Abschiedsrede von Simon Pschorr im Gemeinderat

Autor | 12. Februar 2025

Am 30. Januar 2025 wurde unser Stadtrat Simon Pschorr im Gemeinderat verabschiedet. Am Tag zuvor wurde im Bundestag ein CDU/CSU-Antrag zur Verschärfung des Asylrechts mit den Stimmen der AfD verabschiedet, was vom Unionskandidat Friedrich Merz bewusst miteinkalkuliert war. Simon zieht aus beruflichen Gründen mit seiner kleinen Familie zurück in seine Heimatstadt Regensburg. Nachfolgend dokumentieren wir seine starke Abschiedsrede, die mit viel Applaus und Anerkennung bedacht wurde:

„Hohes Haus,

Es ist ja gerade angesprochen worden, ich hatte wenig Zeit darüber nachzudenken, was ich heute sagen werde und alles, was ich überlegt habe, hat sich für mich spätestens am gestrigen Tag erledigt. Ich habe mich stattdessen entschlossen, etwas darüber zu sagen, warum ich so unfassbar stolz bin, dass ich hier mit Ihnen zusammen habe reden und streiten dürfen.

Am gestrigen Tag vor 80 Jahren ist das Konzentrationslager in Auschwitz befreit worden, von einer Terrorherrschaft, wie sie Deutschland, wie sie Zentraleuropa, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Diese Befreiung war eine Rettung für noch 7000 Menschen in diesem Lager und hat nicht gereicht, um 1,1 Millionen Menschen mindestens aus diesem Lager zu retten. Diese Befreiung ist aber auch ein erster Schritt gewesen, um dieses Terrorregime in Deutschland ein für alle Mal abzuschütteln. Eine Befreiung, also auch der deutschen Gesellschaft, von einem unglaublichen Fehler, den sie selbst begangen hat. Dieser Fehler ist nicht nur ganz, ganz vielen Menschen am Ende zu einem schrecklichen Schicksal geraten, sondern dieser Fehler hat allen Menschen, die hinschauen wollen, vor Augen geführt, ganz manifest vor Augen geführt, wozu der egoistische Mensch fähig ist.

Nämlich sich vor das Lebensrecht aller anderen zu stellen, weil er, weil sie meint, besser zu sein als alle anderen. Diese Meinung, besser zu sein, ist verlockend, besonders für intelligente Menschen. Diese Meinung ist deswegen in besonderem Maße verlockend, weil sie einem erspart darüber nachzudenken, was das eigene Handeln für andere bedeutet und was die Konsequenzen dessen sind, was wir tun. Es erspart einem, schlechtes Gewissen, es erspart einem Solidarität und Mitgefühl. Wenn man sich überlegen fühlt, vermeintlich überlegen macht, dann kann man selbst alle schlechten Gefühle von sich weisen.

Es gibt in der Politik weder in der Landes- noch in der Bundespolitik und auch nicht in der Kommunalpolitik den einen, richtigen und wahren Weg. Den hat keiner von uns. Und das Schöne an der Demokratie ist, sie anerkennt gerade dieses Faktum. Und sie zieht daraus einen Nutzen, nämlich den Nutzen, dass aus dem Gespräch, aus verschiedener Perspektive, mit verschiedenen Ansätzen ein großes Ganzes werden kann. Eines, das besser ist, als die Summe ihrer Teile. Dieses demokratische Gespräch zu
schützen und zu verteidigen, haben wir alle geschworen, als wir unser Amt hier angetreten haben.

Und ich weiß, dass in diesem Rat dieses demokratische Gespräch gelebt wird. Und ich kann es gerade vor dem Hintergrund des gestrigen Tages nur sagen, ich bin unfassbar stolz in diesem Rat hier gewesen zu sein. Weil ich erlebt habe, wie gut es werden kann und wie gut es sein kann, wenn man über alle Grenzen der eigenen politischen Anschauung hinweg miteinander in der Sache spricht. Sich streitet, auch mal wütend aufeinander ist. Aber am Ende des Tages sich die Hand gibt, weil man gemeinsam eine Entscheidung für die Stadt gefunden hat. Ich wünsche uns allen in diesem Rat, in dieser Republik, dass dieses Wert der Demokratie nicht verloren geht. Und zwar nicht verloren geht, weil irgendjemand meint, es besser zu wissen, die einzig wahre Lösung zu haben und diese mit Gewalt durchzusetzen.

Das sieht man leider gerade in den USA, wie das funktioniert. Aber auch nicht verloren geht, weil das Gespräch miteinander nicht mehr funktioniert, weil es keine Gesprächsgrundlage mehr gibt. Und die Gesprächsgrundlage, die nennt sich freiheitliche demokratische Grundordnung, die unser Grundgesetz uns allen vergibt. Und zwar nicht deswegen vorgibt, weil es irgendwo in einem Gesetzestext steht, was irgendjemand mal schlau als Jurist oder Nicht-Juristin niedergelegt hat. Sondern deswegen, weil wir uns 1949 alle auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben.

Und ich habe mich deswegen entschlossen diese Rede heute so zuhalten, wie ich sie gehalten habe, weil es in diesem Land eine Partei gibt, die diesen gemeinsamen Nenner in Zweifel zieht, angreift und unterminiert, systematisch auf der Straße wie im Parlament. Diese Gefahr erleben wir erfreulicherweise hier in diesem Haus noch nicht. Und darüber können wir hier in Konstanz, jede verdammte Minute gottfroh sein. Denn diese Partei vergiftet den demokratischen Diskurs und macht es auch für Demokratinnen und Demokraten unmöglich, sachbezogen zu bleiben.

Und ich wünsche allen hier, dass es sich die versammelten Bürgerinnen und Bürger auf der Straße am heutigen Tag eine Mahnung sein lassen, die von allen uns und Politikern in Berlin und Stuttgart Haltung einfordern. Mit dieser Partei gibt es keine Zusammenarbeit, nie und nimmer. Und ich bin mir sicher, dass in diesem Hohen Haus alle Anwesenden diese meine Meinung teilen, weil ich weiß, dass alle hier an einem demokratischen Diskurs das oberste Interesse haben. Und deswegen darf ich damit schließen, dass ich stolz bin, Gegenstand und Teil der Diskussion dieses Hauses gewesen zu sein, dass ich stolz bin, in dieser Stadt zum Wohl der Gemeinschaft beigetragen zu haben und beitragen haben zu dürfen.

Und ich darf einen Wunsch an sie alle abgeben: Wenn ich es nächstes Mal in Konstanz bin, möchte ich gerne genau diese Stadt wiedersehen und wieder fühlen dürfen.

Danke euch allen.“

Bild: Privat

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