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“Rettet das Scala” scheitert in 1. Runde

Die Sitzung des Technischen und Umweltausschusses (TUA) am 14.4. fand ungewöhnlich großen Publikumszuspruch, denn es ging um die geplante Schließung des Scala-Kinos, die die Gemüter in Konstanz derzeit erregt wie keine Kinoschließung zuvor. Der TUA lehnte nach eingehender Debatte den Antrag der Grünen ab, einen Bebauungsplan für die Marktstätte in Angriff zu nehmen und eine zweijährige Veränderungssperre zu erlassen. Die endgültige Entscheidung fällt aber erst nächste Woche im Gemeinderat.

“Damit der Platz und die angrenzenden Gebäude nicht zu einer reinen Kommerzmeile verkommen, müssen die Anforderungen der Bevölkerung, was Aufenthaltsqualität, Begegnungsmöglichkeiten, kulturelles Angebot und städtebauliche Qualität betrifft, besser berücksichtigt werden. Die Stadt kann nur über einen qualifizierten Bebauungsplan dafür Sorge tragen, dass Nutzungen einzelner Gebäude oder Geschosse zum Wohl der Bevölkerung nachhaltig festgelegt werden, und so die Gestaltungshoheit für das Zentrum der Innenstadt im Sinne einer positiven und zukunftsfähigen gesamtstädtischen Entwicklung sichern.” Dies ist die Begründung des Antrags der Grünen, die sich damit zum Sprachrohr der rührigen Bürgerinitiative “Rettet das Scala” machten. Gut gebrüllt, Löwe.

Wäre der Antrag angenommen worden, hätte die Stadt für die Zeit, in der sie den Bebauungsplan erarbeitet, für das Areal Marktstätte eine Veränderungssperre erlassen können. Das hätte die Umwandlung des Scalas in einen Drogeriemarkt vorläufig verhindert. Das hätte allerdings nicht verhindert, dass der hiesige Kinounternehmer das Scala schließt, denn auch die Stadt kann niemanden zwingen, ein Unternehmen fortzuführen. Aber die Bürgerinitiative hat gerade einen anderen Kinobetreiber ausfindig gemacht, der bereit ist, das Scala als Programmkino weiterzuführen und erhebliche Mittel zu investieren.

Die Logik dahinter: Die Stadt verhindert mit planungsrechtlichen Mitteln für mindestens zwei Jahre, dass das Scala umgebaut wird. Der Immobilienbetreiber wäre somit gezwungen, das Kino entweder leer stehen zu lassen und massiv Geld zu verlieren – oder mit einem anderen Betreiber einen Vertrag abzuschließen. Und diesen Betreiber liefern wir ihm jetzt. Ist Politik wirklich so einfach?

Keine Verhinderungsplanung

Der zentrale Punkt ist aber, und hierin sind sich die Rechtsgelehrten aller Seiten einig, dass die Stadt nicht gegen ein einzelnes Projekt wie den geplanten Drogeriemarkt gezielt vorgehen kann, sondern nur ein komplettes Gebiet mit planungsrechtlichen Maßnahmen steuern und eventuell zeitweise gegen Veränderungen sperren darf. Sonst gerät sie juristisch in Teufels Küche und sieht sich erheblichen Entschädigungsansprüchen etwa des Immobilienbesitzers gegenüber, die in die Millionen gehen können. Der Plan, jetzt Hals über Kopf einen Bebauungsplan anzugehen, ohne dass zuvor nennenswerte städteplanerische Missstände beklagt worden wären, hat natürlich ein Geschmäckle, er riecht nach einer Lex Scala. Diese Klippe galt es also zu umschiffen.

Gisela Kusche (FGL) nannte als Ziel der geforderten Überplanung der gesamten Marktstätte einen gesunden Mix aus Einzelhandel, Begegnung und Kultur. Der zentrale Platz der Stadt sei nicht nur für Konsum da, sondern für alle. Das Scala ist für sie nicht nur ein beliebiger Gewerbebetrieb, sondern ein wichtiges Stück Kultur, das abends die Marktstätte belebe. Und die Auslastung von 15 Prozent sei für ein Kino sogar ein recht guter Schnitt und kein Zeichen für mangelnden Zuspruch. Hand aufs Herz: Als Kusche forderte, die gesamte Innenstadt zu sichern, rieb sich der Zuhörer verblüfft die Ohren. Konkret hatte sie ausschließlich das Scala erwähnt, andere praktische Ziele des Bebauungsplanes nannte sie nicht. Das große Ganze geriet ihr eher zum Mäntelchen für eine Lex Scala, nach der das Volk vielzüngig schreit.

Gegen den Totalkommerz

Der Verwaltung wiederum hatte Holger Reile (LLK) einiges vorzuwerfen. Vor allem störte ihn, dass die Stadtverwaltung nicht sofort, als sie vor einem Jahr vom möglichen Ende des Scalas erfuhr, Kontakt zu allen Beteiligten aufnahm. Außerdem hätte die Stadt, so Reile, auch darüber nachdenken müssen, das Gebäude an der Marktstätte 22 ihrerseits zu erwerben und dort ein sozio-kulturelles Zentrum im Herzen der Stadt zu gründen. Er dachte dabei wohl an ein Gebäude, in dem Flüchtlingsinitiativen, Café Mondial und viele andere soziale und karitative Einrichtungen und Beratungsstellen ein Heim fänden. Reile hatte am Morgen zudem ein Unternehmerfrühstück besucht, das ihm trotz seiner geliebten Weißwürstchen sauer aufstieß: Dort sei gefordert worden, die Stadt den Investoren auf dem Silbertablett auszuliefern, auf dass diese sie wie eine Zitrone auspressen könnten. Einer solchen Politik der Kommerzialisierung städtischen Lebensraumes erteilte er eine klare Absage. (Seinen Redebeitrag veröffentlichen wir in Kürze.)

Braucht Konstanz das Scala?

Die Gegner des FGL-Antrages führte Matthias Heider (CDU) an. Für ihn ist das kulturelle Angebot der Stadt gut, zumal ein Teil des bisherigen Scala-Programms künftig im Cinestar laufen soll. Außerdem gebe es noch das Zebra-Kino, das die Stadt jährlich mit 25 000 Euro unterstütze, und wer das Scala fortführen wolle, könne dies auch an anderer Stelle tun. Für ihn ist die Marktstätte ein Kerngebiet, in dem Einzelhandel gewollt ist, und außerdem sei die Nutzung des Anwesens Marktstätte 22 Sache privater Verträge. Wenn der Immobilieninhaber mit einem Kinobetreiber einen Vertrag abschließen wolle, könne er das jederzeit tun, die Stadt solle sich da jedenfalls raushalten. Man kennt das seit Jahrtausenden: Die Christen kennen nur einen Gott, das Privateigentum nämlich.

Prof. Dr. Mathias Preussner, der im Auftrag der Stadt ein Rechtsgutachten geliefert hat, und Bürgermeister Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn wiesen noch mal auf ihre juristische Sicht der Dinge hin und versicherten ihre Neutralität. Denkwürdig ist der Satz Preussners “Kulturpolitik lässt sich nicht über das Baurecht betreiben”. Er versicherte, er habe auch nach juristischen Handhaben für die Rettung des Scalas gesucht, allein, er habe keine gefunden. Eine rechtliche Handhabe, Kultur zu erhalten, sei vielleicht in Bayreuth rund um das Festspielhaus gegeben, nicht aber auf der Konstanzer Marktstätte.

Ergebnis – 5:7:1

Die (namentliche) Abstimmung im Ausschuss fiel beinahe wie zu erwarten aus: Für Bebauungsplan plus Veränderungssperre und damit die vermeintliche “Rettung” des Scalas stimmten fünf Rätinnen und Räte: Gisela Kusche, Anne Mühlhäußer, Peter Müller-Neff (alle FGL) sowie die Vertreter von LLK und JFK. Die anderen sieben von CDU, FWK sowie Jürgen Ruff von der SPD stimmten dagegen, allein Zahide Sarikas (SPD) enthielt sich. Der Antrag war damit abgelehnt.

Aber das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen.

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz.de)

Spitalstiftung: Ein Bauernopfer reicht nicht

rathDie Spitalstiftung Konstanz und Ingeborg Rath haben sich „einvernehmlich“ darauf geeinigt, deren Arbeitsverhältnis als Leiterin der Stiftungsverwaltung zu beenden, am vergangenen Montag stimmte der Gemeinderat im Rahmen einer Sondersitzung dieser Trennung zu. Die Stiftungschefin war offenbar unhaltbar geworden, nachdem Klagen über ihren Führungsstil nicht nur unter Beschäftigten unüberhörbar geworden waren. Diese Kündigung findet die Zustimmung der LLK, nach unseren Informationen pflegte Frau Rath einen äußerst autoritären Führungsstil, der für unzumutbare Arbeitsbedingungen gesorgt hat.

Uns drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass das sehr schnelle Agieren der Stadt­spitze auch von eigenen Verantwortlichkeiten ablenken soll. Der Kern des Problems ist nicht das fraglos inakzeptable Gebaren Raths, sondern die neoliberale Ausrichtung der Spitalstiftung. Entgegen ihrem sozialen Auftrag wird diese wichtige Einrichtung wie ein gewöhnliches Wirtschaftsunternehmen geführt.

Die LLK hat seit langem und immer wieder auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den städtischen Pflegeheimen hingewiesen. Doch statt endlich durch eine deutlich bessere, übertarifliche Bezahlung und weitere Anreize für Abhilfe zu sorgen, mauern Stiftung und Stadtverwaltung beharrlich. Der Ruf der Einrichtung ist entsprechend schlecht – nicht verwunderlich, dass viele qualifizierte Beschäftigte sich diese Tretmühle nicht antun wollen. Wenn sich beispielsweise eine Pflegekraft allein um bis zu zehn schwerkranke Patienten kümmern muss, wie uns zu Ohren gekommen ist, wirft das ein Schlaglicht auf unglaubliche Zustände. Berichte über eine als schier unerträglich empfundene Arbeitssituation vieler Beschäftigter, die auch das Patientenwohl gefährdet, dringen zwar nur spärlich nach außen, das hat aber wohl vor allem mit einer Maulkorbpolitik der Leitung zu tun. Damit muss nun endlich Schluss sein!

Angesichts der inakzeptablen Situation reicht ein Bauernopfer nicht aus. Den Beschäftigten und auch den Gepflegten nützt es nichts, wenn lediglich die Führungsspitze ausgetauscht wird, ansonsten aber alles beim Alten bleibt. Wir fordern Nägel mit Köpfen: Die Einkommens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten müssen sofort spürbar verbessert werden, die Stiftung muss sich wieder auf ihren eigentlichen Auftrag besinnen – die Pflege alter und hilfebedürftiger Menschen und zwar unabhängig von ihren Einkommen. Auch wenn das Grundproblem darin besteht, dass die gesetzliche Pflegeversicherung die Kosten für die Pflegeleistungen bei weitem nicht ausreichend abdeckt: Das Millionenvermögen der Spitalstiftung muss unserer Meinung nach für eine leistungsgerechte Bezahlung und mehr qualifizierte Stellen eingesetzt werden – zum Wohle von Beschäftigten und Pflegeheim-BewohnerInnen.

Anke Schwede, Holger Reile
Linke Liste Konstanz (LLK)

Sowas kommt von sowas

C3-Studiwohnheim-CherisyKeine Frage, der private Betreiber des neuen Studierendenwohnheims C3 auf dem Chérisy-Areal reizt alle Möglichkeiten aus, die der Gesetzgeber privaten Geschäftemachern mit der Wohnungsnot bietet. Nicht nur, dass er sündhaft teure Mieten ab 430 Euro aufwärts monatlich kassieren und auch in anderen Bereichen den BewohnerInnen tief in die Tasche greifen will. Vorgesehen ist auch ein mehr als fragwürdiges Überwachungssystem, das den AStA der Universität zu Recht an Orwellsche Verhältnisse erinnert.

Ob die C3-Besitzer dabei in verschiedenen Punkten über die gesetzlich zugelassene Abkassiererei und Gängelung hinausgegangen sind, muss selbstverständlich geklärt werden. Der Mieterbund hat auf verschiedene Passagen in den Verträgen hingewiesen, die das durchaus nahelegen. Die Linke Liste Konstanz verlangt von der Stadtverwaltung, dass sie sich umgehend und umfassend juristisch informiert und, sollten Gesetzesverstöße vorliegen, sofort die nötigen Schritte dagegen einleitet. Wir werden zu diesem Thema auf der kommenden Gemeinderatssitzung jedenfalls unbequeme Fragen stellen und Konsequenzen fordern.

Der eigentliche Skandal aber ist, dass Verwaltung und Gemeinderatsmehrheit dieses Projekt, gegen den entschiedenen Widerstand der Linken Liste übrigens, überhaupt erst möglich gemacht haben. Wohl wissend um die in der Stadt herrschende Wohnungsnot, die nicht zuletzt Studierenden zu schaffen macht; hat man unverdrossen wieder einmal auf private Investoren und damit auf die Geldgier gesetzt – und das auf einem Feld, das zum Kernbestand der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört. Wer will den Verantwortlichen im Rathaus und den Fraktionsbüros denn eigentlich glauben, dass sie nicht genau gewußt haben, warum Anleger insbesondere in Unistädten die Investition in solche Objekte als neue Goldgrube entdeckt haben.

Als besonders dreist ist zu bewerten, dass noch wenige Tage, bevor der AStA wegen der Mietverhältnisse Alarm geschlagen hat, städtische und universitäre Prominenz gemeinsam mit den Betreibern das fragwürdige Abkassiermodell in den höchsten Tönen gelobt haben. Die Verantwortungsträger feierten damit ein Modell ab, das exorbitant teure Wohnungen als Beitrag zur Linderung des Wohnungsmangels verkauft. Im Ergebnis setzen solche Projekte allenfalls Maßstäbe dafür, was beim Ausquetschen der Betroffenen nach oben alles möglich ist.

Die Linke Liste fordert, dass mit dieser fragwürdigen und unsozialen Stadtentwicklungspolitik endlich Schluss sein muss. Wer die Wohnungsnot bekämpfen will, hat den Wohnungsbau, besonders auch für Studierende, dem Markt zu entziehen. Wir brauchen in dieser Stadt endlich eine sozialpolitische Offensive, die Wohnraum, auch und besonders für Studierende, mit öffentlichen Mitteln im unteren Preissegment schafft.

Anke Schwede, Holger Reile
Linke Liste Konstanz (LLK)

„Bürgerbegehren gegen Flüchtlinge läuft ins Leere“

Konstanzer Wutbürger drohen mit einem Bürgerbegehren, mit dem sie die Unterbringung von Flüchtlingen in der Nähe des Hörnles verhindern wollen. In der Gemeinderatssitzung am 17.4. machte Oberbürgermeister Uli Burchardt schon einmal klar, wie sich die Erfolgsaussichten eines solchen Begehrens aus seiner Sicht darstellen. Man erinnert sich: In Konstanz sollen Flüchtlinge auf dem Gelände eines Tennisparks nahe dem Hörnle untergebracht werden, und das hat etliche Konstanzer Bürger im Verein mit rechten Demagogen auf die Barrikaden gebracht. Nachdem sie in der letzten Gemeinderatssitzung dem Oberbürgermeister ihre Protestunterschriften überreicht hatten, planen sie jetzt scheint’s ein Bürgerbegehren gegen diese Flüchtlingsunterkunft.

Es lässt sich unschwer absehen, dass ein solches Begehren nur das erste in einer langen Reihe von Begehren gegen jegliche Erst- oder Zweitunterkünfte für Flüchtlinge in Konstanz wäre, zumindest sofern sie den gutbürgerlichen Wohnvierteln nahekommen.

Rechtlich chancenlos?

Oberbürgermeister Uli Burchardt erläuterte seine Sicht der Dinge: Alles, was die Stadt Konstanz mit dieser Erstunterkunft zu tun hat, ist die Vermietung des Geländes an den Landkreis Konstanz, der dort dann eine Unterkunft für Flüchtlinge errichten und betreiben will. Diese Vermietung hat der Rat bereits beschlossen, und so steht der Vertragsunterzeichnung rechtlich nicht mehr viel im Wege.

Ein Bürgerbegehren mit anschließender Abstimmung müsste zuerst einige Hürden nehmen: So müssen innerhalb von drei Monaten nach dem Vermietungsbeschluss, den der HFA (Haupt- und Finanzausschuss) des Konstanzer Gemeinderates am 08.3. fasste, rund 4800 gültige Unterschriften, die das Begehren unterstützen, vorgelegt werden. Danach muss dann der Gemeinderat noch über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens entscheiden.

Begehren hat keine aufschiebende Wirkung

Erst mit dem Zulässigkeitsbeschluss des Konstanzer Gemeinderates beginnt überhaupt eine Sperrwirkung. Erst ab diesem Zeitpunkt also wäre eine Vermietung bis zur Volksabstimmung angehalten, bis dahin kann die Stadt Konstanz die Vermietung weiter vorantreiben. Da es einen gültigen Beschluss des Gemeinderats zur Vermietung des Grundstücks gibt und keinerlei sonstige Hinderungsgründe vorliegen, kann der Konstanzer OB den Mietvertrag mit dem Landkreis jederzeit unterzeichnen. In dem Moment, in dem der Mietvertrag zwischen Stadt und Landkreis unterzeichnet ist, ist das Bürgerbegehren gegenstandslos. Es ist nämlich nicht möglich, per Bürgerbegehren die Vermietung der Immobilie an den Landkreis rückgängig zu machen.

Begehren läuft ins Leere

Wenn die Rechtsauffassung des Oberbürgermeisters richtig ist, hat das Bürgerbegehren also selbst dann, wenn genug Unterschriften zusammenkommen, praktisch keine Aussicht auf Erfolg. Denn, und daran ließ Burchardt keinen Zweifel, er wird den Mietvertrag sofort unterschreiben, wenn die Vertragsdetails geklärt sind.

Es steht also zu hoffen, dass Konstanz die durchaus zu erwartenden fremdenfeindlichen Debatten im Umfeld eines solchen Bürgerbegehrens noch einmal erspart bleiben. Wenn der Oberbürgermeister mit seiner Darstellung recht hat, wäre das ein – nach dem beschämenden Ausgang der Landtagswahl durchaus erfrischender – Etappensieg gegen Wutbürger, Flüchtlings„kritiker“ und ähnliches Gelichter.

O. Pugliese

Schwaketenbad: LLK-Vorstoß gegen Mehrkostenfinanzierung über höhere Eintrittspreise erfolgreich

Konstanzer-Bäder-LogoIm letzten Juli war das Konstanzer Schwaketenbad einem Brand zum Opfer gefallen. Knapp ein Jahr danach hat der Gemeinderat am vergangenen Donnerstag erste Weichen für den Wiederaufbau des beliebten städtischen Bades gestellt. Das Gremium beschloss eine „Projektdefinition“ als Vorgabe für ein europaweites Ausschreibungsverfahren. In den Jahren vor dem Brand war das Schwaketenbad häufig an Kapazitätsgrenzen gestoßen; Konstanz ist in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen, ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Es ist deshalb folgerichtig, dass der zuständige Beirat der Bädergesellschaft Konstanz für die Neuplanung von vornherein ein zweites Becken vorsieht. Die Linke Liste begrüßt diese Absicht, gehören für sie doch öffentliche, für Alle zugängliche Schwimmbäder zur kommunalen Daseinsvorsorge. Entscheidend ist für die Linken dabei, dass diese Möglichkeiten nicht durch hohe Eintrittspreise eingeschränkt werden. LLK-Stadträtin Anke Schwede hat sich deshalb dagegen gewehrt, dass im von der Verwaltung vorgelegten Projektbeschluss indirekt schon Spielraum für höhere Eintrittspreise geschaffen werden sollte. Schwede dazu wörtlich:

„Die Linke Liste beantragt, den Beschlussantrag der ‚Projektdefinition Schwaketenbad‘ zu ändern, d. h. den vorletzten Satz zu streichen und den letzten folgendermaßen umzuformulieren:
‚Möglichkeiten zur Finanzierung der Mehrkosten der Variante 4 werden bis zum Projektbeschluss im Herbst 2016 unter Berücksichtigung der Daseinsvorsorgepflicht der Stadt Konstanz geprüft.‘
Begründung: Wir sehen die Vorteile der Variante 4, also den Bau eines zweiten 25-m-Beckens. Das Schwaketenbad war schon in den vergangenen Jahren mehr als gut ausgelastet. Konstanz wächst weiter und dem muss die Planung für den auf Jahrzehnte angelegten Badebetrieb gerecht werden. Es kann aber nicht sein, dass die beträchtlichen Mehrkosten allein durch Mehreinnahmen, also eine vermutlich drastische Erhöhung der Eintrittspreise, finanziert werden sollen. Über die Höhe der künftigen Eintrittspreise schweigt sich die Vorlage aus, auch deshalb können wir nicht schon heute eine  Erhöhung der Eintrittspreise im Beschlussantrag quasi festlegen.

Davon abgesehen regen wir an, einen kostenfreien bzw. stark ermäßigten Eintrittspreis für das Schwaketenbad nach seiner Neueröffnung InhaberInnen des Konstanzer Sozial- bzw. Pflegefamilienpass zu ermöglichen. Eine Abschaffung der Bäderpässe und eine Absenkung der Altersgrenze von zahlungspflichtigen Kindern, wie in der Vorlage ausgeführt, kommt für uns nicht in Frage! Wir wenden uns hier deutlich gegen solche Absichten, die das Schwaketenbad vor allem unter der Maxime ‚Einnahmesteigerungen‘ sehen (…). Die Stadt Konstanz hat eine Daseinsvorsorgepflicht gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern, das heißt, sie muss auch das Schwimmen in öffentlichen Hallen- und Freibädern zu erschwinglichen Preisen ermöglichen. Die Daseinsvorsorge darf nicht dem Geldverdienen untergeordnet werden, das ist mit uns nicht zu machen.

Da durch die hohen Kosten für die Realisierung eines zweiten Beckens in den kommenden Jahren höhere Verluste zu erwarten sind, halten wir es außerdem für überlegenswert, die Bäderausgleichszahlung der Stadtwerke Konstanz auf das Niveau von vor 2009 anzuheben, also wieder auf  2,9 Millionen pro Jahr.“

Anke Schwedes Vorstoß hatte Erfolg: Der OB übernahm den Änderungsantrag, der nun verabschiedete Beschluss knüpft die Finanzierung von Mehrkosten ausdrücklich an die Berücksichtigung der Daseinsvorsorgepflicht der Stadt Konstanz.

red

Ex-Fahnder Tempel: „Die westliche Drogenpolitik bezahlen wir mit Blut“

Frank Tempel„Jede Droge, die man dem Schwarzmarkt überlässt, ist gefährlicher“, zog Frank Tempel am Dienstagabend im Konstanzer Hotel Barbarossa vor den 35 zumeist jugendlichen Zuhörer*innen einen Vergleich zu Modellen, bei denen der Drogenerwerb legal sei. Der ehemalige Leiter einer Drogenfahndungsgruppe in Ostthüringen ist heute drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.

Seine These untermauert der einstige Polizeibeamte damit, dass ein staatliches Kontrollorgan Verbraucherschutz gewährleisten und entsprechende Jugendschutzgesetze einführen kann. „Den Schwarzmarkt interessiert es nicht, ob der Käufer 14, 16 oder 20 Jahre alt ist“, so der 47-Jährige.

Als prominentes Beispiel führt Tempel die Droge Pervitin an, die in Deutschland bis 1988 hergestellt wurde. Der Nachfolger „Crystal Meth“ macht gerade die Runde, wird unter Hobbylaborbedingungen hergestellt und mit teils abenteuerlichen Streckmitteln versehen. So lange die Herstellung des Stoffs rechtlicher Überprüfung unterlag, sei hingegen klar gewesen, wie hoch der Wirkungsgrad der Droge in welchen Mengen ist, und es war garantiert, dass das einstige Arzneimittel nicht verunreinigt gewesen sei.

Auch interessant: Bei der Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist der Wirkstoffgehalt der gefundenen Drogenmenge entscheidend, nicht die Menge an sich. Das heißt, dass ein*e Dealer*in besser vor dem Gesetz wegkommt, sofern er*sie womöglich gefährlich gestreckte Drogen verbreitet. Damit schützt das Gesetz Dealer*innen, die gestreckte Substanzen verkaufen. Paradoxer Weise geht es vor dem Gesetz damit jenen Dealer*innen schlechter, die ihrer Schwarzmarktkundschaft reinere – also weniger gesundheitsschädliche – Drogen verkaufen.

Der Angst von Drogenlegalisierungs-Gegner*innen, mit einer Entkriminalisierung ginge ein sprunghafter Anstieg der Konsument*innenzahlen einher, müsse man argumentativ entgegenwirken. So seien Menschen, die das erste Mal in ihrem Leben Cannabis probierten, in den Niederlanden um 8 Prozent älter als in Deutschland, der Anteil regelmäßig kiffender Menschen nicht höher. Tempels Empfehlung lautet, bei einer Entkriminalisierung gleichzeitig die Prävention zu stärken. In Deutschland gäbe man allein 87 Prozent der Gelder für die Strafverfolgung von Drogenkonsument*innen aus. Nur 13 Prozent fließen in die Aufklärung und Suchtberatung.

Hinsichtlich Cannabis plädiert Tempel für nichtkommerzielle Lösungen, etwa Cannabis Social Clubs, in denen jedes Mitglied ein bestimmtes Kontingent an Cannabispflanzen im Verein für den Eigenbedarf anbauen könne. Diese Maßnahme hilft auch, den Jugendschutz voranzutreiben, da somit eine rechtliche Schranke eingeführt wird und die Mengen besser kontrolliert werden können. Gleichzeitig warnt Tempel vor der Illusion, dass jemals ein einhundertprozentiger Jugendschutz möglich sei.

Um Doppelmitgliedschaften in den Cannabis Social Clubs zu vermeiden, solle man die Vereine nach dem Vorbild von Uruguay staatlich registrieren und die Anzahl der Mitglieder einfach begrenzen. In dem südamerikanischen Land besteht ein solcher Club aus maximal 45 Mitgliedern.

Eine Folge der kommerziellen Lösung im US-Bundesstaat Colorado sei unter anderem, dass vor allem der Gewinn im Vordergrund stehe, wodurch die Zahl der Abhängigen nur langsam zurückgehe und Probleme der Illegalität teils weiterhin bestünden. Allerdings hält Tempel fest: “Jedes Modell ist besser als das Schwarzmarktmodell.” Denn dass in Colorados Hauptstadt Denver die Mordrate um 50 Prozent zurückgegangen ist, seit “Grünes” legal erwerbbar ist, lässt sich nicht (ganz) von der Hand weisen.

Insgesamt konstatiert er in der fast zweistündigen Veranstaltung, dass die westliche Drogenverbotspolitik gescheitert ist. In Lateinamerika habe die repressive Drogenpolitik dazu geführt, dass letztlich Kleinkonsument*innen reihenweise verhaftet wurden, die mafiösen Drogenhandelsstrukturen aber nicht eingedämmt werden konnten. Auf Delegationsreisen in Lateinamerika hatte man den Vertreter*innen des Bundestages mitgegeben: „Die westliche Drogenpolitik bezahlen wir mit Blut.“

Letztlich war das der Grund, weswegen derzeit zahlreiche lateinamerikanische Länder auf eine liberalere Drogenpolitik umschwenken, denn 100.000 Todesopfer im Kampf gegen die bewusstseinserweiternden Substanzen sei keine Polizeiarbeit, sondern Krieg.

Das führe auch dazu, dass im Moment die Bundesregierung und deren Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) langsam umdenken. Es bestehen noch in dieser Legislaturperiode gute Chancen, dass Marihuana zumindest für die medizinische Verwendung freigegeben wird – gerade dank beharrlicher Oppositionsarbeit. Einer Arbeit, die langfristig vielleicht sogar mehr erreicht.

rf

„Kein Stadtviertel gehört einer Gruppe allein“

Der Gemeinderat hatte die endgültige Entscheidung über die Unterbringung von Geflüchteten in der Tennishalle am Hörnle in den Haupt- und Finanzausschuss verwiesen. Der hat sich am 8. März nun einstimmig für den umstrittenen Standort ausgesprochen. LLK-Stadträtin Anke Schwede begründete, warum die Linke Liste der Lösung zustimmt. Ihr Redebeitrag im Wortlaut:

„Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
heute soll also endlich die Entscheidung über die Flüchtlingsunterkunft ‚Tennishalle Horn‘ fallen. Die Debatte dreht sich nach der langen Vorgeschichte, dem massiven Widerstand und auch manchen Entgleisungen nicht nur um die Eignung dieser oder anderer Flächen bzw. Immobilien. Es geht inzwischen vor allem darum, wie diese Stadt mit den Menschen umgeht, die aus höchster Not vor Kriegen und anderen existentiellen Bedrohungen aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Es darf unserer Meinung nach eben nicht heißen: Flüchtlinge, wenn es sein muss, ja – aber auf keinen Fall bei uns.

Auch 2013 protestierten AnwohnerInnen und fürchteten eine Wertminderung ihrer Immobilie, als bekannt wurde, dass im Atrium in der Luisenstraße Geflüchtete untergebracht werden sollen. Heute leben dort rund 150 Menschen – über gravierende Zwischenfälle ist nichts bekannt, benachbarte Frauen, Kinder und auch Männer trauen sich weiterhin auf die Straße, die neuen NachbarInnen werden sogar als Bereicherung empfunden.

Die Linke Liste wird dem Standort ‚Helle Müller Tennisanlage‘ zustimmen, denn die geflüchteten Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf, und zwar jetzt. Kein Stadtviertel gehört einer Gruppe allein und Unterschriftensammlungen, die das Ziel haben, bestimmte Menschengruppen aus einem Stadtgebiet herauszuhalten, finden nicht unsere Zustimmung. Die besseren Unterkünfte unter den schlechten Möglichkeiten zu finden ist das Gebot der Stunde. Und unter diesen Umständen halten wir eine Gemeinschaftsunterkunft in der Tennishalle ‚Horn‘ für eine der besseren Lösungen, insbesondere, weil dann hoffentlich bald die Sporthallen der Zeppelin- und Wessenbergschule wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden können.

Wichtig ist unserer Meinung nach aber auch, dass in Petershausen West bzw. Ober- und Unterlohn Ghettoisierungstendenzen entgegengewirkt wird. Mit den verschiedenen bestehenden und geplanten Unterkünften sollen dort insgesamt rund 1100 Menschen untergebracht werden. Eine gleichmäßigere Verteilung über alle Stadtteile ist wünschenswert, und das gilt eben auch für die Gemeinschaftsunterkunft Nähe Hörnle.“

Wie ist es um unsere Stadtgesellschaft moralisch und ethisch bestellt?

Der Gemeinderat hat die Entscheidung über die geplante Flüchtlingsunterkunft am Hörnle zwar vertagt, beantwortet ist die Grundfrage in der Debatte um geeignete Standorte für die Unterbringung von Geflüchteten in Konstanz noch lange nicht. Denn der Streit dreht sich nicht nur um die Eignung dieser oder jener Fläche oder Immobilie. Es geht längst vor allem darum, wie unsere Stadtgesellschaft mit den Menschen umgeht, die aus höchster Not aus ihren von Kriegen zerissenen Heimatländern geflüchtet sind. Der Linke Liste-Stadtrat Holger Reile hat sich in seinem Redebeitrag auf der Gemeinderatssitzung mit dieser Frage beschäftigt. Sein Beitrag im Wortlaut:

Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen und zahlreich erschienene Gäste, die Debatte über angebliche oder tatsächliche Alternativstandorte ist richtig und auch wir unterstützen die Forderung, diesbezüglich die Bürgerinnen und Bürger früher zu informieren und sie – soweit wie möglich – in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Doch eines ist auch klar: Der Umgang mit der Flüchtlingsfrage ist kein Verschiebebahnhof, frei nach dem Motto: Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber beim Nachbarn wären sie besser aufgehoben. Will heißen: Der Hinweis, ein Standort am Flughafen sei doch sehr viel besser als der am Hörnle, hilft uns keineswegs weiter – denn wir brauchen sowohl den einen und auch den anderen und noch mehrere dazu. Das ist Fakt und da müssen wir uns auch nichts vormachen.

Blicken wir über unseren lokalen Suppenteller hinaus, müssen wir folgendes konstatieren, so bitter es für viele auch klingen mag. Wir stehen weltweit vor Entwicklungen, die wahrscheinlich in den nächsten Jahren zu einer völligen politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Umgestaltung ganzer Kontinente führen wird. Millionen haben sich bereits auf den Weg gemacht und viele weitere Millionen werden folgen. Und wir können auch nicht die Augen davor verschließen, dass wir dabei – mal mehr und mal weniger – Pate gestanden haben. Wir waren mit im Boot, als der Nahe und Mittlere Osten destabilisiert wurde. Denn dort ging es vorrangig nicht um den Bau von Schulen und Kindergärten, dort ging es vielmehr um geostrategische Interessen, um milliardenschwere Waffenexporte, um Absatzmärkte, Bodenschätze, Macht und Einfluss.

Und wir sind auch nicht ganz unschuldig daran, dass vor allem die europäischen Billigexporte zu einer weitgehenden Vernichtung der afrikanischen Märkte geführt haben. Dazu: Die Einschätzung, bei den nordafrikanischen Staaten handle es sich um sichere Herkunftsländer, ist lediglich das Produkt einer hilflosen Abwehrhaltung, die einer Überprüfung nicht stand hält. Ebenso verhält es sich mit dem Begriff der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Diese vorschnelle Etikettierung löst das Problem nicht, das uns in Bälde ebenfalls vor die Füße fallen wird.

Und wer darüberhinaus glaubt, der schmutzige Pakt mit dem skrupellosen Diktator am Bosporus würde auch unsere Kommune vor weiterer Zuwanderung schützen, der wird gewaltig irren. Genausowenig hilfreich ist der Rückzug auf nationalstaatliche Borniertheit und kleinkarierte Abschottung. Das wird nicht funktionieren. Und wer darüber hinaus der Meinung ist, er müsse der Leimrute enthemmter Hetzer und Rassisten folgen, begibt sich auf einen sehr gefährlichen Weg. Die partiell menschenverachtenden und hassgeschwängerten Parolen der Höckes, Orbans, Petrys und wie sie auch immer heißen mögen, tragen nur dazu bei, das gesamtgesellschaftliche Klima europaweit weiter zu vergiften, und das kann nicht in unserem Sinne sein. Null Toleranz auch gegenüber dem feigen und kriminellen Mob, der seit Monaten sengend und brennend durch unser Land zieht.

Sachliche und zielführende Kritik hingegen ist erlaubt und auch erwünscht, denn wir stehen in der Tat vor einer gewaltigen Aufgabe, bei der es auch immer wieder Rückschläge geben wird – eine Aufgabe, die aber auch Chancen in sich birgt, die man nicht einfach ignorieren sollte. Und so gesehen ist die Debatte um den Standort Hörnle nur ein weiterer Mosaikstein, der zeigen wird, wie es um unsere Stadtgesellschaft moralisch und ethisch bestellt ist.

In diesem Zusammenhang, und damit komme ich zum Schluß, ist es uns ein Anliegen, das ehrenamtliche Engagement vieler KonstanzerInnen und Konstanzer zu würdigen, die in Initiativen wie Save me, Cafe mondial oder beim Projekt 83, wichtige und auch vorbildliche Arbeit leisten. Ihnen allen gebührt unser Dank, denn ohne sie ginge es nicht.

Holger Reile

Michael Leherr, Bürger

Es ist eine beeindruckende Zahl: 1851 Unterschriften hat die Initiative gegen den Erstunterbringungs-Standort am Hörnle gesammelt, 461 gibt es zusätzlich noch im Internet. Bei der gestrigen Gemeinderatssitzung wurden diese dem Oberbürgermeister übergeben. Der Bürger Michael Leherr hielt bei dieser Gelegenheit im Namen der Initiative eine denkwürdige Rede, in der er deren Sachargumente gegen den Standort nochmals zusammenfasste. Und die haben es in sich!

Michael Leherr ist ein weltoffener und besonnener Bürger, der aus Sorge um das Gemeinwohl, speziell aber um das von Flüchtlingen und erholungssuchenden Hörnle-Besuchern seine mahnende Stimme erhebt, um Schlimmes von den Menschen abzuwenden: Nämlich eine Flüchtlingsunterbringung auf dem Gelände des Tennisclubs nahe dem Hörnle.

Bürger Leherr ist doch kein Rassist!

Sichtlich erbost ihn, dass ihm dieses Engagement nicht von allen Mitbürgern und Mitbürgerinnen gedankt wird. Er beklagte sich vor dem Gemeinderat denn auch gleich mal darüber, dass ihn namentlich Zahide Sarikas (SPD) als Rassisten verleumdet habe. Man vergesse nicht, er ist ein weltoffener Mensch, dieser Bürger Leherr. Jedenfalls in seinen eigenen Augen. Im Publikum murmelte jemand, er sei früher gar Turnlehrer an einem Konstanzer Gymnasium gewesen. Eine Respektsperson also?

Da Michael Leherr so weltoffen ist, fallen ihm bei Flüchtlingen nicht Krieg, Flucht und Elend ein. Nein, als erstes fallen ihm die Kölner Vorfälle aus der Silvesternacht ein, und die pure Sorge überkommt ihn, was in Konstanz alles passieren wird im nächsten Sommer. Denn in Köln, daran erinnerte Bürger Leherr [Achtung, das Folgende ist keine Satire, das hat er wirklich so gesagt!], in Köln also „an Silvester waren die Frauen angezogen und es war kalt, und am Hörnle haben sie im Sommer nur einen Bikini an“, und warm ist es auch.

Er zog daraus keinen ausdrücklichen Schluss, er stellte dieses Faktum nur mal so in den Raum für die Nachdenklichen unter uns. Bürger Leherr liebt Tatsachen und keine Polemik. Für ihn ist es wahrscheinlich selbstverständlich, dass aus Ausländer plus deutsche Frau im Bikini plus Wärme nur eins resultieren kann: Vergewaltigung. Aber das sagte er natürlich nicht, denn er ist ja ein guter, weltoffener Bürger. Einer unserer Besten. Und doch einer wie ganz viele.

Bürger Leherr weiß, wie Muslime ticken

Statt Stimmungsmache zu betreiben, hat Bürger Leherr recherchiert, und zwar unter Muslimen. Ad fontes, wie der Lateiner sagt (Herr Leherr ist doch sicher auch einer?), und das heißt sinngemäß: Erkundige Dich an der Quelle. Davon erzählte Bürger Leherr sichtlich gern: Er hat von seinen zahlreichen muslimischen Gewährleuten erfahren, dass der Anblick von so viel Nacktheit, wie sie am Hörnle im Sommer zu sehen ist, weiblichen Muslimen verboten ist. Also kann man den Armen ja gar nicht zumuten, in der Nähe des Hörnles untergebracht zu werden, da sie die Unterkunft überhaupt nicht verlassen dürften, um sich integrieren zu gehen, weil überall Halbnackte herumlungern. Und im nahe gelegenen Wald könnten sie sich auch nicht ergehen. Weshalb sie nicht in den Wald können, wurde wieder nicht recht klar. Der Schatten? Die Bäume? Der viele Wald gar, dessen Anblick diese armen Wüstenbewohner ja gar nicht gewöhnt sind?

Dass an den Stränden muslimischer Länder wie der Türkei und Nordafrikas millionenfach Bikini getragen wird, ohne dass die einheimische weibliche Bevölkerung zu ihrem Schutz deportiert wurde, scheint Bürger Leherr entgangen zu sein. Auch auf die Idee, dann in der Unterkunft nahe dem Hörnle einfach atheistische Flüchtlinge unterzubringen, kommt Bürger Leherr nicht, da für ihn scheint’s gilt: Flüchtling gleich radikaler Moslem, und dem Moslem geht radikalste Glaubensstrenge ohnehin über alles. Weiß man doch. Dass sehr viele Menschen auch in muslimischen Ländern mit Allah so wenig am Hute haben wie die meisten Menschen in Deutschland mit Gott, scheint ihm nicht in die Rübe zu gehen. Aber eigentlich ist das alles ja auch völlig egal, denn diese Argumente schiebt Bürger Leherr ja nur vor. Um des Gemeinwohles willen, wollen wir ihm mal unterstellen, denn Bürger Leherr ist ja kein Rassist, Ausländerfeind oder gar rechter Demagoge.

Bürger Leherr sorgt sich um die Kinder

Herr Leherr spricht von der Angst der Initiative, dass Kinder am Hörnle nicht mehr sicher wären, wenn in der Nähe Flüchtlinge untergebracht würden. Warum Flüchtlinge ein Sicherheitsrisiko für Kinder sein sollen, sagte Bürger Leherr natürlich wieder nicht, das setzt er einfach als bekannt voraus. Man kann es also nur vermuten: Diese Flüchtlinge sind Ausländer und Muslime, und das sind alles Kinderschänder, denkt der Bürger Leherr. Weiß man doch. Hat man doch in Köln gesehen, in Köln waren’s zwar keine Kinder, aber das auch nur, weil es spät und kalt war. Würde Herr Leherr noch ein wenig weiterdenken, fiele ihm sicher gleich noch ein, dass selbst die aktivste kinderschändende Vereinigung der Welt, die katholische Kirche, mehrheitlich aus Ausländern besteht, auch wenn sie zeitweise mal einen deutschen Chef hatte.

Und so fragt der Bürger Leherr denn allen Ernstes den verbliebenen Gemeinderat (einige Gemeinderätinnen und -räte hatten bereits unter Protest gegen ihn den Saal verlassen), wer denn die Verantwortung für die sexuellen Übergriffe am Hörnle übernehmen werde, etwa die Stadt?

Bürger Leherr an und für sich

Was der Herr Leherr, in seinen eigenen Augen sicher ein ehrenwerter, liberaler, weltoffener Mensch, eigentlich will, entrutschte ihm dann in einem ganz unscheinbaren Satz: „Die Leute wollen halt unter sich sein am Hörnle.“

Stopp, wie war das? Unter sich sein? „Die“ Leute? Welche Leute? Wer soll dort rumlaufen dürfen und wer nicht? Und damit haben wir, worum es bei der ganzen Angelegenheit geht: Die Leute, die dort und anderswo in und um Konstanz wohnen, all die braven, anständigen Bürger, all die Bürger Leherrs wollen dort unter sich bleiben. Das ist des Pudels Kern! All der Firlefanz vorher war nur Theaterdonner! Da ist es endlich: Das ist ein fettes „Ausländer raus!“-Schild, das Herr Leherr da in den Rasen bürgerlichen Vorgartenglücks gerammt hat. Flüchtlinge haben nichts zu suchen, wo der Bürger Leherr wohnt und wo er sich sonnt.

Zahide Sarikas hat ihn einen Rassisten genannt, bejammert Bürger Leherr? Hoffentlich hat sie das getan, denn verdient hat er’s allemal! Allerdings muss man ihm zugute halten, dass er es selbst nicht bemerkt. Seine Ausländerfeindlichkeit ist für ihn so natürlich, rassistische Positionen sind für ihn so selbstverständlich, dass sie ihm selbst gar nicht auffallen können. Er ist ein typischer Bürger, der Bürger Leherr, ein ganz normaler Mensch wie tausend andere. Und hätte ihn nicht die Initiative gegen die Flüchtlingsunterbringung auf dem Gelände des TC Konstanz losgeschickt, wäre das niemandem groß aufgefallen.

Vermutlich fragt Bürger Michael Leherr heute in seinem Abendgebet bang’: „Vater, mein Vater, was ist ein Rassist?“ Und vom Himmel säuselt Gott: „Das musst Du nicht wissen, weil Du’s längst bist.“

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz)

Spiegelfechterei ums Hörnle im Gemeinderat

Der Konstanzer Gemeinderat setzte in seiner gestrigen Sitzung die Entscheidung über das Flüchtlingsheim auf dem Gelände des Tennisclubs am Hörnle ab und verschob sie auf den 08. bzw. 17.03. Vor allem CDU und SPD sahen noch zu viele offene Fragen. In der anschließenden Debatte wurde aber schnell deutlich, dass das alles pure Spiegelfechterei ist: Das Sagen bei der Erstunterbringung hat der Landkreis, und angesichts der Flüchtlingszahlen werden demnächst ohnehin sämtliche Standorte gebraucht.

Diese Sitzung fand massiven Publikumszuspruch, und es war klar, dass das Stimmvolk gekommen war, um der Debatte über die geplante Gemeinschaftsunterbringung für Flüchtlinge auf dem Gelände des Tennisclubs TC Konstanz nahe dem Hörnle zu lauschen. Aber daraus wurde nicht viel, denn der entsprechende Tagesordnungspunkt wurde sang- und klanglos abgesetzt. CDU und SPD hatten bekanntlich alle möglichen Fragen an die Verwaltung gerichtet, die diese so schnell nicht beantworten konnte, und in diesem Fall wollten CDU und SPD nicht abstimmen. Die Entscheidung, das Gelände, auf dem bisher der Tennisclub TC Konstanz sitzt, an den Landkreis für eine Erstunterbringung zu vergeben, wird jetzt vermutlich am 08.03. im Haupt- und Finanzausschuss HFA getroffen.

Oberbürgermeister sichtlich unzufrieden

Oberbürgermeister Uli Burchardt steht sichtlich unter Druck: „Die Frage nach Alternativen und mehr Informationen kann man immer stellen, dann können wir bald gar nichts mehr entscheiden, zumal sich jede Woche die Prioritäten und Flüchtlingszahlen ändern“ bemerkte er mit allem Recht. Natürlich drängte sich bei dem Fragenkatalog auch die Überlegung auf: Wurden diese Fragen vielleicht nur eingereicht, um die Entscheidung weiter hinauszuschieben und den über die Flüchtlingsunterkunft empörten Bürgerinnen und Bürgern entgegenzukommen? Eine Art Lex Hörnle also, nachdem es im letzten Sommer in Egg nach zähem Widerstand der dort ansässigen herrschenden Klasse schon einmal plötzlich eine lokale Alternativlösung für eine Anschlussunterbringung gab, die der Volksmund süffisant als „Lex Ellegast“ bezeichnet?

Soll die Umgebung des Musikerviertels also flüchtlingsfreies Gebiet bleiben? Hat Anselm Venedey wie so oft recht, wenn er vorschlägt, man möge über diesen Standort doch erst nach der Landtagswahl am 13.03. entscheiden, denn dann seien die Köpfe wieder frei – momentan aber habe noch jede/r Politiker/in, der/die einer Gemeinschaftsunterbringung zustimme, Angst, vom Wähler abgestraft zu werden? Fragen über Fragen, und Venedey hat es natürlich leicht, den Finger in die Wunde zu legen, denn seine Freien Wähler treten bei der Landtagswahl gar nicht an.

Wir schaffen das?

Heute heißt es in den bürgerlichen Wohnvierteln: Flüchtlinge notfalls ja, aber auf keinen Fall bei uns. Die Kölner Silvesternacht war für viele ein – oft willkommener – Anlass, sich endgültig von humanitären Lippenbekenntnissen zu verabschieden und sich ihren irrationalen Ängsten zu überlassen.

Wie irrational diese Ängste sind, erläuterte bei der Gemeinderatssitzung der Konstanzer Polizeipräsident Ekkehard Falk. Die Kriminalitätsrate von Flüchtlingen ist in und um Konstanz schlichtweg nicht höher als die Kriminalitätsrate der einheimischen Bevölkerung, und das in allen Altersgruppen. All’ die Gerüchte über Massenvergewaltigungen in den Lagern, massenhaften Ladendiebstahl, Gutscheine für Bordellbesuche oder einen Maulkorb für die Polizei seien eben haltlose Gerüchte, nichts habe bisher einer polizeilichen Überprüfung standgehalten. Die Polizei Konstanz gehe jeder Anzeige nach und sei bisher auf nichts Nennenswertes gestoßen.

Desinformation?

Der Südkurier kriegte dieses Mal von verschiedenen Seiten sein Fett weg. Bürgermeister Andreas Osner und Oberbürgermeister Uli Burchardt kritisierten die vom Südkurier veranstaltete Bürgerdiskussion vor einer Woche am Hörnle, bei der es hoch herging. Osner beklagte die Aggressivität der Gegner der Flüchtlingsunterkunft bei diesem Event. Vertreter von „Save me“ sowie Flüchtlinge hätten dort Angst gehabt (höhnisches Gelächter aus dem Publikum, das mehrheitlich aus Gegnern der Flüchtlingsunterkunft bestand; jemand im Publikum sagte, wenn ich’s richtig verstand, „die sollen sich nicht so haben, diese Weicheier“). Uli Burchardt hingegen war sauer, dass ihm eine Gemeinderätin vorgeworfen hatte, dort nicht selbst angetreten zu sein: Der Südkurier hat ihn nach seinen Worten schlichtweg nicht rechtzeitig eingeladen, und auch Osner war erst zwei Tage vorher gefragt worden. Selbst den Landkreis einzuladen, der letztlich über die Flüchtlingsunterkünfte entscheidet, hat Jörg-Peter Rau vom Südkurier nach Osners Angaben vergessen, Harald Nops vom Landratsamt sei dort nur als Privatmann anwesend gewesen.

Osner zeigte sich auch genervt von einem Zwischenruf aus dem Gemeinderat, er habe bei dieser Versammlung nur geredet, statt Bürgerfragen zu beantworten. Man kann es ihm nicht verdenken: Einerseits schreit alles nach mehr Information, andererseits wird ihm, wenn er zehn Minuten lang Fakten referiert, vorgeworfen, er höre den Bürgern nicht zu.

Handwerkliche Fehler des jugendlich-spontanen Herrn Rau also? Das publizistische Konzept, die Debatte zu emotionalisieren, sei für den Südkurier aufgegangen, meinte Osner. Erst als das Stichwort „Hörnle“ in der Zeitung aufgetaucht sei, habe der Ärger angefangen, vorher habe monatelang niemand etwas gegen einen Standort in dieser Gegend gehabt. Auch Stadträtin Anne Mühlhäußer (FGL) ermahnte den Südkurier, genauer zu berichten: Kinder hätten sie gefragt, ob sie wegen der Flüchtlinge nächsten Sommer nicht zum Baden ans Hörnle dürften. Sie forderte, die Debatte sachlicher zu führen, und endete mit dem denkwürdigen Satz: „Bis die Welt insgesamt nicht gerechter geworden ist, müssen wir uns den Flüchtlingsströmen stellen.“

Alternativgelände? Fehlanzeige!

Die Gegner der Flüchtlingsunterkunft auf dem TC-Gelände hatten sich auch darüber erregt, dass die Stadt ein ihr vom Getränkehändler Kountz angebotenes Gelände nicht als Alternativstandort in Betracht gezogen habe. Das stellte sich in einem Telefonat zwischen dem Oberbürgermeister und Kountz allerdings schnell als Luftnummer heraus: Kountz hatte das Grundstück zwar angeboten – aber nicht der Stadt, die davon bis dato überhaupt nichts wusste, sondern nur dem dafür auch zuständigen Landkreis. Man merkt schon, hier läuft eine Debatte gezielt und absehbar aus dem Ruder…

Stadt Konstanz ohne Handlungsspielraum

Einige Punkte stellte die Verwaltung ganz unmissverständlich klar: 1. Die Erstunterbringung von Flüchtlingen ist Sache des Landkreises, die Stadt kann dem Kreis nur durch Vorschläge oder das Verpachten von Grundstücken zuarbeiten. 2. Dass der Landkreis wegen des dortigen Untergrundes kein Interesse am Konstanzer Flugplatz mehr hat, sondern Notunterkünfte lieber auf dem Parkplatz am Schwaketenbad errichtet, wo es einen festen Untergrund und die entsprechenden Leitungen bereits gibt, ist ausschließlich Sache des Landkreises, nicht der Stadt. 3. Die Stadt wird nicht offen über Gespräche mit Grundstückseigentümern berichten, weil sie damit solche Verhandlungen gefährden würde. 4. Da für Gemeinschaftsunterkünfte der Landkreis zuständig ist, muss die Stadt dazu auch keine Bürgerbeteiligung durchführen. 5. Da weiterhin massenhaft Flüchtlinge zu erwarten sind, ist das Gerede von der Suche nach und der Debatte über Alternativstandorte sinnlos: Es geht nur noch um die zeitliche Reihenfolge, in der die Flächen bebaut werden. 6. Man braucht nach den derzeitigen Schätzungen in Konstanz bis Ende 2016 etwa 1772 bis 2583 Plätze für Flüchtlinge. Nur bei intensiver Bautätigkeit können ein oder zwei Turnhallen in diesem Jahr vielleicht wieder freigegeben werden.

Das sind die Eckpunkte aller Debatten über die lokale und regionale Flüchtlingspolitik in den nächsten Monaten und Jahren. Und an denen kann auch der Konstanzer Gemeinderat nicht rütteln.

O. Pugliese