Gehalten von Stadtrat Simon Pschorr am 2. März 2023:
Hohes Haus,
wie können Sie auf diese Zahlengrundlage einen Haushaltsbeschluss stützen? In den letzten drei Jahren mussten wir uns wiederholt mit coronabedingten Schwankungen unserer Einnahmen und Ausgaben auseinandersetzen. Mit allen Augen und Hühneraugen zugedrückt, mussten wir Haushaltsansätze durchwinken, deren Validität man nur mit einer Glaskugel bestätigen konnte. Dieses Jahr hat die Unsicherheit nichts mehr mit Corona zu tun. Dieses Jahr haben wir eine eigentlich erfassbare rechnerische Grundlage. Die Energiekosten stagnieren auf einem hohen Niveau. Die Inflation ist wider aller Vorhersagen nicht zurückgegangen und ist stabil bei knapp 9 Prozent. Die Inflation beeinflusst die Preise staatlicher Aufträge. Gerade im Bereich Bauen und Wohnen treffen uns diese Kosten genauso wie die Bürger*innen.
Doch anders als sie partizipieren wir auch an der Inflation: Unsere Gewerbesteuereinnahmen wachsen mit der Inflation mit! Auf diese Entwicklung habe ich bereits letztes Jahr hingewiesen. Wenig überraschend erzielten wir im Haushaltsjahr 2022 dann auch erhebliche Mehreinnahmen. Die Stadt Konstanz nahm letztes Jahr knapp 8 Mio. € mehr ein als prognostiziert. Weil unsere Prognosen zwar die Kostensteigerungen durch Inflation, nicht aber die Mehreinnahmen gebührend berücksichtigen. Darüber hinaus haben wir in 2022 mehr als 8 Mio. € weniger ausgegeben als geplant. Unser Haushaltsansatz wurde um mehr als 16 Mio. € verfehlt! Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Wir haben 16 Mio. € PLUS gemacht. Hr. Helff gab im HfA zu, dass man „zu konservativ“ geplant habe.
Diese „konservative Planung“ verbreitet hier im Rat Angst und Schrecken. Es gibt keine Haushaltsberatungen ohne „Monster-Schuldenkurven“. Im Angesicht des angeblich prognostizierten Haushaltsdefizits der nächsten Jahre lassen wir uns zu harten Sparmaßnahmen überreden. Und am Ende des Jahres erzählt man uns verschämt, dass man „zu konservativ“ geplant hätte. Mit anderen Worten: Man hat uns unnötig in Angst und Schrecken versetzt.
Der Oberbürgermeister meinte im HfA, dies hier sei kein Sparhaushalt. Da liegt er falsch. Wir haben einige massive Sparmaßnahmen umgesetzt und werden in den nächsten Monaten voraussichtlich einige weitere Einschnitte zur Beschlussfassung vorgelegt bekommen. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele:
Das Theater und die Philharmonie sollen massiv Kosten einsparen. Die pauschalen Reduktionen, die der Rat diesen Institutionen auferlegt hat, sind undurchdacht und berücksichtigen die Zukunftsfähigkeit des Spielbetriebs nicht. Aber Sparmaßnahmen bestehen nicht nur aus Reduktionen von Ausgaben. Der Gemeinderat hat vorwiegend Entscheidungen für Mehreinnahmen getroffen. Im letzten Jahr haben wir eine massive Erhöhung der Grundsteuer beschlossen. Damit treffen wir nicht die Grundstückseigentümer*innen großer Immobilien, sondern die Mieter*innen, die diese Gebäude bewohnen. Damit heizen wir die bereits jetzt exorbitanten Wohnkosten in Konstanz weiter an. Bei der Beratung dieser Mehrbelastung hieß es: Pro Wohnung würden ja nur ein paar Euro mehr fällig. Dasselbe Narrativ hören wir jetzt, wenn es um die Kitagebühren geht. Familien mit Kindern haben es in Konstanz besonders schwer. Eine ausreichend große Wohnung zu finden, ist schwer – die Miete will hart verdient werden. Wer Geld verdienen will, muss arbeiten. Alleinverdienerfamilien haben bei diesem Wohnungsmarkt keine Zukunft. Das bedeutet: Beide Partner müssen in die Arbeit gehen – die Kinderbetreuung also abgegeben werden. Dass die Kinder in die Kita gehen, sorgt nicht etwa für mehr „couple time“, sondern für die Freisetzung von Arbeitskraft! Das macht aber nur Sinn, wenn die Kita nicht mehr kostet als die Arbeit einbringt. Jeder Euro, der die Kitaunterbringung mehr kostet, wird eine Frau dazu bringen, den Job an den Nagel zu hängen und lieber die Kinder zu hüten. Ja, ich sage Frau – denn trotz 21. Jahrhundert haben wir in Deutschland noch immer einen Gender Pay Gap von wahnsinnigen 18 Prozent1 und zwei Drittel der unbezahlten care work wird von Frauen übernommen.2 Bereits heute arbeiten 66 Prozent der Mütter im Vergleich zu 7 Prozent der Väter in Teilzeit – bei jungen Müttern mehr als doppelt so viel wie im europäischen Durchschnitt!3 Und was machen wir? Erhöhen die Kitagebühren.
Ich weiß, es geht ja „nur um ein paar Euro“. Wenn Sie in Konstanz leben und in beispielsweise in unserem Krankenhaus arbeiten, dann drehen Sie „diese paar Euro“ jeden Monat sorgfältig um. Und wenn wir ehrlich sind: Wir wissen gar nicht, ob es nur um „ein paar Euro“ oder aber für viele um eine ganz erhebliche Steigerung geht: Der HFA hat zu Recht empfohlen, eine Gebührenerhöhung wenn dann nur gestaffelt nach dem Haushaltseinkommen zu beschließen. Doch die von der Verwaltung vorgelegte Empfehlung der Staffelung ist alles andere als gerecht! Die niedrigste Stufe soll bei einem Bruttomonatseinkommen von 3.666 € enden, die dritte, erhöhte, Stufe bereits bei 4.917 € Brutto/Monat beginnen. Der deutsche Durchschnittshaushalt verdient 4.979 €/Monat – zählt also in Konstanz offensichtlich zu den Besserverdienern. Herr Kaufmann meinte dazu im HfA, er ginge davon aus, dass Familien mit Kindern weniger verdienten, weil ja ein Partner nicht arbeitete. Moment, wozu diente die Kitaunterbringung gerade noch gleich? Ja genau: Damit beide Partner zum Haushaltseinkommen beitragen können! Unseres Erachtens haben auch die Änderungen im HfA die Kitagebührenerhöhung nicht sozial gerecht ausgestaltet. 25 Prozent mehr Beiträge sind zu viel für die Konstanzer*innen. Das Abstellen auf das Bruttohaushaltseinkommen vernachlässigt, dass normalen Arbeitnehmer*innen nur der Lohn nach Steuern und Sozialabgaben bleibt – und diese Abgaben sind bei zwei Verdienern regelmäßig höher. Diese signifikante Mehrbelastung kommt auf die Grundsteuererhöhung und auf die Inflation oben drauf. Am Stärksten steigen momentan die Lebensmittelpreise: Genau das, was einer kinderreichen Familie richtig weh tut. Jede Erhöhung für sich mag noch erträglich sein – die Summe aller „kleinen“ Erhöhungen macht zusammen einen Berg, den die Konstanzer Familien nicht mehr schultern können.
Und dann blicke ich auf die unnötigen Ausgaben, die unser Haushalt noch immer ausweist. Wir wildern noch immer mit hohen Personalkosten in Aufgaben des Landes: Der Kommunale Ordnungsdienst übernimmt Polizeiaufgaben, für die Stuttgart zuständig ist. Auf Betreiben der CDU-Fraktion hat die Mehrheit des HFA zwei neue Dauerstellen für den KOD geschaffen. Zwei neue Personalstellen, die wir in der Pflege, in der Kinderversorgung und in der öffentlichen Bauverwaltung so dringend brauchten – um dem Klimawandel zuvorzukommen und unseren Kindern eine lebenswerte Erde zu hinterlassen. Sie werden sagen, wir arbeiten doch an unserer „Smart Green City“. Aber genau dieses Programm ist eine uferlose Geldverschwendung. Erklären Sie bitte der Öffentlichkeit, was das Umlenken individualmotorisierter Schweizer Einkaufstourist*innen auf den letzten freien Parkplatz mit Umweltschutz zu tun haben soll.
Sie, Herr Oberbürgermeister, behaupten doch immer, dass eine lebenswerte, verkehrsberuhigte Innenstadt, keinen Deut zum Umweltschutz beitrüge. Aber kaum lehnt der Rat die Finanzierung der digitalen Verkehrslenkung ab, wird sie plötzlich „umweltsensibel“ und lässt sich zusammen mit verpflichtenden Luftschadstoffmessungen in das Bundesprogramm pressen, für das die Stadt Konstanz insgesamt 16 Mio. € ausgeben wird. Ich werde jetzt nichts zur fünften „Konstanz App“ oder dem gestaltlosen „Innenstadt-Labor“ sagen. Was mich unfassbar erzürnt, das sind die immensen Ausgaben, die wir schon wieder für „externe Beratung“ aufwenden. Die „ganzheitliche Innenstadtstrategie“ – ach ja, unter dem allseits beliebten Namen „Regiebuch“ können wir schon wieder nicht selbst, sondern nur mit einem „externen Büro für co-kreative Stadtentwicklung“ gestalten. Das neue Amt für Digitalisierung und IT muss sogar von Grund auf mit externer Hilfe strukturiert werden. Können wir in Konstanz eigentlich noch irgendetwas selbst? Jeder Euro, den wir für Consultants, Beratungsbüros und PR-Manager verschleudern, fehlt für unsere Kitas.
Und was bekommen wir dafür: Neoliberale Erzählungen von einem besseren Haushalt – sobald wir die horrenden Beratungskosten wieder eingespart haben natürlich. Ach ja: da fällt mir ein, dass wir den größten Beratungsunfall immer noch nicht eingespart haben:
Ceterum censeo forum lacus Constantiensis esse claudendum.
Fußnoten:
(1) https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/_inhalt.html.
(2) https://library.fes.de/pdf-files/wiso/05587.pdf, S. 3; https://www.bmfsfj.de/resource/blob/160276/b8b04489e225a368a0229400f12a63ec/kinder-haushalt-pflege-wer-kuemmert-sich-dossier-sorgearbeit-deutsch-data.pdf S. 8.
(3) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_N012_12.html.