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“Bürgerfragestunde”: Gemeinderat schränkt Rederecht für EinwohnerInnen ein

OB beim Jahresempfang

OB im Gespräch mit KonstanzerInnen. Im Gemeinderat scheinen ihm Fragen eher lästig zu sein (Bild: konstanz.de).

Bürgernähe, Offenheit, Transparenz – das sind die Attribute, mit denen der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt sich selbst am liebsten in Verbindung bringt. Doch in der Realität hat dieses Bild schon häufig Schrammen abbekommen, zuletzt war es bei der Gemeinderatssitzung am vergangenen Donnerstag wieder soweit. Da wollte der OB von den Stadträten ein Votum für eine Änderung der Geschäftsordnung, unter anderem sollte der Paragraph 21a umformuliert werden. Der regelt das Recht von “Einwohnerinnen und Einwohnern” bei Ratssitzungen während einer “Bürgerfragestunde” ihre Anliegen vorzubringen. Dieses Recht wird durch die Neufassung empfindlich eingeschränkt. Zum einen sollen Beiträge sich nur noch „auf das Aufgabengebiet des Gemeinderats oder des Oberbürgermeisters beziehen und für eine Behandlung in öffentlicher Sitzung geeignet sein“. Außerdem dürfen zukünftig nur „zwei Angelegenheiten“ in nicht mehr als drei Minuten angesprochen werden, Nachfragen sind nicht mehr möglich. Und auch die Antwortpflicht der Verwaltung will Burchardt lockern.

Für die Linke Liste eine nicht zu akzeptierendes Einschränkung von Mitsprachemöglichkeiten. Stadträtin Anke Schwede protestierte gegen die geplante Neuformulierung und forderte die Mandatsträger auf, den Antrag abzulehnen: “Die Änderung der Geschäftsordnung des Gemeinderates Konstanz sieht unter anderem vor, das Rederecht bzw. die Redezeit von Bürgerinnen und Bürgern zu beschneiden – diesem Ansinnen werden wir nicht zustimmen”. Es sei nicht hinnehmbar, “das Rederecht von Bürgerinnen und Bürgern in der Fragestunde auf nur zwei Themen mit jeweils drei Minuten Redezeit zu beschränken”. Die Formulierung „Von einer Beantwortung von Fragen muss abgesehen werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen einzelner erfordern oder wenn sie nicht den Bereich der örtlichen Verwaltung betreffen“ sähe die Linke Liste “als Gummiparagraphen, der abzulehnen ist.” Die LLK-Stadträtin weiter: “Als bürgernah und demokratisch lässt sich der vorliegende Vorschlag der Verwaltung wahrlich nicht bezeichnen, zumal die Fragestunde bisher nur in einigen wenigen Ausnahmefällen ‘überstrapaziert’ wurde.”

Da die Geschäftsordnung noch in einem anderen Punkt geändert werden sollte, beantragte Schwede, über den Paragraphen 21a getrennt abzustimmen, eine knappe Mehrheit stimmte dem zu. Für die vom Oberbürgermeister gewollte Änderung des Paragraphen votierte allerdings dann eine große Mehrheit der Ratsmitglieder. BürgerInnennähe sieht anders aus.

Jürgen Geiger

„Es bleibt wohl nur die Revolution“ – Einblick in rechtliche und ökonomische Auswirkungen von TTIP

Demokratie statt Konzernmacht! Stoppt TTIP, TISA, CETA!In ihrem Vortrag am 14. Oktober im Treffpunkt Petershausen konnten die beiden Aktiven aus der Linksjugend [‘solid] Konstanz, Simon Pschorr und Simon Buchwald, ihren Zuhörern wahrlich keine freudigen Botschaften mitteilen. Als Studierende der Rechtswissenschaft und der mathematischen Finanzökonomie besaßen sie aber ideale Voraussetzungen, um kenntnisreich über ein Thema zu referieren, das seit Monaten die politische Diskussion in Europa anheizt: Die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und CETA (Kanadisch-Europäisches Freihandelsabkommen) in ihren internationalen juristischen und ökonomischen Auswirkungen.

Diese Verträge werden zwar schon seit vielen Monaten durch ein breites Spektrum europäischen Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und linker Parteien kritisiert; auch in Konstanz hat sich unter Beteiligung der Linken Liste und der Linksjugend ein lokales Bündnis gegründet, das am europäischen Aktionstag am 11. Oktober erfolgreich mehrere hundert Unterschriften für eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP sammeln konnte. Allerdings waren sich die beiden Referenten einig, dass der massive Protest durch eine intensive Diskussions- und Informationskampagne begleitet werden sollte, denn TTIP und andere Freihandelsabkommen dieser Art stellten nur die nächsten Schritte auf einem Weg in der Entwicklung des modernen Kapitalismus dar, der zunehmend die Lebensgrundlagen von Menschen weltweit gefährdet. In diesem Sinn konnten die beiden Studierenden an jenem Abend sicherlich Aufklärungsarbeit leisten.

Ein Gericht, das keines ist, als Interessenvertretung der Wirtschaftsmächtigen

Simon Pschorr führte zunächst aus, wie sich der umstrittene Investitionsschutz als geplanter Bestandteil von TTIP historisch entwickelte. Erstaunlicherweise 1959 in der BRD erfunden, sollten diese Schutzregelungen in erster Linie Investitionen westlicher Unternehmen in politisch instabilen Ländern sichern und der einheimischen Wirtschaft neue Märkte eröffnen. Neben Klauseln, die willkürliche Enteignungen verbieten und die Bevorzugung von Investoren anderer Staaten durch das betreffende Land ausschließen sollten, bewertete Pschorr besonders die sogenannten „Umbrella-Clauses“ sehr kritisch. Diese sollen alle Praktiken eines Staates verhindern, die gegen Treu und Glauben verstoßen, also die Gewinnerwartungen durch Investitionen in ihrem Wert gefährden – eine Regelung, die durch findige Wirtschaftsjuristen buchstäblich in jeder denkbaren Art ausgelegt werden kann und die somit alle wirtschaftspolitisch relevanten staatlichen Maßnahmen betrifft. Damit wird der rechtliche Status quo zum Zeitpunkt einer Freihandelsvereinbarung festgeschrieben und die demokratische Entscheidungsgewalt eines gesamten Staates extrem eingeschränkt.

Dies wird dadurch ermöglicht, dass Streitigkeiten über die Verletzung von Investitionsschutzabkommen vor dem ICSID (Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten) beigelegt werden, nach Pschorrs Worten „die wahnwitzigste Einrichtung, die die Rechtsprechung jemals hervorgebracht hat.“ Weil nationale Gerichte der betroffenen Länder bewusst umgangen werden sollen, wurde diese internationale Gerichtshof eingerichtet, der im eigentlichen Sinne gar keiner ist: Statt Rechtsprechung findet Interessenvertretung statt, da die drei „Richter“ aus einem kleinen Zirkel renommierter wirtschaftsnaher Anwälte ausgewählt werden. Ein Prozessrecht wird vor jedem Fall neu bestimmt, Verhandlungen finden nicht öffentlich statt und es gibt keine Einheitlichkeit in der Entscheidungsfindung. Allerdings gewann dieser Gerichtshof seit den 90er Jahren erheblich an Bedeutung, als Firmen begannen, auf der Grundlage politischer Entscheidungen betroffener Staaten mit Erfolg Schadenersatzleistungen in Milliardenhöhe einzuklagen. Eine immer weiter steigende Zahl von Klagen (98 im vergangenen Jahr) belegt die wachsende Beliebtheit dieses „Geschäftsmodells“, das im CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada und wohl auch in TTIP als völkerrechtliche Verpflichtung der beteiligten Partner verankert werden soll.

 Konkurrenz und schrankenloses Wachstum: Die Ideologie hinter TTIP

Dass neben diesen düsteren Aussichten noch nicht einmal die wirtschaftlichen Auswirkungen von TTIP und Co. als positiv zu bewerten sind, legte Simon Buchwald in seinem Vortragsteil dar. Denn „es handelt sich bei TTIP um eine Handelsumlenkung“: Folge des Abkommens könne keine „aus dem Nichts“ entstandene neue Nachfrage nach Produkten aus dem gemeinsamen europäisch-amerikanischen Wirtschaftsraum sein, sondern die Sicherung des Wohlstands der „westlichen Welt“ im Wettbewerb mit aufstrebenden Schwellenländern stelle das eigentliche Ziel dar. Selbst die optimistischen Studien gingen von einem Rückgang des Handelsumfangs zwischen Europa/USA und verschiedenen Entwicklungs- und Schwellenländern von bis zu einem Drittel aus. Dies könnte sich noch verschärfen, je nachdem wie viele „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ wie Qualitätsstandards oder Umweltschutzregelungen zwischen den westlichen Partnern (nach unten) angeglichen werden. Preise und Absetzbarkeit neuer Produkte zwischen Europa und den USA würden so erhöht, während andere Länder auf dem hiesigen Markt das Nachsehen haben, sollten sie sich nicht den niedrigeren Standards anpassen.

Dies sei auch der Grund, weshalb die Welthandelsorganisation WTO oder die Doha-Runde der Entwicklungsländer nicht in die Verhandlungen miteinbezogen werden: Die Zielsetzung, welche die Verhandlungsführer verfolgten, umfasse ausschließlich die Wohlstandssicherung für „unsere“ Wirtschaftsregion, definiert als möglichst hohes Wirtschaftswachstum und hohe Profitraten der Konzerne ohne Rücksicht etwa auf die zunehmende soziale Spaltung in Arm und Reich. „Die Ideologie, die hinter diesen Abkommen steht, sieht den Staat als Hemmnis und als Problem für das Agieren auf dem Markt“, weshalb seine Gestaltungsmacht durch den Investitionsschutz weitgehend ausgeschaltet werden soll. So wird ein eigentlich sittenwidriger Vertrag auf Kosten Dritter geschlossen, nämlich sowohl zum Nachteil der BürgerInnen in den USA und der EU als auch der Entwicklungs- und Schwellenländer.

 Aktionsmöglichkeiten: Bewahren wir uns eine selbstbestimmte Zukunft!

In der anschließenden Diskussion nach den beiden Vorträgen wurde vor allem die Frage erörtert, welche Möglichkeiten der Zivilgesellschaft gegeben sind, um noch gegen TTIP vorzugehen: Da die Verhandlungen rechtlich abgesichert seien, so Simon Pschorr, könne man nur die Hoffnung in einen Erfolg der neuen Europäischen Bürgerinitiative setzen; diese setzt vor dem eigentlichen Abschluss des Abkommens zu dessen Verhinderung an, während es danach extrem schwierig sein könnte, die negativen Folgewirkungen einzudämmen. Dann bleibe „nur die Revolution“, denn sogar eine Ewigkeitsklausel sei in der Diskussion, um die Vereinbarungen in TTIP unumkehrbar zu machen.

Notwendig sei eine weitere Politisierung und Sensibilisierung der Bevölkerung für die Materie, deren Verständnis für die hochkomplexen juristischen Zusammenhänge häufig fehlt und die die Bedrohung noch nicht richtig erfasst. Neben einer intensiven Unterschriftensammlung müsse man ebenso auf öffentliche Mandatsträger schon auf Gemeinde- und Kreisebene Druck ausüben, sich gegen TTIP auszusprechen. Es gelte, auch ihnen die Ansage zu vermitteln: „Es kann nicht sein, dass wir uns die Zukunft nehmen lassen!“ Ein Appell, der als bleibende Botschaft dieses Abends sicherlich allen Zuhörern im Gedächtnis bleiben wird.

Konstantin Eisel

Herosé-Park: Bürger auf den Barrikaden

Herosé-Park

Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Petershausen malt im Gemeinderat Horrorszenarien – sind brave BürgerInnen im Herosé-Park nächtens nicht mehr sicher? (Bild: Assenmacher, Wikipedia.)

Gerade im Sommer ist die Rheinuferpromenade ein beliebter Treffpunkt der Konstanzer und Konstanzerinnen, was die Anwohner der schmucken Häuser auf dem ehemaligen Herosé-Areal an der Reichenaustraße auf die Barrikaden treibt. Sie berichten von Lärm, Vandalismus und Scherben und fühlen sich von Polizei und Verwaltung im Stich gelassen.

Wie viele verschiedene Perspektiven auf die Situation an der Rheinpromenade und an der Seestraße es gibt, wurde in der letzten Gemeinderatssitzung deutlich. Während Anlieger von Zerstörungs- und Gewaltorgien berichten, sieht die Polizei die Lage eher entspannt, und die Stadt, die gerade die Einrichtung eines kommunalen Ordnungsdienstes prüft, zeigt sich hilflos.

Für Hans-Rudi Fischer, den Leiter des Bürgeramtes, steht die rechtliche Situation im Vordergrund: Er braucht eine gesetzliche Grundlage, auf der er Entscheidungen treffen kann, die – anders als das vom Verwaltungsgerichtshof gekippte Konstanzer Glasverbot – auch vor Gericht Bestand haben. Und hier gibt ihm der Gesetzgeber nach seinen Aussagen nicht allzu viel an die Hand, der öffentliche Raum gehört – mit Einschränkungen – allen Bürgerinnen und Bürgern, auch wenn diese mal über die Stränge schlagen.

Alfred Reichle vom Konstanzer Polizeirevier wiederum gilt das Gebiet an Seerhein und Seestraße als nicht kriminalitätsbelastet, denn in einem Jahr wurden dort lediglich 10 Straftaten registriert; auch der Vandalismus hält sich für ihn zwischen Rheinufer und Reichenaustraße in Grenzen, und 2014 ist die Konstanzer Polizei lediglich einige Male zu Einsätzen wegen nächtlicher Ruhestörung dorthin ausgerückt. Allerdings sind die Möglichkeiten der Polizei begrenzt, denn nachts sind in Konstanz nur drei Streifen im Einsatz, die weder zeitnah anrücken noch Dauerpräsenz zeigen können. Aus Sicht der Polizei wird es problematisch, wenn Menschen in größerer Menge auftreten, aber nach Reichles Angaben ist die Polizei ohnehin ziemlich machtlos, weil gesetzliche Instrumente wie Glas- und Alkoholverbote nicht zur Verfügung stehen. Angesichts der von ihm geschilderten Personalsituation dürfte allerdings auch offen sein, ob solche Verbote, wenn es sie denn gäbe, tatsächlich durchzusetzen wären, so lange nächtliche Parties noch nicht als Kapitalverbrechen gelten.

Sodom und Gomorrha am Seerhein?

Ein ganz anderes Bild zeichnete in einem Lichtbildervortrag Christian Millauer von der Bürgergemeinschaft Petershausen: Es sei vor allem das schlechte Wetter dieses Sommers gewesen, das zu einer Entspannung der Lage geführt habe, außerdem hätten viele Anwohner resigniert und griffen gar nicht erst zum Telefonhörer, um die Polizei zu informieren. Runde Tische, Nachtwanderer, Gesprächsrunden, das alles habe nichts an der Situation geändert, und die sei geprägt von Lärm, verbotenem Grillen, betrunkenen Erwachsenen, Vandalismus und wahren Urinseen. Er beklagte, dass es zwar alle möglichen Ge- und Verbote gebe, dass aber niemand da sei, der deren Einhaltung durchsetze. So hätten die Anwohner sich gezwungen gesehen, auf eigene Kosten eine Security anzuheuern (zorniges Getuschel auf den Zuhörerbänken: “Das geht alles auf unsere Kosten, das soll die Stadt zahlen.”).

Die Forderungen der Bürgergemeinschaft laufen auf den starken Staat in Form eines ab 21 Uhr ständig anwesenden kommunalen Ordnungsdienstes oder auf einen rechtlich fragwürdigen und vom Gemeinderat mehrheitlich abgelehnten, von der Stadt zu finanzierenden privaten Sicherheitsdienst hinaus. Verstöße jedenfalls müssten sofort mit Bußgeldern oder Platzverboten geahndet werden. Den nächtlichen kommunalen Ordnungsdienst befürwortet die Bürgergemeinschaft nicht erst für 2016, wie das derzeit in Erwägung gezogen wird, sondern sie will schon für 2015 zumindest eine (Zwischen-) Lösung.

Der Präventionsrat soll’s richten

Von Grünen und SPD wurde auf den frisch eingerichteten Präventionsrat verwiesen, in dem Bürgervertreter zusammen mit Studenten, Polizei, Verwaltung und anderen Institutionen nach Lösungsvorschlägen suchen sollen. Andreas Ellegast (CDU) kommentierte das trefflich mit “Wenn Du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis”. Insgesamt stieß die Debatte bei den hörbar erbosten Bürgerinnen und Bürgern im Publikum auf wenig Gegenliebe, denn es gab immer wieder Kommentare wie “Alles nur dummes Geschwätz und kein einziger Vorschlag”. Erst als Matthias Schäfer (JFK) eine massive Erhöhung des Flaschenpfandes forderte, um der Glasscherben Herr zu werden, gab es von den Rängen zustimmendes Geraune, aber man darf wohl bezweifeln, ob ein vom Alkohol inspirierter Mensch des nächtens darauf verzichtet, eine Glasflasche gegen eine Hauswand zu werfen, wenn die Glasflasche 50 Cent statt wie bisher 8 Cent kostet – Generaltugenden wie die Sparsamkeit sind nach Mitternacht nur bei Menschen handlungsleitend, die schon tief und fest schlummern.

Den politisch Schuldigen konnte dank seines Adlerauges Roger Tscheulin (CDU) ausmachen: Die rot-grüne Landesregierung, die die nötigen Gesetze nicht erlasse, um hier mal klare Kante zu zeigen. Tscheulins Äußerung lässt vermuten, dass eine eventuelle CDU-Regierung in Stuttgart die Kavallerie in Marsch setzen wird, um unter den Missetätern gründlich aufzuräumen. Eine etwas weniger martialische Lösung kann sich Ewald Weisschedel (FWK) vorstellen: Er schlug ein begrenztes Glas- sowie ein Alkoholverbot ab 23 Uhr vor.

Die Stadt zeigt sich machtlos

Oberbürgermeister Uli Burchardt beraubte die Anwohner schließlich aller Hoffnungen. Er sagte, die Verwaltung habe keine Mittel, die Nachtruhe durchzusetzen, und er selbst glaube auch nicht an die Wirkung von Präventionsmaßnahmen. Er sieht nur einen Weg, nämlich den Ministerpräsidenten am Ende doch noch umzustimmen, entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Nach seinem Eindruck habe Winfried Kretschmann – anders als seine Partei – durchaus Verständnis für das Anliegen vieler Städte, und vielleicht höhle steter Tropfen ja doch noch den Stein.

Am Ende also bleibt alles erstmal beim Alten im Kampf zwischen den Interessen der bessergestellten Anwohner und denen einer (gelegentlich ziemlich alkoholisierten) Öffentlichkeit, die sich ihren Platz an der nächtlichen Sonne so bald nicht nehmen lassen wird. Aber vielleicht liegt der Weg zu einer Lösung ja auch ganz woanders? Ein Stadtrat jedenfalls erinnerte an alte Zeiten: “Als wir noch jung waren, gab’s solche Probleme gar nicht erst, denn da konnte man noch überall an den See!”

O. Pugliese

Umstrittenes Jubiläum: Jetzt auch noch ein Konstanzer Konzilspreis

Konzilspreis - Siegertrophäe

Wir hätten da einen Vorschlag für die Siegertrophäe…

Mit dem „Konstanzer Konzilspreis. Preis für Europäische Begegnungen und Dialog“ will Konstanz auf lange Sicht unter die international beachteten Preisverleiher aufsteigen und seinen Namen alle zwei Jahre wieder in alle Welt tragen. Aber nicht allen Volksvertreterinnen und -vertretern im Konstanzer Gemeinderat schien dieses Vorhaben schlüssig.

Ein bisschen Größenwahn wabert gelegentlich durch den Konstanzer Gemeinderat, insbesondere, wenn es um die weltgeschichtliche Bedeutung des Konzils geht („wichtigstes Ereignis des Mittelalters“). Ein wenig davon war auch bei der Debatte über den Konzilspreis zu spüren. Oberbürgermeister Uli Burchardt ist die Angelegenheit sichtlich ein Herzensanliegen, für ihn knüpft der Preis an die Bedeutung der Stadt für das Konzil an, das die Spaltung des Abendlandes beendete und für ihn „das wichtigste Ereignis in Baden-Württemberg seit 2000 Jahren“ ist. Der Preis soll von einem Kuratorium aus 40 Mitgliedern vergeben werden, Preisträger oder Preisträgerin soll ein berühmter Pate an die Seite gestellt werden, der auch die Laudatio hält.

Eine Preisverleihung als Marketingidee?

Ziel der Preisverleihung sind Eigenlob und Stadtmarketing: „Der Preis hält die Erinnerung an das Konstanzer Konzil über 2018 hinaus lebendig und führt die europäische Schwerpunktsetzung des Jubiläums fort. So wie das Konziljubiläum der Stadt Konstanz der Vielfalt der historischen Themen gerecht werden möchte, so will auch der Konzilspreis nicht nur einem Teilaspekt des Konzilsgeschehens verpflichtet sein. Indem er positive ebenso wie negative Momente des historischen Ereignisses aufgreift, vertritt er glaubwürdig sein eigenes Programm, nämlich solche Initiativen zu fördern, die der europäischen Idee als Begegnung und Austausch unterschiedlicher Kulturen, Perspektiven und Meinungen dienen.“ Der Preis soll mit 10.000 € dotiert werden und an Personen, Institutionen oder Initiativen verliehen werden, „die sich in besonderer Weise für ein Europa der Begegnung einsetzen, in besonderer Weise den interkulturellen Austausch in Europa fördern und einen substantiellen Beitrag zur Diskussion der Zukunftsfragen von Europa leisten. Im Fokus stehen vornehmlich Leistungen aus den Bereichen zivilgesellschaftliches Engagement, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Politik und Wirtschaft.“ Auch vor offener Geschichtsklitterung schrecken die Väter und Mütter des Preises nicht zurück: „Das Konstanzer Konzil war geprägt vom kollektiven Willen zur Diskussion und Einigung über eine Verständigung über Sprach- und Glaubensgrenzen hinweg. Es dient daher als Symbol für die Lösung von Konflikten im Dialog.“ Der Oberbürgermeister will durch die Preisverleihung etwas von den Konzilfeierlichkeiten nachhaltig in die Zukunft hinüberretten und verspricht sich für diesen Preis über die Jahre europäisches Renommee.

Heftige Kritik am Konzilspreis

Diese rührselige Geschichte wollte Holger Reile (LLK) so nicht durchgehen lassen. „Aus Ihrer Vorlage tropft Pathos ohne Ende und auch die historische Einordnung ruft nicht nur bei Fachleuten heftiges Kopfschütteln hervor. Angeblich sei das damalige Konzil geprägt gewesen von – Zitat: „europäischer Gemeinsamkeit“ und man habe damals den „konziliaren Weg des Dialogs und der Begegnung“ beschritten – so der Text der beauftragten Werbeagentur. Mit Verlaub, das ist nichts anderes als eine teilweise Verdrehung der historischen Tatsachen und taugt kaum als Begründung für den Preis, der ja sogar nach internationaler Anerkennung giert. Vorrangig ging es damals um Machterhalt, um Geschäfte und um die Sicherung von Pfründen für einige wenige. Der große Rest, sprich die Normalbevölkerung, hatte nachweislich wenig davon. Und wer es wagte, die Dinge beim Namen zu nennen, landete bekanntlich auf dem Scheiterhaufen. So gesehen ist die angegebene Leitidee, Zitat: „Durch Begegnung und Verständigung Grenzen zu überwinden“ – ein ziemlich durchsichtiger Versuch, sich das Ganze im Nachhinein schönzureden.“

Bisher ist geplant, den Konzilspreis alle zwei Jahre zu vergeben und in den Zwischenjahren eine Auszeichnung, die an Jan Hus erinnert, zu verleihen. Reile schlug vor, den Konzilspreis komplett zu streichen und es bei der Hus-Auszeichnung zu belassen zur „Erinnerung an den Mut eines Einzelnen gegen staatliche und kirchliche Repression“. Anselm Venedey (FWK) liegt Jan Hus ebenfalls am Herzen, er sieht einen Hus-Preis für Gewissensfreiheit als ein deutliches Zeichen der Verständigung auch mit Osteuropa, will aber zusätzlich am Konzilspreis festhalten.

Die Verwaltung hat den Rat übergangen

Gisela Kusche (FGL) erboste mit Recht ein anderer Aspekt des Vorgehens der Verwaltung: Ruth Bader, die Geschäftsführerin des städtischen Eigenbetriebes Konzilstadt Konstanz, hat bereits Einladungen für die Präsentation des Preises und die erste Kuratoriumssitzung am 5. November verschickt (zu der angeblich auch der Bundespräsident erwartet wird), und dies, bevor der Gemeinderat überhaupt die Einrichtung des Preises beschlossen hat. Das ist in der Tat eine ausgemachte Dreistigkeit in einer Demokratie, in der bekanntlich das gewählte Stadtparlament und nicht die Verwaltung das Sagen hat.

Jürgen Ruff formulierte die Bedenken der SPD, der Preis werde ganz einfach angesichts der Vielzahl an Preisverleihungen untergehen. Er forderte, den Preis durch das Einwerben von Drittmitteln kostenneutral zu gestalten und kein städtisches Geld dafür auszugeben. Geplant ist, im Jahre 2018 eine Stiftung zu gründen, in die dann eine Million Euro fließen sollen, woher diese Summe erwartet wird, wurde allerdings nicht ganz klar, offenkundig hofft man auf großzügige Geber, wie sie eigentlich immer ausbleiben, wenn man sie braucht. Hanna Binder (SPD) kritisierte, dass man sich über Inhalte des Preises bisher zu wenig Gedanken gemacht habe, und forderte, man müsse einen wirklich bekannten ersten Preisträger gewinnen. Am Ende stimmte die SPD in einer ihrer typischen Kippvolten, nachdem sie den Preis zuerst ausführlich kritisiert hatte, ihm dann aber doch zu. Es gab insgesamt 8 Gegenstimmen – von der Linken Liste, dem JFK und einigen Versprengten. Eine Mehrheit von 21 Stimmen beschloss allerdings, dass für die Preisverleihung keine städtischen Mittel ausgegeben werden dürfen, und immerhin rechnet man mit jährlichen Kosten zwischen 12.000 und 58.000 Euro.

Damit ist die Welt um einen Preis reicher, den nun wirklich niemand braucht.

O. Pugliese

WORTLAUT: Holger Reile zum Konzilspreis

Liebe Gäste, Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen,
wer Ihren salbungsvollen Worten lauscht, muss den Eindruck gewinnen, dass die Welt seit rund 600 Jahren auf diesen Preis wartet. Wir werden nicht zustimmen und zwar aus folgenden Gründen:

Aus Ihrer Vorlage tropft Pathos ohne Ende und auch die historische Einordnung ruft nicht nur bei Fachleuten heftiges Kopfschütteln hervor. Angeblich sei das damalige Konzil geprägt gewesen von – Zitat: „europäischer Gemeinsamkeit“ und man habe damals den „konziliaren Weg des Dialogs und der Begegnung“ beschritten – so der Text der beauftragten Werbeagentur. Mit Verlaub, das ist nichts anderes als eine teilweise Verdrehung der historischen Tatsachen und taugt kaum als Begründung für den Preis, der ja sogar nach internationaler Anerkennung giert. Vorrangig ging es damals um Machterhalt, um Geschäfte und um die Sicherung von Pfründen für einige wenige. Der große Rest, sprich die Normalbevölkerung, hatte nachweislich wenig davon. Und wer es wagte, die Dinge beim Namen zu nennen, landete bekanntlich auf dem Scheiterhaufen. So gesehen ist die angegebene Leitidee, Zitat: „Durch Begegnung und Verständigung Grenzen zu überwinden“ – ein ziemlich durchsichtiger Versuch, sich das Ganze im Nachhinein schön zu reden.

Dann der Namensvorschlag: „Europäischer Konzilspreis der Stadt Konstanz“ – noch langweiliger und dröger geht es wohl kaum und versprüht bestenfalls den Charme einer ausgebeinten Telefonzelle, deren Strahlkraft voraussichtlich am Ortsende von Stockach ihr Ende findet. Preise in dieser B- oder C-Kategorie gibt es haufenweise und sich da einzureihen, halten wir nicht für sinnvoll, vor allem, wenn man den Aufwand sieht, der mit dem Preis verbunden ist.

Bleiben wir beim Thema Aufwand: Ein Kuratorium, bestehend aus 40 Personen, soll gegründet werden, natürlich prominent besetzt und ein ebenso prominenter Pate wird gesucht.Wäre Marlon Brando noch am Leben – ich könnte mir keinen besseren vorstellen. Eine Stiftungsgründung ist im Gespräch und man möchte dafür bis zu eine Million Euro einwerben. Dass die Stadt Konstanz dann sicher auch zur Kasse gebeten wird, ist zu befürchten. Glauben Sie wirklich, dass sich dieser immense Aufwand lohnt?

Ein Letztes noch: Alternierend zum Konzilspreis – der alle zwei Jahre vergeben werden soll – möchte man in ungeraden Jahren eine Auszeichnung verleihen, die an Jan Hus erinnert. Der Mann, mit dem die meisten das Konstanzer Konzil verbinden, soll also sozusagen als Lückenbüßer den übergeordneten Konzilspreis veredeln. Ich würde Ihnen vorschlagen, kleinere Brötchen zu backen: Streichen Sie den Konzilspreis und das dazugehörige Brimborium und belassen Sie es bei einer Verleihung einer Hus-Medaille in Erinnerung an den Mut eines Einzelnen gegen staatliche und kirchliche Repression. Auch wenn das zum Teil krude Weltbild des Jan Hus nicht in unsere Zeit passt – darüber könnte man reden. Aber Ihnen steht offensichtlich der Sinn nach vermeintlich Größerem und dafür erhalten Sie zumindest von uns keine Zustimmung.

Habemus puteum – wir haben einen Brunnen!

Münsterplatz in Konstanz

Salomonische Lösung: der umstrittene Brunnen kommt auf den Münsterplatz (Bild: Rizzo, eigenes Werk [GFDL oder CC-BY-3.0], via Wikimedia Commons)

Eigentlich war im Gemeinderat ja angesichts der avisierten Kostensteigerungen mit einem Hauen und Stechen um die Gestaltung der Hofhalde und die Aufstellung des ehemaligen Münsterbrunnens zu rechnen, der seit Jahren im Lager steht. Doch Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn zog eine verblüffende Lösung aus dem Ärmel, die vom Gemeinderat abgesegnet wurde: Der Brunnen wird wieder vor dem Münster aufgestellt.

Der Tagesordnungspunkt 3.8 der gestrigen Sitzung des Konstanzer Gemeinderates hatte einen unheilvollen Titel: „Hofhalde Projektbeschluss Kostenerhöhung“, denn wenn die Kosten für ein Vorhaben explodieren, ist im Allgemeinen mit erregten Debatten und einem ungemütlichen Nachmittag für die Verantwortlichen in der Verwaltung zu rechnen. Einer der Abstimmungsvorschläge sprach von Mehrkosten in Höhe von 278.000 € für die Aufstellung des Brunnens auf der Hofhalde, während andere Vorschläge für die Hofhalde gleich ganz auf den Brunnen verzichten wollten.

Auch der Künstler stimmt zu

Aber Karl Langensteiner-Schönborn hat sichtlich etwas mehr als nur seine Hausaufgaben gemacht und zog eine überraschende Lösung aus dem Ärmel, die er unter anderen auch schon mit der Feuerwehr, dem Kunstverein und dem Künstler selbst abgestimmt hat. Der Künstler Franz Gutmann hat nämlich bei der Aufstellung des Brunnens ein erhebliches Wort mitzureden und wollte den Brunnen im Bereich des Münsters belassen, und diesen Gefallen wird ihm die Stadt jetzt tun. Dazu geschieht gleich noch ein weiteres Wunder: Das alles soll deutlich weniger kosten als bisher angenommen, es stehen jetzt 130.000 € im Raum.

Der Plan klingt so einfach, als hätte man eigentlich schon längst drauf kommen müssen. Im Kellerraum unter der Pyramide vor dem Münster ist genug Platz, auch noch die Technik des Brunnens kostengünstig einzubauen, so dass man nur noch 12 Meter lange Leitungen an den künftigen Standort schräg links vor dem Münster legen muss. Langensteiner-Schönborn war sichtlich erleichtert über diese Lösung, denn er gab zu, dass die Hofhalde nur eine Notlösung gewesen sei, um den Brunnen nicht endgültig abzuschreiben. Außerdem wies er darauf hin, dass vor dem Konstanzer Münster seit Jahrhunderten Brunnen geplätschert hätten, so dass dies ohnehin der natürliche Standort des Brunnens sei.

FGL kritisch

Dieser Vorschlag, mit einigen Bildern illustriert, erzeugte teils Verblüffung, teils Euphorie. Bei Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL) überwog erst einmal die Verblüffung, und sie hatte die Zeichen der Zeit offenkundig nicht erkannt, als sie in ihrem Redebeitrag darauf abhob, dass man doch schon 2007 beschlossen habe, den Brunnen nicht wieder auf dem Münsterplatz aufzustellen. Sie rief dem Bürgermeister zu, von der FGL werde er keinen Freifahrtschein für seine Brunnenpläne erhalten. Auch der Grüne Peter Müller-Neff sprach sich deutlich gegen den Brunnenstandort vor dem Münster aus, weil er findet, der Münsterplatz wirke dadurch überladen. Gisela Kusche (FGL) hingegen erklärte, „so kann man mit uns nicht umspringen“, sie fühlte sich von der Verwaltung überfahren und wollte die Abstimmung verschieben, und in der Tat hatten die Rätinnen und Räte keine Unterlagen zu diesem neuen Vorhaben erhalten, das sich nach angaben des Bürgermeisters erst an diesem Tage herauskristallisiert hatte.

Ansonsten waren die Gemeinderätinnen und –räte aber mehrheitlich anderer Meinung als die Grünen: Anselm Venedey (FWK) bedankte sich ausdrücklich bei Karl Langensteiner-Schönborn, Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) witterte wieder einmal eine „große Chance“ für Konstanz („Jahrhundertchance“ ist bekanntlich für das Kongress- und Konzerthaus reserviert), und auch Michael Fendrich (FDP) findet, dass der Brunnen einfach vors Münster gehört – er schlug auch vor, die Stadt solle zur Finanzierung des Brunnens eine Spendenaktion starten, die sicher einiges einbringen werde. Außerdem wurden Stimmen wie die von Johannes Kumm (SPD) laut, die forderten, den Brunnen mit Frischwasser zu betreiben, aber es lässt sich unschwer absehen, dass das die Betriebskosten wohl in ungeahnte Höhen katapultieren dürfte (es war wahrscheinlich von jährlich 200.000 € für einen Frischwasserbetrieb die Rede, aber die Zahl war schwer zu verstehen).

Am Ende wurde der neue Standort vor dem Münster von einer Mehrheit und auch mit den Stimmen der Linken Liste beschlossen. Die Hofhalde muss jetzt also auch nach der Sanierung ohne einen Brunnen auskommen, und die Konstanzer erhalten ihr altes Münsterensemble zurück.

O. Pugliese

Krieg, Terror und Vertreibung in Syrien und im Irak: Was können wir tun?

Kobane_Demo_250x149Die dramatische Entwicklung der Auseinandersetzungen in Syrien und dem Irak treibt inzwischen (nicht nur) viele Linke um, die sich dem Grundsatz verpflichtet fühlen, Krieg und militärische Gewalt als Mittel der Politik zu bekämpfen. Was sind die richtigen Antworten der internationalen Gemeinschaft auf die brutalen Gewalttaten der Terrororganisation “Islamischer Staat”, wie kann der Widerstand vor allem der KurdInnen in der Region am besten unterstützt werden? Welche Rolle spielen die USA und die EU-Staaten in dem Konflikt, welche Interessen verfolgen die Türkei und die arabischen Regionalmächte? Eine Diskussion solcher Fragen ist nötig, nicht nur wegen des millionenfachen Leids, das dieser jüngste Krieg über die Menschen in der Region gebracht hat. Denn vieles spricht dafür, das dieser Konflikt hierzulande genutzt werden soll, um die Weichen in der Außenpolitik endgültig neu zu stellen und alle bisher noch vorhandene Zurückhaltung in Sachen Kriegseinsätze fallen zu lassen. Grund genug, über den regionalen Rand hinauszublicken und eine Diskussion zu eröffnen. Den Anfang machen wir mit einer Erklärung der beiden Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Katja Kipping und Bernd Riexinger, angesichts der Zuspitzung des militärischen Konflikts um die kurdische Stadt Kobane.

Die Vereinten Nationen müssen das Heft des Handelns in die Hand nehmen
Die Lage im Norden Syriens und des Iraks ist dramatisch und spitzt sich täglich weiter zu. Unter dem Eindruck des Vormarschs der unter dem Namen „Islamischer Staat“ firmierenden Terrorban­den, angesichts schockierender Gewalttaten und einer Flüchtlings­welle, die droht, zu einer humanitären Katastrophe zu werden, und nicht zuletzt wegen der Unfähigkeit zweier gescheiterter Staaten, die brutalen Exzesse auf ihrem Staatsgebiet einzudämmen, fragen sich viele Menschen zu Recht, welche Mittel die internationale Gemeinschaft in der Hand hat, um der Gewalt ein Ende zu setzen.

Immer neue Militäreinsätze werden nicht helfen
Wir warnen vor der Vorstellung, dass es eine schnelle militärische Lösung dieses Konflikts gibt. Die mit den militärischen und oft genug völkerrechtswidrigen Interventionen des Westens verbunde­nen Allmachtsfantasien haben wesentlich dazu beigetragen, dass die arabische Welt heute von Krieg und Gewalt überzogen ist. Die militärische Interventionspolitik der Nato in Verbindung mit der gezielten und von geopolitischen Interessen geleiteten Destabili­sierung und Atomisierung von immer mehr Staaten ist im Irak und in Syrien spektakulär gescheitert. Ein dritter Irakkrieg ist ebenso wenig eine Lösung, wie eine neue kriegerische Intervention des Westens in Syrien.

Terrornetzwerke austrocken, Flüchtlingen helfen
Die Politik des Westens ist angesichts der Katastrophe in alten Mustern gefangen. Es ist ganz offensichtlich, dass die Türkei den Nato-Bündnisfall herbeiführen will, um die Nato als Bündnispartner für einen Krieg gegen Syrien zu gewinnen. Die türkische Regierung bekämpft lieber die Kurden im eigenen Land und im Norden Sy­riens, als die Grenzen für die IS-Terroristen zu schließen. Für den bekennenden Islamisten Erdogan ist der IS kein Feind, solange er nur die Kurdinnen und Kurden massakriert und das syrische Assad-Regime bekämpft. Es ist ebenso offensichtlich, dass die USA kein strategisches Interesse daran haben, den Kurdinnen und Kurden im Norden Syriens zu helfen, weil ihre primären Interesse nach wie vor der Sturz des Assad-Regimes und die politische Kontrolle über den Irak sind. Die maßgeblichen Nato-Akteure in der Region haben kein Friedensinteresse, sondern verfolgen einmal mehr eigene geopolitische Interessen auf dem Rücken von hunderttausenden Menschen. Der auch in Deutschland immer lauter werdende Ruf nach einer kriegerischen Einmischung des Westens führt in die Irre, weil er beständig die verheerenden Folgen der vergangenen Interventionen ignoriert. Die Aufgabe der LINKEN ist es nicht, in den Chor der Befürworter eines neuen militärischen Abenteuers einzustimmen. Mit der Mehrheit der Bevölkerung plädieren wir für einen Kurs der zivilen Intervention. Für DIE LINKE steht es außer Frage, dass die Region weder neue Waffen noch neue Soldaten braucht, sondern eine abgestimmte Politik der internationalen Gemeinschaft, die auf den Säulen Flüchtlingsschutz, humanitäre Hilfe und Austrocknung des Terrors aufbaut.

Wir schlagen ein Paket nichtmilitärischer Maßnahmen vor, für deren Planung und Umsetzung den Vereinten Nationen eine be­sondere Verantwortung zukommt:

Kipping_RiexingerFlüchtlingschutz in den Mittelpunkt
Der Schutz der Flüchtlinge und der Zivilbevölkerung muss oberste Priorität haben. Alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Selbstver­teidigungskräfte der gegen IS kämpfenden Kurdinnen und Kurden zu schwächen, sind insbesondere von der Türkei zu unterlassen. Die Türkei muss endlich die Grenzen zu den kurdischen Gebieten in Nordsyrien öffnen und die Grenze zu den IS-Gebieten schließen. Das würde den Menschen in Kobane am wirksamsten helfen, auch bei ihren Verteidigungsbemühungen. Für die Aufnahme und den Schutz der Flüchtlinge in der Grenzregion muss die internationale Gemeinschaft unter Führung der UN eine gemeinsame Kraftan­strengung unternehmen. Die betroffenen Anrainerstaaten dürfen nicht länger allein gelassen werden.

PKK-Verbot aufheben -Kurdische Selbstverwaltung anerkennen
Die kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens muss endlich als legitimer demokratischer Entwicklungspfad für die dort leben­den Menschen anerkannt werden. Wir wollen eine Aufhebung des PKK-Verbots.

Humanitär helfen, vor Ort und hier
Die humanitäre Hilfe für die aus Syrien und dem Irak geflüchteten Menschen muss massiv verstärkt werden. Die Vereinten Nationen sollten zu diesem Zweck die Überwachung des Grenzgebiets zu Irak und Syrien übernehmen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk muss direkten Zugang zum Grenzgebiet haben. Die westlichen Staaten müssen ein Vielfaches der derzeit zugesagten Zahl von Flüchtlin­gen aufnehmen, um die direkten Anrainerstaaten zu entlasten. Dazu müssen auch in Deutschland die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Kommunen brauchen entsprechende finanzielle Unterstützung.

Unterstützungsnetzwerke des IS kappen
Der IS muss von seinen Finanziers in der arabischen Welt und vom Handel mit Rohstoffen und Waffen effektiv abgeschnitten werden. Banken, die direkt oder indirekt an der Abwicklung des Zahlungs­verkehrs des IS beteiligt sind, muss mindestens die Banklizenz für die gesamte EU entzogen werden. Länder, aus denen der IS direkt oder indirekt unterstützt wird, müssen mit Sanktionen belegt werden. Das Nato-Land Türkei muss dazu gezwungen werden, die Grenzen für die IS-Terroristen vollständig zu schließen und die Unterstützernetzwerke im Land zu beseitigen. Andernfalls gibt es keinerlei Grundlage für einen EU-Beitritt des Landes. Ein Land, das seine Nato-Bündnispflichten im Umgang mit dem IS so eklatant verletzt wie die Türkei, kann auch keinen Anspruch auf Beistand geltend machen. Deshalb sind die in der Region stationierten Patriot-Raketen der Bundeswehr abzuziehen, um den Druck auf Erdogan zu erhöhen.

Friedensplan der Vereinten Nationen
Die internationale Gemeinschaft muss zu einem gemeinsamen Handeln finden. Dazu ist es notwendig, dass sich die beiden globalen Supermächte USA und Russland dazu bereit finden, ihre Konflikte beizulegen und über die Ausläufer des Kalten Krieges hinaus zu wachsen. Es gibt keine sinnvolle Alternative zu einem von den Vereinten Nationen getragenen Friedensplan.

Katja Kipping, Bernd Riexinger

Südbahn und Bodenseegürtelbahn: CDU/CSU/SPD im Ausschuss gegen Ausbau, Grüne enthalten sich

Triebzug am Bahnhof Bodman-Ludwigshafen

Triebzug am Bahnhof Bodman-Ludwigshafen. Regierung und Grüne verhindern erneut Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn (Bild: Frank Vincentz, eigenes Werk [GFDL oder CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons)

Die Fraktion der Partei DIE LINKE hat am 8. Oktober dem Verkehrsausschuß des Bundestags einen Entschließungsantrag vorgelegt, mit dem dringend erforderliche Maßnahmen zum Ausbau des Bahnnetzes auf den Weg gebracht werden sollen. Zu den sieben Projekten des Antrags gehört auch die seit Jahren überfällige, von der Bahn immer wieder verschleppte Elektrifizierung der sogenannten Südbahn zwischen Ulm und Friedrichshafen sowie der Bodenseegürtelbahn auf der Strecke Radolfzell–Friedrichshafen–Lindau. Dass die Ausschuß-VertreterInnen von CDU und SPD geschlossen gegen den Antrag votierten, mag nicht verwundern, dass sich die Abgeordneten der Grünen aber enthielten, ist völlig unverständlich, widerspricht dieses Abstimmungsverhalten doch diametral den Aussagen von Grünen-PolitkerInnen in der Region zur Bahnentwicklung.

In der Begründung für die geforderte Elektrifizierung von Südbahn und Bodenseegürtelbahn heißt es im Entschließungsantrag unter anderem: “Diese wichtige Verbindung wird bis heute rein mit umweltschädlichem Dieselantrieb befahren. Durch die Elektrifizierung entlang des Bodensees könnte außerdem eine rein elektrische Bodensee-S-Bahn alle Städte entlang des Bodensees verbinden und die Situation des ÖPNV dort erheblich verbessern.” Annette Groth, Linke-Abgeordnete aus dem Bodenseekreis, Mitglied im Verkehrsausschuss und Mitinitiatorin des Entschließungsantrags, verweist denn auch auf die Dringlichkeit und Bedeutung für die regionale und überregionale Verkehrsanschließung in der Bodenseeregion. Die Ablehnung des Vorhabens sei auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil “hier mit einem vertretbarem Aufwand ein hoher Nutzen erzielt werden kann”. Der Bund verfolge derzeit eine völlig falsche Investitionsstrategie für das Schienennetz der Eisenbahnen. “Bundesmittel fließen überwiegend in extrem teure Großprojekte, während für Nebenstrecken keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen.”

Groth kritisierte in diesem Zusammenhang auch, dass im Haushaltsentwurf von Finanzminister Schäuble für 2015 keine zusätzlichen Mittel für Maßnahmen des Bedarfsplans Schiene vorgesehen sind, sondern lediglich 300 Millionen Euro für die sogenannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) vorgesehen sind, mit der lediglich der aktuelle Bestand des Schienennetzes gesichert werden soll.

Für die Linke-Abgeordnete ist es unverständlich, “dass der Vorrang des Erhalts vor dem Neubau sich ausschließlich auf Schienenstrecken bezieht, während gleichzeitig bei Straßenprojekten sogar abseits der Haushaltsberatungen unterjährig 27 Projekte eine Baubewilligung erhalten.” Notwendig sei ein Aufbruch bei der Schiene und nicht im Straßenbau.

Redaktion

Singen: Gelungenes Fest für Flüchtlinge

Flüchtlingsfest in Singen

Kräftiges Zeichen der Solidarität: SingenerInnen heißen Flüchtlinge willkommen.

Mehr als 200 Menschen setzen am Samstag in Singen ein deutliches Zeichen der Solidarität. Sie waren dem Aufruf der Jugendorganisation der IG Metall und zahlreicher Gruppen und Organisationen gefolgt, Flüchtlinge in der Hohentwielstadt willkommen zu heißen. Das auch vom Kreisverband der Linken unterstützte Willkommensfest darf als voller Erfolg bezeichnet werden. Zahlreiche BürgerInnen demonstrierten ihre Unterstützung für die Menschen, die Krieg, Verfolgung und Not in zunehmender Zahl zur Flucht aus ihren Heimatländern zwingt. Auf dem Platz vor der Flüchtlingsunterkunft in der Friedinger Straße freuten sich die Betroffenen sichtlich über die Hilfsbereitschaft, es gab zahlreiche reichlich Sachspenden, viele UnterstützerInnen hatten Kuchen gestiftet. Unter einigen Mandatsträger, die teilnahmen, befand sich der Linke-Kreisrat Marco Radojevic. Auch der Singener Oberbürgermeister Häusler zeigte sich, der Singener SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz war ebenfalls vor Ort.

Bereits am Donnerstag waren rund 250 Leute einer Einladung der Stadt Singen zu einer Veranstaltung gefolgt, auf der über die Situation von AsylbewerberInnen und Flüchtlingen informiert wurde. Dort rief OB Häusler ein “Bürgerschaftliches Netzwerk für Flüchtlingsbetreuung” ins Leben, an dem sich neben Einrichtungen der Stadt und den Wohlfahrtsverbänden auch Ehrenamtliche beteiligen wollen. Ein erstes Treffen des HelferInnenkreises ist für den 23. Oktober geplant. Die Stadtverwaltung hat zudem vor kurzem einen Integrationsbeauftragten ernannt, der sich um die Betreuung der Flüchtlinge kümmern soll.

Fazit: Ermutigende Zeichen aus Singen, mit denen rechten Stammtischparolen gegen die Hilfesuchenden eine ziemlich deutliche Absage erteilt wurde. Ryk Fechner, Kreisvorstandsmitglied der Linken, dazu: “Man muss die etablierte, bürgerliche Politiklandschaft längst nicht mögen, doch offensichtlich hat die Verwaltung um Bernd Häusler verstanden, dass man sich keinen Gefallen tut, wenn man das Thema Flüchtlingspolitik stiefmütterlich behandelt, sich selbst überlässt oder gar Vorurteile schürt. Und obwohl derartige Infoabende, wie jener am Donnerstag, nicht verstecken können, dass die Zahl an rassistischen Übergriffen auf AsylbewerberInnen zunimmt und auch im Landkreis Konstanz dubiose Gründe dazu ausreichen, um eine Familie, die seit Jahren hier lebte, in die Perspektivlosigkeit abzuschieben, so sollte der Abend zumindest als Denkanstoß verstanden werden, ob nicht auch im restlichen Kreis Konstanz von den Stadtverwaltungen darüber nachgedacht werden sollte, ähnliche ehrenamtliche HelferInnenkreise ins Leben zu rufen.”

Weitere Informationen beim Online-Magazin seemoz.

Europaweiter Aktionstag gegen TTIP am 11. Oktober – Aktionen in Radolfzell, Konstanz und Überlingen

TTIP_in_die_TonneSeit dem 7. Oktober sammelt die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA Unterschriften gegen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA und Kanada. Der Start war vielverheißend: Innerhalb von 48 Stunden haben schon mehr als 330.000 Menschen unterschrieben. Ziel der Initiative ist es, innerhalb eines Jahres mehr als eine Million UnterstützerInnen zu gewinnen, die sich mit ihrer Unterschrift gegen die Pläne wenden, den Konzernen einen Freibrief für ihre Profitjagd auszustellen und grundlegende demokratische Rechte auszuhebeln.

Am kommenden Samstag ruft die Bewegung zu einem europaweiten Aktionstag gegen die EU-Handelspläne auf. Auch in der Region machen die AktivistInnen mobil: In Konstanz klären Mitglieder des Bündnisses gegen TTIP, CETA und TISA den ganzen Samstag über an Infoständen auf dem Obermarkt, der Marktstätte und in der Rosgartenstraße über die Abkommen auf und sammeln Unterschriften. Dabei stehen auch Flashmobs und andere kreative Aktionen auf dem Programm. Auch in Radolfzell informieren AktivistInnen über das Geheimabkommen. In Überlingen rufen Attac und weitere Organisationen und Einzelpersonen ab 9 Uhr zu einer Demonstration auf der Hofstadt auf. Motto: “TTIP in die Tonne”.

Die Linke und die Linke Liste Konstanz beteiligen sich an den Protestaktionen. Ihre Ratsmitglieder werden das geplante Abkommen und seine Folgen auch in den Kommunalvertretungen zur Sprache bringen. So haben FGL, SPD und LLK gemeinsam den Antrag gestellt, das Thema am 16. Oktober bei der Sitzung des Konstanzer Gemeinderats zu behandeln, und auch im Kreistag steht am 20.10. eine Anti-TTIP-Resolution auf Antrag der Linkspartei auf der Tagesordnung.

Online unterschreiben: Stopp TTIP und CETA!
Zur Unterschriftenaktion

TTIP: Anschlag auf demokratische und soziale Rechte

TTIP-Veranstaltung am 30. September in Konstanz

Beleuchteten verschiedene Aspekte des geplanten transatlantischen Handelsabkommens (von links nach rechts): Ver.di-Vertreter Pit Wuhrer, Schriftsteller Jochen Kelter, Linke-Bundestagsabgeordnete Karin Binder, Moderator Mario Müller und BUND-Aktivist Eberhard Koch (Bild: Hans-Peter Koch).

Für viele der rund 80 TeilnehmerInnen muss es sich angehört haben wie ein schlechter Scherz, was die ReferentInnen im Konstanzer Treffpunkt Petershausen berichteten. Das Konstanzer Bündnis gegen TTIP hatte zur Infoveranstaltung geladen. „Nach dem, was ich heute gehört habe, hätte ich vieles lieber nicht gewusst“, stellte Moderator Mario Müller fest, um am Schluss zusammen zu fassen: „TTIP ist ein Anschlag auf die Demokratie“.

„TTIP soll die Standards im Umweltschutz, im Arbeitsrecht, in der Kultur, im Verbraucherschutz und vielen anderen Lebensbereichen zwischen Europa und den USA angleichen. Für Menschen in Deutschland heißt das in den meisten Fällen – absenken auf amerikanisches Niveau“. Darin waren sich die vier Referenten einig. Was sie dann aber an Beispielen vortrugen, erschreckte viele doch gehörig. Das begann mit dem Eingangs-Statement der linken Bundestagsabgeordneten Karin Binder: „Ich brauche mich um den Verbraucherschutz nicht mehr zu kümmern, wenn die Investor-to-State-Klagen in den Verhandlungen zum TTIP-Vertrag durchkommen.“

Was Investor-to-State-Klagen so gefährlich macht

Diese Investor-to-State-Klagen – Investorenschutz genannt – sind deswegen problematisch, weil dadurch das europäische Vorsorgeprinzip zu verschwinden droht. Nach dem Vorsorgeprinzip müssen neue Chemikalien und Verfahren hierzulande lange vorher in Studien getestet werden, so Binder, bevor sie auf den Markt kommen. In Amerika muss hingegen erst nachgewiesen werden, dass durch Chemikalien und/oder Verfahren ein Schaden entstanden ist, ehe sie als schädlich deklariert werden können.

Doch wer glaubt, dass die Sache dann vom Markt und aus der Industrie verschwinde, der irrt: Wenn ein Staat aufgrund der Gefahrenlage ein neues Gesetz erlassen will, könnte nach dem Investorenschutz in TTIP ein Konzern den Staat auf Gewinnausfall verklagen, da die neue Richtlinie seinen Gewinn schmälern könnte.

Schon jetzt werden Staaten verklagt

Und wer eine Kostprobe davon erhalten will, was droht, wenn die Abkommen TTIP, TiSA und CETA diese Art des Handels auf eine völkerrechtlich verbindliche Ebene bringen, der muss sich nur umschauen, wie weltweit bereits über 3000 Freihandelsabkommen zwischen kleineren Wirtschaftsräumen und Staaten sich auswirken: Das französische Müll-, Transport- und Energieunternehmen Veolia verklagt derzeit Ägypten wegen der Anhebung des Mindestlohns von umgerechnet 41 auf 72 Euro im Monat – eine der wenigen wichtigen Errungenschaften für die  Beschäftigten dort in den letzten Jahren.

Das Abkommen NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexico sorgte beispielsweise dafür, dass Kanada mehrfach Bestimmungen im Bereich Umweltschutz wieder zurücknehmen musste, weil entschieden wurde, dass diese vor allem für US-Unternehmen Handelshemmnisse darstellten.   Oder um es noch konkreter zu machen: Das schwedische Unternehmen Vattenfall verklagt derzeit die Bundesrepublik Deutschland vor dem Schiedsgericht der Weltbank auf Schadensersatz, weil der Konzern durch den geplanten Atomausstieg seine Meiler Krümmel und Brunsbüttel früher schließen muss als geplant – auf Grundlage eines Freihandelsabkommens zwischen Schweden und Deutschland. Stilllegungskosten entstünden, so die Argumentation, und man könne den gewonnenen Strom nicht mehr verkaufen: Die Summe, um die es geht: 3,7 Milliarden Euro.

Die „Schattengerichte“, die mit den Streitfällen zwischen Staaten und Konzernen betraut sind, beschäftigen ganze Anwaltskanzleien und sind oftmals auf beiden Seiten vertreten. Für sie geht es ums Geschäft. Noch viel kritischer: Die Urteile sind für die Öffentlichkeit nicht einsehbar und anfechtbar schon gar nicht. Vor dem Hintergrund dieser drohenden Änderungen wird sich ein Staat also in Zukunft zweimal überlegen, ob er Umweltstandards anhebt oder die Rechte von Beschäftigten ausbaut.

Auch Umwelt betroffen

Verbraucherschutz und Umwelt hängen eng zusammen. Eberhard Koch, preisgekrönter Umweltschützer und als Vertreter für den BUND auf dem Podium, monierte, dass durch das Freihandelsabkommen nicht nur gentechnisch veränderte Pflanzen in die Ladenregale kommen, sondern dass die Kennzeichnungspflicht dafür sogar entfallen könnte, da die Firmen, die das produzieren, sagen, das sei eine Diskriminierung. Aber nicht nur das: Sollte gentechnischer Anbau ermöglicht werden, würde Pollenflug und Insekten einen biologischen Anbau unmöglich machen, da die Umwelt vollständig kontaminiert werden könnte.

Kultur vor dem Ausverkauf

Der Schriftsteller Jochen Kelter verwies darauf, dass der Kulturbereich im besonderen Maße betroffen sein könnte:. „Ich mache ein großes Fragezeichen hinter die Ausführungen Grütters’, man könne die Kultur aus den Verhandlungen herausnehmen.“ Marion Grütters, das ist die Kulturstaatsministerin.„Laut Grütters mache Kultur nur zwei Prozent des Handelsvolumens zwischen der EU und den USA aus. Doch zum einen dürfte der Anteil der Kultur weit höher liegen. Zum anderen werden die USA sich sehr darum bemühen, ihren Filmen, ihren Musicals, ihrer Musik den gänzlich ungehinderten Zugang zum europäischen Markt zu ermöglichen.“ Zwei Systeme, die nicht zueinander passen, sollten durch die Freihandelsabkommen miteinander kombiniert werden. „In Europa ist die Kultur weitgehend eine Staatsaufgabe wie die Bildung. In den USA ist sie fast ausschließlich Privatsache, also Geschäft.“ Der Broadway und Hollywood werden nicht subventioniert. Die Subventionen von Theatern und Filmproduktionen durch den Statt oder öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland könnten dann als Wettbewerbsverzerrung ausgelegt werden.

Privatisierungen, soweit das Auge reicht

Ähnliches droht auch in der Wirtschaft, stellte Pit Wuhrer fest. Öffentliche Dienstleistungen könnten durch TISA privatisiert werden und es soll ein Mindestprivatisierungsgrad vorgegeben werden: „Einmal getätigte Privatisierung sollen dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können.“ Dass diese Art der Politik Kommunen handlungsunfähig macht, eventuelle Fehlentscheidungen zu revidieren, brachte im Landkreis Roth in Bayern 16 Bürgermeister dazu, TTIP abzulehnen – 14 von ihnen Mitglied der CSU, die eigentlich für TTIP ist. Aber auch andere Bereiche der Beschäftigungspolitik könnten betroffen werden – das Streikrecht, Schutzbestimmungen für Beschäftigte, Rechte der Gewerkschaften.

Das Argument, TTIP bringe Arbeitsplätze, stimme so nicht. „Da ist ausschließlich von Jobs die Rede, nicht von ordentlichen Arbeitsverhältnissen“, spielte Wuhrer auf die Tatsache an, mit was da eigentlich geworben wird. Karin Binder greift eine Frage aus dem Publikum auf: „Ich denke, da wird immer mit Jobs geworben, aber die Gegenrechnung, wie viel beispielsweise kaputt gemacht wird, macht niemand auf.“

„Man sollte allerdings auch nicht auf die Idee kommen, zu schimpfen, es läge nur an den bösen Amis“, so Wuhrer: „In 25 US-Bundesstaaten, vornehmlich im gewerkschaftsfeindlichen Süden, gibt es ein right-to-work. Das hört sich gut an, ist aber tatsächlich das Recht, unbehelligt von Streikposten und kollektiver Arbeitsorganisation zur Arbeit zu gehen.” Und es seien gerade deutsche Konzerne, die bevorzugt in diesen Staaten Niederlassungen unterhalten. Solche Verhältnisse drohen mit TTIP auch bei uns.

Was tun?

Zum Schluss blieb die Frage, wie man gegen TTIP vorgehen könne, schließlich kamen einigen Gästen die Unterschriftenlisten etwas dürftig vor. Und obwohl die Unterschriften-Aktion der europäischen Bürgerinitiative vorläufig abgelehnt worden ist, macht man sich Hoffnung, dass der Europäische Gerichtshof die Ablehnung durch die Kommission revidiert.

Einig war man sich, dass man jetzt Druck machen müsse. Das könne über Demos oder den europaweiten Aktionstag am 11. Oktober passieren. „Wichtig ist, dass ihr auf eure kommunalen Vertreter in den Gemeinderäten zugeht und dort Druck macht. In den Konstanzer Kreistag und in den Gemeinderat werden demnächst von der Linken, der FGL und der LLK zwei Resolutionen dazu eingebracht“, wies zum Schluss ein Zuhörer aus dem Publikum auf die vielfältigen Möglichkeiten vor Ort hin.

Ryk Fechner

Es fährt ein Zug nach nirgendwo …

Geplante BahnhofsüberführungDer Kreuzlinger Bahnhof lässt die Konstanzer vor Neid erblassen: Eine barrierefreie Anlage mit großzügiger Unterführung schmückt die kleine Nachbarstadt. Der Konstanzer Bahnhof hingegen ist in einem katastrophalen Zustand, doch das soll sich in den nächsten fünf Jahren ändern, hofft der Gemeinderat. Zumindest der neue Baudezernent verbreitet gekonnt „Null-Problemo“-Atmosphäre. Da kann man nur hoffen, dass er Recht behält.

Der Leiter des Konstanzer Bauderzenats Karl Langensteiner-Schönborn schafft es immer wieder, mit seinem jugendlichen Charme und seiner ebenso aufgeweckten wie verbindlichen Art Vertrauen bei den Gemeinderätinnen und -räten zu schaffen. Und so versprach er denn am Donnerstag vor dem Gemeinderat den Konstanzerinnen und Konstanzern einen barrierefreien Bahnhof bis 2019, also zu dem Zeitpunkt, an dem die finanzielle Förderung durch das Bahnhofsmodernisierungsprogramm Baden-Württemberg auslaufen soll. Außerdem überbrachte er dem Volk die gute Nachricht, dass der bisherige Notübergang am Schweizer Bahnhof, an dem mobilitätseingeschränkten Menschen ein Überqueren der Gleise in Begleitung von Bahnpersonal möglich ist, bis Dezember 2018 bestehen bleiben soll. Ziemlich sicher jedenfalls, denn sollten, und darauf wies Heinrich Fuchs (CDU) hin, bereits vorher die Bahnsteige erhöht werden, um ein barrierefreies Aus- und Einsteigen zu ermöglichen, ist es mit dieser eher vorsintflutlichen Notlösung natürlich sofort vorbei.

Barrierefrei bis 2019?

Karl Langensteiner-Schönborn hat sich die Latte verdammt hoch gelegt, denn wie die Lösung für den Bahnhof aussehen soll, was dort überhaupt gebaut werden darf und wie viel Geld die Bahn dazu gibt – all das steht noch in den Sternen. Die Bahn selbst ist dem Vernehmen nach kein hilfreicher Partner, sondern unwillig, für weniger spektakuläre Projekte in der Provinz Geld in die Hand zu nehmen oder wenigstens schnell eine einvernehmliche Lösung auszuarbeiten.

Ursprünglich sollte, und daran erinnerte Verkehrsexperte Jürgen Ruff (SPD), eine gänzlich neue, großzügige Unterführung von der Bahnhofstraße bis zum See mit barrierefreien Aufgängen zu den Bahnsteigen das Problem lösen. Nachdem das Baudezernat mittlerweile die Kosten für diese Lösung auf bis zu 20 Millionen Euro schätzt, gilt diese eleganteste Lösung aber als gestorben. Die Vorlage allerdings lässt vermuten, dass es nicht nur sachliche Aspekte sind, die gegen diese Lösung sprechen, sondern auch politische Entscheidungen, denn nur bei dieser Alternative ist von einem Risikozuschlag in Höhe von mindestens 10 % und einer Steigerung der Baukosten bis zum Baubeginn sowie möglichen Schäden an den umliegenden Gebäuden die Rede. Holger Reile (LLK) erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der Oberbürgermeister das Geld für diese Lösung wohl statt dessen für sein Kongress- und Konzerthaus verwenden wolle und wies noch einmal darauf hin, dass sich die Bahn in dieser ganzen Angelegenheit bisher aus der Verantwortung gestohlen habe.

Fahrstühle zum finanziellen Schafott?

Tatsächlich genehmigt ist bisher nur ein möglicher Aufzug an der Bodanbrücke zwischen Bahnhof und Largo, aber auch hier findet die Verwaltung Haare in der Suppe: „Gemäß des bestehenden Bau-, Betriebs- und Finanzierungsvertrags mit der DB Station & Service aus dem Jahr 2009 trägt die Stadt sämtliche Kosten der Maßnahme. Also auch jene, welche durch Betriebserschwernisse während der Bauzeit anfallen würden (Langsamfahrstellen, Gleissperren [usw.]). Ein direkt im Baufeld verlaufendes Steuerungskabel der SBB und dessen erforderliche Umlegung sind bei der Aufzählung noch gar nicht erfasst. Eine vorliegende Kostenschätzung geht aktuell von entstehenden Kosten von 1,25 Mio. € für den Bau eines Aufzuges aus.“

Auch die Verbreiterung der bisherigen Unterführung nebst Einbau zweier Fahrstühle für den Zugang zu den Gleisen ist nicht mehr Favorit, weil man hier inzwischen Probleme bei der Genehmigung durch das Eisenbahnbundesamt und Riesenkosten fürchtet.

Was kostet eigentlich der „Steg“?

Offensichtlich gibt es all diese Probleme und Risiken gerade bei der üppigsten aller Alternativen nicht, dem neu in die Runde geworfen „Steg“, einer Art Plattform, die nicht nur als Brücke fungiert, sondern auch Platz für Cafés bietet und sieben Meter über den Gleisen vom Bahnhofsgebäude bis zum See reichen soll. Dazu soll dieser Steg barrierefreie Rampenaufgänge im Bereich neben dem Bahnhofsgebäude und Fahrstühle auf den Bahnsteig mit den Gleisen 2+3 bekommen. Und siehe da, bei dieser größtmöglichen aller vorgeschlagenen Lösungen, die auf eine Teilüberbauung des Konstanzer Bahnhofes hinausläuft, ist auf einmal nicht mehr von Kosten, Genehmigungsverfahren und ähnlichem die Rede, und auf kritische Nachfragen stellt der Dezernent den reinen Ideencharakter des Steges heraus, den man als möglichen Trumpf im Ärmel behalten müsse.

Auf einmal bekamen selbst sonst eher visionär veranlagte Gemeinderätinnen und -räte ein wenig kalte Füße angesichts dieses Wolkenkuckucksheimes, das sichtlich von den neulich vorgestellten Europan-Plänen zur Umgestaltung des Bahn- und Grenzgebietes etwa durch eine Überbauung der Abstellgleise mit einem Konzert- und Theatersaal inspiriert ist. Fachmann Johann Hartwich (FDP) riet dem Baudezernenten dringend, jede Überlegung sofort mit der Bahn zu besprechen, ehe man Geld in eine exaktere Planung stecke, denn die Bahn sei unberechenbar und ihre Mühlen mahlten verdammt langsam. In seinen Worten schwang Skepsis mit, dass ein solches Projekt bis 2019 zu verwirklichen sei. Auch Michael Fendrich (FDP), der dem Projekt Charme attestierte, wies auf einige gewichtige Einwände gegen diese Großlösung hin: Für den Steg und seine Aufgänge benötige man die Grundstücke vom Schweizer Bahnhof bis zur Ladenzeile, und da müsse man erst die Besitzverhältnisse klären.

WORTLAUT: Reile zum Bahnhofsteg

Es geht nichts über Erkenntnisgewinn: Spätestens seit dem Studium dieser Vorlage weiß ich nun, was mit dem Begriff „Verschiebebahnhof“ gemeint ist. Diesbezüglich erwirbt sich die Touristenmetropole Konstanz bundesweit ein unehrenhaftes und rundweg peinliches Alleinstellungsmerkmal. Dieser verluderte Bahnhof ist ein Schandfleck. Beispiele dafür kann man jeden Tag miterleben: Fluchende Passagiere, die sich mit ihrem Gepäck durch die muffigen Unterführungen quetschen – Kinderwagen, die nicht weiterkommen – Mobilitätseingeschränkte, die nur mit Hilfe anderer eine Chance haben, ihren Zug zu erreichen – Ein Transportband, das fast nie funktioniert und bestenfalls als Attrappe bezeichnet werden kann – eine Toilette, die man wegen Seuchengefahr besser sofort zusperren sollte – undsoweiterundsofort.

Richtig, das alles kann man keineswegs unserer Verwaltung in die Schuhe schieben, auch wenn sie bisweilen die ein- oder andere falsche Entscheidung getroffen hat. Es ist die Bahn, die hier eine Bringschuld einzulösen hat. Sie hat sich in der Vergangenheit als äußerst schwieriger und auch unangenehmer Verhandlungspartner erwiesen. Die Bahn will Milliarden in Stuttgart versenken, aber der Wunsch nach einer überfälligen Modernisierung der ebenfalls verlotterten Regionalbahnhöfe wird auf eine harte Probe gestellt und bewegt sich im unteren Schneckentempo.

Zu der Vorlage: Bis dato war auch ich der Meinung, wir sollten das Vorhaben streichen, an der Kurt-Werner-Gedächtnisbrücke am Bodansteg einen Aufzug zu errichten. Mittlerweile aber glaube ich, dieser Plan könnte trotz langer Wege vielleicht doch eine Option sein – vor allem deshalb, weil die uns angebotene und von einer Mehrheit favorisierte Lösung eines sogenannten Stegs reichlich abenteuerlich daher kommt. Aber dazu später…

Ihren Vorschlag, die vom Rat einst mit Mehrheit beschlossene barrierefreie Personenunterführung auf halber Strecke verhungern zu lassen, unterstützen wir nicht. Die Argumente scheinen uns fragwürdig und wenig überzeugend. Im Ausschuss letzte Woche erklärte ein Kollege, er sei nun gegen eine Unterführung, weil sie so eng sei und man beim Betreten derselben das Ende nicht sehen könne. Aha – ich frage mich nur, was macht der Mann, wenn er bei seiner Urlaubsfahrt Richtung Süden vor dem Gotthard-Tunnel steht. Es ist mir neu, dass wir ab sofort unsere Planungen an klaustrophobischen Befindlichkeiten ausrichten.

Ganz im Ernst, Kolleginnen und Kollegen: Plötzlich explodieren im Fall der Unterführung fast täglich die Kosten – von mindestens 20 Millionen Euro ist die Rede – und allerlei Risikofaktoren werden in den grellsten Farben an die Wand gemalt. Rund 250 000 Euro wurden in die Vorplanungen schon investiert, das sollten wir nicht vergessen. Und es ist nicht nur ein Verdacht, sondern Fakt, dass Oberbürgermeister Burchardt schon mehrmals erklärt hat, die Kosten für eine Unterführung würde er gerne einsparen, denn er brauche die Kohle für ein Projekt am Seerhein, das angeblich ein Haus für alle Konstanzerinnen und Konstanzer werden soll. Da werden wir sicher noch mit unangenehmen Überraschungen konfrontiert, die sich heute schon anbahnen. Aber das nur nebenbei.

Nun also ein Steg, wie es in der Vorlage verniedlichend heißt. Nennen wir es doch ehrlicherweise eine überdimensionierte Brücke, die die Ausmaße eines Hubschrauberlandeplatzes aufweist und ziemlich sicher das Stadtbild verschandeln wird. Als Brückenbauer haben wir uns ja in der Vergangenheit nachweislich keine Meriten erworben. Von Cafes und ähnlichem obendrauf wird schwadroniert und auch davon, dass man dann so herrlich auf den See blicken könne. Streichen wir doch bitte dieses bemühte Pathos und stellen besser fest: Uns liegen keine Zahlen vor, was diese Brücke in etwa kosten wird, deren Bau sich ebenfalls jahrelang hinziehen würde. Von Investoren ist in der Vorlage die Rede – wer sollen die sein? Wurden schon Gespräche geführt und wenn ja, mit wem und mit welchem Ausgang? Wir bitten um Öffnung dieser Wundertüte, deren Inhalt uns vage, kryptisch, nebulös und schwammig erscheint. Kurz und schlecht: Mit dieser Idee können und wollen wir uns nicht anfreunden und werden ihr auch nicht zustimmen.

Unserer Meinung nach bleibt eine Lösung, die sicher auch nicht ideal ist, aber schneller und weitaus günstiger umzusetzen wäre: Ich meine die Aufzüge direkt im Bahnhof. Eine Möglichkeit, die sogar die DB vorschlägt und über die das Eisenbahnbundesamt noch nicht den Stab gebrochen hat. Die Umsetzung würde dazu führen, wofür wir alle immer plädieren: Stichwort Barrierefreiheit. Jetzt erneut mehrere Jahre zuzuwarten und lieber in Wolkenkuckucksheimen zu versinken, würde dem Konstanzer Verschiebebahnhof ein weiteres Negativkapitel bescheren. Und genau das sollten wir uns ersparen.

Wir bitten bei diesem Punkt um getrennte Abstimmung.

Ist der Dezernent ein Luftikus?

Der Baudezernent jedenfalls war auch am Ende der Debatte optimistisch, dass bis 2019 eine Lösung zu verwirklichen sei, welche auch immer. Nach seinen Angaben ist die Bahn bereit, den Schweizer Bahnhof zu verkaufen, will aber die Ladenzeile selbst entwickeln, was wohl meint, dass man die Aufgänge zu einem Steg auf dem Gelände des Schweizer Bahnhofes errichten könne. Er hat am 1.10. einen Termin mit der Bahn und will dabei die möglichen Alternativen sowie erste konkrete Schritte wie die Erhöhung der Bahnsteige besprechen.

Alle allerdings konnte sein Optimismus nicht anstecken, denn Langensteiner-Schönborn blieb bei seinen Ausführungen auffällig stark im Ungefähren. Er konnte bestimmte Kosten nur sehr ungenau angeben, obwohl sie ihm schwarz auf weiß vorlagen, und fing sich dafür einen Rüffel aus den Reihen der Grünen ein. Und so manchen Gemeinderätinnen und -räten, die das langjährige zermürbende Tauziehen mit der Bahn miterlebt haben, schien Langensteiner-Schönborn denn doch deutlich zu blauäugig und zu wenig konkret an diese Riesenaufgabe heranzugehen. Wenn er es tatsächlich schafft, bis 2019 einen barrierefreien Bahnhof hinzustellen, hat er alle Chancen zum Helden. Aber allzu lange darf er sich nicht mehr auf dem Vertrauensvorschuss ausruhen, denn sonst könnte der Eindruck aufkommen, er sei vielleicht auch nur ein ausgemachter Luftikus, der den Verhinderungsprofis von der Bahn gegenüber chancenlos ist. Er muss jetzt auf jeden Fall ziemlich schnell Butter bei die Fische bringen, sonst könnte es für ihn bald ungemütlich werden.

O. Pugliese

Konstanzer Bündnis gegen Freihandelsabkommen lädt ein: „Warum wir TTIP verhindern müssen“

TTIP: Keine Geschenke für Monsanto, Siemens, BASF & CoSeit 2013 verhandeln die US-Regierung und die EU-Kommission über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP. Die Verhandlun­gen laufen geheim, die Parlamente werden nur un­genügend informiert und haben wenig zu sagen. Da es kaum noch Zölle zwischen den USA und den EU-Staaten gibt, geht es vor allem um die Beseitigung von sogenannt nichttarifären Handelshemmnissen. Damit sind Umweltschutzregeln, Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit, Sozial- und Arbeitsstan­dards, die Regulierung der Finanzmärkte, die Kenn­zeichnung von Produkten und andere Bestimmun­gen gemeint.

Verhandlungen über ein ähnliches Abkommen mit Kanada (CETA) hat die EU bereits abgeschlossen und ebenfalls hinter verschlossenen Türen sprechen derzeit VertreterInnen der EU, der USA und zwanzig weiterer Staaten über ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TISA). Dabei geht es um die Privatisierung aller öffentlichen Dienste wie Trinkwasser, Bildung, Gesundheits- und Energieversorgung.
Ohne Widerstand von unten sind TTIP, CETA und TISA nicht zu verhindern. Dass es Opposition gibt, zeigen die weit über 700.000 Unterschriften, die bislang allein in Deutschland gegen TTIP zusam­menkamen. Auch im Kreis Konstanz hat sich ein regionales Bündnis zusammengefunden, das sich gegen die Abkommen wehrt. Dazu sind in den kommenden Wochen Aktionen, Infostände und Veranstaltungen in der Region geplant.

Den Auftakt macht am 30. September eine Informationsveranstaltung, auf der mehrere Referenten über die drohenden Folgen für die Bevölkerung im Fall der Umsetzung der transatlantischen Freihandelspläne berichten werden. Auf dem Podium unter anderem die Bundestagsabgeordnete Karin Binder (DIE LINKE), der Schriftsteller Jochen Kelter, Eberhard Koch vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie der Journalist Pit Wuhrer.


Warum wir TTIP verhindern müssen
Veranstaltung des Konstanzer Bündnisses gegen TTIP, CETA und TISA
Dienstag, 30. September, 19 Uhr, Konstanz, Treffpunkt Petershausen


Das Bündnis hat einen Flyer veröffentlicht, der hier heruntergeladen werden kann.

Immer mehr Kinder und Jugendliche fliehen nach Konstanz

Save me - Flüchtlinge aufnehmenDas Elend vor allem in den Ländern des Nahen Ostens wie Irak und Syrien ist mittlerweile auch bei uns angekommen. Besonders hart trifft es unbegleitete Minderjährige, die entweder aus eigenem Antrieb oder auf Initiative ihrer Familie allein den Weg über das Mittelmeer und die grüne Grenze nach Konstanz einschlagen. Aber es fehlt hierzulande an Aufnahme- und Betreuungsmöglichkeiten, und die Grenzgemeinden fühlen sich im Stich gelassen, wie in der Gemeinderatssitzung am Donnerstag deutlich wurde.

Die Sitzungsvorlage lässt die Dimension der menschlichen Tragödie, die sich (auch durch eine verfehlte Politik westlicher Länder) Tag für Tag abspielt, erahnen: „Je nach Alter und Herkunft sind die Motive für die Einreise unterschiedlich. Während jüngere Kinder von Eltern bewusst aus Krisengebieten in Sicherheit gebracht werden, desertieren männliche Jugendliche oft aus konkreten Kriegshandlungen oder vor Zwangsrekrutierungen. In Deutschland war das Phänomen der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge über viele Jahre begrenzt auf Großstädte und Ballungsräume. In ländlichen Gebieten ohne internationalen Flughafen war die Notversorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bis vor ca. 3-4 Jahren eine Randerscheinung. Seit dem Jahreswechsel 2013/2014 sehen sich die Stadt und der Landkreis Konstanz Einreisezahlen gegenüber, die bei gleichbleibender Entwicklung bis zum Jahresende 2014 eine 20- bis 30-fache Steigerung der bisherigen Fallzahlen bedeuten würde.“ Nach Angaben von Ute Seifried, der Leiterin des Sozial- und Jugendamtes, werden im Jahr 2014 bereits über 100 unbegleitete Minderjährige im Kreis Konstanz erwartet, „Der Irak geht – bedingt durch den Terror dort – auf Wanderschaft,“ sagte sie und berichtete sichtlich bewegt von ein- und zweijährigen Kindern, die von Schleppern nach Konstanz gebracht wurden.

Betreuung ist nötig

Das Jugendamt fühlt sich schon seit geraumer Zeit massiv überlastet, denn diese Jugendlichen benötigen nicht nur eine Unterkunft, die allein schon schwierig zu finden ist, sondern sind oft durch Erlebnisse zuhause und auf der Flucht sowie durch die Trennung von den Eltern traumatisiert. Außerdem leiden sie oft unter Krankheiten und sind der hiesigen Sprachen unkundig. Eine normale Pflegefamilie ist für solche Minderjährigen keine Lösung, denn sie müssen in dieser fürchterlichen Situation durch Fachkräfte betreut werden, sofern sie keine Verwandten in Deutschland haben. Bisher konnte in Zusammenarbeit mit dem Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies eine Lösung gefunden und auch die nächtliche Notaufnahme der von der Polizei Aufgegriffenen dank einer speziellen Wohngruppe „Refugium“ weitgehend sichergestellt werden. „Bereits mit der Unterbringung im ‚Refugium’ beginnt,“ so Ute Seifried, „eine zeitintensive und zunehmend aussichtslose landesweite Suche nach einem geeigneten Platz für eine Folge-Unterbringung.“

Die in Sachen Kinder und Jugendliche sehr rührige Gabriele Weiner (FWK) forderte für diese Jugendlichen eine längere Duldung als bisher, denn derzeit müssen sie Weiners Angaben nach alle drei Monate einen neuen Antrag stellen. Außerdem sprach sie sich dafür aus, den betreffenden Kindern und Jugendlichen in dieser für ihr ganzes späteres Leben prägenden Phase eine Zukunftsperspektiven in Schule und Ausbildung zu eröffnen. Sehr engagiert ist bei dieser Thematik stets auch Zahide Sarikas (SPD), die daran erinnerte, dass Deutschland direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich größere Flüchtlingsströme aufgenommen hat, und anklingen ließ, wie verzweifelt eine Mutter sein muss, die ihre Kleinkinder einem Schlepper übergibt.

Mehr Personal fürs Jugendamt

Anke Schwede (LLK) forderte als Konsequenz eine bessere personelle Ausstattung des Jugendamtes. „Ein Problem sehen wir darin, dass sich die Jugendämter seit einiger Zeit mit immer mehr Aufgaben konfrontiert sehen, was die Frage des Kinderschutzes angeht. Also müssen die Jugendämter personell und infrastrukturell besser ausgestattet werden. Darüber hinaus halten wir angesichts der hohen Flüchtlingszahlen Konzepte für eine menschenwürdige Asylpolitik für vordringlich. Kernpunkt eines solchen Konzepts muss die Bereitstellung von ausreichend Mitteln im Kreishaushalt und den kommunalen Haushalten sein, um die Bedürftigen adäquat unterzubringen – und zwar dezentral in Wohnungen und nicht in lagerähnlichen Unterkünften“.

Für einmal waren sich alle im Gemeinderätinnen und –räte einig, dass der jetzige Zustand unhaltbar ist, und Einigkeit herrschte selbst in der Gretchenfrage, wer das alles bezahlen soll. Das Problem besteht aus Sicht der Stadt Konstanz derzeit vor allem darin, dass die finanziellen und organisatorischen Lasten der Aufnahme und Betreuung bei Stadt und Kreis Konstanz verbleiben und sich weder andere (weniger betroffene) Kommunen noch Bund oder Land angemessen an den Aufgaben und Kosten beteiligen. Daher beschloss der Gemeinderat einstimmig eine Resolution, die die drei Konstanzer Landtagsabgeordneten in den Landtag einbringen sollen.

WORTLAUT: Schwede zur Gemeinderats-Resolution wegen der Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Die Linke Liste Konstanz wird der vorgelegten Resolution zustimmen. Wir sehen, dass das Jugendamt mit der Betreuung der immens gestiegenen Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen überlastet ist. In diesem Zusammenhang halten wir es für sinnvoll, dass die Jugendlichen in größeren Städten und Gemeinden mit guter ÖPNV-Anbindung sowie zufriedenstellenden Bildungs- und Freizeitangeboten untergebracht werden. Also nicht in Orsingen-Nenzingen oder Büsingen, sondern eher in Radolfzell oder Stockach. Gut vorstellen können wir uns auch die Unterbringung der Betroffenen in Wohngruppen oder Wohngemeinschaften.

Ein Problem sehen wir darin, dass sich die Jugendämter seit einiger Zeit mit immer mehr Aufgaben konfrontiert sehen, gerade was die Frage des Kinderschutzes angeht. Ich denke wir sind uns darüber einig, dass das Kindes- und Jugendlichenwohl an erster Stelle steht. Also müssen die Jugendämter – die das durchsetzen sollen – entsprechend personell und infrastrukturell ausgestattet werden.

Darüber hinaus halten wir angesichts der hohen Flüchtlingszahlen Konzepte für eine menschenwürdige Asylpolitik für vordringlich. Wir schlagen deshalb die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern von Landkreis und Kommunen vor, die sich auf bindende flüchtlingspolitische Eckpunkte verständigt. Kernpunkt eines solchen Konzepts muss die Bereitstellung von ausreichend Mitteln im Kreishaushalt und den kommunalen Haushalten sein, um die Hilfebedürftigen adäquat unterzubringen – und zwar dezentral in Wohnungen und nicht in lagerähnlichen Unterkünften. Notwendig sind darüber hinaus alle Maßnahmen, die die Integration der Flüchtlinge in ihre neue Umgebung fördern. Sie müssen die Chance erhalten, auf eigenen Beinen zu stehen, d. h. dass die Flüchtlinge einer Arbeit nachgehen und ihre Kinder die Schule besuchen können.

Noch ein Wort zu dem Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist unumgänglich, dass Bundes- und Landesregierung die Kommunen, die die Hauptlast der Unterbringung tragen, stärker unterstützen. Dem am 17.9. veröffentlichten Appell des Deutschen Städtetags an Bund und Länder „alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen zu entlasten und damit ihrer Verantwortung stärker als bisher gerecht zu werden“, ist nicht hinzuzufügen.

Auch Bund und Land sind gefragt

Die Landesregierung wird in dieser Resolution gebeten, durch eine Bundesratsinitiative die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nach dem für die erwachsenen Flüchtlinge gültigen Schlüssel im Land Baden-Württemberg gleichmäßig auf alle Städte und Landkreise verteilt werden können, was derzeit nicht der Fall ist, da die Gemeinde zuständig ist, in der die Kinder und Jugendlichen ankommen. „Nur eine ausgeglichene Verteilung, gepaart mit einer gemeinsamen Anstrengung aller Städte und Landkreise, eröffnet den jungen Menschen eine ausreichend gute Lebensperspektive.“

Es ist natürlich beschämend, dass es in Deutschland nötig ist, für eine adäquate Versorgung der Ärmsten der Armen, die irgendwie die EU-Grenzen überwunden und anders als viele ihrer Leidensgefährtinnen und -gefährten die Flucht überlebt haben, Resolutionen zu beschließen, weil Bund, Land und viele nicht betroffene Kommunen versuchen, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Es ist die alte föderale Leier: Den Kommunen werden Aufgaben zugewiesen, denen sie allein kaum gewachsen sind, und dann lässt man sie im Regen stehen – selbst wenn’s am Ende womöglich die Flüchtlinge ausbaden müssen.

O. Pugliese

Finanzierung der Gemeinschaftsschule: Stadt contra Land

Schule: denken erlaubt Dass Kommune und Land sich nicht grün sind, ist nicht ungewöhnlich, denn Geld stinkt zwar nicht, die Frage der Finanzierung öffentlicher Projekte entzweit aber immer wieder die Beteiligten. Zwischen der Stadt Konstanz und dem Land geht es derzeit etwa um die Förderung der gymnasialen Oberstufe an der Gemeinschaftsschule Gebhard, bei der sich das Land knauserig zeigt. Außerdem berichtete der OB in der gestrigen Gemeinderatssitzung bereits aus der anschließenden nichtöffentlichen Sitzung.

Dass ein Preis die Preisträgerinnen und Preisträger ebenso ehren sollen wie den, der sie vergibt, ist eine Binsenweisheit – ebenso dass aus gerade diesem Grunde die meisten Preise völlig überflüssig sind, weil der Kreis der Preisträger, um die sich die Preisverteiler reißen, um so kleiner wird, je angesehener der Preis ist, und am Ende immer dieselben Promis zum Zuge kommen. Wenn es etwa um die Auszeichnung von Verdiensten um die europäische Einigung geht, wird die Auswahl schon richtig eng, sofern Renommee, Medieninteresse oder Preisgeld stimmen – das beste Beispiel dafür ist der Aachener Karlspreis.

Karlspreis auf konstanzerisch?

Rein klanglich ist es durchaus naheliegend, dass der Name „Konzilspreis“ an den ähnlich benannten Karlspreis erinnern soll. Diesen Preis jedenfalls plant die Stadt Konstanz nach Angaben von Oberbürgermeister Uli Burchardt seit einiger Zeit insgeheim in nichtöffentlichen Sitzungen. Man darf getrost vermuten, dass er ähnlich sinnlos ist wie der Karlspreis, kann sich in Zukunft aber immerhin noch eines Besseren belehren lassen. Kennzeichnend ist allein schon, dass dieser Konstanzer Preis erstmals 2015, also im 2. Jahr der Konzilfeierlichkeiten, vergeben werden soll, was schwer danach klingt, als hätten die Stadt Konstanz und ihre Konzilsplanungstruppe das Ding schlicht verpennt. Zusammen mit Landesausstellung und Briefmarke der Bundespost hätte sich der Preis zu Beginn des Konziljubiläums vielleicht noch einer gewissen medialen Aufmerksamkeit erfreuen dürfen, wenn man denn zumindest etwa Angela Merkel, Hans-Dietrich Genscher, Galileo Galilei oder Konrad Adenauer als Preisträger hätte gewinnen können. Aber so, im zweiten Jahr?

Nun, nichts Genaues weiß man nicht, denn die Angelegenheit stand nicht auf der öffentlichen Tagesordnung, sondern sollte anschließend wieder einmal nichtöffentlich behandelt werden, aber der Oberbürgermeister fühlte sich trotzdem zu einer Erklärung für das gemeine Volk bemüßigt. Immerhin, so viel Transparenz muss wohl sein, gab er öffentlich den Grund für die nichtöffentliche Behandlung zum Besten: Die Planung für den Preis „für Begegnung und Dialog in Europa“ sei noch nicht abgeschlossen, und so halbfertig gehöre die Planung für den Preis noch nicht an die Öffentlichkeit. Mit dieser Äußerung hat der OB die Nichtöffentlichkeit jedenfalls erfolgreich wieder hergestellt. Als Wähler fragt man sich aber vor allem, was denn da noch alles und weshalb nichtöffentlich verhandelt wird, wenn schon ein derartiger – mit Verlaub – Mumpitz wie die Einrichtung eines solchen Preises als Haupt- und Staatsgeheimnis behandelt werden sollte.

Konstanz will Schule machen

Die Anstrengungen der Stadt Konstanz in Sachen Gemeinschaftsschule sind in der Tat äußerst lobenswert, und die Stadt tut wirklich viel, um dem Wunsch der Eltern nach dieser relativ neuen Schulform nachzukommen. Allerdings ist die Stadt, so Oberbürgermeister Uli Burchardt, ziemlich enttäuscht vom Land, von dem sie sich für die Gemeinschaftsschule Gebhard eine Million Euro mehr versprochen hat und den Eindruck gewinnen musste, sie werde finanziell im Regen stehen gelassen, obwohl sie gerade die größte und beste Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg errichte. „Aber wir müssen jetzt mit dem Ausbau der Gemeinschaftsschule weitermachen, weil das sonst zu Lasten der Kinder ginge, aber dass wir unter diesem Zwang stehen, das wissen die anderen auch“. Wobei mit „die anderen“ die Landesregierung gemeint ist, die die Hände in den Schoß legen und den Geldbeutel verschlossen lassen kann, da Konstanz diese Gemeinschaftsschule ohnehin errichten wird.

Die Debatte über die Förderung der Schule durch das Land geriet zum Lehrstück in Sachen Politik, denn immerhin geht es hier um einen Dissenz zwischen der Stadt Konstanz und der rot-grünen Landesregierung, so dass Grüne (FGL) und SPD sich erwartungsgemäß ziemlich winden müssen, wenn es darum geht, die Knauserigkeit des Landes angemessen zu geißeln, denn immerhin regieren sie im Land (auch wenn das etwa in der Flüchtlingspolitik niemand merkt).

Die CDU hat da freiere Hand: Stand sie ursprünglich der Gemeinschaftsschule als Ausbund sozialistischer Gleichmacherei feindlich gegenüber, forderte jetzt selbst Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) das Land auf, dieses „Vorzeigeprojekt“ als Präzedenzfall verbindlich zu unterstützen. Heinrich Everke (FDP) hingegen sah in diesem Streit um Geld eher einen handwerklichen Fehler seitens der Konstanzer Verwaltung, denn selbst ein Sportverein in der Provinz, der ein paar Duschen einbauen wolle, kläre vorher ab, welche Fördermittel er definitiv zu erwarten habe, und das sei hier offensichtlich nicht geschehen. Er sagte auch, er selbst habe als Gemeinderat vorher nicht gewusst, dass die gymnasiale Oberstufe, um deren Räume an der Gemeinschaftsschule Gebhard es hier ging, vom Land nicht zwingend gefördert wird. Das wiederum sei ein handwerklicher Fehler von Everke gewesen, denn er habe wohl damals vor der Abstimmung über den Neubau der Schule die Sitzungsunterlagen nicht richtig gelesen, warf ihm Bürgermeister Andreas Osner vor; in den Unterlagen habe ausdrücklich gestanden, dass die gymnasiale Oberstufe vom Land nicht gefördert werde, und Everke habe damals trotzdem zugestimmt, also könne er jetzt der Verwaltung keine Vorwürfe machen. Allerdings wolle Konstanz eine Sonder- und Ausnahmeregelung und werde nicht nachlassen, denn der stete Tropfen höhle den Stein, sprich: Jetzt werden wir mal schauen, ob wir die Landesregierung nicht doch noch mürbe machen können und am Ende unsere Million kriegen.

Aber das alles waren Nebenscharmützel. Wenn an diesem Abend eine Person die allumfassende dialektische Welterklärung auf Lager hatte, war es Hanna Binder (SPD), die aufgrund ihrer Nähe zur Landesregierung eine Kippvolte schlagen musste, was ihr auch mustergültig gelang. Um weder den Esel noch den Sack prügeln zu müssen, aber trotzdem auf der historisch richtigen Seite zu stehen, nahm sie in bester sozialdemokratischer Manier zu Geschichte und Gesetz Zuflucht: Die Stadt habe immer wieder Schulen, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen gebaut, ohne dafür eine Förderung zu erhalten, also stehe diese gymnasiale Oberstufe in einer langen Tradition von der Stadt selbstfinanzierter Einrichtungen. Außerdem gebe es da auch noch die Gesetzesbindung der Landesverwaltung, und da es keinen gesetzlichen Zwang für die Landesregierung gebe, die Konstanzer Gemeinschaftsschule zu fördern, könne Konstanz auch nicht erwarten, irgendwelche Extrabrötchen gebacken zu bekommen. Außerdem sei das Problem schon viel früher entstanden, denn einen Mangel an Schulräumen gebe es in Konstanz schon lange. Darum wollte sie sich nicht darauf einlassen, das Land anzupumpen und als geizigen Buhmann dastehen zu lassen. Zugegeben, herrlichste Dialektik ist das schon und gibt daher zu denken: Vor 150 Jahren war die Geschichte noch auf der Seite der Sozialdemokraten und das Gesetz gegen sie. Heute sind die Sozialdemokraten für das Gesetz, und die Geschichte hat sie vergessen. Sage bloß niemand, die Zeiten seien besser geworden.

O. Pugliese

Das Gewerbe lässt im Gemeinderat murren

ParkverbotNachdem die Stadt Konstanz jahrelang großzügig Bewohnerparkgenehmigungen für Altstadt und Paradies nicht nur an Anwohner, sondern auch an Gewerbetreibende, Hotel- und Ferienwohnungsinhaber ausgab, will sie jetzt ihre Vergabepraxis restriktiver handhaben. Die CDU ließ diesen Punkt gestern von der Tagesordnung des Gemeinderates absetzen. Die geplante Debatte über den Synagogenneubau fiel hingegen dem jüdischen Neujahrsfest zum Opfer.

Manchmal ist auch durchaus interessant, was der Gemeinderat nicht debattiert. Dass es zwischen den beiden in Konstanz ansässigen jüdischen Gemeinden – der orthodoxen Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz (IKG) und der liberalen Jüdischen Gemeinde Konstanz (JGK) – kracht, ist ein offenes Geheimnis. Dieser Streit verhindert seit rund einem Jahrzehnt die Übertragung eines städtischen Grundstückes an der Sigismundstraße an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG) als Bauherr der seit langem geplanten neuen Konstanzer Synagoge (seemoz berichtete ausführlich), da beide Parteien sich nicht über ihren Anteil an der Synagoge einigen können.

Prost Neujahr!

In der Gemeinderatssitzung am gestrigen Donnerstag sollten der Sachstand geklärt und alle drei Seiten gehört werden, aber während Minia Joneck von der JGK in den Gemeinderat gekommen war, hatten sowohl die IRG als auch die IKG auf den letzten Drücker abgesagt, da der Feiertag Rosch ha-Schana, der jüdische Neujahrstag, heuer auf den 25. September fiel. So wird sich der geplante Synagogenneubau in ein weiteres Jahr hineinschleppen, aber trotz aller Beteuerungen des Konstanzer Gemeinderates, jetzt sei das Ende der Fahnenstange erreicht, wird die Stadt Konstanz sich wohl auch weiter auf geduldiges Setzen immer wieder letzter Fristen beschränken. Holger Reile (Linke Liste) zeigte sich bass erstaunt über das Nichterscheinen der Vertreter der orthodoxen Richtung und sprach von einem wilden „Absurdistan“. Immerhin hat nach seinen Angaben noch am Tag zuvor der vorgesehene Bauträger, die IRG Baden, in einer Pressemitteilung wissen lassen, dass sie sich auf die Gemeinderatssitzung freue. Reiles Fazit: „Entweder hat man bei der jüdischen Dachorganisation nicht gewusst, dass heute ein jüdischer Feiertag ansteht – was ich mir nicht vorstellen kann – oder aber, und das kommt der Wahrheit wohl eher näher: Man ging davon aus, dass das Vorhaben von uns Gemeinderätinnen und –räten einfach durchgewunken und abgesegnet wird. Ich bin nicht mehr gewillt, weitere Warteschleifen zu drehen und unter Umständen wieder jahrelang vertröstet zu werden. Das Maß ist voll und ich beantrage hiermit, dass die Verwaltung umgehend über eine andere Nutzung des Geländes in der Sigismundstraße 8 – Stichwort Wohnungsbau – nachdenkt.“

WORTLAUT: Reile zum Thema Synagogenbau

Langsam, Kolleginnen und Kollegen, gleitet die ganze Angelegenheit in Richtung Absurdistan ab.
Seit rund 10 Jahren beschäftigt uns dieses Langzeitprojekt und wir warten lammfromm und fast schon devot darauf, dass sich endlich etwas tut. Und nun erneut eine Verschiebung. Wir hätten heute gerne von den Parteien gehört, wie sie die vorliegenden Pläne einschätzen und ob sie darin ihre Ansprüche wiederfinden. Die liberale Gemeinde hat trotz des jüdischen Feiertags zugesagt, die orthodoxe aus Glaubensgründen nun doch nicht.
Das verwundert, denn gestern hat der vorgesehene Bauträger, die IRG Baden, noch vollmundig in einer Pressemitteilung wissen lassen, dass sie sich – Zitat – „auf die heutige Gemeinderatssitzung freut“. Zitat Ende. Entweder hat man bei der jüdischen Dachorganisation nicht gewusst, dass heute ein jüdischer Feiertag ansteht – was ich mir nicht vorstellen kann – oder aber, und das kommt der Wahrheit wohl eher näher: Man ging davon aus, dass das Vorhaben von uns ohne Diskussion einfach durchgewunken und abgesegnet wird. Dem ist natürlich nicht so. Diese Pressemitteilung der IRG empfinde nicht nur ich als Versuch, uns unter Druck zu setzen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr Oberbürgermeister bitten, die IRG aufzufordern, derlei Beeinflussungsversuche im Vorfeld einer Entscheidung zu unterlassen. Denn diese Entscheidung trifft einzig und allein unser Rat und sonst niemand.
Ich bin nicht mehr gewillt, weitere Warteschleifen zu drehen und unter Umständen wieder jahrelang vertröstet zu werden. Das Maß ist voll und ich beantrage hiermit die Verwaltung, umgehend über eine andere Nutzung des Geländes – Stichwort Wohnungsbau – in der Sigismundstraße 8 nachzudenken.

Das Gewerbe macht Druck

Wenn der alte Fuchs Roger Tscheulin (CDU) in seinem unnachahmlich entspannt-näselnden Tonfall zum Satzende hin immer leiser und etwas tiefer säuselt, bis sein Satz in einem dahingehauchten Flüstern à la Gebet einer Jungfrau akustisch erstirbt, sollte der geübte Gemeinderatsbesucher aufmerken, zumal wenn Tscheulin kurz vor der Unhörbarkeit noch Worte wie „in den Ausschuss verweisen“ über seine sanften Lippen säuseln lässt. Dann leitet der CDU-Grande nämlich wieder einmal eine Attacke ein, die einen durchaus menschenfreundlichen Antrag auf dem Umweg über angeblichen zusätzlichen Klärungsbedarf schließlich killt, ohne dass das der Öffentlichkeit allzu sehr auffiele. Meisterhaft hat er so erst jüngst maßgeblich mitgeholfen, die geplante Regelung gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum zur Strecke zu bringen.

Auch gestern bediente er wieder treu sein Klientel – er nannte ausdrücklich das Gewerbe – als er bei der Verschärfung der Vergaberegeln für Bewohnerparkplätze in Niederburg und Paradies an dort nicht wohnhafte Gewerbetreibende eine Verlängerung bestehender Erlaubnisse um noch ein paar Monate forderte und weiteren Klärungsbedarf sah. Es schloss sich eine hinreichende Mehrheit seinem Antrag, die Angelegenheit in den Ausschuss zurückzuverweisen und dort zu klären, an, und so darf man getrost davon ausgehen, dass das Gewerbe sich bald über wesentlich gelockerte Regeln für Park-Ausnahmegenehmigungen freuen kann.

O. Pugliese

Konzept für die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis dringend erforderlich

Flüchtlinge_willkommenWie andere Regionen auch bekommt der Landkreis Konstanz derzeit verstärkt eine der Folgen der globalen Krisen zu spüren. Die Zahl der Menschen aus aller Welt, die vor Kriegen, politischer und religiöser Verfolgung oder wirtschaftlichem Elend fliehen, steigt stetig an. Mehrere hundert Flüchtlinge hat es in unseren Landkreis verschlagen, mit weiteren ist zu rechnen. In dieser Situation ist es erforderlich, dass die Verantwortlichen endlich angemessen auf die steigende Zahl der Hilfesuchenden reagieren. Die gegenwärtige Praxis des zuständigen Landkreises und der Kommunen im Kreisgebiet vermittelt häufig ein Bild hilflosen Improvisierens. Darunter leiden nicht nur die betroffenen Flüchtlinge, es bietet auch rechten Kräften Angriffsflächen, die fremdenfeindliche Aversionen schüren wollen; so in Singen geschehen, wo Neonazis mit Flugblättern gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in der Romeiastraße hetzten. Die jüngsten Äußerungen von Landrat Frank Hämmerle, der laut „Südkurier“ vom 19.9. unverblümt eine weitere Verschärfung des Asylrechts durch ein Zuwanderungsgesetz fordert und „verbindliche Quoten“ für Asylbewerber will, ist angesichts der internationalen Lage nicht nur zynisch, es ist auch Wasser auf die Mühlen fremdenfeindlicher Rattenfänger.

Der Hauptgrund dafür, dass immer mehr Menschen die Flucht aus ihrer Heimat als letzten Ausweg sehen, ist die ungerechte Verteilung gesellschaftlicher Reichtümer und der zunehmend mit kriegerischen Mitteln geführte Kampf um wirtschaftliche und politische Macht. Die westlichen Industriestaaten, darunter Deutschland, mischen dabei führend mit: Auch die Bundesrepublik liefert Waffen und Rüstungsgüter in Kriegs- und Krisengebiete und treibt damit viele Menschen zur Flucht. Auch die deutsche Wirtschaftspolitik verursacht Hunger und Unterversorgung in diesen Ländern. Schon allein deshalb hat unser Land die Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen. Doch dieser Verpflichtung wird es in keiner Weise gerecht. Aufgrund der Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl gelangt nur ein Bruchteil der Flüchtlinge nach Deutschland. Diejenigen, die es trotzdem geschafft haben, sehen sich nach geltender Rechtslage und Praxis mit zahlreichen Beschränkungen, einem unsicheren Aufenthaltsstatus und einer mangelhaften sozialen und medizinischen Versorgung konfrontiert. Wer nicht gleich wieder nach Hause abgeschoben wird, darf als „Geduldeter“ nicht arbeiten, sondern erhält Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die noch um 35 Prozent unter dem Niveau von Hartz IV liegen. Schutzsuchende werden zwangsweise in unwürdigen Massenunterkünften untergebracht.

DIE LINKE fordert dagegen angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen einen Paradigmenwechsel bei der Aufnahme von Asylsuchenden auf allen politischen Ebenen. Es muss Schluß sein mit der von der EU und Deutschland praktizierten Praxis der Abschottung und Abschreckung. Die Politik muss anerkennen, dass aufgrund der beunruhigenden Entwicklung weltweiter Konflikte Flüchtlinge auch langfristig in großer Zahl kommen. Deshalb sind Konzepte für eine menschenwürdige Asylpolitik schon längst überfällig. Dabei ist es vor allem erforderlich, dass Bundes- und Landesregierung endlich die Kommunen, die die Hauptlast für die Unterbringung tragen, stärker unterstützen. Der am 17.9. veröffentlichte Appell des Deutschen Städtetags an Bund und Länder, „alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und Flüchtlingen zu entlasten und damit ihrer Verantwortung stärker als bisher gerecht zu werden“, trifft den Nagel auf den Kopf.

Die Verantwortlichen im Kreisgebiet fordern wir auf, endlich ein Konzept zu entwickeln, das den hilfesuchenden Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Wir halten deshalb die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern von Landkreis und Kommunen für erforderlich, die sich auf bindende flüchtlingspolitische Eckpunkte verständigt.

Kernpunkt eines solchen Konzepts muss die Bereitstellung von ausreichend Mitteln im Kreishaushalt und den kommunalen Haushalten sein, um die Hilfebedürftigen menschenwürdig unterzubringen. Das vordringliches Ziel sollte darin bestehen, die Menschen dezentral in Wohnungen unterzubringen und nicht in lagerähnlichen Unterkünften zusammenzufassen, wie dies gegenwärtig oft geschieht. Notwendig sind darüberhinaus vor allem Maßnahmen, um die Integration der Flüchtlinge in ihre neue Umgebung zu fördern. Diese Menschen müssen die Chance erhalten, auf eigenen Beinen zu stehen. Wir fordern deshalb unter anderem die Einrichtung von Sprachkursen; außerdem sollen die zuständigen Behörden alle Möglichkeiten ausschöpfen, damit die Flüchtlinge einer Arbeit nachgehen und ihre Kinder die Schule besuchen können.

Linke Liste Konstanz
DIE LINKE. Kreisverband Konstanz

Grüner Ministerpräsident Kretschmann hilft mit: Asylrecht weiter ausgehöhlt

KeinsicheresHerkunftslandRoma

Im Juli hatte die Regierungskoalition den Bundestag per Gesetz beschließen lassen, dass die Balkan-Staaten Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina künftig “sichere Herkunftsstaaten” sind. In Kraft treten konnte diese von Experten heftig kritisierte weitere Aushöhlung des Asylrechts jedoch erst nach der Zustimmung der Länderkammer. Und in der hing die Mehrheit an der Stimme Baden-Württembergs, immerhin von einem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann regiert. Der ist bei der entscheidenden Sitzung am Donnerstag nun prompt umgefallen und hat damit dafür gesorgt, dass deutsches Flüchtlingsrecht noch etwas unmenschlicher werden kann. Grün-Rot ist auf einen Deal mit der Bundesregierung eingegangen, die Kretschmann im Gegenzug Verbesserungen in der geltenden Praxis des Umgangs mit Flüchtlingen angeboten haben soll. Flüchtlingsorganisationen wie das “Freiburger Forum – aktiv gegen Ausgrenzung” nennen die Einigung einen “faulen Kompromiss”. Viele Flüchtlinge würden gar nicht von den Verbesserungen profitieren. Dies gelte insbesondere für Personen, die aus den angeblich sicheren Herkunftsstaaten geflohen sind. Die Landesregierung spiele damit Flüchtlinge gegeneinander aus: “Ein paar Verbesserungen für wenige, die anderen werden noch schneller abgeschoben”.

Das von allen wichtigen deutschen Flüchtlingshilfsorganisationen abgelehnte Gesetz richtet sich im Kern vor allem gegen die in ihren angeblich sicheren Heimatstaaten nachweislich drangsalierten und diskriminierten Roma. Schon jetzt werden Asylanträge von Personen aus den Balkanländern zu 99 Prozent abschlägig beschieden werden, doch das reicht den Regierungsbürokraten nicht aus. Sie wollen die kurzerhand zu “Wirtschaftsflüchtlingen” erklärten Hilfesuchenden künftig noch schneller abschieben lassen und so Kosten sparen. Die Regierungskoalition reagiert damit auch auf die gegenwärtig explosionsartig steigenden Flüchtlingszahlen aus anderen Weltregionen. “Wer lebend aus Aleppo herausgekommen ist, braucht unsere Hilfe dringender als Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan”, so der zynische Kommentar von CSU-Landesgruppenschefin Hasselfeldt dazu. Nicht die Tatsache, dass die Begleiterscheinungen kapitalistischen Wirtschaftens immer mehr Menschen zur Flucht vor Krieg, Verfolgung und Elend aus ihrer Heimat zwingt, treibt die Politiker um, sondern die Sorge um die damit für den deutschen Staat verbundenen Kosten.

Annette Groth, Bundestagsabgeordnete der Linken aus dem Bodenseekreis, hat zu der Entscheidung Kretschmanns Stellung genommen. Ihre Erklärung im Wortlaut: “Es ist beschämend, dass Ministerpräsident Kretschmann nach eigenen Worten im ‘Wissen um die Diskriminierung, Ausgrenzung und Drangsalierung’ der Roma-Minderheiten in den Balkanstaaten der faktischen Abschaffung eines fairen Asylverfahrens für diese verfolgte Minderheit zugestimmt hat. Mit seiner Zustimmung hat er ihr grundgesetzlich verankertes Recht auf Asyl in einer Art ‘Kuhhandel’ faktisch aufgegeben. Die Fraktion DIE LINKE wird dafür streiten, dass diese menschenrechtspolitische Fehlentscheidung schnellstmöglich zurückgenommen wird.

Ministerpräsident Kretschmann rechtfertigt seine Zustimmung mit ‘substantiellen Verbesserungen’ für hier lebende Flüchtlinge und der Zusage des Bundes für eine finanzielle Entlastung der Länder und Kommunen. Nach Angaben Kretschmanns hat die Bundesregierung ihm für seine Zustimmung folgende Angebote gemacht:
• Lockerung der Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen einschränkt (Wegfall erst nach dem 4. Monat Aufenthalt.
• Vorrang der Geldleistung statt Sachleistungen.
• Die Vorrangprüfung für Arbeitsangebote (Deutsche und EU-Bürger werden bisher bevorzugt eingestellt) soll in der Regel nach dem 15 Monat Aufenthalt entfallen.
• Die Bundesregierung erklärt ihre Verhandlungsbereitschaft zu Entlastungsmöglichkeiten für Kommunen.

Schaut man sich diese Angebote genauer an, bleibt nicht viel an ‘substanzieller Verbesserung’: Mehrere Bundesländer haben die Residenzpflicht in ihrem Bundesland schon lange ganz abgeschafft. Ebenso praktizieren immer mehr Landkreise inzwischen das Geldleistungsprinzip, das humaner und auch einfach vernünftiger ist. Gerade aber die Aufrechterhaltung der Vorrangprüfung auf bis zu 15 Monate wird die gleichzeitig verabschiedete Verkürzung des Beschäftigungsverbots auf drei Monate in der Praxis verhindern: Weiterhin wird die große Mehrheit der Flüchtlinge 15 Monate auf eine reale Chance auf dem Arbeitsmarkt warten müssen.

Das Einzige, was die Bundesregierung in Sachen Entlastung der Kommunen den grünen Verhandlungspartner angeboten hat, ist offenbar Ihre Bereitschaft, darüber zu verhandeln. So wundert es nicht, dass angesichts einer solchen mageren Bilanz selbst die andern drei Länder mit grüner Regierungsbeteiligung entweder gegen das Gesetz stimmten oder sich enthielten. Der unwürdige Handel mit den Menschenrechten der Roma hat die Glaubwürdigkeit grüner Asylpolitik auch in den eigenen Reihen zutiefst erschüttert. Die nächste Asylrechtsverschärfung wird die Bundesregierung noch billiger bekommen wollen.