Zum Auftakt der Aktionstage „Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!“ gab es eine Demonstration durch Konstanz sowie Kundgebungen vor Rüstungsfirmen in Deutschland und der Schweiz. Mit dabei waren auch viele Geflüchtete, die allerdings wegen der Probleme beim Grenzübergang nicht an der Schweizer Kundgebung teilnehmen konnten. Gut 100 Menschen machten sich am Donnerstag vom Camp in der Chérisy-Kaserne auf, um zunächst vor der Konstanzer Rüstungsfirma ATM (eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann) zu protestieren. Der Zugang zum Firmengelände allerdings war abgeriegelt – die Geschäftsleitung hatte das Wachpersonal verdoppelt und sämtliche Anlieferungen für den gestrigen Donnerstag storniert. Anschließend lief der Demonstrationszug durch Petershausen in die Altstadt zur Kundgebung auf der Marktstätte.
„Mehr Geld für die Abwehr als für die Versorgung der Flüchtlinge“
Die bunte und lautstarke Menge machte mit einer Vielzahl von Sprechchören auf sich aufmerksam, viele Transparente und Schilder brachten die Botschaft zum Ausdruck: Es müsse eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Geflüchteten und Rüstungsexporten geschaffen und betont werden, so der Tenor der zahlreichen Redebeiträge. „Derzeit werden nicht die Fluchtursachen, sondern Flüchtende bekämpft. Es wird mehr Geld für die Flüchtlingsabwehr als für die Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben.“, erklärte ein Redner. Doch nur humanitäre Hilfe löse das Problem nicht. Diese sei zwar wichtig, aber lindere nur die Symptome. „Die Menschen müssten ihr Land nicht verlassen, wenn wir ihnen anständig helfen“, meint eine ältere Dame im Gespräch.
Die weltweiten Rüstungsexporte tragen direkt zum Leid der Menschen in Krisengebieten bei und veranlassen sie dazu, aus Angst um ihr Leben und das ihrer Familie ihr Land zu verlassen. „We die for your privileges“ (wir sterben für eure Privilegien) meinte ein Refugee auf der Marktstätte. „Ihr schickt Waffen in unsere Länder, nehmt uns unsere Ressourcen weg. Doch eines Tages werden diese Waffen auf euch gerichtet sein“ mahnt er. Auch Lothar Höfler vom Verein „Keine Waffen vom Bodensee“ ist der Überzeugung, dass uns dieses Verhalten eines Tages einholen wird. „Krieg und Rüstung sind siamesische Zwillinge, sie bedingen einander. Das Eine kann ohne das Andere nicht bestehen“, sagt er. Der Bodensee ist das größte zusammenhängende Rüstungsgebiet in Deutschland. „Diese Firmen haben eine unglaubliche Macht in den Städten und Gemeinden“.
Die Aktionstage wurden von dem Netzwerk „Flüchtlinge für Flüchtlinge“ (Refugees for Refugees) initiiert. Rex Osa ist dort als Organisator tätig. Er hat selbst eine Flucht hinter sich und setzt sich in Deutschland außerordentlich engagiert für Geflüchtete ein. „Wir müssen gemeinsam kämpfen, es gibt keine andere Möglichkeit. Wir laden alle dazu ein, sich zu beteiligen“ Das Netzwerk hat sich neben der praktischen Unterstützung von Flüchtlingen zum Ziel gesetzt, die gesellschaftliche Distanz zwischen Geflüchteten, Migranten und deutschen Staatsbürgern zu verringern sowie die Isolation der Refugees in Deutschland zu durchbrechen.
Viele Stimmen kommen auf der Marktstätte zu Wort, auch ein Gedicht von Wolfgang Borchert wurde vorgetragen. Ein Syrer lässt seine Geschichte auf Deutsch vorlesen. Nach drei Jahren Flucht ist er nun bereits neun Monate in Deutschland. Sein Asylantrag wurde noch nicht bearbeitet. Seine Kinder haben seit drei Jahren keine Schule besucht. Bei ihm drängt die Zeit, seine Frau und seine neunjährige Tochter mussten auf halbem Weg ins zerbombte Damaskus zurückkehren. Er selbst kam schließlich auf einem mit 450 Personen beladenen Boot übers Mittelmeer nach Europa.
„Wenn Flüchtlingsheime brennen, dann müssen wir auf die Straße“
Und das wäre bereits ein Grund ins Gefängnis gehen zu müssen. Nach jüngst erlassener Gesetzgebung ist es nun möglich, Geflüchtete zu inhaftieren, wenn diese für ihre Flucht Geld bezahlt haben. „Das ist ein Skandal, denn es besteht nach wie vor keine legale Einreisemöglichkeit nach Deutschland“, findet Rudy Haenel, Rechtsanwalt aus Konstanz, der Geflüchteten Rechtbeistand leistet. „Die bürokratischen Hürden sind eine Katastrophe.“, so sein Fazit der Situation für Geflüchtete in Deutschland. Er berichtet von dem Fall einer 76-jährigen Großmutter aus Syrien, deren sieben Kinder mit ihren Familien bereits in Deutschland sind. Trotz seiner Bemühungen gelang es ihm bis heute nicht, ihr ein Visum zu beschaffen. „Wir müssen diese weltweiten Flüchtlingsströme als Realität dieses Jahrhunderts begreifen. Dieses Problem wird sich nicht von selbst lösen. Es braucht jeden von uns, um da zu helfen. Wir brauchen legale Einreisemöglichkeiten.“
Auch erinnert er an die Flüchtlingsströme nach dem 2. Weltkrieg, als Millionen Menschen durch den Krieg ihrer Heimat beraubt wurden. Doch findet er es großartig, dass sich die deutsche Bevölkerung dermaßen für Flüchtlinge einsetzt. Und er sagt: „Wenn Flüchtlingsheime brennen, dann müssen wir auf die Straße“
Wo bleiben die Kirchen?
Im Anschluss ging es nach Kreuzlingen zur amerikanisch-schweizerischen Firma MOWAG, die vor allem bekannt für ihre Piranha-Panzer ist. Auch die MOWAG-Geschäftsführung hatte sich vorbereitet: Rechtzeitig waren die Angestellten nach Hause geschickt und ein abseitiger Parkplatz für die Demonstranten reserviert worden, auf dem sich knapp 50 Demonstranten versammelten, die symbolisch Leichensäcke drapierten. Auch Schweizer Gruppen waren vor Ort, darunter die „Jungen Grünen“ und „GSoA“ (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee). Doch eine Gruppe fehlte, die Geflüchteten aus Konstanz konnten aufgrund des Risikos des Grenzübertritts nicht teilnehmen. Diese Sorge bewahrheitete sich, denn als eine größere Gruppe die Grenze überqueren wollte, wurde diese prompt aufgefordert, ihre Ausweisdokumente vorzuzeigen, die sie nicht hatten.
Die Redner von GSoA berichteten über die weltweite Verbreitung von MOWAG-Panzern und deren Einsatzgebiete. Zum Beispiel wurden sie beim Militärputsch von Pinochet in Chile eingesetzt. Schweizer Munition wurde in mehreren Kriegsgebieten nachgewiesen, in die die Schweiz eigentlich nicht liefern dürfte. Auch marschierte Saudi-Arabien im Jahr 2011 mit MOWAG-Panzern in Bahrain ein, um die Demokratiebewegung dort zu unterbinden. Ein Schweizer vermisste im persönlichen Gespräch die Zivilcourage in der Gesellschaft. „Wo sind denn eigentlich die Landeskirchen? Wenn sie sich schon als moralische Instanz aufspielen, warum haben sie dazu nichts zu sagen?“, wunderte er sich.
Ein Fazit? Das lieferte eine ältere Dame im Gespräch auf dem Rückweg zur Marktstätte: „Waffen töten, damit ist ja auch schon alles gesagt.“ Rafael Cueva (Text)/Nico Kienzler (Fotos)