Shoppingmall-Pläne: Konstanz contra Singener „Köter“

Autor | 16. November 2015

Die Stadt am Hohentwiel plant mit dem ECE-Center am Bahnhof einen Konsumtempel, der mit rund 16 000 Quadratmetern Einkaufsfläche das Konstanzer Lago nahezu in den Schatten stellt. In Teilen der Singener Bevölkerung und des Einzelhandels gilt das überdimensionierte Projekt als höchst umstritten und auch die Konstanzer Politik klettert, allerdings aus anderen Gründen, angriffslustig und säbelrasselnd auf die Barrikaden.

Vergangene Woche beschäftigte das ECE-Vorhaben sowohl den Konstanzer Wirtschafts- als auch den Haupt- und Finanzausschuss. Einig war man sich in der Hoffnung, dass das Regierungspräsidium in Freiburg im Rahmen eines Raumordnungsverfahrens das ECE in der geplanten Größe ablehnen wird. Wenn nicht, dann biegen die Konstanzer wohl auf den Klageweg ein. Dessen Ausgang aber ist höchst ungewiss.

Die Stadt Singen hat zur Bekräftigung des ECE ein Gutachten eingeholt, in dem behauptet wird, das Einkaufszentrum beeinträchtige weder das städtebauliche Gefüge noch die Funktionsfähigkeit der Innenstadt. (Was die ECE-Kritiker völlig anders sehen, man lese dazu die angehängten Texte, die bislang auf seemoz dazu erschienen sind.) Außerdem sei nicht zu erwarten, so das Singener Gutachten weiter, dass aus dem Umland unverhältnismäßig viel Kaufkraft abgezogen werde. Das sehen die Konstanzer naturgemäß völlig anders und präsentieren ihrerseits gleich zwei Gutachten, (darunter eines vom Büro Acocella aus Lörrach) in denen, sollte das ECE in der beabsichtigten Größe genehmigt werden, allerlei Horrorszenarien an die Wand gemalt werden.

„Das Wettrüsten darf nicht unendlich weitergehen“

Natürlich würde in einem erheblichen Ausmaß Kaufkraft aus Konstanz abgezogen und auch Arbeitsplätze seien in Gefahr, wenn die Einkaufskarawanen – vorrangig aus der benachbarten Schweiz – sich plötzlich Richtung Singen bewegten und dort ihre Einkäufe tätigten. Vertreter des Konstanzer Einzelhandels und der Konstanzer Gastronomie blasen kräftig mit in dieses Horn und fordern in ihrer Stellungnahme „Gemeinsam für Konstanz“ eine „erhebliche Reduktion“ der ECE-Verkaufsfläche. Außerdem verlangen sie ein „regionales Einzelhandelskonzept“, denn „das Wettrüsten darf nicht unendlich weitergehen“.

Das sahen die Mitglieder des Wirtschafts- und Haupt-und Finanzauschusses ähnlich. Bei vielen Beiträgen waberte dick aufgetragener Lokalpatriotismus durch den Ratssaal. Konstanz sei durch das ECE als „Einkaufsstadt und Oberzentrum bedroht“, mahnte Oberbürgermeister Uli Burchardt und eine Mehrheit stimmte ihm zu. „Wir sind das Oberzentrum“, erklärte Uni-Rektor Ulrich Rüdiger ebenfalls mit Nachdruck, aber Konstanz müsse mehr mit seinen Vorzügen wuchern, um diesem Anspruch auch gerecht zu werden. Zwar sei Singen als untergeordnetes Mittelzentrum „kein Köter“, der Konstanz „nur ans Bein pinkelt“, aber „wenn wir den Köter schon wegtreten wollen, dann bitte mit Selbstbewusstsein“. Das werden die Singener sicher gerne hören.

Wer hat die Kreuzlinger und Singener zum Lago gefragt?

Schlussendlich geht es bei dieser Debatte vorrangig um Kapitalinteressen, und zwar auf beiden Seiten. Darüber täuschen auch die Flötentöne angeblicher Besorgnis um hiesige Arbeitsplätze nicht hinweg. Einer der letzten Tangos um die Verteilung der fettesten Hinterschinken beim Tanz um das goldene Umsatzkalb torkelt über die Tanzfläche. Und wenn von Konstanzer Seite mit Blickrichtung Singen dazu aufgefordert wird, das „Wettrüsten“ zu beenden, dann darf man getrost von Heuchelei sprechen. Wer hat denn mit dem Wettrüsten begonnen? Richtig, der Startschuss dazu fiel in Konstanz mit dem Lago. Hat man damals die benachbarten Kreuzlinger gefragt, wie sie dazu stehen? Nein. Heute geht der Kreuzlinger Einzelhandel am Krückstock. Nicht nur, aber auch wegen der Lago-Konkurrenz. Hat man damals die Bedenken des Singener oder Radolfzeller Einzelhandels berücksichtigt? Ebenfalls nein. Nun wundert man sich, dass auch andere vom noch großen Kuchen mehr abhaben wollen als einige karge Krümel, die das Konstanzer Oberzentrum seinen Nachbarn bislang zugestanden hat.

Die Singener sollten sich sehr gut überlegen, ob sie sich mit dem ECE einen Gefallen tun. Wenn ja, dürfen sie unter anderem damit rechnen, dass auch sie im Verkehr ersticken, wie es seit Jahren in Konstanz der Fall ist, wenn die Einkaufshorden aus nah und fern ihre Blechkarawanen in Gang setzen, um auf engstem Raum ihren Kaufrausch auszuleben. Gutachter Donato Acocella, seit geraumer Zeit mit Aufträgen aus Konstanz gut versorgt, hat zur Verkehrsproblematik eine durchaus gewöhnungsbedürftige Meinung. Für ihn steht fest: „Je mehr Verkehrsprobleme, desto besser geht es der Stadt. Wenn Sie keine Verkehrsprobleme haben, bekommen Sie andere Probleme“.

H. Reile (erschien zuerst bei seemoz)

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