Eine Rede, die nicht gehalten werden durfte

Autor | 28. April 2017

Der Konstanzer OB kickte im Gemeinderat am 28.4. eine von der Linken Liste Konstanz (LLK) beantragte Resolution von der Tagesordnung, die sich gegen die staatlichen Abschiebungen von Geflüchteten nach Afghanistan richtet. Einen Geschäfts­ordnungs­antrag von LLK-Stadträtin Anke Schwede, den Tagesordnungspunkt, wie in der Einladung veröffentlicht, zu behandeln, ignorierte Burchardt selbstherrlich und ließ ihn nicht abstimmen. Das Stadtoberhaupt führte ein Argument ins Feld, mit dem sich Erfüllungsgehilfen staatlich exekutierten Unrechts eigentlich immer reinwaschen wollen: Die Gemeinde sei dafür rechtlich nicht zuständig. Selbst das ist jedoch fadenscheinig – auch in Konstanz nämlich sind mehr als 160 Afghan*innen von der Zwangsrückkehr in ein verwüstetes Land bedroht, in dem ein blutiger Krieg tobt. Die LLK-Rätin protestierte vergeblich, die Empörung, bis hinein ins bürgerliche Lager, war groß. Wir dokumentieren den von Anke Schwede vorbereiteten Redebeitrag, der sich auch mit der angeblich fehlenden Befassungskompetenz der Stadt auseinandersetzt. Zum Nachhören und -schauen haben wir außerdem den Podcast eingebunden, der die Auseinandersetzung um die Absetzung des Tagesordnungspunkt zeigt.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, wertes Publikum,
wie Sie wissen bzw. der Vorlage entnehmen konnten, hat die Linke Liste bei der letzten Sitzung des Internationalen Forums Anfang März unter „Verschiedenes“ eine Resolution zu einem Abschiebestopp nach Afghanistan eingebracht. Im Forum wurde der Text diskutiert, um einen Absatz zum Thema „fremd im eigenen Land“ von Herrn Dörfflinger ergänzt und einstimmig – ohne Enthaltungen – verabschiedet.

Nun befassen wir uns heute wieder mit dem Thema – weil das Internationale Forum als beratendes Gremium laut Stadtverwaltung keine Resolutionen beschließen darf. Die Lage in Afghanistan ist genauso brisant, wenn nicht brisanter, wie vor anderthalb Monaten. Die Vereinten Nationen betonen, dass die Sicherheitslage im Land sich 2017 weiter verschlechtern dürfte, 2016 waren laut der UN-Mission in Afghanistan so viele zivile Opfer zu beklagen wie noch nie seit Beginn der systematischen Zählungen im Jahr 2009. Amnesty international teilt mit, dass die andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der afghanischen Regierung und ihren internationalen Verbündeten auf der einen und den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite immer mehr zivile Opfer fordern. Afghanistan ist nicht sicher!

Die Stadtspitze ist nun der Ansicht, dass es nicht Sache des Gemeinderates sei, sich dagegen auszusprechen, dass Menschen, die es in unsere Stadt geschafft haben und sich ein neues, sicheres Leben aufbauen wollen, wieder in ein Land zurückgebracht werden, in dem sie nach jahrelanger Flucht oftmals keine Unterstützung finden und vom Tode bedroht sind. Selbst wenn das juristisch zutreffen sollte: Sich angesichts der Gefahren, denen diese Menschen durch die Abschiebepolitik ausgesetzt werden, hinter solchen formalen Spitzfindigkeiten zu verschanzen, ist in unseren Augen ein Armutszeugnis!

Wir sind der Meinung, dass die Resolution sich durchaus auf Angelegenheiten der „örtlichen Gemeinschaft“ bezieht, denn auch in Konstanz leben geflüchtete Afghaninnen und Afghanen: Aktuell sprechen wir laut Büro des Flüchtlingsbeauftragten von 163 Geflüchteten aus Afghanistan, davon 22 minderjährige unbegleitete Afghanen. Aus dem Sozial- und Jugendamt war zu hören, dass sich fast alle Jugendlichen gut entwickeln, einige werden in absehbarer Zeit mit ihren Ausbildungen fertig sein. Jetzt wurden die ersten volljährig und haben sofort eine Einladung zum Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen. Mehr als vier Personen haben schon ihre Ablehnung, die Bescheide sind sehr dürftig und bestehen im Wesentlichen aus Textbausteinen und es wurden offenbar alte Informationen zur Sicherheitslage verwendet. Für die Betroffenen wäre eine Abschiebung fatal – nicht zuletzt, weil jede Zukunftschance zunichtegemacht wäre und sie den Gefahren in einem Land, das sie teilweise nicht einmal kennen, schutzlos ausgeliefert wären.

Zweitens hat dieser Rat im Juli 2012 die „Konstanzer Erklärung FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ verabschiedet, hier sehen wir eine sehr ähnliche Befassungskompetenz wie bei der vorliegenden Resolution „Keine Abschiebungen nach Afghanistan“. Zu Recht hat sich der Gemeinderat damals dafür ausgesprochen, dass es keinen Bereich in unserer Stadt gibt, in dem das Grundgesetz außer Kraft gesetzt werden darf. Das gilt auch für Artikel 16a GG: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Drittens möchte ich Sie davon unterrichten; dass sich der Stadtrat München auf Initiative der Grünen und Linken vor drei Wochen (5. April) gegen Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen hat und sich somit für das Schicksal der afghanischen Flüchtlinge zuständig erklärt hat, obwohl auch in Bayern Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes, gilt.

Abschließend bitte ich Sie um Zustimmung für die Resolution, auch wenn das nur ein relativ schwacher Appell sein dürfte. Aber Schweigen wäre angesichts der Bedrohung und der überaus großen Ängste der Betroffenen einfach ein Armutszeugnis und mehr als ein falsches Signal! Und jede öffentliche Stimme trägt dazu bei, diese unmenschliche Praxis zu beenden.

Anke Schwede

Dokumentiert: Podcast zur Gemeinderatssitzung am 27.4.

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