Was hat die GVV-Pleite mit dem geplanten ECE-Einkaufszentrum am Bahnhof in Singen zu tun?

Autor | 12. Januar 2016

Die Städtische Baugesellschaft GVV GmbH ging 2015 in Insolvenz. Fehlentscheidungen um die chaotische Baupraxis der GVV GmbH um Sintec, Hegau Tower und anderer Bauträgergeschäfte waren letztlich nicht der auslösende Faktor für den Insolvenzantrag der GVV. Es war die bereits im Herbst 2013 zur Rückzahlung fällige Finanzierung für die gekauften Grundstücke im Kunsthallenareal, die dem städtischen Unternehmen das Genick brach. „Das Projekt Kunsthallenareal basiert auf einem Auftrag des Gemeinderats vom 19.09.2007“, heißt es im Bericht zur Bilanz. Sollten doch die zu überhöhten Preisen gekauften Grundstücke im Kunsthallenareal schon dem Bau eines ECE-Einkaufszentrums gewidmet werden. Dieses ECE-Projekt ist deshalb gescheitert, weil eine Eigentümerfamilie im Kunsthallenareal ihr Elternhaus nicht verkaufen wollte. Somit war der Kauf aller übrigen Grundstücke eine glatte Fehlinvestition.

Gemeinderäte am Katzentisch

Die Gründung einer GmbH mit städtischen Sozialwohnungen war in 1985 vermeintlich ein strategisch kluger Schachzug. Immerhin konnte die Kommunalaufsicht, das Regierungspräsidium, den Akteuren wie Bürgermeister und Gemeinderat – nun den kommunalen Immobilienzockern – nicht mehr dreinreden. Die Rollen waren verteilt, der jeweilige OB war Aufsichtsratsvorsitzender, Geschäftsführer Grundler führte die Geschäfte und Gemeinderäte durften als Aufsichtsräte wie Frühstücksdirektoren am Katzentisch Platz nehmen. Das Ziel war erreicht, städtische Immobilienspekulation wurde an die Stelle des sozialen Wohnungsbaues gesetzt.

Monopoly spielen macht Spaß, ist eine hochemotionale und Glückshormone produzierende Angelegenheit. Jeder Immobilienzocker weiß das. OBs, Geschäftsführung und Gemeinderat wissen jetzt hoffentlich auch, dass das Geschäft brandgefährlich ist, und kaufmännische Kompetenz erfordert. Auch Kontrollmechanismen wie Kostenrechnung, Projektkalkulation, Marktkenntnisse mit viel Erfahrung sowie eine professionelle Buchführungsorganisation sind nötig. Wurden doch die Kritiker der immer wilderen Bauträgergeschäfte der GVV jahrelang mit dem Argument abgespeist, dass die Bauträgergeschäfte der GVV GmbH Gewinne macht, um den sozialen Wohnungsbau in der Stadt anzukurbeln. Was aber hat eine städtische Wohnungsbaugesellschaft im Bauträgermarkt verloren?

Alle Diskussionen und das Gutachten für die Stadt um Schuld und Verantwortung für die Insolvenz der GVV lenken vom Tatbestand ab, dass die GVV dem Untergang geweiht war, nachdem der neue OB Häusler damit nicht mehr Monopoly spielen wollte. Ein Verkauf von GVV-Immobilien in 2015 zu einem Preis, der eine vollständige Abdeckung aller (!) Schulden der GVV erlaubte, erbrachte den Nachweis, dass eine Weiterführung der Gesellschaft möglich gewesen wäre.

Der Verkaufspreis lag sicher deutlich über 50 Millionen Euro, weist die Bilanz per 31.12.2013 doch einen entsprechenden Schuldenstand auf. Ja, es gab für die GVV weitere Risiken: abgeschlossene Finanzderivate und Bürgschaften der Stadt über 14 Mio. Euro. Die Bürgschaften waren im Ergebnis gar kein Problem, da diese durch den entsprechenden Immobilienwert gedeckt waren. Die Finanzderivate wurden mutmaßlich durch die Hausbank, die örtliche Sparkasse, verkauft, ebenfalls in Rechtsträgerschaft der Stadt. Womöglich hat die Rechtsaufsicht der Stadt über die Sparkasse den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung der GVV davon abgehalten, juristisch prüfen zu lassen, ob beim Verkauf der Finanzderivate auf schwankende Frankenkurse auch richtig über die bestehenden Risiken aufgeklärt wurde.

Leider hatte die GVV mit Genehmigung des Gemeinderates vom 19.09.2007 Grundstücke im Kunsthallenareal deutlich über den entsprechenden Verkehrswerten gekauft, ein Beschluss des Gemeinderates zum Kauf zum mutmaßlichen Kaufpreis von 6,8 Mio. war 2014 gefasst worden. Schaden für Stadt und Ihre Bürger entstand endgültig erst durch den Insolvenzantrag – das Eigenkapital und die nicht abgesicherten Kassenkredite von mindestens 32 Mio. € sind verloren.

Was war passiert?

Die Finanzierung für die Kunsthallen-Grundstücke war im Herbst 2013 ausgelaufen und die Rückzahlung nur noch kurzfristig gestundet worden. Der Wirtschaftsprüfer schrieb in seinem Prüfbericht zur Bilanz am 31.12.2013 zu bestehenden Risiken lapidar: „Es gibt Kredite, die wie oben beschrieben in 2013 ausgelaufen sind und bis zum heutigen Tage nur gestundet, nicht aber verlängert sind. Sollte eine Verlängerung nicht gelingen, läge hierin ebenfalls ein bestandsgefährdendes Risiko.“ Alles klar?

Was fehlte, war der Wille, den Schaden zu begrenzen, den die GVV-Geschäftsführung mit Genehmigung des Gemeinderates mit dem alten OB an der Spitze mit der völlig chaotischen Ankaufsaktion von Grundstücken im Kunsthallenareal angerichtet hatte. Ohne finanzielle Unterstützung der Stadt Singen für eine Anschlussfinanzierung des Kunsthallenareals war die Fortführung der GVV letztlich nicht möglich. Banken verschenken bekanntlich nichts und wollen deshalb ordentlich abgesichert sein. Singen hatte seinen Goldbarren verzockt und stand dann nur noch mit einer dummen Gans da.

Dass die Fortführung der GVV ein Risiko dargestellt hätte, bestreitet niemand, der etwas von Finanzierung, Immobilienwirtschaft und Insolvenzrecht versteht. Die GVV hatte allerdings ein tragfähiges Sanierungs- und Fortführungskonzept nach dem tragischen Selbstmord des Geschäftsführers Grundler erarbeitet. Dieses Konzept sah immerhin die Weiterführung der GVV GmbH als Unternehmen vor, das dem sozialen Wohnungsbau verpflichtet ist. Bauträgergeschäfte und gastronomische Aktivitäten waren bereits abgestoßen worden.

Das Geld für das jüngste Gutachten (über 2.000 Blatt Papier), um die „Schuldigen“ der Pleite ausfindig zu machen, hätte man sich sparen können. Ergebnis: Leichtsinn und Gutgläubigkeit sind nicht strafbar. Gerüchte sprechen von Kosten des Gutachtens in Höhe von einer Million Euro. Zahlbar aus dem Stadtsäckel.

Was hat die GVV-Insolvenz mit dem ECE am Bahnhof zu tun?

Die ursprüngliche Planung auf dem Kunsthallenareal stammte von Prof. Schomers aus Bremen, der den Architektenwettbewerb gewann. Die Planung war für ECE getätigt worden und Schomers schrieb in einem Leserbrief am 18.06.2013 an das Singerner Wochenblatt: „Potentieller Investor war die ECE (Familie Otto) aus Hamburg, für die ich zuvor und danach in Dresden, Dortmund und Oldenburg tätig war.“

Es ist in Singen bekannt, dass der ehemalige OB in seinem Amtszimmer bereits ein Modell des fertigen ECE auf dem Kunsthallenareal stehen hatte. Der Versuch der GVV-Geschäftsführung, Kosten in Höhe von 300.000 Euro an ECE weiter zu berechnen, scheiterten ebenfalls. Es gab niemanden, der sich an irgendetwas erinnern konnte, vor allem nicht an mündliche Absprachen.

Danach gab es eine Projektplanung auf dem Kunsthallenareal für Kaufland, wobei diese Firma nur anmieten wollte. Wieder fehlte ein Investor. Die GVV zahlte jahrelang nicht nur die Zinsen für Luftschlösser und Bauphantasien der kommunalen Entscheidungsträger – Profis hätten die Grundstücke notariell reserviert und wären später mit allen Verkäufern der Grundstücke und einem Investor zum Notar gegangen. ECE hat es am Bahnhof vorgemacht, wie es geht. Relevante Grundstücke sind mit einer Kaufoption erst mal reserviert.

Immerhin hätte sich der geplante Bau für ECE im Kunsthallenareal mit einem breiten Haupteingang zur Fußgängerzone in der August- Ruf- Straße – mit wesentlich weniger Fläche als jetzt am Bahnhof geplant – noch einigermaßen organisch in die Innenstadt eingefügt. Der nun geplante Bau am Bahnhof (deutlich größer als auf dem Kunsthallenareal) hat gar keinen direkten Zugang von der Fußgängerzone.

Die geplanten beiden Kopfbauten mit dem eingeklemmten Café Hanser zur Fußgängerzone schirmen das Zentrum zur August-Ruf-Straße, der Fußgängerzone, ab. Das Projekt auf dem Kunsthallenareal hätte eine quadratische Anordnung mit sternförmigen Zu- und Ausgängen in die Innenstadt erlaubt, ganz im Gegensatz zur jetzigen Planung am Bahnhof. ECE taucht nun am Bahnhof als lang gezogenes, autonomes innerstädtisches Einkaufszentrum auf. Alles wird nun 220 Meter lang, recht schmal an der Bahnhofstraße entlang geplant, kein Laden öffnet sich nach außen und die sechs Eingänge (drei zur Bahnhofstraße und drei zur Hegaustraße) werden mit abschließbaren Türen versehen. Käufer fahren auf das Dach, parken und können ihren gesamten Bedarf im ECE abdecken.

Die typische Knochenstruktur eines zur bisherigen Innenstadt geschlossenen Einkaufszentrums bildet auf drei Geschossen eine ins ECE verlagerte Fußgängerzone und wird den bestehenden Einzelhandel mit der Gastronomie nach Eröffnung mehr oder weniger kannibalisieren. Ein Besuch in der übrigen Innenstadt ist ja nicht mehr notwendig und von ECE architektonisch verhindert.

In einem von ECE bezahlten Gutachten wird darauf hingewiesen, dass das Vorhaben der ECE deshalb unbedenklich sei, weil der bestehende Singener Handel zum Umsatz hauptsächlich beitragen wird. Eine gleiche Aussage trifft ein vorläufiges Verkehrsgutachten zum Raumordnungsverfahren: Mit zusätzlichen Verkehr sei im Umfang von ca. 25% zu rechnen, vorhandene Verkehrsströme werden eben im ECE am Bahnhof einkaufen. Singener Einzelhändler fürchten somit nicht grundlos um Ihre Existenz und arbeiten deshalb in der Singener Bürgerinitiative „Für Singen“ mit, die eine Beschränkung auf maximal 15 % der Singener Mietfläche fordert.

Sozialwohnungen? Fehlanzeige!

Vielleicht werden viele neue Schweizer Kunden diesen Prozess der Kannibalisierung verzögern. Der starke Schweizer Franken hat es aber auch anderen Gemeinden angetan. Neben Singen beabsichtigen Gottmadingen und Radolfzell ebenfalls große neue Einzelhandelsflächen. Was aber passiert nach einer Normalisierung der Wechselkurse?

Verzögerungen des Zeitplanes in Singen sind vorprogrammiert. Konstanz hat Klage gegen einen positiven Entscheid des Regierungspräsidiums für das Projekt bereits angekündigt. Der Ausgang einer immer wahrscheinlicher werdenden Bürgerentscheidung ist offen.

Die Stadtverwaltung als treibendes Element des Vorhabens plant vor der entscheidenden Abstimmung über den Bebauungsplan eine Klausurtagung mit allen Gemeinderäten. Die Klausurtagung haben die Gemeinderäte Singens sicher bitter nötig, um bestehende Zweifel auszuräumen und sie von der Alternativlosigkeit der Planung des Projektentwicklers ECE zu überzeugen.

Sozialwohnungen werden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – seit vielen Jahren in Singen ohnehin nicht mehr gebaut, fehlt es doch am politischen Willen – nach wie vor. 1985 war die Stadt Singen noch stolze Besitzerin von 718 Sozialwohnungen. 2013 hatte die GVV GmbH noch 460 Wohnungen. Nun sind alle Wohnungen verzockt und die Stadt hat von den ursprünglich vorhandenen Sozialwohnungen gar nichts mehr. In Singen geht der Wahnsinn weiter. Monopoly eben.

Peter Mannherz

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