Zum Tod von Werner Schumm

Autor | 26. April 2018

Vor wenigen Tagen ist Werner Schumm gestorben – ein radikaler Linker, den zu kennen eine Bereicherung war, gerade weil er oft durch abweichende Meinungen auffiel. Ein Mensch der sich bis zum Schluss eingemischt hat, wenn es um die gute Sache der Emanzipation von Ausbeutung und Unterdrückung ging. Der Publizist Ernst Köhler, der ihm – nicht nur politisch – in Freundschaft verbunden war, gedenkt ihm bei seemoz mit einem Nachruf, den wir hier dokumentieren. Das Bild wurde beim ‘Marsch gegen Monsanto und Freihandel’ Ende Mai 2017 in Bregenz aufgenommen.


Werner war für mich viele Jahre lang eine Brücke zur lokalen Politszenerie. Er kannte ihr Personal ziemlich genau und charakterisierte es mir gegenüber in ihren jeweiligen Leistungen oder Fehlleistungen. Immer konkret, oft amüsant, gelegentlich böse und ohne Nachsicht.

Er kam in der Regel Samstag morgen um 9 Uhr zu mir, wir tranken Cognac, später, als das langsam über unsere Kraft ging, Tee. Er brachte mir meist etwas Interessantes, Erhellendes mit, das eher nichts mit Konstanz zu tun hatte: eine Ausgabe der Züricher „WOZ“ oder von „Le Monde diplomatique“ (deutsche Ausgabe) oder einen Spiegel-Artikel zum Beispiel, oft bezogen auf meine eigenen Interessen. Aber auch ganz andere Sachen. Darunter einen getippten Bericht seines Vaters über seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg, nie veröffentlicht – für Werner das kostbare Zeugnis eines einmal geliebten Menschen; für mich ein in seiner Nüchternheit und Aufrichtigkeit seltenes Zeitdokument.

Oder etwa eine Publikation über den Filmemacher und Autor Oliver Storz. Der stammte aus Schwäbisch Hall, wo Werner einst aufs Gymnasium gegangen war – mit dem Vater von Oliver Storz als seinem beeindruckenden Schuldirektor. Den klassischen Fernsehfilm „Drei Tage im April“ haben wir zusammen bei mir zu Hause gesehen. Zwei Wochen vor seinem Tod, er war noch in seiner Wohnung in Litzelstetten, hat Werner mich telefonisch auf die Verfilmung des Storz-Romans „Die Freibadclique“ auf ARD aufmerksam gemacht.

Einführung in den deutschen Stammtisch

Überhaupt, so schien es mir, war die engere Heimat für ihn in den letzten Jahren wieder wichtiger oder doch präsenter geworden. Er fing an, sie in kurzen Trips zu besuchen. Auch sein altes Dorf selbst, in dem sein Vater eine Gaststätte unterhalten hatte – für Werner, den jüngeren der beiden Söhne des Wirts, so etwas wie eine erste, elementare Schule der Politik – eine frühe Einführung in den deutschen Stammtisch. Mir gegenüber bezeichnete Werner die Gegend einmal als „das Tal der harten Seelen“. Seinerzeit eine Hochburg der Nationalsozialisten, heute eine der Neonazis. Wenn du dich dort um zwei mittags in einem Café blicken ließest – schön draußen in der Sonne, warst du ein Faulenzer und Parasit, so eine Jugenderinnerung im Originalton. Die politische Wachsamkeit – der Pessimismus speziell den Deutschen gegenüber, den er dem ewig „romantisierenden“ Rheinländer gern nebenbei mal unter die Weste drückte – hatte bei Werner alte, tiefe Wurzeln. Daran gehindert, sich politisch zu engagieren, haben sie ihn nicht.

Ich kannte Werner seit seinem Studium an der Universität Konstanz: seit seiner Mitarbeit im hiesigen ASTA, seit seiner „trotzkistischen“ Phase – etwa bei den Gipfeltreffen auf der Friedrichshöhe, seinen Gramsci-Studien, seiner Untersuchungsarbeit zur militant antikapitalistischen Arbeiterbewegung Ende der 60er Jahre in Italien – speziell zu der in Turin – und seinen Reisen zu den post-anarchistischen Landarbeitern Andalusiens. Aber davon spreche ich hier nicht. Der alte Aufbruch mündete bei Werner – anders als bei vielen uns – nicht in eine neue, mit allen Wassern gewaschene Spielart von Entpolitisierung, Zynismus und Meckerei. Es reagierte im Gegenteil allergisch auf das neue, post-rebellische Spießertum – auch wenn es sich im makellosen grünen Outfit präsentierte.

Das mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass er bei manchen Leuten – ungeachtet seines inzwischen gesetzten Alters – als ausgesprochen vorlaut galt. Mitbekommen habe ich seine jahrelangen Aktivitäten für Basisdemokratie, d.h. für die Öffnung der versteinerten Repräsentativen Demokratie in Deutschland für Verfahren einer direkteren demokratischen Partizipation. Die Schweiz mit ihren vielen großen und kleinen Volksabstimmungen war für ihn ein historisches Vorbild– der Einfluss der SVP dementsprechend eine quälende Irritation, die ihn ratlos machen konnte.

Oder nehmen wir die Abholzung der Pappeln am Rhein zwischen Konstanz und Gottlieben. Er hat an den Protesten teilgenommen. Die laue, bloß pflichtgemäße, Berichterstattung darüber auf seemoz hat er hinterfragt. Zurückgezogen von dem Konflikt hat er sich erst, als ihm der Widerstand – trotz der auch fachlich beschlagenen Unterstützung von der Schweizer Seite – zu eng, kommunal-politisch zu wenig umsichtig, wohl auch zu larmoyant und zu schnell resignierend vorkam.

Ein Mann mit Zivilcourage

Für mich war Werner Schumm ein undogmatischer, provozierend freimütiger Linker, der von der kreativen „Erneuerung“ der Opposition nicht nur redete. „Unbeugsam“ wäre daneben. Gebeugt, irreversibel desillusioniert, aber sich immer wieder aufrichtend, schon richtiger. Ein politischer Mensch, der öffentlich sagte, was er dachte: in Leserbriefen für den Südkurier; in Kommentaren auf seemoz, unverwechselbar in ihrem verspielten, humoristischen Stil. Oder in spontanen Auftritten bei politischen Veranstaltungen, aber auch sonst, sogar in der „Werkstatt“ des Theaters konnte es dazu kommen -, die nicht ganz selten als Störung, als dem tiefen, tierischen Ernst der jeweiligen Dinge nicht angemessen empfunden wurden. Loses Mundwerk, Libertinage des Zwischenrufs hin oder her: diese Art von unberechenbar aus der Seele herausspringender Zivilcourage mag bei den Russen normal sein – in Baden-Württemberg kannst du sie mit der Lupe suchen und findest sie dennoch so gut wie nie.

War er „ein unglücklicher Mensch“, wie ein alter, mit trauender Freund aus Zagreb ihn wahrgenommen hat? Es gab Phasen offenbar schwerwiegender psychischer Erkrankung, von denen er sich dann immer wieder erholt hat. Es gab ein wiederkehrendes Alkoholproblem, mit dem er zu kämpfen hatte.

Besonders alten Freunden gegenüber konnte er maßlos und ungerecht in seiner Kritik werden. An gewissen Tiefpunkten musste man ihn daran erinnern, was er in seinem Leben schon alles zustande gebracht hatte: nach der kaufmännischen Ausbildung bei einer Maschinenbau-Firma in Obersontheim auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgeholt; dann ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Fach Soziologie; dann Hilfskraft an der UB Konstanz; dann Umschulung im Bereich computerisierte Datenverarbeitung und Arbeit in einer auf die Logistik von Kliniken im Bodenseeraum spezialisierten kleinen Konstanzer Firma; dann über Jahre eine feste Stelle in der Verwaltung der Herz-Klinik in Kreuzlingen; zuletzt hatte man ihm in der Chérisy die Mietverwaltung anvertraut, auch kein Zuckerschlecken im Klima der bekannten Auseinandersetzungen innerhalb der Genossenschaft.

Aber wenn es um den Selbstvorwurf des Scheiterns und Versagens geht, der bei Werner recht tief sitzen musste, müsste man zumindest auch erwähnen, das er zwei Söhne mit aufgezogen hat – beide arbeiten heute als Ingenieure. Er war auch stolz auf seine Kinder. Er erzählte mit Freude von ihrer zielstrebig vorangetriebenen Ausbildung, von ihren ersten Stellen. Über sein erstes Enkelkind war er richtig glücklich. Aber sich selber rechnete er nichts von diesen gelingenden Lebensentwürfen an. Gar nichts, unfairerweise. Aber stopp, das geht jetzt schon fast zu weit für eine Freundschaft, die sich aufs Intellektuelle und Politische beschränkte und das Private weitgehend ausgeblendet hat.

Ich füge hier nur noch hinzu, dass die Art, wie Werner mit seiner schweren Erkrankung umgegangen ist und dann mit dem heranrückenden Tod, anders war. Diesen zuletzt abgeklärten, in sich gekehrten, stoisch gefassten Mann kannte ich nicht. Oder hatte ihn all die Jahre übersehen.

Ernst Köhler (Foto: pw)


 

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