Unruhe im Hinterland

Autor | 23. April 2018

Um die 100 Demonstrant*innen protestierten am Samstag in Radolfzell lautstark nicht nur gegen örtliche Nazistrukturen und die gesellschaftliche Rechtsentwicklung. Sie wendeten sich auch gegen Behördenschikanen, mit denen sich linke Aktivist*innen in der Kleinstadt immer wieder konfrontiert sehen. Als ob die Stadt beweisen wollte, wie berechtigt solche Vorwürfe sind, versuchte die Verwaltung, den Antifaschist*innen auch diesmal Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Juristische Gegenwehr war nötig, um das Demonstrationsrecht durchzusetzen.

Das Radolfzeller Ordnungsamt wollte nicht nur die Demonstration auf maximal eine Stunde begrenzen, sondern den Organisator*innen vom regionalen Antifa-Bündnis OAT (offenes antifaschistisches Treffen) auch behördlich festgelegt Kundgebungsorte und eine andere Route aufnötigen, die symbolträchtige Orte ausgespart hätte. Die Abschlusskundgebung etwa sollte nicht, wie beantragt, am anrüchigen NS-Soldatendenkmal am Luisenplatz stattfinden, sondern weitab im örtlichen Nirgendwo. Das mehrseitige Schreiben aus dem Rathaus strotzt nur so vor kleinlichen Auflagen, die teilweise die Grenze zum Grotesken überschreiten. So sprach man etwa ein Verbot von Kinderwagen aus und wollte die Demonstrant*innen dazu verdonnern, hinderliche Straßensperren und -gitter eigenhändig auf- und abzubauen. Auch sollten sie dafür sorgen, dass der Fußgängerverkehr auf Gehwegen immer möglich bleibe, wozu sich die Teilnehmer*innen in den teils engen Sträßchen wohl in Luft hätten auflösen müssen.

Die Anmelder*innen wollten diesen behördlichen Versuch, die Protestaktion auszubremsen, nicht hinnehmen und schalteten einen Anwalt ein, mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht Freiburg gab dem juristischen Einspruch Recht und kassierte alle Punkte der städtischen Vorgaben – eine schallende Ohrfeige für die zuständige Bürgermeisterin Monika Laule. Entsprechend zufrieden zeigte sich die OAT-Anmelderin: „Die Strategie der Stadt, sich über Gesetze hinwegzusetzen, um Protest klein zu halten, ging nicht auf und wird auch weiterhin scheitern“.

Mehr als zwei Stunden lang konnten am Samstagnachmittag also die überwiegend jugendlichen Demonstrierenden die provinzielle Betulichkeit des Städtchens mit Parolen und Redebeiträgen bereichern. Die wie gewohnt mit starken Kräften angerückte Polizei – allein am Bahnhof wurden fünf Mannschaftsbusse gezählt – bekam nichts zu tun. Friedlich, aber unüberhörbar machte die Gruppe auf ihre Anliegen aufmerksam. Der Protest beschränkte sich dabei nicht nur auf die Radolfzeller Behördenpraxis, den als unliebsamen Störfaktoren betrachteten jungen Anti-Rechtsaktivist*innen durch schikanöse Auflagen, Demonstationsverbote oder Polizeieinsätze das Leben so schwer wie möglich zu machen. Er stellte sie in Zusammenhang mit zunehmendem Rassismus und einer gesellschaftlicher Rechtsdrift, die längst auch die bürgerliche Mitte erreicht hat.

Der Zug machte dabei Station an einigen historisch und politisch bedeutsamen Orten, etwa dem Memorialstein am Seetorplatz, der an die Deportation von Jüdinnen ins NS-Lager Gurs erinnert. Es sei unverständlich, kritisierte dort ein Redner, dass das offizielle Radolfzell am „Volkstrauertag“ den Opfern des Naziterrors immer noch an einer „drei Meter hohen Wehrmachtssoldatenstatue aus dem Jahre 1938“ gedenke, anstatt etwa an dieser Stelle, von der aus die Jüdin Alice Sara Fleischel von NS-Schergen in den Tod verschleppt wurde.

Halt machte der Demonstrationszug auch an der Adresse von Nadine Hanser, einer führenden Aktivistin der Neonazi-Kleinpartei „Der dritte Weg“. Das OAT warnte dort vor der Verharmlosung der Rechtsextremen, die durch Flyer und Sticker präsent sind, immer wieder auch mit Aktionen den Nationalsozialismus verherrlichten und „Homosexuelle, Geflüchtete oder andere Minderheiten“ mit ihrem Hass verfolgten. Die von der Stadt praktizierte „Wegschau-Politik“ eröffne den Rechtsextremen stets neue Chancen, „vor allem junge Menschen in ihre Nazi-Partei zu ziehen, aber wir sagen: es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!“

Auf der Abschlusskundgebung, die erst nach juristischer Intervention wie geplant auf dem Luisenplatz stattfinden konnte, erinnerte eine Rednerin an ein wichtiges Anliegen der Antifaschist*innen. Das martialische Wehrmachtsdenkmal, das dort steht, huldigt immer noch auch Angehörigen der Waffen-SS und war und ist deshalb Anziehungspunkt für braune Gesellen aller Schattierungen. „Wir fordern ein Denkmal, welches sich nicht von Nazis für ihre Propaganda missbrauchen lässt, eines, das aller Opfer von Krieg und Gewalt gedenkt und nicht nur einigen Soldaten“, betonte deshalb die OAT-Rednerin, „und für uns kann es nur eine Widmung unter diesem Denkmal geben: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“

jüg

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