörige oppositioneller Kandidaten und Parteien vor. Vor allem Unterstützer*innen der linken „Demokratischen Partei der Völker“ (HDP) und kurdische Aktivist*innen hat die Staatsmacht im Visier. Fast täglich werden HDP-Wahlkomitees und -Wahlhelfer verhaftet, in vielen kurdischen Städten hat die staatliche Zwangsverwaltung öffentliche Wahlwerbung für die linke Partei untersagt, vor allem in der Westtürkei sind Überfälle auf Infostände und Veranstaltungen der HDP an der Tagesordnung.

Gleichzeitig sorgen die rigide staatliche Zensur, Medienverbote und die juristische Verfolgung von Journalist*innen für eine stromlinienförmige Pro-Erdogan-Propaganda. Schon im Vorfeld hatte die AKP-MHP-Regierungskoalition zudem aus Angst vor einer möglichen Abwahl das Wahlrecht zu ihren Gunsten geändert. So können etwa Stimmen ohne Bestätigungsstempel als gültig gewertet werden, die in der Vergangenheit vor Ort erfolgte Auszählung soll unter zentraler Aufsicht stattfinden – die Türen für Manipulationen stehen damit weit offen.

Schon im Mai hatte das Wüten der Erdogan-Regierung die UN auf den Plan gerufen. Der Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein forderte die Aufhebung des Ausnahmezustands und verurteilte die Einschränkung von Menschenrechten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. „Es sei schwer vorstellbar, wie glaubwürdige Wahlen abgehalten werden könnten, wenn regierungskritische Meinungsäußerungen ‚schwer bestraft‘ würden“, wurde Hussein bei spiegel-online zitiert. „Die Regierung müsse den Bürgern ermöglichen, ‚vollständig und auf Augenhöhe‘ an den Staatsangelegenheiten teilnehmen und sowohl wählen, als auch gewählt werden zu können.“

Die 1982 in der Türkei geborene, 1990 mit den Eltern nach Deutschland migrierte und in Mannheim lebende Gökay Akbulut ist im vergangenen Jahr auf der baden-württembergischen Landesliste der Partei DIE LINKE in den Bundestag gewählt worden. Die Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds seit Jahren mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei. Sie engagiert sich politisch und sozial in kurdischen Vereinen und ist zudem Stadträtin in ihrer Heimatstadt Mannheim. Im Bundestag vertritt die Linke-Politikerin ihre Fraktion als migrationspolitische Sprecherin.

Hoffnungsträgerin HDP

Aktuellen Umfragen zufolge könnte Erdogan im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlen, seinem Regierungsbündnis aus AKP und MHP droht gar der Verlust der parlamentarischen Mehrheit. In dieser Situation kommt es deshalb nun sowohl bei der Präsdidenten- als auch der Parlamentswahl besonders auf die Stimmen für die HDP und ihren Kandidaten Selahattin Demirtas an, der Wahlkampf vom Gefängnis aus machen muss. Nur wenn die HDP und ihr Kandidat trotz aller Repressionen erneut die undemokratische 10-Prozenthürde überspringen, könnte – aufgrund des Wahlrechts – der Durchmarsch Erdogans und seiner politischen Fußtruppen gestoppt werden. Auch programmatisch ist die linke Partei die einzige Kraft, die nicht nur den Bruch mit dem islamistisch-faschistischen Kurs von AKP und MHP will, sondern auch den nationalistischen Konzepten etwa der kemalistischen CHP eine Absage erteilt.

So hat sich die HDP die sofortige Beendigung des Ausnahmezustands und die Wiederherstellung der demokratischen Gewaltenteilung auf die Fahnen geschrieben, sie will die Zensur aufheben und die politischen Gefangenen befreien. Zudem tritt die Partei für entschiedene Sozial- und Bildungsreformen ein, will die Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten unterbinden und fordert ein sofortiges Ende der gegen die kurdischen Autonomiegebiete gerichteten Angriffskriege Erdogans in Syrien und dem Irak.

Für Gökay Akbulut, die als Abgeordnete der Linken für den Erfolg der Schwesterpartei HDP wirbt, kommt es deshalb auf jede Stimme an. Sie ruft die Wahlberechtigten in der Bundesrepublik zur Stimmabgabe für die HDP auf. Mit ihrem Sprung über die 10-Prozent-Hürde würde es eng werden für den Autokraten Erdogan und sein Regierungsbündnis. Die AKP, ist Akbulut überzeugt, werde deshalb wohl nichts unversucht lassen, um die HDP unter die Wahlhürde zu drücken. Selbst eine Manipulation der Ergebnisse hält sie nicht für ausgeschlossen. “Auch aus diesem Grund wird es bei diesen Wahlen auf jede abgegebene Stimme ankommen, auch in Deutschland.“

J. Geiger

Fotos: HDP-Kundgebung am 10.6. in Istanbul – anfdeutsch.com; Gökay Akbulut – T. Mardo Mannheim.


Die Türkei vor den Wahlen: Wer stoppt Erdogans Marsch in die Diktatur?
Veranstaltung mit Gökay Akbulut, MdB DIE LINKE
Veranstalter: Bodensee-Solidaritätsbündnis Afrin/Rojava, seemoz e.V.
Termin, Ort, Zeit: 21. Juni 2018, Konstanz, Treffpunkt Petershausen, 18:30 Uhr

Vorfahrt für den roten Arnold!

Auf der letzten Sitzung des Technischen und Umweltausschusses ging es mal wieder um das leidige Thema Verkehr, das nach wie vor für Verdruss in der Stadt sorgt. FGL und JFK hatten beantragt, eine Gratisnutzung der Stadtwerke-Busse an Samstagen zu prüfen. Schon im März forderte die Linke Liste Konstanz als ersten Schritt zum ticketfreien Nahverkehr eine entschiedene Senkung der Buspreise.

Aber was soll ein samstäglicher Gratisbus bringen? Die Stadt ist trotz schwächelndem Frankenkurs weiterhin Ende der Woche Richtung Laube und Döbele überfüllt – das heißt, auch die Busse stünden mit laufenden Motoren im Stau und kämen nicht weiter. Viel mehr Sinn macht doch, Autos weitestmöglich, besser ganz, aus der Stadt zu verbannen. LLK-Stadtrat Holger Reile wollte wissen, welche Kosten auf die Stadt zukämen, wenn der Einzelfahrschein wie im Radolfzeller Stadtbus generell einen Euro kosten würde. Die Antwort steht aus.

Aber auch der Vorschlag des Stadtseniorenrates, einen Kurzstreckentarif einzuführen, ist angesichts der stetig wachsenden Stadt unterstützenswert. Wer nicht gut zu Fuß ist und nur kurz zum Arzt will, mit schweren Taschen vom Einkaufen kommt oder regelmäßig den Friedhof besuchen möchte, sollte nicht den vollen Preis entrichten müssen.

Anke Schwede (erscheint auch im Amtsblatt 11/2018)