Zwischen Erschütterung und Empörung – so lässt sich die Stimmungslage bei der Bürgerinitiative “Für Singen” nach dem Gemeinderatsbeschluss für eine ECE-Shoppingmall vielleicht am zutreffendsten beschreiben. Resigniert haben die AktivistInnen allerdings nicht, im Gegenteil. Sie wollen jetzt mit aller Kraft für eine Ablehnung des Großprojekts am Bahnhof beim Bürgerentscheid am 17. Juli kämpfen.
Von Entmutigung durch das Pro-ECE-Votum ist nichts zu spüren bei der Pressekonferenz der Bürgerinitiative am vergangenen Freitag im Schulungsraum der Singener Karstadt-Filiale. Es sei ja zu erwarten gewesen, dass der Gemeinderat den Weg für den Hamburger Projektentwickler ECE frei macht, sagt Regina Henke, Sprecherin der Bürgerinitiative. Dass am Ende aber nur drei Stadträte gegen die Pläne gestimmt haben, sei schon erschütternd. “Es hat uns wirklich erstaunt, wie unempfindlich die gegen Argumente sind”, sagt Henke, die Gemeinderäte hätten Fakten einfach nicht zur Kenntnis genommen. Manuel Waizenegger, Geschäftsführer beim Modehaus Zinser, wirft dem Gremium vor, es habe eine “Einladung zur Butterfahrt mit ECE” angenommen und dazu “die rosaroten Brillen aufgesetzt”, die von den Hamburger Investoren verteilt worden seien.
Dass es Fakten genug gegen ein Einkaufszentrum in dieser Größe und an diesem Standort gibt, machen mehrere Mitglieder der Bürgerinitiative deutlich. Der Steuerberater Peter Mannherz, der viele Kleinunternehmen auch im Handel betreut, warnte etwa vor dem “Staubsauger-Effekt”, den ECE für den Einzelhandel auslösen werde. Profitieren würden, wenn überhaupt, allenfalls einige Geschäfte im unmittelbaren Umfeld, das Gros der Läden werde unter dem Konkurrenzdruck zu leiden haben, wobei das nicht nur für das Stadtgebiet gelte, “das strahlt bis ins Umland aus”, ist Mannherz überzeugt. Von mehreren Sprechern wird außerdem auf Prognosen verwiesen, denen zufolge beispielsweise im textilen Einzelhandel der Anteil der Online-Einkäufe von derzeit 12 bis zum Jahr 2030 auf rund 40 Prozent ansteigen soll. “Dass es durch ECE jetzt 80 Prozent mehr Verkaufsmöglichkeiten geben soll, ist absurd”. Da eine Zunahme der Kaufkraft nicht zu erwarten sei, drohe ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb, bei dem vor allem kleine, inhabergeführte Unternehmen auf der Strecke bleiben würden.
Auch die Verkehrsprobleme, die durch den Einkaufsgiganten im Herz der Innenstadt entstünden, seien alles andere als gelöst. Im vorliegenden Verkehrsgutachten habe man sich die zu erwartende Belastung schöngerechnet. Widersprüchlichkeiten seien dabei unübersehbar. Tatsächlich operieren die Befürworter mit einem Plus von bis zu 20 000 Center-Besuchern an Spitzentagen, das Gutachten gehe trotzdem von einer zusätzlichen Belastung von lediglich 250 PKWs pro Stunde aus. Eine vollkommen unseriöse Rechnung, sagen die ECE-KritikerInnen und verweisen auf die Blechlawinen, die das Lago den geplagten AnwohnerInnen in der Nachbarstadt Konstanz regelmäßig beschert. Getrickst habe man im übrigen auch mit der als Zugeständnis gefeierten Zahl neuer Parkplätze. Mehr als die vorgesehenen 480 neuen Abstellmöglickkeiten gäbe der Bau gar nicht her, was ECE selbst bestätigt habe.
Markus Klemt, Sekretär der Gewerkschaft ver.di, warnt vor den Folgen der zu erwartenden Umstrukturierung für die Beschäftigten im Einzelhandel. Er betrachtet die Singener Entwicklung als Teil einer allgemein festzustellenden “massiven Verschärfung des Wettbewerbs”. Bundesweit sei eine Zunahme der Verkaufsflächen von 30 Prozent zu konstatieren – bei unveränderter Kaufkraft. Der Konkurrenzkampf, der um Kundenanteile tobe, werde “auf dem Rücken der Beschäftigten” ausgetragen. Der Gewerkschaft macht vor allem die Qualität der Arbeitsplätze in solchen Centern Sorge. “Außer Führungskräfte”, weiß Klemt, “stellen die Mitarbeiter grundsätzlich nur befristet ein”. Er prognostiziert prekäre Jobs in Teilzeit und auf 450-Euro-Basis. Zudem bekämpften die meisten der in solchen Zentren angesiedelten Unternehmensketten wie H&M oder Esprit aktiv betriebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten. Der Gewerkschafter sagt außerdem Steuereinbußen für die Stadt voraus. Zum einen werde durch die Zunahme des Niedriglohnssektors die Einkommenssteuersumme sinken. Zudem: “Konzerne verschachteln sich, um Steuern zu vermeiden, während der kleine Mittelständler ordentlich bezahlt.”
Großen Wert legt die Initiative “Für Singen” darauf, dass es ihr nicht alleine darum geht, einen “monströsen Eingriff in die Stadtstruktur” (so ein ehemaliges Mitglied im Singener Bauforum) zu verhindern. Sie verknüpft die Auseinandersetzung um die Shoppingmall vielmehr mit grundsätzlichen Aspekten der Stadtentwicklung. “Es geht auch um die ethische Frage, was macht die Stadt lebens- und liebenswert” sagt Regina Henke, “wollen wir uns nur noch über Konsum definieren?” So verweisen mehrere Sprecher darauf, dass die Stadt eine soziale Verantwortung gegenüber ihren Bürgern habe, beispielsweise für “die Vielen, die keine Wohnung in der Stadt finden”. Statt eines gesichtslosen Giganten brauche man eine „intelligente und feingliedrige Stadtentwicklung“.
Für diese Ziele wird die Bürgerinitiative nun in den Wahlkampf ziehen und um ein Nein werben. Neben den Donnerstagsdemos, die nächste findet am 9. Juni statt (siehe Kasten), kündigte BI-Sprecherin Henke zahlreiche weitere Aktionen an. Geplant sind unter anderem regelmäßige Informationsstände in der Fußgängerzone und auf dem Wochenmarkt. Eine Plakatserie, die zentrale Gründe gegen den Center-Koloss bündelt, ist bereits gedruckt und soll flächendeckend in der Stadt und den Teilorten zum Einsatz kommen, außerdem sind Flyer geplant, über weitere Aktivitäten wird noch nachgedacht. Die Gewerkschaft ver.di plant eine Informationsveranstaltung nicht nur für ihre Mitglieder und auch die Grünen – zwei ihrer drei Stadträte haben dem Center zugestimmt – wollen eine machen.
Den ECE-GegnerInnen ist bewußt, dass der Wahlkampf kein Spaziergang wird: Die Aufgabe ist “anspruchsvoll”, sagt Manuel Waizenegger am Freitag, gibt sich aber optimistisch. Die Initiative habe sich zum Ziel gesetzt, einen Bürgerentscheid durchzusetzten. Das sei gelungen, jetzt stehe der nächste Schritt an: “Wir werden diese 7200 Stimmen zusammenbekommen.” Und Karstadt-Filialleiter Thomas Przybylksi hofft, dass es gelingt, viele SingenerInnen zur Beteiligung an der Abstimmung zu bewegen. “Das Thema geht uns alle an”.
J. Geiger
Die Bürgerinitiative „Für Singen“ ruft zu ihrer nächsten Donnerstags-Kundgebung, am 9.Juni um 19 Uhr auf.
Dieses Mal treffen wir uns wieder vor dem Cafe Hanser, gehen dann wieder entlang der Hegaustraße, umrunden das Gelände des geplanten ECE-Centers bis wir wieder am Ende des Holzerbaus stehen.
Die Demonstration steht ganz im Zeichen des bevorstehenden Bürgerentscheids und wir rufen die Bevölkerung dazu auf, am 17. Juli Nein zum ECE-Center in der geplanten Größe zu sagen!
Die Bürgerinitiative „Für Singen“ hatte es sich zum Ziel gesetzt, einen Bürgerentscheid zu erreichen. Das ist gelungen und nun will sie den Bürgerentscheid auch für die Stadt Singen entscheiden – das wird eine anspruchsvolle Aufgabe, die der Unterstützung aller Bürger von Singen bedarf, die dieses Center so nicht haben wollen. Um zahlreiche Teilnahme an der Kundgebung wird deshalb gebeten.
• Wir haben, wie auch Stadtrat Dr. Both in der Gemeinderatssitzung am 31. Mai gesagt hat, keinen Zweifel, dass sich das Center für die Hamburger Firma ECE rechnen wird, aber die Revitalisierung der Reststadt, die an den Rändern veröden wird, das sollte allen klar sein, werden die Stadt Singen und damit die Bürger bezahlen müssen!
• Wir wollen keinen Stillstand in der Stadt, aber wir wollen die Weiterentwicklung der Stadt nicht nur auf das Einkaufen und Verkaufen reduzieren. Zu einer lebens- und liebenswerten Stadt gehört doch viel mehr: Innerstädtischer Wohnraum, Kultur, Grünflächen, Begegnungsstätten, saubere Umwelt und kein Dauerverkehrchaos und authentische Gastronomie!
• Lassen wir uns nicht blenden von den Hochglanzabbildungen der ECE, Center dieser Art gibt es zwar in Singen noch nicht aber sonst überall auf der Welt! Elemente wie Wasser und Lichtkorridore kann man auch seit Jahren schon bei zum Beispiel Heikorn bewundern. Und der vielgepriesene Food Court im Center, In meiner Terminologie würde ich das Schnellrestaurant nennen und das ist weder neu noch zusätzlich attraktiv für Singen.
Herr Waizenegger, Geschäftsführer der Firma Mode Zinser, wird in seinem Redebeitrag zu dem immer wieder beschworenen „Nullszenario“ Stellung nehmen „Was passiert, wenn nichts passiert?“.
Das Center muss so nicht gebaut werden – noch ist es nicht entschieden!
Wir freuen uns auf zahlreiche Teilnehmer.
Regina Henke
Für die Bürgerinitiative „Für Singen“
► Weitere Infos: http://fuer-singen.de/