Abschied von einer (politischen) Freundin

Autor | 24. Januar 2019

Ganz zu Anfang des Jahres starb im Alter von 93 Jahren eine starke Frau, deren politische Biografie noch im deutschen Nazi-Reich begonnen hatte. Ihr letzter Lebensabschnitt führte die schreibgewandte Journalistin und sozialistische Streiterin, die jahrelang für linke Medien in ganz Europa gearbeitet hatte, nach Konstanz. Hier engagierte sie sich, nicht nur schreibend, in der PDS und der Linken Liste. LLK-Stadträtin Anke Schwede hat Erika Burmeister gut gekannt und würdigt die Freundin in ihrem Beitrag als einen aufrechten Menschen, der sich in seinem bewegten Leben nie verbiegen ließ.

Erika Burmeister (28. Februar 1925 bis 2. Januar 2019)

Es muss Mitte oder Ende der 90er Jahre gewesen sein, als ich Erika Burmeister das erste Mal sah. Die PDS/Linke Liste traf sich damals im „La Fragata“ in der Bodanstraße, später dann im Linke-Büro in der Chérisy-Kaserne. Nach dem Tod ihres Mannes war sie 1993 nach Konstanz gezogen, in die Nähe ihres Sohnes und seiner Familie. Als von klein auf politisch geprägter Mensch suchte sie Anschluss an linke Kreise und fand eine neue Heimat bei der Linken Liste und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA). Von gegenseitiger Sympathie und Respekt geprägt war ihr Verhältnis zum LL-Altstadtrat Dr. Michael Venedey, dem 1999 der Einzug in den Konstanzer Gemeinderat gelang.

Fortan saß Erika regelmäßig im Konstanzer Stadtparlament und berichtete in ihrem klaren Stil treffsicher über die Sitzungen. Venedeys handgeschriebenen Texte, die in der kleinen linken Zeitschrift „Seeblättle“ erschienen, erfasste sie in einem Internetcafé. Gut ist mir noch in Erinnerung, wie bewundernswert schnell sie ihre stenographierten Notizen zu Papier brachte. Später kam sie in mein Büro und wir tippten die Beiträge gemeinsam in den PC. So entstanden viele Texte – nicht nur Berichte aus dem Konstanzer Rat, sondern auch Artikel zu anderen Themen. Zum Beispiel über Gedenkfeiern zum 9. November, den Personalabbau bei Altana, den Konstanzer „Aufruf gegen Neofaschismus“ oder die Anfänge der Stolperstein-Initiative 2006.

Aber werfen wir ein Blick zurück, zu den Anfängen und weiteren Stationen ihres langen und bewegten Lebens.

Frühes Engagement

Erika Burmeister wurde als einzige Tochter von Karl Schäfer und Hedwig Tessmar 1925 in Berlin geboren. Der Vater stammte aus einer sehr musikalischen, der Überlieferung nach teilweise spanischstämmigen Familie. Für Tochter Erika baute er eigenhändig ein Kinderklavier, das sie mit fünf Jahren zum Geburtstag bekam. Von Anfang an ein entschiedener Gegner der Nazis, engagierte sich Karl Schäfer in der SPD und der Gewerkschaft. Mütterlicherseits verbanden sich deutsche, polnische, jüdische und hugenottische Wurzeln miteinander. Geprägt durch die humanistische Weltanschauung ihres Vaters, blieb Erika zeitlebens bildungshungrig und liebte das Lesen. Der Vater wurde nach der Machtergreifung Hitlers mehrfach verhaftet und verhört, die Familie schikaniert. 1943 zwangen die Nazis Erika zur Umsiedlung, die 18-Jährige musste in einer polnischen Fabrik Zwangsarbeit leisten. Im selben Jahr nahm sich ihr Vater das Leben, denn er sollte in ein Konzentrationslager deportiert werden – ein furchtbarer Schicksalsschlag für die Tochter, die den Vater über alles geliebt hatte. Zusammen mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter gelang ihr Anfang 1945 die Flucht nach Berlin. Dort engagierte sich Erika schon bald für soziale Gerechtigkeit, Pazifismus und die Überwindung der Nazi-Gräuel.

Ehe und Beruf

Sie begann für verschiedene Zeitungen zu schreiben und lernte dabei ihren zukünftigen Mann kennen. Erika Schäfer und Hans-Werner Burmeister heirateten 1950 in Hamburg, den beruflichen und privaten Mittelpunkt fanden die Eheleute bald darauf in Düsseldorf. Ihr Zuhause war ein illustrer Treffpunkt – ehemalige Kämpfer der internationalen Brigaden, jüdische KünstlerInnen sowie italienische und französische Widerstandskämpfer gaben sich die Klinke in die Hand. 1956 und 1958 kamen zwei Söhne zur Welt. Die Vollblutjournalistin begnügte sich indes nicht mit der Hausfrauenrolle. Sie heizte frühmorgens die Kohleöfen an, führte den Hund aus, holte einen riesigen Packen Zeitungen beim Händler ab, brachte die Kinder zur Schule – danach stand das Schreiben von Meldungen auf der Tagesordnung. Das Ehepaar hatte eine kleine Redaktion aufgebaut und schrieb, vornehmlich für sozialistische Medien in ganz Europa, gegen die Profitgier der aufkommenden deutschen Wohlstandsgesellschaft und die mangelnde Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit an. 1970 gründeten sie zusammen mit KollegInnen die „Progress Presse Agentur“, Hans-Werner wurde Chefredakteur, sie Redaktionsleiterin. Nur ein Jahr danach der unfassbare Schock, als der jüngere Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Bezeichnend für die Willenskraft der zierlichen Erika Burmeister war, dass sie in dieser Zeit des Leids Ehemann und Sohn eine große Stütze war.

Die Achtziger- und Neunzigerjahre sahen sie in der Rolle der fürsorglichen Großmutter. Vier Enkel stellten die umtriebige Erika vor neue Aufgaben, die sie souverän und liebevoll bewältigte. Nach dem Tod des Ehemannes 1991 unternahm Erika einige Urlaubsreisen und zog schließlich nach Konstanz um. Ihre politischen Überzeugungen waren geblieben, bis zu ihrem Tod behielt sie die VVN-Mitgliedschaft bei. Über ihrem Bett hing das Manifest der Zweiten Spanischen Republik, der sie sich sehr verbunden fühlte. Bei der VVN und Linken Liste versäumte sie kaum ein Treffen, 2004 und 2009 kandidierte sie für den Gemeinderat.

Ihre letzten Jahre verbrachte diese starke Frau in einem Pflegeheim, gegen Alzheimer-Demenz kam selbst sie nicht an. Als ich Erika zuletzt mit einer Freundin besuchte, erkannte sie uns sehr wahrscheinlich nicht mehr, behandelte uns aber ganz selbstverständlich wie gute alte Freundinnen – wir unterhielten uns wunderbar. In Erinnerung bleiben wird mir ihre gute Laune, die Ausgeglichenheit und ein Lächeln, das stets das ganze Gesicht erhellte. Nach einem Wiederaufflackern des vor Jahren eigentlich überwundenen Brustkrebses schlief Erika Burmeister am 2. Januar im Kreis der engsten Familie für immer ein.

Adiós liebe Erika, wir werden dich nie vergessen!

Anke Schwede (Foto: Guido Kasper)

Herzlichen Dank an Jörg Burmeister für die Bereitstellung der Biographie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert