Eine mysteriöse Angelegenheit im Gemeinderat

Autor | 1. November 2016

Es gibt in Konstanz seit Wochen lebhafte Debatten über die Gebühren für Infostände, die die Stadt auf einmal wesentlich höher ansetzt als gewohnt. Nach Angaben der Verwaltung wurden die Gebühren in den letzten Jahren irrigerweise zu niedrig berechnet, Bürgerinitiativen hingegen sehen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung bedroht. Die Linke Liste wollte jetzt im Gemeinderat einen Antrag einbringen, Infostände kostenlos oder möglichst billig zu genehmigen. Dann kam alles irgendwie ganz anders …

Der Antrag der LLK vom 1.9., unterzeichnet von Anke Schwede und Holger Reile, umfasste drei Punkte zur Abstimmung im Gemeinderat. Sie liefen im Kern darauf hinaus, die Verwaltung möge doch bitte prüfen, ob es rechtlich möglich sei, die Informationsstände zivilgesellschaftlicher Gruppen generell kostenfrei zu genehmigen. Auf jeden Fall aber möge sie auf die neuerdings erhobene Sondernutzungsgebühr verzichten.

Warum blockiert der OB wirklich?

Es ist kein Geheimnis, dass Oberbürgermeister Uli Burchardt diesem Antrag aus unbekannten Gründen äußerst ablehnend gegenübersteht. Er brachte bisher öffentlich nur ein einziges Argument dagegen vor: Dann könne ja auch die AfD mit ihren kommen. Ein eher schwaches Argument, denn die AfD dürfte von ihren bürgerlichen Unterstützern und Sympathisanten aus dem Unternehmertum mit hinreichend Zaster versorgt werden, um die ca. 50 € pro Infostand aus der Portokasse zu bezahlen. Für viele zivilgesellschaftliche Initiativen hingegen ist eine solche Summe alles andere als ein Nasenwasser.

Was auch immer den Oberbürgermeister in dieser Frage derart umtreibt (er reagierte bei einer kurzen Aussprache darüber schon einmal unerwartet emotional), bleibt sein Geheimnis. Will er die Gebühreneinnahmen der Stadt erhöhen? Mag er nur reiche Menschen? Will er Bürgerinitiativen mundtot machen? Hat er einfach die Schnauze von Anträgen der LLK voll? Kann er Holger Reile einfach nicht mehr sehen? Den Spekulationen sind Tür und Tor geöffnet.

Antrag vertagt, so schien es

Wie auch immer, auf den Antrag der LLK vom 1.9. hatte die Verwaltung um Fristverlängerung gebeten und das auch allen Gemeinderätinnen und -räten mitgeteilt. Also: Keine Behandlung des Antrages in der gestrigen Sitzung. Hier der offizielle Wortlaut, wie er seit Tagen unverändert im Informationssystem steht (Zugriff zuletzt am 27.10.2016 um 20:03 Uhr): „Derzeit findet die verwaltungsinterne Abstimmung zwischen Bürgeramt, Justiziariat und Rechnungsprüfungsamt statt, die leider nicht rechtzeitig abgeschlossen war, um den Antrag der LLK-Fraktion inhaltlich ausreichend aufarbeiten zu können. Sobald die interne Abstimmung abgeschlossen ist, wird der Antrag im Gemeinderat behandelt, d.h. voraussichtlich am 24.11.2016.“

Das heißt mit anderen Worten: Der Antrag wird offiziell vertagt. Also haben sich die Fraktionen in ihren internen Vorberatungen auch nicht auf dieses Thema vorbereitet. Alles Weitere also frühestens am 24.11. Genau dies wurde ihm, so Antragmitsteller Holger Reile, auch telefonisch noch einmal eigens von der Verwaltung mitgeteilt.

Was gestern Nachmittag im Gemeinderat in dieser Sache dann tatsächlich vor sich ging, war nur teilweise nachvollziehbar. Es sieht nach einem faulen Trick von Uli Burchardt aus, aber ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Bizarr ist es allemal, und das an einem Nachmittag, in dem das Testosteron auch ansonsten nur so im Raume dampfte. Oder wie es jemand im Publikum so herrlich formulierte, „die hatten letzte Nacht wohl alle ein Superman-Heft unter dem Kopfkissen.“

Irgendwie doch nicht vertagt?

Der Oberbürgermeister erklärte gänzlich überraschend, er wolle den Tagesordnungspunkt jetzt doch auf der Stelle behandeln, weil es gerade heute neue Erkenntnisse gegeben habe. Holger Reile protestierte unter Hinweis darauf, dass der Tagesordnungspunkt ja ausdrücklich auf den 24.11. verschoben und niemand vorbereitet sei. Uli Burchardt erklärte darauf, dass er jetzt auf den Antrag „antworten“ wolle. Aber da Holger Reile seinen eigenen Antrag ganz offensichtlich nicht behandeln wolle, sei dieser Tagesordnungspunkt hiermit auf den Wunsch von Holger Reile hin abgesetzt. Das Recht dazu habe Herr Reile als Antragsteller.

Die reine Verarsche? Eine gewisse Konfusion im Ratssaal, keiner blickte mehr durch. Auf den Einwurf, das könne er nicht machen, erwiderte Uli Burchardt, doch, dazu sei er berechtigt. Und jetzt habe niemand mehr was zu diesen Infoständen zu sagen, denn er rufe jetzt den nächsten Tagesordnungspunkt auf. Die „Antwort“ auf seinen Antrag bekomme Holger Reile demnächst schriftlich.

Wie bitte?

Das laienhafte Verständnis des Unterzeichneten ist dem nicht gewachsen: Mündliche oder schriftliche Antworten gibt es auf Anfragen, über Anträge wie diesen hingegen debattiert man – und dann stimmt man sie ab. Oder man verschiebt sie wie in diesem Falle. Der Oberbürgermeister hingegen behandelte den Antrag der LLK wie eine hundsgewöhnliche Anfrage, aber Anfragen werden gemeinhin gar nicht als separate Tagesordnungspunkte geführt, und dies hier war ein Tageesordnungspunkt. Schluss, aus, Ende der Debatte?

Ausgang des Kampfes Uli Burchardt vs. Holger Reile: Sieg für Uli Burchardt durch K.O. schon vor der ersten Runde. Aber hat der Oberbürgermeister fair gegen eine eventuelle Gebührenbefreiung für Infostände gekämpft oder trug er dabei ein Hufeisen im Handschuh? Wofür oder wogegen ist er überhaupt? Wird der Antrag jetzt am 24.11. behandelt oder nicht?

Wie geht es weiter?

Niemand weiß es. Es ist schon länger deutlich: Uli Burchardt empfindet zunehmend einen Widerwillen gegen die Bürgerbeteiligung, die er im Wahlkampf noch treuen Blickes beschworen hat. Er hält politische und wirtschaftliche Eliten wie sich selbst für fachlich wesentlich geeigneter, über wichtige Angelegenheiten zu entscheiden, als Bürgerinnen und Bürger oder Gemeinderätinnen und -räte.

Man mag spekulieren, woran das liegt: Natürlich ist Demokratie nervig, und natürlich sind die Teilzeitpolitiker im Gemeinderat oftmals mit der Materie weniger vertraut als ein Vollzeit-Oberbürgermeister. Aber eine Grundidee der Demokratie, die sich bisher leidlich bewährt hat, ist, dass ein Fachmann wie der Oberbürgermeister dann eben mühsam sein Wissen ausbreiten und um die Zustimmung von Bürgerschaft und Gemeinderat werben muss, statt beide als lästige Bittsteller oder gar Befehlsempfänger zu behandeln. Oder einen Antragsteller wie in diesem Fall mit irgendwelchem Geschäftsordnungskram mundtot zu machen, dem Gemeinderätinnen und -räte schlichtweg nicht gewachsen sind.

Was der Oberbürgermeister hier hingelegt hat, war eindeutig ein Trick im Sinne einer Überrumpelung, auch wenn er absolut legal sein mag. Böse Stimmen aus dem komplementärfarbigen Lager mutmaßten im privaten Gespräch, schon am Montag im Kreisrat habe sich abgezeichnet, dass Uli Burchardt seit Eröffnung des Bodenseeforums komplett abgehoben habe und in seinen eigenen Augen ein paar Meter über allen anderen schwebe. Aber man darf nicht vergessen: Klatsch ist mehr Schall als Rauch.

Einige der bürgerlichen Gemeinderätinnen und -räte dürften bei dieser Gelegenheit innerlich gefeixt haben. Nach ihrer Meinung gehören zivilgesellschaftlich gesonnene Menschen, die an zugigen Ecken und ohne Bezahlung Infostände aufstellen, ohnehin besser mit dem Ochsenziemer zu körperlicher Arbeit angehalten, und Themen, bei denen es nicht ums Geldverdienen auf privater oder kommunaler Ebene geht, sind ihnen als pure Zeitverschwendung verhasst.

Was soll das eigentlich?

Was aber treibt den Oberbürgermeister um? Will er das Thema Infostände unter der Decke halten, um intern eine Regelung zu verankern, Bürgerinitiativen den Obulus an die Stadt klammheimlich auf dem Verwaltungs-Gnadenwege zu erlassen, um eventuelle juristische Auseinandersetzungen mit rechten Initiativen zu vermeiden und die dafür voll abzuzocken und somit abzuschrecken? Oder hat er gar ordnungsrechtliche Bedenken, ein schweizerischer Einkaufstourist könne auf einem Flugblatt ausrutschen?

Wenn Transparenz eine politische Tugend ist, hat Uli Burchardt gestern ganz und gar nicht tugendhaft gehandelt. Burchardt könnte immerhin behaupten, der völlig überrumpelte Reile habe ihm nicht zuhören wollen, aber das ist wenig glaubhaft. Burchardts faule Finte lag darin, diesen Antrag zuerst quasi abzusetzen und dann doch ganz unvermittelt behandeln zu wollen. Eine saubere Kippvolte also.

O. Pugliese

 

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