Die Stadt Radolfzell scheint sich in jüngster Zeit zu einem Schwerpunkt von Aktivitäten der Nazigruppierung “Der III. Weg” zu entwickeln. Die aus dem völkischen Kameradschaftsumfeld hervorgegangene Kleinpartei hinterlässt ihre Spuren in der Stadt am Bodensee nicht nur durch eine Vielzahl von rassistischen Aufklebern, die seit Monaten vermehrt im Stadtbild auftauchen. Immer wieder verbreiten die Rechtsextremisten ihre kaum verbrämte nationalsozialistische Propaganda bei Flyer-Aktionen und Kundgebungen.
Angetan hat es den Neonazis vor allem ein Denkmal auf dem Luisenplatz, das seit Jahrzehnten für Kontroversen sorgt. Das martialische Monument, 1938 von den Nationalsozialisten als „Ehrenmal für die Gefallenen des Weltkriegs” errichtet, war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Schauplatz jährlicher „Heldengedenkfeiern“. Auch nach 1945 fanden bis in die 70er Jahre an dem kaum veränderten Kriegerdenkmal regelmäßig öffentliche Kundgebungen ehemaliger SS-Angehöriger und HIAG-Mitglieder (“Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e. V.”) statt.
Kultstätte für Rechte
Bis heute begeht die Stadt Radolfzell an diesem denkbar ungeeigneten Soldatenstandbild jährlich die Feiern zum „Volkstrauertag“. Immerhin hat man die Gedenkstätte 2011 um eine Inschrift ergänzt und gedenkt nun der “Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft und der Toten aller Kriege”. Ein mehr als halbherziger Versuch allerdings, sich durch die Flucht in Gemeinplätze um historische Tatsachen zu drücken. Unverändert firmieren nämlich zahlreiche Täter aus den Reihen der Waffen-SS auf den neben dem Denkmal angebrachten Namenstafeln als Opfer.
Wenig verwunderlich, dass sich das Denkmal für eine erstarkende Rechte gerade in jüngster Zeit zu einer Art Kultstätte entwickelt hat. So veranstalteten am 8. Mai 2015 Anhänger des „III. Weg“ eine „Heldengedenk“-Aktion vor dem Monument (O-Ton Website: „Der Massenmord an uns Deutschen gegen und nach Ende des zweiten Weltkrieges war ein Versuch uns Deutschen den letzten Willen zu nehmen“), auch 2016 waren dort rechtsextremistische Vorfälle zu verzeichnen; im Sommer marschierten dann Nazis durch Radolfzells Innenstadt, nur drei Monate später wurden 38 rund um das Denkmal aufgestellte „Friedensfahnen“ gestohlen, mit denen die Stadt dem Luisenplatz symbolisch eine neue, friedlichere Bedeutung verleihen wollte. Am Tatort zurück blieben Flyer und Aufkleber des dritten Wegs.
„Lieber bunt als Nazi-Schund“
Ende Januar nun hatten Unbekannte das unsägliche Kriegerdenkmal mit Farbbeuteln traktiert und, um deutlich zu machen, dass hier kein Fall von Vandalismus vorliegt, eine sympathische Botschaft angebracht: „Lieber bunt als Nazi-Schund“. Außerdem markierten sie auf einer der Namenstafeln den Namen Heinrich Köppen, wohl stellvertretend für die NS-Täter, die auf den Tafeln als Opfer auftauchen: Der Mann war Bataillonskommandeur der „SS-Standarte Germania“ in Radolfzell.
Dass diese offenkundig antifaschistisch motivierte Aktion in Kreisen der Nazi-Kameraden ein Aufheulen auslöste („Kriegerdenkmal in Radolfzell am Bodensee geschändet“), erstaunt nicht. Wohl aber die Reaktion der Stadtverwaltung auf ein von den Drittweglern per E-Mail an sie versandtes Schreiben, in dem die Stadt aufgefordert wird, „dies unverzüglich zu beheben“. Andernfalls, so die Drohung der anonymen Schreiber, werde „unsere Partei vor Ort die Säuberungsaktion anmelden und diese öffentlichkeitswirksam durchführen“.
Die Verwaltung strafte diese Drohmail nicht etwa durch Nichtbeachtung oder leitete sie an die Sicherheitsbehörden weiter. Nein, man schickte den Rechtsextremen eine fast wie eine Entschuldigung klingende Antwort, wie die Rechtsextremisten auf ihrer Website sichtlich triumphierend vermelden konnten. Auf seemoz-Anfrage bestätigt die zuständige Radolfzeller Bürgermeisterin Monika Laule den E-Mail-Verkehr mit den Nazis. Sie habe dem dritten Weg tatsächlich mitgeteilt, dass sich die Reinigung des Denkmals aufgrund der damals herrschenden Minustemperaturen und der porösen Steinbeschaffenheit verzögere. Außerdem, so Laule, sei darin die „Säuberungsaktion“ ausdrücklich untersagt worden und man habe mit rechtlichen Konsequenzen gedroht.
Das focht die Rechten jedoch nicht an, die mit einem weiteren Schreiben nachlegten, in dem nun „eine öffentliche Kundgebung an Ort und Stelle“ angekündigt wurde, „um auf den schändlichen Umgang mit dem Erbe unserer Väter (sic!) in heutiger Zeit aufmerksam zu machen“. Als dann, nur kurze Zeit danach, eine Fachfirma im Auftrag der Stadt das Denkmal reinigte, informierte Bürgermeisterin Laule auch den dritten Weg, „Beweisfotos“ inklusive, wie die Neonazis genüsslich vermerken und, klar, als Nachgeben der Stadt feiern, die ihren Forderungen nachgekommen sei. Monika Laule verteidigt ihre Reaktion auf die Nazi-Drohungen trotzdem: „Mir ging es darum zu verhindern, dass die wieder eine Kundgebung machen“.
Abwiegeln und Kleinreden
Nicht zum ersten Mal drängt sich der Eindruck auf, dass Abwiegeln und Kleinreden Leitlinie der Radolfzeller Verwaltung im Umgang mit den Rechtsextremisten ist. Schon im Sommer letzten Jahres hatte sie die Öffentlichkeit nicht über einen Aufmarsch von Neonazis in der Stadt informiert, nur Antifaschist*innen aus der Region war es zu verdanken, dass die rassistische Hetze nicht ohne öffentlichen Widerspruch blieb. Gerade im Fall des Kriegerdenkmals, das wie kein anderes Bauwerk in der Stadt für die düstere NS-Geschichte Radolfzells steht, wäre endlich ein Bruch mit der bisherigen Praxis des Wegduckens nötig. So aber können Neonazis und Rassisten die Reaktion der Stadt zufrieden als Einknicken vor ihren Unverschämtheiten registrieren. Klare Kante gegen Rechtsextremismus sieht anders aus.
J. Geiger
Informationen zur NS-Geschichte Radolfzells im Allgemeinen und der des Kriegerdenkmals im Besonderen finden sich auf der empfehlenswerten Website der „Initiative für Offenes Gedenken in Radolfzell“.