Kreistag beschließt eine Resolution light gegen Freihandelsabkommen

Autor | 21. Oktober 2014
TTIP_Singen_Protest

Protest gegen das Freihandelsabkommen auf dem Hohentwiel.

Dass TTIP und andere Verträge, die den internationalen Handel von seinen angeblichen “Fesseln” befreien sollen, vor allem darauf abzielen, soziale Errungenschaften zu beseitigen und die Macht der Konzerne zu stärken, hat sich mittlerweile bis in bürgerliche Kreise herumgesprochen. Daher hat der Kreistag Konstanz auf Anregung der Linken in seiner Sitzung am Montag nahezu einhellig eine – recht milde – Resolution gegen TTIP & Co. verabschiedet.

Die Linke hat dem Kreistag einen ausführlich begründeten Resolutionsentwurf vorgelegt, der die derzeit – meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit – verhandelten Abkommen wegen ihrer sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen rundheraus ablehnt: “Bei den derzeit verhandelten ‘Freihandelsabkommen’ TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership – EU/USA), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement – EU/Kanada) und TiSA (Trades in Services Agreement – multilaterales Dienstleistungsabkommen) handelt es sich um eine ‘neue Generation’ von bi- und multilateralen Handelsverträgen, die eine Machtverschiebung zum Ziel haben, weg von demokratisch gewählten Politikern, hin zu multinationalen Konzernen.” TTIP nein danke! ist also die linke Position.

TTIP light?

Auch die bürgerlich dominierten kommunalen Spitzenverbände haben vor einiger Zeit ihre Zweifel an den Abkommen angemeldet, allerdings lehnen sie diese nicht grundsätzlich ab, sondern befürchten nur die Auswirkungen auf ihren eigenen Verantwortungsbereich: “Die kommunalen Spitzenverbände und der Verband kommunaler Unternehmen begleiten konstruktiv die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und weitere Freihandelsabkommen. Sie unterstützen das mit den Abkommen verfolgte Ziel, durch den Abbau von Handelshemmnissen und die Verbesserung der Investitionsbedingungen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu befördern. Freihandelslabkommen bergen jedoch auch erhebliche Risiken für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, die durch die Kommunen und ihre Unternehmen verantwortet und erbracht werden. Beeinträchtigungen dieser für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Dienstleistungen durch Freihandelsabkommen müssen ausgeschlossen werden.” TTIP light gern, so der Standpunkt der kommunalen Spitzenverbände.

Skepsis gegen Freihandelsabkommen fast überall

Man erkennt die verschiedenen Stoßrichtungen deutlich: Während es der Resolution der Linken um eine grundsätzliche Ablehnung einer Machtverschiebung hin zu den Konzernen, zu sozialem Elend und Umweltzerstörung geht, schauen die Kommunalpolitiker kaum über ihren Tellerrand hinaus und haben gegen die globalen Auswirkungen von TTIP & Co. wenig einzuwenden, sofern sich in ihrem Machtbereich durch die Verträge nichts ändert – eine Politik, deren enger Blickwinkel sich noch bitter rächen könnte.

Entlang dieser Grundlinien – Komplettablehnung hier, TTIP light dort – verlief schließlich die Diskussion im Kreistag. Landrat Frank Hämmerle stellte sich auf den Standpunkt, der Landkreis sei nicht für alles in der Welt zuständig, und die endgültige Entscheidung liege bei Bundesrat und Bundestag, zwei gewählten Gremien also. Der Landkreis Konstanz solle sich nur dort einmischen, wo seine ureigensten Interessen zur kommunalen Daseinsvorsorge berührt seien. Alles andere falle nicht unter seine Befassungskompetenz, und deshalb sei er dafür, das Papier der kommunalen Spitzenverbände zu übernehmen, die Forderungen im Papier der Linken gingen weit über diese Befassungskompetenz hinaus. Außerdem wollte Hämmerle die Kreisrätinnen und -räte beruhigen: Er habe in Brüssel jüngst erfahren, dass die kommunale Daseinsvorsorge (wie Wasser- und Elektrizitätswerke, Kultureinrichtungen und Gesundheitsdienste) mittlerweile im Vertrag geschützt werde. Uli Burchardt (CDU) sekundierte ihm, die kommunale Daseinsvorsorge habe immerhin im Grundgesetz in § 28 Verfassungsrang und sei daher nicht wirklich bedroht.

FDP pro Freihandel

Erwartungsgemäß trat Birgit Homburger (FDP) gegen die Kritik an Freihandelsverträgen ein. Für sie ist es keinesfalls Aufgabe des Landkreises, sich mit einem internationalen Vertrag zu befassen. Aber wichtiger als diese Formalie waren ihr die Vorteile des TTIP, und wie nicht anders zu erwarten, ist das, was anderen Angst macht, für die FDP vor allem eins: eine Chance für die deutsche Wirtschaft. Einer der häufigsten Kritikpunkte an TTIP ist, dass Streitigkeiten etwa zwischen Firmen und Staaten nicht von ordentlichen Gerichten, sondern von drei Schiedsrichtern entschieden werden, aber für die FDP sind solche Schiedsstellen durchaus von Vorteil: Für ein mittelständisches Unternehmen sei eine Klage vor einem Gericht in den USA mit hohen Kosten und Risiken verbunden, da sei ein solcher Schiedsspruch ein wirksames Mittel, den deutschen Mittelstand vor Enteignungen zu schützen. Sie trat zwar für die kommunale Daseinsvorsorge ein, kann sich aber auch auf diesem Gebiet wie bei den Wasserwerken mehr Wettbewerb (sprich: Privatisierungen) vorstellen. Deshalb kündigte sie an, die FDP werde sich wegen der positiven Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf Mittelstand und Arbeitsplätze bei der Abstimmung über die Resolution enthalten.

Deutsche Daseinsvorsorge gilt als Stamokap

Landrat Hämmerle spielte der Linken gekonnt den Ball zu, als er berichtete, er habe in Brüssel den Eindruck gewonnen, dass die meisten Staaten in der EU das deutsche Modell der Wasser- und Gesundheitsvorsorge für reinsten Staatsmonopolkapitalismus hielten.

Für Die Linke stieg Hans-Peter Koch in die Bütt: “Was Frau Homburger hier preist, genau das fürchten wir. Hier geht es nicht nur um die ganze Welt, sondern all das passiert genau hier bei uns!” Er führte etwa die Kultur an, die in Deutschland öffentlich subventioniert und in den USA ein privates Geschäft ist: Nach den Freihandelsverträgen könne eine Broadway-Show die Stadt Konstanz verklagen, weil das Stadttheater städtische Mittel erhält und die Broadway-Show nicht. Das dürfte auf Dauer dazu führen, dass sich etwa Kommunen wegen des Prozessrisikos aus der Förderung der Kultur zurückziehen. Als weiteres Beispiel führte er die deutsche Buchpreisbindung an, deren Verbot die kleinen Buchläden in den Ruin treiben und Tausende Arbeitsplätze gefährden würde. Sein Genosse Marco Radojevic ergänzte, dass einige deutsche Städte wie Hannover und München sich schon für TTIP-frei erklärt haben und erinnerte daran, dass ein US-Konzern gerade Kanada auf Schadensersatz verklagt, weil sich die Bürger in Quebec gegen Fracking entschieden haben, das alles drohe dann auch uns (Einwurf von Landrat Hämmerle “Wir sind alle gegen Fracking!”).

Das grüne Nein/Ja-Spiel

Der Grüne Siegfried Lehmann bemängelte, dass die geplanten Schiedsgerichte die Demokratie aushebeln würden, weil sie über dem Gesetz stünden. Und Günter Beyer-Köhler schließlich, kritischer Geist der Grünen, warnte vor den Abkommen. Die Endverbraucher würden die Zeche bezahlen und diese Verträge seien gegen den Umweltschutz und für eine verschärfte Ausbeutung. Nach diesen beherzten Worten kündigte er die Zustimmung der Grünen an – zur milden Resolution der kommunalen Spitzenverbände.

Der Resolutionsantrag der zweiköpfigen Linken erhielt immerhin 17 Stimmen (vor allem auch aus der SPD), am Ende obsiegte aber die Resolution der kommunalen Spitzenverbände mit ihrem TTIP light nebst einer geschützten kommunalen Daseinsvorsorge. Ein klarer Sieg einer Kirchturmspolitik, die sich kaum darum schert, welche globalen Folgen der radikale Freihandel haben wird. Hier am See geht man scheint’s davon aus, dass die Stürme schon an Konstanz vorbeiziehen werden, wenn man sich nur richtig einigelt und die Augen verschließt; aber es ist der linken Resolution gelungen, bis ins bürgerliche Lager hinein ein breites Unbehagen an TTIP und den Folgen zu wecken.

O. Pugliese

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert