Eine Hürde weniger für den Synagogen-Bau

Autor | 21. Mai 2015
Synagoge-Baustelle

Sigismundstraße 8. Hier soll die Synagoge entstehen, nicht weit entfernt vom Ort, an dem die Nazis die alte zerstört haben. (Foto: Koch)

So entspannt wie am Dienstag lustwandelt der Konstanzer Gemeinderat selten durch seine Sitzungen: Während es sonst neben viel Kampf auch viel Krampf bis in die tiefe Nacht hinein gibt, war die Tagesordnung der öffentlichen Sitzung bereits nach zwei Stunden abgearbeitet, und selbst Großprojekte wie die Synagoge wurden quasi im Handumdrehen weitgehend kampflos auf den Weg gebracht.

Es sind manchmal die vermeintlich kleinen Dinge, die den Menschen überraschen. So etwa der Karl-Leo-Nägele-Preis, den Oberbürgermeister Uli Burchardt im Namen der Stadt an Verena Zupan, Jens Pobig und Stefan Kitzmann verlieh, die ihre Ausbildung bei der Stadt bzw. den städtischen Betrieben mit überdurchschnittlichen Noten abgeschlossen haben. Karl Leo Nägele, so erläuterte der OB dem Publikum, war Präsident der Handwerkskammer und hinterließ 1991 der Stadt 145.000 DM, aus deren Zinsen die Preisgelder bezahlt werden. Der Applaus für die drei Preisträgerinnen und Preisträger war allgemein. Allerdings hat Verena Zupan die städtischen Dienste schon verlassen, weil sie nach Abschluss ihrer Ausbildung von der Stadt keinen befriedigenden Vertrag erhielt.

Die Synagoge wird wohl gebaut

Seit 1999 war das Thema Synagogenneubau bereits achtmal im Gemeinderat, und es hat sich im Laufe der Jahre zu einem lokalpolitischen Dauerbrenner entwickelt. Nachdem die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG) nach endlosem Hin und Her Ende letzten Jahres das endgültige Ende ihrer Synagogenpläne erklärt hatte, gab es wenige Monate später einen Rückzug von diesem Rückzug: Die Stadt solle das Grundstück in der Sigismundstraße jetzt bitte doch der IRG übertragen.

Etliche Gemeinderätinnen und -räte sind angesichts des ewigen Hin und Hers schon länger genervt, aber natürlich müssen angesichts der beispiellosen Verbrechen der deutschen Faschisten und ihrer bürgerlichen HelfershelferInnen in diesem Fall andere Maßstäbe angelegt werden. Daher war von vornherein klar, dass die kostenlose Übertragung des Grundstücks an die IRG eine überwältigende Mehrheit finden würde.

Offenes Haus

Allerdings hat der Rat dieses Mal einige neue Sicherungen eingebaut. Einerseits verzichtet er wie bei jeder anderen Religionsgemeinschaft auch gegenüber der IRG auf eine (offene) Einmischung in deren innere Angelegenheiten, andererseits konstatiert er sicherheitshalber in einer Präambel: „Die IRG Baden und die Stadt Konstanz sind sich einig, dass die neue Synagoge mit Gemeindezentrum als ‚offenes Haus’ künftig Heimat für die gesamte jüdische Gemeinschaft in Konstanz und Umgebung sein soll. Sie wird deshalb ausdrücklich allen in Konstanz und der Region lebenden Juden für die Ausübung des jüdischen religiösen Lebens offen stehen und frei zugänglich sein, unabhängig von der Art und Ausrichtung ihrer Religionsausübung.“

Wer sich der unerbittlichen Streitigkeiten zwischen den beiden jüdischen Gruppierungen in Konstanz und der Reaktion der IRG darauf entsinnt, versteht, weshalb der Gemeinderat auf diese Präambel Wert legt. Die Präambel lässt sich wohl auch so lesen: Auch die „liberalen“ Jüdinnen und Juden sollen in der Synagoge eine religiöse Heimstatt finden – und wenn daraus nichts wird, weil sich die „konservative“ Mehrheit querstellt und die „Liberalen“ vergrault, ist es dem Rat auch egal, denn er mischt sich ja nicht in die inneren Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften ein und hat mit der Präambel seiner Erwartung Ausdruck verliehen, dies möge eine Synagoge für alle werden. Hier die gemeinderätlichen Hände, dort eine ganze Badewanne voller Unschuld – und jetzt mindestens bis zu den Ellenbogen rein damit.

Der Zeitplan

Ebensolchen Wert legt der Gemeinderat darauf, dass auf dem Grundstück tatsächlich in absehbarer Zeit eine Synagoge errichtet wird und damit endlich Ruhe einkehrt und nicht nur ein neuer Ritt durch Absurdistan beginnt. Deshalb werden verschiedene Fristen in den Vertrag geschrieben, die sicherstellen sollen, dass die IRG ihrer Baupflicht auch tatsächlich nachkommt – werden diese Fristen nicht eingehalten, soll das Grundstück automatisch der Wobak anheimfallen. Man hofft also, dieses Mal einen Weg gefunden zu haben, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern, denn schon so manches Mal haben sich die Partner bei diesem Projekt als äußerst wankelmütig erwiesen.

Wird der Plan tatsächlich eingehalten, kommen jetzt erst mal die Archäologen zum Zuge, ehe dann voraussichtlich ab dem nächsten Frühjahr die neue Synagoge entsteht, mit deren Fertigstellung dem Vernehmen nach im März 2018 gerechnet wird.

Kritik an den Plänen

Ein Haar in der Suppe fanden allerdings die Ritter vom Kreuz der freien Marktwirtschaft von der FDP: Sie bemängelten, dass das Grundstück, falls die IRG ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, automatisch an die Wobak gehen soll. Sie forderten vielmehr, das Grundstück müsse in diesem Falle zum Verkehrswert auf dem freien Markt angeboten werden, fanden dafür aber keine Mehrheit.

Grundsätzlich gegen das Projekt sprach sich allein Holger Reile (LLK) aus, der in diesem Punkt eine andere Meinung als seine LLK-Kollegin Anke Schwede vertrat (siehe Kasten): Reile war über viele Jahre für den Synagogenneubau, hat aber nach Jahren internen Hickhacks innerhalb der verschiedenen jüdischen Religionsgruppen das Vertrauen in den Baupartner verloren und bezeichnete die Präambel des Vertrages als „Flötentöne“. Er kritisierte das seiner Meinung nach undemokratische Vorgehen der IRG gegen die „Liberalen“, sprach in diesem Zusammenhang von einem „religiösen Scheinfrieden“ und zweifelte nach all den Verzögerungen und geplatzten Terminen der vergangenen Jahre an, dass dieses Mal tatsächlich eine Synagoge gebaut wird. Er sieht im Synagogenneubau vielmehr ein „Projekt mit äußerst beschränkter Hoffnung“. Aber die Hoffnung, so bewies es die ziemlich einmütige Entscheidung des Rates für die Übertragung des Grundstücks an die Synagoge, stirbt zuletzt.

O. Pugliese

WORTLAUT | Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, lange Jahre haben wir uns alle hier dafür eingesetzt, dass eine neue Synagoge gebaut wird – unweit der Stelle, an der einst die nationalsozialistische Mörderbande die alte zerstört hat. Auch wir waren selbstverständlich für eine neue Synagoge und hätten uns gewünscht, dass aus dem Vorhaben auch etwas wird. Seit mehr als dreizehn Jahren beschäftigen wir uns nun mit diesem Thema und heute liegt es erneut auf dem Tisch. So wie es aussieht, gibt es eine Mehrheit für den Neubau, ich werde aber dennoch nicht zustimmen und will Ihnen kurz meine Gründe erläutern. Eine Vorbemerkung noch: In unseren Reihen wird das Projekt unterschiedlich gesehen und daraus ergibt sich wahrscheinlich auch ein dementsprechendes Abstimmungsverhalten.

Zur Sache: Als es mit dem soundsovielten versprochenen Spatenstich für Ende 2013 erneut nichts wurde, habe ich den Glauben an das Projekt verloren, da für mich eine seriöse Partnerschaft mit der IRG in weiter Ferne lag. Sie erinnern sich: Anfang 2014 habe ich vorgeschlagen, das mittlerweile zum Müllplatz verkommene Grundstück einer alternativen Nutzung zuzuführen, fand aber dafür keine Mehrheit. Und nochmal räumte man der IRG Zeit ein, den Bau voranzutreiben. Vor wenigen Monaten dann zog sich die IRG zurück – mit meiner Meinung nach fadenscheinigen Begründungen und auch anmaßenden Vorwürfen. Drei Monate später erklärte der Dachverband dann den Rückzug vom Rückzug. Ich finde, dieses wichtige Projekt hätte einen würdigeren Umgang verdient. Aber es wurde zum Spielball unterschiedlicher Interessen innerhalb der jüdischen Gemeinden. Und der ehrwürdige Begriff Shalom geriet völlig außer Sichtweite.

Längst klar ist uns auch, Kolleginnen und Kollegen, dass mit einer Einigung zwischen der eher konservativen Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz und der eher liberalen Jüdischen Gemeinde Konstanz nicht zu rechnen sein würde. Darüber hinweg helfen auch die Flötentöne nicht, die hier und heute angestimmt werden. Dass die liberale Fraktion mehr Platz für sich beansprucht und auch nicht damit einverstanden ist, dass Frauen beim Gottesdienst auf eine Empore oder hinter einen Vorhang sollen, fand und findet meine Unterstützung. Nun hat die IRG die aufmüpfigen Liberalen kurzerhand aufgelöst – das kann sie, aber meinen Vorstellungen von einem demokratischen Umgang miteinander entspricht das nicht. Nach Ansicht vieler ist die neue Synagogengemeinde nichts anderes als eine von oben verordnete Zwangsgemeinde, um nach außen den Eindruck eines religiösen Scheinfriedens zu vermitteln.

In der Vorlage zum Thema sind auch einige Widersprüchlichkeiten formuliert. Einerseits will man sich aus innerreligiösen Diskussionen heraushalten ist da zu lesen, andererseits ist als wesentliche Bedingung im Kaufvertrag mit der IRG vorgesehen, ich zitiere: „Nutzungsbindung für Synagoge mit Gemeindezentrum mit der Maßgabe, dieses Gebäude als offenes Haus für alle jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger für deren Religionsausübung bestimmt ist“. Doch genau das wird es nicht werden, so gesehen ist nicht nur dieser Passus ein frommer Wunsch, der aller Voraussicht nach nicht in Erfüllung gehen wird.

Ich komme zum Schluß: Ich habe eher die Befürchtung, auch wenn sich heute der Rat mehrheitlich für die Synagoge entscheidet, dass wir in absehbarer Zukunft erneut mit weiteren negativen Überraschungen rechnen müssen, die wir nicht einfach ignorieren können. Denn ich vermute, dem Vorhaben hängt weiterhin das Etikett PmbH an, will heißen: Projekt mit äußerst beschränkter Hoffnung. Aus leidvoller Erfahrung stelle ich hiermit vorsorglich den Antrag, der IRG das Grundstück nach Ablauf der Frist bis zum 31.12.2015 nicht einfach als Eigentum zu übertragen, sondern es in Erbpacht zu vergeben.

Holger Reile

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