Vorstoß gegen Diskriminierung und Abschiebung von Roma

Autor | 3. September 2016

Keine-sicheren-Herkunftsländer-2Zu den öffentlich wenig beachteten Opfern der deutschen Flüchtlings(abwehr)politik gehören verstärkt auch Angehörige der Roma. Neben den verschiedenen Verschärfungen der Asyl­gesetze, mit denen die herrschende Politik auf den Zustrom von Menschen reagierte, die es auf ihrer Flucht vor Krieg, Verfolgung und Zer­störung in die trügerische Sicherheit der EU geschafft haben, trifft die Ange­höri­gen dieser diskriminierten Ethnie vor allem die Einstufung der westlichen Balkanländer als “sichere Herkunftsstaaten”. Seitdem lassen sie die Behörden vermehrt in ihre ehemaligen Heimatländer abschieben, wo sie häufig vor dem Nichts stehen. So hat sich die Zahl der im Landkreis lebenden Roma innerhalb der letzten sechs Monate halbiert.

Die Gruppe “Input”, ein Zusammenschluss von Leuten, die in Konstanz kritische Vorträge zu gesellschaftlichen und politischen Themen organisiert, hat zusammen mit weiteren flüchtlingssolidarischen Organisationen nun einen öffentlichen Brief an den Gemeinderat der Stadt Konstanz veröffentlicht, in dem die Auseinandersetzung der städtischen Verantwortungsträger_innen mit der Ausgrenzung von Roma verlangt wird. Die Verfasser_innen des Briefs fordern die Ratsfraktionen auf, sich gegen die Rückführungen einzusetzen und eine Debatte über die inhumane Abschiebungspraxis in der Stadt Konstanz, der Bodenseeregion und Baden-Württemberg anzustoßen. Eine unterstützungswerte Initiative, für die sich LINKE mit ihren Kreisräten und die Stadträte der Linken Liste Konstanz einsetzen werden. Der Brief im Wortlaut. (jüg)


Öffentlicher Brief an den Gemeinderat Konstanz zu der Ausgrenzung von Roma

Liebe Mitglieder des Gemeinderats Konstanz,
fast vor genau vier Jahren sprach sich die Stadt Konstanz „FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ aus. Das FÜR und das GEGEN wurden großgeschrieben, als Ausruf, als lautes Statement – auf dem Papier. In der Erklärung heißt es, dass Konstanz sich als weltoffene, liberale Stadt versteht, die sich für Chancengleichheit aller Menschen, die in ihr leben, einsetzt. Mutig wird betont, dass dort, wo Ausgrenzungen und Bedrohungen von Minderheiten und Andersdenkenden geschehen, mit Zivilcourage für Menschlichkeit und die Wahrung der Grundrechte entgegengetreten wird.

Mit großer Enttäuschung müssen viele flüchtlingssolidarische Initiativen in Konstanz jedoch feststellen, dass immer mehr Roma (also die größte Minderheit in Europa) aus dem Landkreis abgeschoben oder dazu gedrängt werden, Deutschland zu verlassen. Am 2.12.2015 lebten noch 511 Roma hier im laufenden Asylverfahren oder geduldet. Im Juni 2016 waren es nur noch 263. Seit Monaten findet fast jede Woche eine Sammelabschiebung statt: aus Baden-Württemberg nach Albanien, Kosovo, Serbien und Mazedonien. Seit Anfang Dezember werden dem Landkreis Konstanz keine neuen Balkanflüchtlinge mehr zugeteilt, weil sie direkt aus Erstaufnahmeeinrichtungen und Sonderlagern abgeschoben werden sollen. Aus diesem Grund bitten wir Sie, den Gemeinderat Konstanz inständig, so schnell wie möglich die verbleibenden Roma im Landkreis zu unterstützen. Setzen Sie sich gegen eine Rückführung ein. Machen Sie auf die desaströse Situation für die Roma in Europa aufmerksam.

Es mag schwer sein im Jahr 2016 nicht auch in das geschichtsvergessene Horn zu blasen, das europaweit ertönt und Abschiebungen feiert als gäbe es nicht genug Platz im nördlichen Eu-ropa. Dabei fehlt es nur an einem: der Solidarität und der praktischen Umsetzung einer Hal-tung, die Sie als Gemeinderat in der Erklärung „FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ so vielversprechend formuliert haben.

Bereits 2006 hat sich der Gemeinderat Konstanz klar gegen die Ausgrenzung und Abschiebungen von Roma positioniert. In einer Resolution heißt es, dass Sie sich „schützend vor die verfolgten Minderheiten der Roma […] die in unserer Stadt Zuflucht gefunden haben und nun von Abschiebung bedroht sind“ stellen. Damals wurde vom Gemeinderat das Land Baden-Württemberg aufgefordert sich für eine bundeseinheitliche humanitäre Bleiberechtsre-gelung einzusetzen. 2014 stellten Sie fest, dass „Abschiebungen im Winter […] ganz konkret Gesundheit und Leben der abgeschobenen Flüchtlinge [gefährden], da diese meist in extremer Armut am Rande der Gesellschaft leben und dabei häufig direkt in die Obdachlosigkeit abgeschoben werden.“ Dies gilt auch für zahlreiche geflüchtete Roma aus dem Landkreis Kon-stanz, wie journalistische Berichte aufzeigen.

Wir, die Unterzeichnenden, fordern den Gemeinderat dazu auf ähnliche Worte für die verbleibenden Roma im Landkreis Konstanz zu finden und eine Debatte in der Boden-seeregion und Baden-Württemberg anzustoßen. Sie haben dabei die Unterstützung von vielen Bürgerinnen und Bürgern aus Konstanz. Es ist wichtig gerade jetzt ein Zeichen gegen die Einstufung von Balkanländern als „sichere Herkunftsstaaten“ zu setzen. Der Bundes Roma Verband erklärt hierzu:
„Roma sind nirgendwo sicher. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens haben sie keine Rechte, selbst wenn diese von der Bundesrepublik und den jeweiligen Regierungen vereinbart werden. Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien sind, auch nach ihrer Einstufung im deutschen Recht als „sichere Herkunftsstaaten“, für Roma nicht sicher. Damit wird jegliche Chance auf Flüchtlingsanerkennung genommen. Die Regelung der ‘sicheren Herkunftsstaaten‘ kommt für Roma einer Abschaffung des Asylrechts gleich.“

Auch die Studierendenvertretung der Universität Konstanz, also die Vertretung von knapp 10.000 Konstanzerinnen und Konstanzern sprach und spricht sich für eine Solidarität mit allen Geflüchteten aus und kritisiert die aktuelle Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland und setzt sich gegen Antiziganismus ein.

Viele flüchtlingssolidarische Initiativen haben im Landkreis Konstanz die letzten Jahre immer wieder auf die Situation von Roma aufmerksam gemacht. Der Arbeitskreis Roma-Solidarität im Landkreis Konstanz hat 2014 eine Petition gestartet, die sich auch an Konstanzer Oberbür-germeister Uli Burchardt gerichtet hat. 1.870 Menschen haben ihn in dieser aufgefordert „sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einzusetzen“, dass Roma-Familien aus den Unterkünften im Landkreis Konstanz nicht abgeschoben werden.

Zuletzt haben sich zahlreiche flüchtlingssolidarische Initiativen aus dem Landkreis Konstanz zusammengetan, um einen Roma-Fonds mit privaten Spenden aufzubauen, um abgeschobene und zur Rückreise gedrängte Familien zu unterstützen. Über 10.000 Euro wurden bereits ausgezahlt. Durch drei große Spenden des Konstanzer Runden Tischs für Asyl und der Konstan-zer Vereine „save me“ und „Cafe Mondial“ wurde eine zweite Auszahlungsrunde des Roma-Fonds möglich. Das Projekt will ausdrücklich nicht als Anreiz zur „freiwilligen“ Ausreise verstanden werden, sondern positioniert sich gegen die verschärfte Asylpolitik gegenüber Westbalkanflüchtlingen.

Wir finden, dass es Zeit wird, dass der Gemeinderat Konstanz wieder Stellung zu der Diskriminierung und Abschiebung von Roma bezieht. Ausgehend von seiner eigenen Erklärung gegen Rassismus, seiner Resolution von 2006 gegen die Abschiebung von Roma und seinem Einsatz für einen Winterabschiebestopp hoffen wir auch diesmal auf eine solidarische Positionierung.

Mit freundlichen Grüßen

Input Konstanz
Cafe Mondial
Studierendenparlament der Universität Konstanz
b-welcome
GemeinsamGarten
Refugee Law Clinic Konstanz
Forum Azilon- Asyl und Menschenrecht
VVN-BdA Konstanz

Für Rückfragen und mehr Informationen über das Thema Antiziganismus können Sie sich gerne an Input Konstanz wenden. Bei Interesse kommen wir gerne bei Ihnen in einer Fraktionssitzung vorbei, um über das Thema und Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren.
Kontakt: inputkonstanz@mtmedia.org

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