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Antikriegstag: Veranstaltung mit Jürgen Grässlin

Antikriegstag-MenschentaubeDie Linke im Bodenseekreis unterstützt eine Veranstaltung des DGB-Kreisverbands Bodensee-Oberschwaben anlässlich des Antikriegstags am 1. September in Friedrichshafen. Der Autor und Rüstungsexperte Jürgen Grässlin, er ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft DFG-VK und Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei –Stoppt den Waffenhandel!“, spricht am kommenden Dienstag in Friedrichshafen über einen drohenden neuen Rüstungswettlauf und – aus traurigem aktuellen Anlass – über die verheerende Flüchtlingspolitik der europäischen Staaten und die Notwendigkeit, endlich geeignete Maßnahmen zur Hilfe für die hilfesuchenden Menschen zu ergreifen.

Der Landesvorstand der baden-württembergischen Linkspartei ruft zur Beteiligung an Aktionen am 1. September auf. Landessprecher Dirk Spöri: „Jeden Tag fliehen weltweit Menschen vor dem Tod durch Waffen, die unter anderem in Baden-Württemberg produziert werden“. Ebenso wie die deutsche Außenpolitik trügen auch deutsche Waffen erheblich zu kriegerischen Konflikten in der Welt bei, so Spöri weiter, stattdessen sei eine humane Flüchtlingspolitik nötig, „die das Ziel verfolgt, die Fluchtursache Krieg zu beheben. Das heißt ganz klar: Schluss mit deutschen Kriegseinsätzen und Schluss mit deutschen Waffenexporten!“

Gökay Akbulut, Spitzenkandidatin der LINKEN für die Landtagswahlen, griff in diesem Zusammenhang SPD und Grüne scharf an. „Es ist eine Schande, dass unter SPD-Vizekanzler und Wirtschaftsminister Gabriel die Waffenexporte aus der Bundesrepublik weiter zunehmen, statt dass sie zurückgefahren oder gar gestoppt werden“, sagte Akbulut. Mit Blick auf Baden-Würrtemberg sei es schockierend, „wie skrupellos die Waffenschmiede Heckler & Koch mit dem Tod … Profit macht.“ In Richtung Grüne kritisierte Akbulat die Doppelmoral der Partei: es sei unerträglich, dass man selbst Spenden von Rüstungskonzernen wie Südwestmetall annehme.  Die Linkenpolitikerin rief zur Beteiligung an Aktivitäten am 1.9. auf. „Am Antikriegstag, dem Jahrestag des Beginns des zweiten Weltkriegs, laden wir die Bürger im ganzen Land zu öffentlichen Aktionen und Kundgebungen ein: für ein Ende der rigorosen Abschiebepolitik der Landesregierung, für Lebensperspektiven von Flüchtlingen im Südwesten und für ein Ende von Waffenexporten – für echte Friedenspolitik also.“ – red

Gegen eine neue Rüstungsspirale – Für die Integration von Flüchtlingen!
„Gewalt kann nicht mit Gewalt eingedämmt werden. Der DGB fordert daher, die weltweiten Ausgaben für Militäreinsätze und Rüstung drastisch zu reduzieren und das eingesparte Geld für Bildung und nachhaltige Entwicklung zu verwenden.“ (DGB-Bundeskongress, Mai 2014)
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2015 forderte Bundespräsident Gauck, dass „Deutschland früher, entschiedener und substanzieller in internationale Konflikte“ eingreifen solle. Bedeutet das zwangsläufig Aufrüstung und mehr militärische Einsätze der Bundeswehr? Geschieht das bald im Rahmen einer europäischen Armee, die sich EU-Kommissionspräsident Juncker im März 2015 gewünscht hat? Bis 2017 soll die neue Sicherheitsstrategie der EU fertiggestellt sein.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass der Verteidigungsetat 2016 um 1,4 Milliarden auf 34,4 Milliarden Euro aufgestockt werden soll. Das kommt wohl den Entscheidungen des NATO-Gipfels 2014 in Wales entgegen, die Verteidigungsausgaben aller Mitgliedsstaaten um 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen.
Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD, warnte im Juli 2015 vor einem Rückfall in die Denkweisen des Kalten Krieges. Die NATO-Entscheidung, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, könne eine neue Rüstungsspirale in Gang setzen, die niemand wollen könne.
Das Friedensgutachten der Friedensforschungsinstitute für 2015 mahnt die Bundesregierung, mehr Verantwortung jenseits militärischer Maßnahmen zu übernehmen. „Es gibt Alternativen zu mehr Militär und Aufrüstung!“, betont Renke Brahms.
Die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ fordert: „Grenzen öffnen für Menschen – Grenzen schließen für Waffen!“.
Zukunftsfähigkeit und Glaubwürdigkeit Europas werden zunehmend vom Umgang der europäischen Staaten mit den Flüchtlingskatastrophen abhängen und an der Entfaltung von Integrationskraft gemessen werden, nicht an militärischer Kraft!

Vortrag und Diskussion: Gegen eine neue Rüstungsspirale –
Für die Integration von Flüchtlingen!

Dienstag, 1. September 2015, 18:30 Uhr
Gemeindesaal St. Nikolaus, Karlstraße 17, 88045 Friedrichshafen

Mitveranstalter: DFG-VK Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Bodensee-Oberschwaben, DIE LINKE Bodenseekreis/Ravensburg, GEW Kreisverband Ravensburg/ Bodenseekreis, Katholische Betriebsseelsorge Ravensburg, Pax Christi Gruppe Ravensburg, ver.di OV Bodensee Bezirk Oberschwaben, VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten Bodensee-Oberschwaben

„Wir sind hier nicht zum Urlaub oder aus Spaß“

Abschluss-FlüchtlingsdemoAm Samstag sind die Aktionstage “Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!” mit einer Kundgebung auf der Konstanzer Marktstätte zu Ende gegangen, bei der unter anderem Tobias Pflüger sprach, der stellvertretende Parteivorsitzende der Linkspartei. Drei Tage lang hatten Flüchtlinge und AktivistInnen aus der Region mit verschiedenen Aktionen – Kundgebungen und Demonstrationen vor den Werkstoren von ATM, Mowag und Diehl aber auch einem Solidaritätsfest – auf die Gründe aufmerksam gemacht, die gegenwärtig so viele Menschen wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zur Flucht zwingt.

Im Fokus der durchweg ordentlich bis gut besuchten Aktivitäten standen dabei nicht zufällig deutsche und schweizerische Unternehmen, die mit der Herstellung von Tötungsinstrumenten aller Art profitable Geschäfte machen – viele Rüstungsschmieden unterhalten am Bodensee Niederlassungen. Erfreulich an den Aktionstagen war vor allem auch, dass Flüchtlingen hier nicht die Opferrolle zugewiesen wurde, die sie bestenfalls zu Objekten karitativer Freundlichkeiten degradiert; sie traten als kämpferische Subjekte auf, die auf die Verantwortung der kapitalistischen Profiteure einer gewollten Weltunordnung hinwiesen und selbstbewußt ihr Recht auf ein menschwürdiges Leben einforderten. “Wir sind hier nicht zum Urlaub oder aus Spaß”, brachte das Rex Osa, einer der Organisatoren  und selbst vor einigen Jahren zur Flucht aus seiner nigerianischen Heimat gezwungen, auf den Punkt. Wir dokumentieren an dieser Stelle, stellvertretend für viele gute Beiträge, zwei der Kundgebungsreden. – red/Fotos: Nico


Tanja-Refugee-DemoTanja Kaufmann: Am Bodensee wird der Tod produziert

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, sehr geehrte Damen und Herren!
Wir treffen uns heute hier, um symbolisch ein Zeichen gegen die Geschäfte der Waffenindustrie mit Krieg und Tod zu setzen.

Dieses Jahr werden zum ersten Mal Aktionen gegen die Waffenindustrie von Geflüchteten initiiert – und das zu Recht! Es ist an der Zeit, die Kritik an der deutschen Rüstungspolitik mit der Kritik an der Flüchtlingspolitik und dem Grenzregime der EU zu verknüpfen! Es ist an der Zeit, aus der Lethargie aufzuwachen und endlich einzusehen: Auch hier am schönen Bodensee wird der Tod produziert. Die B31, welche am Ufer des Bodensees entlangführt, ist die Lebensader des größten und konzentriertesten Waffenclusters in Deutschland. Die BRD als Europameisterin im Waffenexport trägt Mitverantwortung für kriegerische Auseinandersetzungen und damit für die wichtigste Fluchtursache.

Wir möchten entgegen der weitverbreiteten Meinung zeigen: Die Arbeitsplätze einiger Deutscher in der Waffenindustrie können nicht wichtiger sein als das Sterben, welches durch ihre Produkte potenziell verursacht wird. Doch der Weg der Waffen ist eben auch der Weg der Politik …

Seit einiger Zeit stehen die Fragen von Flucht und Asyl im Fokus der Öffentlichkeit – ob durch Berichte über die Tragödien, die sich tagtäglich im Mittelmeer abspielen oder die sogenannte „Asylflut“ und die Überforderung der Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Dabei wird immer nur über eine Wirkung gesprochen und so getan, als sei man völlig unvorbereitet mit den steigenden Flüchtlingszahlen konfrontiert worden.

Politik und Medien suggerieren den Bürgern, dass die Aufnahme der geflohenen Menschen ein Problem für unsere Gesellschaft darstellen würde. Um dieses Problem zu lösen, hat man bestimmte Herkunftsstaaten als sicher deklariert und Rückführungszentren geschaffen, um schnellere Abschiebungen durchzusetzen. Der Innenminister Friedrich fordert sogar Sonderlager für Balkanflüchtlinge, um dem sogenannten „Asylmissbrauch“ vorzubeugen. Von solcher Rhetorik wird der rechte Rand beflügelt und die AFD fordert kurzerhand eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge. Unionspolitiker fordern mittlerweile Leistungskürzungen für Balkanflüchtlinge, um sie von der Flucht abzuschrecken.

Es scheint so, als sei das Motto der Bundesregierung „Flüchtlinge bekämpfen!“. Erstens geschieht dies natürlich durch die Verstärkung der Festung Europa, welche ohne Zweifel für den Tod vieler hunderter, ja tausender Flüchtlinge im Mittelmeer verantwortlich gemacht werden kann.

Zweitens wird mit Mitteln der Innenpolitik verstärkt gegen Flüchtlinge vorgegangen. Seit diesem Monat ist das Gesetz „Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ in Kraft getreten, welches eine Ausweitung der Abschiebehaft und eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots mit sich bringt. So kann theoretisch (also aufgrund des Dublin-Abkommens) jeder in Abschiebehaft kommen, der illegal nach Deutschland eingereist ist. Und wie wir wissen bedeutet das: alle Flüchtlinge!

Die zynische Intention dieses Gesetzes scheint zu lauten: Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt!

Dies ist die gravierendste Asylrechtsverschärfung seit der Defacto-Abschaffung des Rechts auf Asyl in den 90er Jahren! Es ist zutiefst beschämend, dass die Bundesregierung damit indirekt die Hetze des Pegida-Mobs in Gesetzesform gegossen hat.

So haben sich Rassismus und Intoleranz wieder in der Gesellschaft ausgebreitet und der Staat schaut zu – ja, fördert sogar durch sein Verhalten die brandgefährliche Stimmung!

Bitter nötig wäre es stattdessen, die Bürger darüber aufzuklären, warum Menschen fliehen mussten und dass es unsere Pflicht als Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention ist, sie bei uns aufzunehmen. Doch man will nicht viel über die Fluchtursachen sprechen, vielleicht aus Angst, dass die eigene Verantwortung bei der Schaffung schlechter Verhältnisse, wirtschaftlicher Ausbeutung, Krieg, Armut und Hunger auffliegt?!

Auch wenn alles immer mehr auf Abschottung abzielt: Die Menschen werden trotzdem kommen, denn sie haben sich aus purer Verzweiflung auf den beschwerlichen Weg gemacht – sie haben ihre Gründe, warum sie fliehen mussten!

Die Menschen, zum Beispiel aus Syrien, dem Irak, Somalia oder Nigeria fliehen vor gewaltsamen Konflikten, Bürgerkriegen und den terroristischen Anschlägen von Gruppen wie IS oder Boko Haram. Doch woher kommen die ganzen Waffen, die dort eingesetzt werden?

Deutschland liefert nicht direkt Waffen in Länder, in denen eindeutig Bürgerkrieg herrscht. Laut Außenwirtschaftsgesetz dürfen keine Waffen exportiert werden, wenn dadurch das friedliche Zusammenleben der Völker nicht gewährleistet werden kann. Trotzdem tauchen deutsche Waffen immer wieder in Krisengebieten auf!

Laut einer Studie des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen sind „Klein- und Leichtwaffen“ (also Gewehre, Pistolen, Revolver, Granaten und Minen) die Tötungsinstrumente unserer Zeit – das in Deutschland produzierte G3-Sturmgewehr von Heckler & Koch rangiert auf dem zweiten Platz der global am weitesten verbreiteten Gewehre.

Allein im Halbjahr 2015 lagen die bewilligten Ausfuhren für Rüstungsexporte fast so hoch wie im ganzen vergangenen Jahr (bei insgesamt 6,35 Milliarden Euro). Hier beweist Gabriel mal wieder, wie ernst er es mit seinen Wahlversprechen tatsächlich meint. Laut einer parlamentarischen Anfrage der Linkspartei stiegen die Ausfuhrgenehmigungen für arabische Staaten und Nordafrika allein in diesem Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 200%. Es sind also vor allem die Exporte an sogenannte „Drittländer“ gestiegen, an die eigentlich nur in extremen Ausnahmefällen geliefert werden soll.

Kann es sein, dass die Bundesregierung den Einsatz Saudi-Arabiens im Jemen als einen solchen Ausnahmefall einstuft? Seit März wirft Saudi-Arabien im Kampf gegen die Huthi-Rebellen im Jemen regelmäßig Bomben ab und hat damit mittlerweile über 2000 tote Zivilisten auf dem Gewissen. Ob die gleichzeitige Lieferung von Kriegsmaterial moralisch richtig ist, interessiert hier wenige. Was zählt, sind die Gewinne! Und eine große Nachfrage kommt nun mal vom saudischen Regime. Es ist gemeinhin bekannt, dass diese Monarchie regelmäßig schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht.

Wir stehen hier vor den Toren einer Firma, die beinahe auch von Geschäften mit Saudi-Arabien profitiert hätte. ATM Computer Systeme GmbH ist seit wenigen Jahren ein Unternehmen der Krauss-Maffei-Wegmann-Gruppe (KMW). ATM ist spezialisiert auf die Computer-Technik für Panzer, Kriegsschiffe, Raketenwerfer und Panzerhaubitzen. Das Besondere an ihren Hard- und Softwarekomponenten: sie sind bestens geeignet für die militärische Datenverarbeitung und ihre Funktionssicherheit ist auch unter extremen Bedingungen (wie eben im Krieg) gewährleistet.

Als 2011 die arabischen Demokratiebewegungen lauter wurden, genehmigte die damalige Bundesregierung die Lieferung von 200 Leopard-2-Kampfpanzern der Firma Krauss-Maffei Wegmann, ausgestattet mit dem Centurion Bordcomputer aus Konstanz und auf die asymmetrische Kriegsführung und die Bekämpfung von Einzelpersonen optimiert. Da es aber viel öffentliche Kritik an den geplanten Lieferungen gab, entschied sich Saudi-Arabien 2013, die Panzer von einem anderen Hersteller zu erwerben.

Der nächste große Auftrag für Krauss-Maffei Wegmann erfolgte aber noch im gleichen Jahr: Es wurden 62 Leopard-2-Panzer und 24 Panzerhaubitzen im Wert von insgesamt 1,9 Milliarden Euro an das Emirat Katar verkauft. Dass auch dieses Regime Menschenrechte verletzt, dürfte bekannt sein. Außerdem lieferte Katar Waffen an die islamistischen Rebellen in Libyen und Syrien.

Der Leopardpanzer ist das hinsichtlich der Stückzahl erfolgreichste Rüstungsprodukt Deutschlands. ATM Konstanz profitiert indirekt durch die Zugehörigkeit zu KMW, aber auch direkt durch den Verkauf ihrer Bordcomputer. Wir fordern hiermit die Firma dazu auf, unverzüglich auf zivile Produktion umzustellen! Vielleicht scheint diese Technik harmlos zu sein: Doch es sind Computer, die töten!

Tanja Kaufmann engagiert sich unter anderem im Arbeitskreis Roma-Solidarität


 JürgenWeber-Refugee-DemoJürgen Weber: Flüchtlinge nicht „in die Wüste zurück treiben“

Vor rund 110 Jahren haben deutsche Kolonialtruppen im heutigen Namibia rund 85.000 Angehörige der Volksgruppen der Herero und Nama in die Wüste getrieben. Der Befehl lautete auch auf zurückkehrende Frauen und Kinder zu schießen. Ein ganzes Volk war Hitze und Durst schutzlos ausgeliefert und Zehntausende sind in der Wüste elendiglich zugrunde gegangen. Es gab keine Gnade, es gab keinen Ausweg. Die kolonialen Interessen Deutschlands wurden für den eigenen Profit in fremden Ländern der Welt verbrecherisch durchgesetzt. Es war ein Völkermord an einem schwarzafrikanischen Volk. Im Juli dieses Jahres jährte sich die Aufgabe der Kolonie Deutsch-Südwestafrika zum 100. Mal. Repräsentanten Deutschlands entschuldigten sich teilweise mit tränenerstickter Stimme beim Volk der Herero und Nama.

Wenn ich die Nachrichten und die Bilder dieser Tage sehe, frage ich mich wie zukünftige Generationen dieser Welt das bewerten, was derzeit an den EU-Außengrenzen passiert? Auf dem Mittelmeer, den griechischen Inseln auf den Fluchtwegen über den Balkan bis zum neuen Grenzzaun Ungarns.

Wer wird in den Geschichtsbüchern dieser Welt angeklagt für die tausenden und zehntausenden toten Menschen, die vor Elend und Krieg fliehen mussten und es nicht in Sicherheit geschafft haben. Die heute jeden Tag auf ihren Märschen durch die Wüsten sterben. Die in den Lagern in Syrien oder dem Libanon Krankheiten und Strapazen nicht überstehen. Die im Mittelmeer ertrinken. Namenlos als Wasserleichen an der lybischen Küste angeschwemmt werden. Die unter Deck, in Containern oder auf LKWs ersticken. In Obdach- und Mittellosigkeit mitten in Europa wie in Griechenland oder Mazedonien von der Polizei und vom Militär geschlagen und mit Tränengas beschossen werden.

Flüchtlinge können nicht einfach „in die Wüste“ zurück getrieben werden. Welche Strategie verfolgt die Europäische Union? Sie steckt ein Vielfaches an Geld in die Abwehr von Flüchtlingen als in deren Hilfe. Hat dieses Europa und die Bundesregierung keinerlei Gespür für humanitäre Verantwortung? Wie ertragen wir täglich all diese Bilder und Berichte? Wer übernimmt dafür die Verantwortung?

Was steht einmal in den Geschichtsbüchern dieser Welt über brennende Flüchtlingsheime im Wohlstands-Deutschland? Fragen unsere und die Kinder der Flüchtlinge ob wir nichts gesehen haben? Wollen wir wieder sagen wir hätten nichts gewusst? Oder es war uns egal? Man konnte eben nichts tun?

Wie wird diese gnadenlose Abschottungspolitik – von Reich gegen Arm, von Kriegswaffen-„Geschäftlemachern“ gegen vor Krieg und Elend Fliehender – historisch bewertet?

Deutschland hat eine besondere Verantwortung für Sinti und Roma in ganz Europa. Rund 500.000 fielen dem Rassenwahn Nazi-Deutschlands zum Opfer. Deportiert auch aus Konstanz, Stockach und Singen. Ermordet in Auschwitz. Auch auf vom Balkan wurden 60.000 bis 90.000 Roma umgebracht. Deren Angehörige und Nachkommen finden sie beispielsweise in den Flüchtlingsunterkünften in Konstanz, Stockach und Singen. Gehen Sie hin und sprechen sie mit ihnen darüber. Sie werden sicher auf einen Kaffee willkommen geheißen.

Wir haben nicht nur humanitär, sondern auch historisch die Verantwortung den europäischen Roma Schutz zu bieten. Und so steht es ja auch im Grundgesetz unseres Landes.

Die systematische Diskriminierung und Ausgrenzung Angehöriger einer Religion, Weltanschauung oder Volksgruppe ist Asylgrund im besten Sinne. Offensichtlich begründet!

Armut ist nur Ausdruck dieser vielfachen Diskriminierungen, denen Roma in vielen europäischen Staaten ausgesetzt sind. Wer systematisch kein Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnung oder zu Sozial- und Gesundheitsversorgung hat ist eben AUCH arm. Was auch sonst?

Doch nun so zu tun, als sei Armut die Fluchtursache und nicht Wirkung von vielfacher Diskriminierung und damit Verfolgung, ist schlichtweg unsachliche Stimmungsmache.

Derzeit sollen wir dieser Demagogie auf den Leim gehen. Sollen eine Trennung in so genannte „gute“ und „böse“ Flüchtlinge nachvollziehen. Die Rolle der „bösen“ wird dabei – wie seit Jahrhunderten – den Roma zugeschrieben. Sie nehmen den „guten“ jetzt die Plätze weg. Als wäre es nicht schlichte und verfassungsmäßige Aufgabe des Staates für ausreichende Unterkünfte Sorge zu tragen. Es ist ein durchschaubar schlechter Scherz und weiter nicht der Rede wert, dass Deutschland mit dieser Aufgabe überfordert wäre.

Nein, die Roma sind nicht daran schuld, dass Deutschland so wenig „gute“ Flüchtlinge aufnehmen kann.

Gerade wenn Politikerinnen und Politiker jetzt darüber diskutieren Sonderbehandlungen für Roma-Flüchtlinge einzuführen, müssen wir uns deutlich an die Seite der Roma stellen. Wenn das Prinzip der Prüfung des Einzelfalls in Asylverfahren untergraben und von der Verfassung garantierte Sozialleistungen für eine Gruppe von Menschen eingeschränkt werden sollen, sind nicht nur die Roma gemeint. Dieser Angriff, ist ein Angriff auf unsere Grundrechte. Ist ein Angriff auf uns alle.

Was heute den Roma blüht, blüht morgen schon anderen. Anderen Flüchtlingen in Asylverfahren. Anderen Bedürftigen in Sozialleistungen. Anderen Minderheiten in den europäischen Gesellschaften.

Zum Schluss eine Vision, denn wo stünde die Menschheit ohne Visionen: Beenden wir diese Unkultur alles für den Profit zu tun. Für Gewinne Waffen zu bauen und zu verkaufen, die andere Töten und in die Flucht schlagen.

Schützen wir unsere Grenzen nicht mit Waffen, sondern reichen wir Hände.

Reden wir nicht nur darüber, sondern leben wir eine Willkommenskultur und leben wir Vielfalt. Machen wir Grenzen, Türen und Herzen auf. Öffnen wir Fluchtwege und beenden wir endlich das Sterben im Mittelmeer. Geschichte wird jetzt und nicht in ihrer historischen Betrachtung gemacht.

Der Autor und Journalist Jürgen Weber ist Mitglied im Vorstand des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg

„Wir sterben für eure Privilegien“

Flüchtlingsdemo1Zum Auftakt der Aktionstage „Flucht­ursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!“ gab es eine Demonstration durch Konstanz sowie Kundgebungen vor Rüstungsfirmen in Deutschland und der Schweiz. Mit dabei waren auch viele Geflüchtete, die allerdings wegen der Probleme beim Grenzübergang nicht an der Schweizer Kundgebung teilnehmen konnten. Gut 100 Menschen machten sich am Donnerstag vom Camp in der Chérisy-Kaserne auf, um zunächst vor der Konstanzer Rüstungsfirma ATM (eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann) zu protestieren. Der Zugang zum Firmengelände allerdings war abgeriegelt – die Geschäftsleitung hatte das Wachpersonal verdoppelt und sämtliche Anlieferungen für den gestrigen Donnerstag storniert. Anschließend lief der Demonstrationszug durch Petershausen in die Altstadt zur Kundgebung auf der Marktstätte.

„Mehr Geld für die Abwehr als für die Versorgung der Flüchtlinge“

Die bunte und lautstarke Menge machte mit einer Vielzahl von Sprechchören auf sich aufmerksam, viele Transparente und Schilder brachten die Botschaft zum Ausdruck: Es müsse eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Geflüchteten und Rüstungsexporten geschaffen und betont werden, so der Tenor der zahlreichen Redebeiträge. „Derzeit werden nicht die Fluchtursachen, sondern Flüchtende bekämpft. Es wird mehr Geld für die Flüchtlingsabwehr als für die Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben.“, erklärte ein Redner. Doch nur humanitäre Hilfe löse das Problem nicht. Diese sei zwar wichtig, aber lindere nur die Symptome. „Die Menschen müssten ihr Land nicht verlassen, wenn wir ihnen anständig helfen“, meint eine ältere Dame im Gespräch.

Flüchtlingsdemo2Die weltweiten Rüstungsexporte tragen direkt zum Leid der Menschen in Krisengebieten bei und veranlassen sie dazu, aus Angst um ihr Leben und das ihrer Familie ihr Land zu verlassen. „We die for your privileges“ (wir sterben für eure Privilegien) meinte ein Refugee auf der Marktstätte. „Ihr schickt Waffen in unsere Länder, nehmt uns unsere Ressourcen weg. Doch eines Tages werden diese Waffen auf euch gerichtet sein“ mahnt er. Auch Lothar Höfler vom Verein „Keine Waffen vom Bodensee“ ist der Überzeugung, dass uns dieses Verhalten eines Tages einholen wird. „Krieg und Rüstung sind siamesische Zwillinge, sie bedingen einander. Das Eine kann ohne das Andere nicht bestehen“, sagt er. Der Bodensee ist das größte zusammenhängende Rüstungsgebiet in Deutschland. „Diese Firmen haben eine unglaubliche Macht in den Städten und Gemeinden“.

Die Aktionstage wurden von dem Netzwerk „Flüchtlinge für Flüchtlinge“ (Refugees for Refugees) initiiert. Rex Osa ist dort als Organisator tätig. Er hat selbst eine Flucht hinter sich und setzt sich in Deutschland außerordentlich engagiert für Geflüchtete ein. „Wir müssen gemeinsam kämpfen, es gibt keine andere Möglichkeit. Wir laden alle dazu ein, sich zu beteiligen“ Das Netzwerk hat sich neben der praktischen Unterstützung von Flüchtlingen zum Ziel gesetzt, die gesellschaftliche Distanz zwischen Geflüchteten, Migranten und deutschen Staatsbürgern zu verringern sowie die Isolation der Refugees in Deutschland zu durchbrechen.

Flüchtlingsdemo5Viele Stimmen kommen auf der Marktstätte zu Wort, auch ein Gedicht von Wolfgang Borchert wurde vorgetragen. Ein Syrer lässt seine Geschichte auf Deutsch vorlesen. Nach drei Jahren Flucht ist er nun bereits neun Monate in Deutschland. Sein Asylantrag wurde noch nicht bearbeitet. Seine Kinder haben seit drei Jahren keine Schule besucht. Bei ihm drängt die Zeit, seine Frau und seine neunjährige Tochter mussten auf halbem Weg ins zerbombte Damaskus zurückkehren. Er selbst kam schließlich auf einem mit 450 Personen beladenen Boot übers Mittelmeer nach Europa.

„Wenn Flüchtlingsheime brennen, dann müssen wir auf die Straße“

Und das wäre bereits ein Grund ins Gefängnis gehen zu müssen. Nach jüngst erlassener Gesetzgebung ist es nun möglich, Geflüchtete zu inhaftieren, wenn diese für ihre Flucht Geld bezahlt haben. „Das ist ein Skandal, denn es besteht nach wie vor keine legale Einreisemöglichkeit nach Deutschland“, findet Rudy Haenel, Rechtsanwalt aus Konstanz, der Geflüchteten Rechtbeistand leistet. „Die bürokratischen Hürden sind eine Katastrophe.“, so sein Fazit der Situation für Geflüchtete in Deutschland. Flüchtlingsdemo3Er berichtet von dem Fall einer 76-jährigen Großmutter aus Syrien, deren sieben Kinder mit ihren Familien bereits in Deutschland sind. Trotz seiner Bemühungen gelang es ihm bis heute nicht, ihr ein Visum zu beschaffen. „Wir müssen diese weltweiten Flüchtlingsströme als Realität dieses Jahrhunderts begreifen. Dieses Problem wird sich nicht von selbst lösen. Es braucht jeden von uns, um da zu helfen. Wir brauchen legale Einreisemöglichkeiten.“

Auch erinnert er an die Flüchtlingsströme nach dem 2. Weltkrieg, als Millionen Menschen durch den Krieg ihrer Heimat beraubt wurden. Doch findet er es großartig, dass sich die deutsche Bevölkerung dermaßen für Flüchtlinge einsetzt. Und er sagt: „Wenn Flüchtlingsheime brennen, dann müssen wir auf die Straße“

Wo bleiben die Kirchen?

Im Anschluss ging es nach Kreuzlingen zur amerikanisch-schweizerischen Firma MOWAG, die vor allem bekannt für ihre Piranha-Panzer ist. Auch die MOWAG-Geschäftsführung hatte sich vorbereitet: Rechtzeitig waren die Angestellten nach Hause geschickt und ein abseitiger Parkplatz für die Demonstranten reserviert worden, auf dem sich knapp 50 Demonstranten versammelten, die symbolisch Leichensäcke drapierten. Auch Schweizer Gruppen waren vor Ort, darunter die „Jungen Grünen“ und „GSoA“ (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee). Doch eine Gruppe fehlte, die Geflüchteten aus Konstanz konnten aufgrund des Risikos des Grenzübertritts nicht teilnehmen. Diese Sorge bewahrheitete sich, denn als eine größere Gruppe die Grenze überqueren wollte, wurde diese prompt aufgefordert, ihre Ausweisdokumente vorzuzeigen, die sie nicht hatten.

seemoz-Flüchtlingsdemo4Die Redner von GSoA berichteten über die weltweite Verbreitung von MOWAG-Panzern und deren Einsatzgebiete. Zum Beispiel wurden sie beim Militärputsch von Pinochet in Chile eingesetzt. Schweizer Munition wurde in mehreren Kriegsgebieten nachgewiesen, in die die Schweiz eigentlich nicht liefern dürfte. Auch marschierte Saudi-Arabien im Jahr 2011 mit MOWAG-Panzern in Bahrain ein, um die Demokratiebewegung dort zu unterbinden. Ein Schweizer vermisste im persönlichen Gespräch die Zivilcourage in der Gesellschaft. „Wo sind denn eigentlich die Landeskirchen? Wenn sie sich schon als moralische Instanz aufspielen, warum haben sie dazu nichts zu sagen?“, wunderte er sich.

Ein Fazit? Das lieferte eine ältere Dame im Gespräch auf dem Rückweg zur Marktstätte: „Waffen töten, damit ist ja auch schon alles gesagt.“ Rafael Cueva (Text)/Nico Kienzler (Fotos)

Dieser Text ist zuerst bei seemoz erschienen

 

Flüchtlingsunterbringung – Pflichtaufgabe und Chance

RefugeesWelcomeWeltweit sind fast 60 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bewaffnete Konflikte, militärische Auseinandersetzungen, Hunger, Armut und ein Leben ohne menschenwürdige Perspektiven zwingen Menschen in unvorstellbar großer Zahl zur Flucht. Ohne triftige Gründe macht sich niemand auf eine gefahrvolle Reise ins Ungewisse und verlässt sein Heimatland, Familie und FreundInnen. Die Reaktion der EU-Staaten darauf ist es, die eigenen Außengrenzen zur Festung zu machen. Mit Grenzzäunen und Kanonenbooten wollen die Eliten das Elend fernhalten.

Deutschland mitverantwortlich

Nach Angaben der UNO wagten seit Anfang des Jahres insgesamt etwa 224 000 Menschen den gefährlichen Weg übers Mittelmeer, mehr als 2100 Menschen überlebten die Reise nicht. Die reichen Industrienationen, an vorderer Front Deutschland, sind mitverantwortlich für die vielen Konflikte, Kriege und beklagenswerten Lebensbedingungen unzähliger Menschen. Deutsche Unternehmen gehören zu den Hauptprofiteuren einer zutiefst ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die die Existenzgrundlagen vieler Menschen in den Entwicklungsländern vernichtet; deutsche Politik fördert in zahlreichen Regionen Konflikte, die – nicht selten mit aus Deutschland importierten Waffen – militärisch ausgetragen werden. Dass deutsche Interessen auch in fernen Ländern inzwischen auch mit kriegerischen Mitteln durchgesetzt werden, treibt Menschen ebenfalls zur Flucht.

Versäumnisse der Politik rächen sich

Nur ein geringer Prozentsatz der weltweit Flüchtenden schafft es überhaupt in unsere Gefilde – doch selbst damit will die offizielle Politik überfordert sein. Die Linke Liste hat immer wieder auf die Versäumnisse von Bund und Land bei der Flüchtlingsunterbringung hingewiesen, diese Untätigkeit rächt sich nun bitter. Auch wenn inzwischen zögerlich Landesmittel fließen, stehen Kreise und Gemeinden vor großen Problemen. Sie sind verpflichtet, ein gewisses Kontingent aufzunehmen. Für die Erstaufnahme ist der Kreis zuständig, für die anerkannten AsylbewerberInnen die Kommune. Die Stadt Konstanz wird bis Ende des Jahres 2015 voraussichtlich 695 Plätze für Flüchtlinge anbieten müssen, derzeit sind es 318. Inzwischen ist unübersehbar, dass sich in dieser Situation nicht nur erfreulich viele EinwohnerInnen für die Geflüchteten engagieren, aber es mehren sich leider auch rassistische Stimmen,die offen gegen diese Menschen hetzen.

Die Linke Liste bekräftigt in dieser Lage, dass sie jede Initiative bzw. jedes Bauvorhaben, das eine angemessene Unterbringung ermöglicht, begrüßt und unterstützt. Diese Menschen befinden sich in existenzieller Not, sie haben unsere solidarische Unterstützung nötig – das ist ein Grundsatz, der für die LLK uneingeschränkt gilt. Alles was diesem Ziel dient, findet unsere Unterstützung.

Ohne neue Unterkünfte geht es nicht

Auf der Gemeinderatssitzung im Juli wurden zwei Bauvorhaben zur Anschlussunterbrin­gung beschlossen und gehen nun in die Planung: Eines im Wollmatinger Zergle, wo 70 bis 80 Flüchtlinge unterkommen werden und ein weiteres Wohnhaus für ca. 40 Personen in Egg. Beide Standorte sind innerhalb der Anwohnerschaft der betroffenen Stadtteile umstritten und stoßen teilweise auf Ablehnung und die Befürchtung, dass das gewohnte Leben im Quartier und die Sicherheit gefährdet sein könnten.

Dabei bieten diese Projekte durchaus auch Chancen für die Ansässigen; insbesondere in Egg könnte die heute mangelhafte Infrastruktur ausgebaut und Orte der Begegnung, ein Café und ein Laden ins Leben gerufen werden. Auch eine verbesserte Verkehrsanbindung könnte für den gewachsenen Stadtteil konkrete Vorteile bringen. Wir können uns gut vorstellen, die Unterkunft auf der Egger Wiese zu bauen, mitten im Ort, wo Integration besser gelingen kann als am Rand – die Flüchtlinge wären dort quasi abgeschoben und dem Bewusstsein der neuen NachbarInnen entzogen.

So sieht das auch ein Teil der Egger Einwohnerschaft, die andere Menschen ausgrenzende Anwohnerinteressen nicht über das Wohl der NeubürgerInnen stellt und eine zentrale Unterbringung befürwortet. Auch wir sind der Ansicht, dass auf dem ehemaligen Planungsgebiet des Kindergartens genügend Platz bleiben kann, um den bestehenden Spielplatz zu erhalten und in das Konzept des geplanten Flüchtlingshauses miteinzubeziehen. Dieser neue Platz der Begegnung könnte wahre Integration ermöglichen. Eine Chance, die Begriffe „Willkommenskultur“ und „Integration“ mit Leben zu füllen und konkret umzusetzen.

Die gegenwärtige Lage macht es unumgänglich, große Wohneinheiten für Flüchtlinge bereitzustellen. Darüber hinaus treten wir aber auch dafür ein, kleinere, dezentrale Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Als Sofortmaßnahme fordern wir deshalb, dass die Stadt gezielt leerstehende Häuser, Gewerberaum und Wohnungen ermittelt und für die Unterbringung von Flüchtlingen heranzieht.

Anke Schwede

Südwest-Linke kritisiert Geheimniskrämerei der Landesregierung bei Armutsbericht

Die alarmierende Zunahme von Kinder- und Altersarmut soll beschönigt werden: Die Linke Baden-Württemberg kritisiert die Nichtveröffentlichung des Armuts- und Reichtumsberichts, der am Montag in Stuttgart vom Sozialministerium mündlich vorgestellt worden war, aber nicht gedruckt oder elektronisch verschickt werden darf.

Die für den Sommer angekündigte Veröffentlichung werde nun offenbar zurückgestellt, bis das Kabinett den Bericht genehmigt hat. Offenbar, so Linken-Geschäftsführer Bernhard Strasdeit, soll so aus wahlkampftaktischen Gründen vom eigenen Versagen abgelenkt werden: “Der Landesregierung fehlt das soziale Gewissen, sie hat die zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft in arm und reich nicht ernst genommen.”

Die vom Statistischen Landesamt präsentierten Zahlen zeigen, dass 45% der Kinder alleinerziehender Eltern im Land in Armut oder an der Schwelle zur Armut leben. Der Paritätische Wohlfahrtsverband berichtet, dass viele Menschen auf Grund der hohen Mieten von Wohnungslosigkeit bedroht oder schon wohnungslos sind. Alarmierend sei die Zunahme der Altersarmut sowie die Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit.

Zwar habe Baden-Württemberg mit 11,4% eine der niedrigsten Armutsquoten, gemessen am Einkommens- und Preisniveau liege sie aber mit 14,8% so hoch wie im Bundesdurchschnitt und steige weiter trotz guter Konjunktur. Zudem gebe es erhebliche regionale Unterschiede, in den Städten, etwa in der Region Mannheim, sei die Armut doppelt so hoch wie am Bodensee. Die Linke stimmt dem Paritätischen Wohlfahrtsverband zu, der eine konsequente Politik der Armutsbekämpfung fordert, etwa beim Wohnungsbau oder in der Familienpolitik. (PM)

Aktionstage “Fluchtursachen bekämpfen – Waffenexporte stoppen”

Aktionstage-Fluchursachen-WaffenexporteVom 20. bis zum 22. August (Donnerstag bis Samstag) werden in Konstanz, Überlingen und Kreuzlingen verschiedene Protestaktionen und Veranstaltungen gegen die am Bodensee ansässige Waffenindustrie stattfinden. Ziel ist, Krieg als Fluchtursache der hier lebenden Geflüchteten zu thematisieren und auf die Mitverantwortung der Bodensee-Waffenindustrie aufmerksam zu machen: „Fluchtursachen bekämpfen – Waffenexporte stoppen“.

Das Flüchtlingsnetzwerk „Refugees for Refugees“ hat die Aktionstage initiiert und mit der Unterstützung zahlreicher politischer und gesellschaftlicher Organisationen aus Deutschland und der Schweiz organisiert. In Solidarität mit Geflüchteten soll außerdem gegen das EU-Grenzregime, die Ignoranz der Politik gegenüber Fluchtursachen und für ein Bleiberecht aller Schutzsuchenden gekämpft werden. Der Kreisverband Konstanz der Linken und die Linksjugend solid ruft ebenfalls zur Unterstützung auf.

Das Basiscamp auf der Chérisy-Wiese in Konstanz wird Unterbringungsort und Rastplatz für FlüchtlingsaktivistInnen und Solidarische von außerhalb sein. Dort wird es ein großes Zelt mit Infomaterialien sowie einer Küche für alle geben. Außerdem soll es Raum für gegenseitigen Austausch, Musik, Workshops oder Vorträge bieten.

Beginnen werden die Aktionstage am Donnerstag, 20. August, mit dem Protest vor der Firma ATM in Konstanz, von der aus es auf eine Demonstration mit anschließender Kundgebung auf der Marktstätte Konstanz geht. Am Nachmittag gibt es eine Kundgebung vor der Firma Mowag in Kreuzlingen. Beim Protest vor den Rüstungsbetrieben werden die Flüchtlinge als potentielle und reale Opfer in erster Linie selbst das Wort ergreifen.

Zur großen Waffenfirma Diehl (Überlingen) geht es dann am Freitag (21.8.) mit Bus und Fähre. Um die Mittagszeit wollen die AktivistInnen vor den Werkstoren demonstrieren, um danach zusammen zur Schiffsanlegestelle zu gehen, wo eine Kundgebung geplant ist.Anschließend soll es die Möglichkeit zum Besuch der Flüchtlingsunterkunft in Goldbach geben, welche aufgrund menschenunwürdiger Verhältnisse bereits öfter in der Kritik stand. Am Freitagabend dann wird es eine Solidaritätsparty mit Geflüchteten in Konstanz geben.

Die große Abschlusskundgebung soll Samstag (22.8.) um 14 Uhr auf der Markstätte in Konstanz stattfinden.

Weitere Informationen zum Rahmenprogramm und den RednerInnen werden auf folgenden Webseiten bekanntgegeben: https://twitter.com/CausesOfFlight, https://refugees4refugees.wordpress.com/.

Da zusätzlich zu diesen Veranstaltungen ein Basiscamp für die Unterbringung, Versorgung und als Treffpunkt für die anreisenden Flüchtlingen auf die Beine gestellt werden soll, sind die OrganisatorInnen auf Spendengelder dringend angewiesen. Bitte helfen Sie, dass die Aktionstage und das Refugee Camp verwirklicht werden können. Spenden bitte auf folgendes Konto:
Flüchtlinge für Flüchtlinge e.V. GLS Bank Stuttgart, IBAN: DE80 4306 0967 7033 0742 00.

Die Aktionstage wurden vom Netzwerk „Flüchtlinge für Flüchtlinge e.V.“ (Refugees for Refugees) initiiert. Unterstützt von: The Voice Refugee Forum, the Caravan, Flüchtlinge für Flüchtlinge, Bündnis Abschiebestopp Konstanz, Keine Waffen vom Bodensee, Friedensinitiative Konstanz, VVN-BDA (Bund der AntifaschistInnen), Friedensinitiative Überlingen, Die Linke Konstanz, Rote Hilfe Konstanz, Input Konstanz, die Falken Konstanz, linksjugend-solid/SDS Konstanz, Europäisches BürgerInnen Forum, Grüne Hochschulgruppe Konstanz, Asta Uni Konstanz, Weltladen/Aktionskreis dritte Welt e.V., Contrast Jugendkultur e.V., seemoz, ESG e.V., Attac Bodensee, Soziale Arbeit e.V. (PM/hpk)



Donnerstag, 20.8.
12 Uhr: Kundgebung ATM Konstanz mit anschließendem Demonstrationszug
14 Uhr: Kundgebung Marktstätte Konstanz
16 Uhr: Kundgebung Mowag Kreuzlingen

Freitag, 21.8.
11 Uhr: Kundgebung Diehl Überlingen mit anschließendem Demonstrationszug
14 Uhr: Kundgebung Schiffsanlegestelle Überlingen
20 Uhr: Soliparty für Geflüchtete in Konstanz

Samstag, 22.8.
14 Uhr: Abschlusskundgebung Marktstätte, Konstanz

Flüchtlingspolitik und der Streit um eine Petition

„Wir unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Flüchtlingen“. Auch mit diesem Argument verweigerte sich Die Linke im Konstanzer Kreistag einer Petition, die vornehmlich einer flotten Abschiebung von Roma in den Westbalkan das Wort redet. Doch nur ein Grüner schloss sich bei der Abstimmung im Kreistag dieser Position an.

Diese Kreistags-Resolution an die Gesetzgeber in Bund und Land hat eine Vorgeschichte: Bereits im Vorfeld hatten sich die beiden linken Kreisräte Marco Radojevic und Hans-Peter Koch gegen eine, von Landrat Hämmerle formulierte Fassung ausgesprochen. Dennoch wurde dieser Entwurf von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD sowie von den Freien Wählern (FW) nochmals überarbeitet, so dass in der letzten Sitzung des Kreistages zwei Fassungen zur Abstimmung standen: Die ursprüngliche Fassung wurde mit 35 Stimmen aus dem Lager von CDU, FW und FDP angenommen, der alternative Vorschlag bekam 14 Stimmen von Grünen und SPD, und nur drei Kreisräte (Beyer-Köhler von den Grünen sowie Koch und Radojevic von der Linken) votierten gegen beide Fassungen.

Deren Kritik richtete sich vor allem gegen die unveränderte Aussage, „dem Migrationsdruck aus den Westbalkanstaaten“ müsse Einhalt geboten werden, „da in nahezu allen Fällen kein Anspruch auf Asyl besteht“. Stark beschleunigte Verfahren (zur Abschiebung, d. Red.) sollten zeitnah umgesetzt werden. Kreisrat Radojevic machte in seiner Rede deutlich, dass damit vornehmlich Roma gemeint seien, denen in ihren Herkunftsländern jedwede Diskriminierung droht, Roma seien die meist geschundene Gruppe in Europa, auch in Deutschland. Deshalb seine Warnung: „Diese Resolution … ist Öl ins Feuer derer, die ihren Hass auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft projizieren“. Dieser Appell verhallte jedoch bei den bürgerlichen Kreisräten, siehe Abstimmung.

Ein bezeichnendes Licht auf die Diskussionskultur warf dann jedoch die nachfolgende Debatte: Radojevic wurde vorgeworfen, sich zum Sprachrohr der Hetze gegen Roma zu machen. Und das nur, weil er – um das Maß der Diskriminierung zu illustrieren – aus dem Hetzartikel einer ungarischen Zeitung zitiert hatte. Da wurde das Ross zum Reiter stilisiert.

WORTLAUT | Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir – die beiden Kreisräte der Linken – werden unter keinen Umständen der heutigen Resolution zum Thema Asyl zustimmen können. Wir erkennen die Bemühungen an, eine Verbesserung der Lage der Flüchtlinge mit Bleiberechtsperspektive zu erreichen, und wir glauben auch, dass es an der Zeit ist, das Arbeitsverbot für Flüchtlinge zu verkürzen oder noch besser aufzuheben und diese bestmöglich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Dennoch zielt die vorliegende Resolution in ihrem Wesenskern auf eine weitere Verschlechterung im deutschen Asylwesen für Menschen aus den Westbalkanstaaten ab. Wir alle wissen, dass es sich bei einem großen Teil der Flüchtlinge aus eben jenen Ländern um Roma handelt. Was wir aber wohl nicht alle wissen ist, wie prekär die Situation der Roma in den Staaten des Westbalkans tatsächlich ist. Und deshalb lasse ich es auch nicht gelten, sich hier hinter den Regelungen zu den angeblichen sicheren Herkunftsstaaten zu verstecken.

Und wenn nun, wie in dieser Resolution, gar davon gesprochen wird, „materielle Anreize“ für diese Flüchtlingsgruppe zu verringern, dann ist das Bild des schmarotzenden Flüchtlings nicht mehr weit entfernt. Diese Sprache findet natürlich auch einen gesellschaftlichen Nährboden in Deutschland: Die Antidiskriminierungstelle des Bundes kommt nämlich zum Fazit, dass Sinti und Roma in Deutschland in allen Lebensbereichen systematisch diskriminiert werden und dass rassistische Übergriffe seitens der Polizei auch in Deutschland keine Seltenheit sind. Keiner anderen Gruppe wird in der deutschen Gesellschaft mehr Antipathie entgegengebracht, so stellt dies zumindest die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fest, der man ganz sicher nicht vorwerfen kann, dass sie eine Vorfeldorganisation der Linken ist.

Die Europäische Grundrechtsagentur kommt zum Ergebnis, dass Roma die am meisten diskriminierte Gruppe in Europa sind. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ kommt zum Fazit, dass auch in Ländern wie Italien, Tschechien, Deutschland und Ungarn rassistische Übergriffe auf Roma an der Tagesordnung sind.

In der serbischen Romasiedlung Antena außerhalb von Belgrads sind die humanitären Zustände geradezu katastrophal: Der Spiegel beschreibt hier eine Siedlung ohne fließendes Wasser, Bodenlöchern als Toiletten und die Luft würde nach Urin, Schimmel und verbranntem Plastik riechen. In Rumänien fordern rechte Gruppen die Sterilisation von Roma-Frauen.

Zsolt Bayer, Mitbegründer der ungarischen Regierungspartei Fidez und Vertrauter von Ministerpräsident Victor Orban schreibt in einer regierungsnahen ungarischen Tageszeitung:

„Der Großteil der Zigeuner ist zum Zusammenleben nicht geeignet. Diese Zigeuner sind Tiere, und benehmen sich wie Tiere. Sie wollen sich sofort mit jedem paaren, den sie erblicken. Wenn sie auf Widerstand stoßen, morden sie. Sie entleeren sich, wo und wann es sie überkommt. Wenn sie sich darin eingeschränkt fühlen, morden sie. Diese Zigeuner sind jeglicher menschlich zu nennender Kommunikation unfähig. Aus ihren Tierschädeln brechen höchstens unartikulierte Laute hervor, und das Einzige, was sie von dieser elenden Welt verstehen, ist Gewalt“ Ein Auschlussverfahren aus der Fidez scheiterte übrigens.

Wir haben bisher praktisch alle Bemühungen des Landkreises mitgetragen, die Flüchtlinge menschenwürdig in unserer Region unterzubringen und wir werden auch weiterhin alle Maßnahmen unterstützen, die dieses Ziel verfolgen. Diese Resolution aber ist Öl ins Feuer derer, die ihren Hass auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft projizieren. Diese Resolution wäre ein fatales Signal des Landkreises, in Zeiten in denen in Deutschland wieder Flüchtlingsheime brennen. Der syrische Bürgerkriegsflüchtling soll hier Schutz und Unterkunft bekommen, genauso soll aber auch der Roma-Flüchtling hier Schutz vor der Diskriminierung in seinem Heimatlanden finden. Dies ist nicht nur aufgrund der deutschen Geschichte und dem historischen Leid, das Deutschland den Roma zugefügt hat, keine Kür, sondern Pflicht. Es ist aber auch Gebot der Humanität, sei diese nun christlich, jüdisch, muslimisch oder philosophisch begründet.

Herr Landrat Hämmerle, sie reden immer davon wie wichtig es ist, dass die gesellschaftliche Stimmung nicht zuungunsten der Flüchtlinge kippt. Da sind wir voll und ganz bei Ihnen. Aber lassen sie mich noch hinzufügen, nicht diejenigen, gegen die gehetzt wird, ist schuld an einer Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung, sondern diejenigen, die hetzen sind an einer solchen Veränderung schuld. Deshalb wünsche ich mir, dass wir natürlich mehr Unterstützung von Bund und Land einfordern, damit wir unsere Aufgaben gut erfüllen können. Doch ich glaube nicht, dass sich der Landkreis an dieser Einteilung in „gute“ schutzbedürftige Flüchtlinge und „schlechte“ nicht-schutzbedürftige Flüchtlinge beteiligen sollte. Hetze löst man nicht dadurch, dass man den, gegen den gehetzt wird in ein Land abschiebt, in dem weiter gegen ihn gehetzt wird, sondern indem man sich den Hetzern in Deutschland, Baden-Württemberg und Konstanz, aber auch in Serbien, Ungarn und im Kosovo entgegenstellt. Wir glauben nicht, dass diese Resolution diesem Anspruch gerecht wird und werden Sie deshalb ablehnen. Wir fordern alle anderen Kreisräte und Kreisrätinnen uns dies gleichzutun. Marco Radojevic

Keine Zustimmung aus Singen

Ansonsten herrschte überwiegend Einigkeit, als es im Kreistag um Maßnahmen zur Flüchtlingsbetreuung ging. Und doch nicht so ganz: Als der Planungsauftrag für eine neue Gemeinschaftsunterkunft an der Worblinger Straße in Singen erteilt wurde, enthielten sich – quer durch alle Fraktionen – die Abgeordneten aus Singen mit OB Häusler an der Spitze. Aber auch sie haben natürlich nichts gegen Flüchtlinge – an sich.

Immerhin werden allein in diesem Jahr fast 500 000 Euro für neue Stellen für die Arbeit mit Flüchtlingen bewilligt. Techniker, Architekten, Hausmeister und Sozialarbeiter, insgesamt 19 an der Zahl, sollen zusätzlich eingestellt werden. Auch dafür wird Platz gebraucht: Neue Büros sollen noch in der Sommerpause angemietet werden – dem Landrat wurde das Recht auf Eilentscheidungen eingeräumt.

600 Plätze bis Jahresende

Grundlage für solche Eilentscheidungen ist, dass bis Ende 2016 zusätzlich 2248 neue Wohnplätze für Flüchtlinge geschaffen werden müssen – 600 davon noch in 2015. Schon ist eine Kreisturnhalle in Konstanz als Notunterkunft vorgesehen (seemoz berichtete), parallel wird die Errichtung von Zelt- und Containerstädten vorbereitet. Außerdem sind fünf weitere Liegenschaften in Vorbereitung, über 25 Objekte wird derzeit verhandelt und 67 Angebote aus der Bevölkerung konnten noch nicht einmal geprüft werden. (red)

Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in Konstanz wachsen

Wie heftig die Wohnungsnot ohnehin schon unterprivilegierte Menschen trifft, zeigt der Bericht des Bürgerbüros für 2012–2014, der dem Gemeinderat pünktlich zu seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause vorgelegt wurde. Danach ist die Zahl der Obdachlosen in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und immer mehr Menschen haben unter unerträglichen Wohnverhältnissen zu leiden, zumeist ohne Aussicht auf Besserung, denn die Wartelisten der städtischen Wobak sind lang.

Es ist derzeit viel von Wohnungsnot die Rede, von Menschen, die sich ihren Wohnraum kaum noch leisten können, von der Schwierigkeit, Flüchtlinge auch nur halbwegs angemessen unterzubringen. Dabei geht oft unter, dass es Menschen gibt, die ihre Wohnung längst verloren haben, und deren Zahl steigt weiterhin deutlich. So berichtet das Bürgeramt der Stadt Konstanz: „Aufgrund der Wohnungsmarktsituation wird es für das Bürgeramt als Obdachlosenbehörde immer schwieriger, obdachlose Menschen oder von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen mit Wohnraum zu versorgen.“

seemoz-Obdachlosigkeit2Die Zahl dieser amtlicherseits als „Unterbringungsfälle“ bezeichneten Menschen ist von 70 (2011) auf 137 (2014) gestiegen, hat sich also innerhalb von drei Jahren annähernd verdoppelt. Dass es sich bei diesen Zahlen nur um die verhältnismäßig kleine Spitze eines großen Eisberges handeln dürfte, versteht sich von selbst. Diese Zahlen sind trotzdem ein deutlicher Beleg dafür, in welche Richtung sich die sozialen Verhältnisse in Konstanz entwickeln, und welche Schwerpunkte die Politik auf allen Ebenen vom Bund bis hinunter zu den Kommunen setzt: Der Kampf gegen offenkundiges Elend gehört scheint’s nicht dazu.

Notunterkunft platzt aus allen Nähten

Entsprechend deutlich sind die Belegungszahlen in der Notunterkunft am Haidelmoosweg gestiegen. Die durchschnittliche Belegung pro Nacht stieg von 5,6 Personen im Jahr 2011 auf 9,9 Personen im Jahre 2014. Zeitweise reichen die Schlafplätze in der Notunterkunft nicht mehr aus, und „die bis 2011 praktizierte Regelung, die Erfrierungsschutzunterkunft in der warmen Jahreszeit zu schließen, kann aufgrund des massiven Anstiegs an obdachsuchenden Menschen nicht mehr umgesetzt werden. Seit 2012 sind wir gezwungen, die Notunterkunft auch in der warmen Jahreszeit zur vorübergehenden Unterbringung von obdachlosen Personen zu nutzen.“ Seit 2013 stehen dem Bürgeramt zusätzlich fünf Unterbringungsplätze in einem privaten Hostel zur Verfügung, und auch das dürfte eher ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Die Lage ist düster, die Aussichten auch

Der von Hans-Rudi Fischer, dem Leiter des Konstanzer Bürgeramtes, verantwortete Bericht, konstatiert: „In den letzten Jahren hat sich die Lage auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt für einkommensschwache Haushalte deutlich verschlechtert. Monatlich sprechen zwischen 25 und 30 Personen beim Bürgeramt vor, die bezahlbaren Wohnraum suchen. Einige sind direkt von Obdachlosigkeit bedroht, andere suchen für ihre Familien größere Wohnungen, weil sie unter unzumutbaren Zuständen (z.B. 5 Personen in einer 1-Zimmer-Wohnung) oder in gesundheitsgefährdenden Umständen (z.B. massive Schimmelbildung in der Wohnung) leben.“

Nicht nur die Zahl der Hilfesuchenden steigt deutlich, es ist auch logisch, dass sich angesichts des langjährigen Rückzuges der öffentlichen Hände aus dem sozialen Wohnungsbau die Chancen auf angemessenen Wohnraum weiter verschlechtert haben. „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger“, so der Bericht, „sozialadäquate Unterbringungslösungen zu realisieren. Personen mit geringem Einkommen haben massive Probleme, in Konstanz eine bezahlbare Wohnung zu finden. Betroffen hiervon sind vor allem Alleinerziehende, Familien mit mehr als zwei Kindern und Menschen mit Migrationshintergrund.

Mit anderen Worten: Die Zeche für eine verfehlte Wohnungspolitik, die konsequent auf die unsichtbare ordnende Hand des freien Marktes setzte, zahlen die Schwächsten unserer Gesellschaft, darunter auch viele Kinder.

Ansturm auf die Wobak

Die Aussichten für ärmere Wohnungssuchende sind finster, denn am 31.12.2014 waren laut Bericht bei der Wobak insgesamt 2.726 BewerberInnen (1.961 Deutsche, 756 ausländische MitbürgerInnen) registriert. Das bedeutet jahrelange Wartezeiten, und das oft genug ohne jede Aussicht auf Erfolg, auch dies das Ergebnis einer bürgerlichen Politik, die über viele Jahre die Augen vor der Lebenswirklichkeit ganz einfach zuklappte oder sich auf zumindest einem Auge blind stellt.

Die Stadt versucht seit rund zwei Jahren, mit dem „Handlungsprogramm Wohnen“ dagegen zu halten, das bis 2030 den Bau von 5.300 Wohnungen vorsieht, aber dabei bezeichnenderweise einkommensschwachen Schichten keine Priorität einräumt, sondern auch im gehobenen Segment bauen will – für das preiswerte Wohnen ist nur ein Sechstel der Kapazitäten des Handlungsprogramms vorgesehen, und zwar 879 Wohneinheiten, während im mittleren und oberen Preissegment 4396 Wohneinheiten entstehen sollen. Es steht also durchaus zu erwarten, dass dieser eher halbherzige Versuch in den nächsten 15 Jahren nur für wenige jener Menschen, die sich heute schon in Not befinden, eine Lösung bringt. Von denen, die in den nächsten Jahren noch durch den Rost fallen werden, ganz zu schweigen.

Im vom Sozial- und Jugendamt initiierten Projekt „Wohnraumakquise“ werden außerdem Vermieter kontaktiert, die über leerstehenden Wohnraum verfügen, in der Hoffnung, kurzfristig zumindest ein paar Wohnungen für wohnungslose Menschen zu finden. Auch ein Neubau am Mühlenweg trägt ein wenig zur Linderung der Wohnungsnot für „Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ bei. Unter der Ägide der Wobak entstanden hier seit Ende 2014 zwölf Einzimmer- und sechs Zweizimmerwohnungen, die unter anderem auch die benachbarte Wohnwagensiedlung ersetzen sollen.

Angesichts der schieren Zahlen Obdachloser und Wohnungssuchender erscheinen all diese amtlichen Maßnahmen eher als ein wohlmeinender Witz – das Handlungsprogramm Wohnen leidet unter einer sozialen Schlagseite und wird für viele Opfer der verfehlten Sozial- und Wirtschaftspolitik ebenso wie des Billiglohnsektors nichts bringen. Der Bericht des Bürgeramtes liest sich in diesen Teilen zugleich als Armutsbericht wie als Armutszeugnis. Eins scheint hingegen sicher: Angesichts der aktuellen politischen Perspektiven können wir diesen vorliegenden Text in drei Jahren praktisch unverändert wieder abdrucken – und müssen dann nur einige Zahlen durch noch deprimierendere ersetzen.

O. Pugliese

Gemeinderat winkt Hotelpläne durch / Linke Liste: Bürgerfeindliches und rein gewinnorientiertes Projekt

Torhaus-Reichenaustrasse

Auch diese Bäume sollen dem Torhaus-Hotelprojekt im hochverdichteten Quartier “Stadt am Seerhein” weichen. (Foto: BG-Petershausen)

Der Konstanzer OB und die bürgerliche Mehrheit im Gemeinderat wollen von einem ihrer Lieblingsprojekte einfach nicht lassen: Einen der letzten grünen Flecken im Gebiet „Stadt am Seerhein“ mit einem weiteren Luxushotel zu bestücken, obwohl Experten davon ausgehen, dass der Bedarf weitgehend gedeckt ist. Zwar hatte der Rat das Projekt Ende 2013 mehrheitlich schon einmal befürwortet; nachdem aber einer der Investoren abgesprungen war, musste es dem Ratsgremium erneut zur Entscheidung vorgelegt werden. Stadträtin Anke Schwede bekräftigte bei der Sitzung am Donnerstag die ablehnende Haltung der LLK.

„Die Linke Liste war schon im Dezember 2013 gegen jedwede Pläne, die Torhaus-Grünfläche zu bebauen – sei es mit einem Hotel oder sei es mit Gewerberäumen. Das gilt umso mehr für ein Luxus-Hotelprojekt. Und wir bekräftigen auch diesmal wieder, dass städtische Grundstücke in kommunaler Hand bleiben müssen, um Spekulationen einen Riegel vorzuschieben und die Wohnbebauung voranzutreiben. Schon gleich gar nicht dürfen sie zu einem ‚Schnäppchenpreis‘ von 435 Euro pro Quadratmeter veräußert werden. Auf meine Nachfrage im Haupt- und Finanzausschuss wurde der Wert des Grundstückes mit 495 Euro pro Quadratmeter beziffert, d. h. heute sollen 60 Euro pro Quadratmeter weniger beschlossen werden, als die Geschäftsstelle des Gutachterausschusses für dieses Flurstück festgesetzt hat. Das macht summa summarum rund 66.000 Euro, die die Stadt Konstanz ‚einfach so‘ preisgibt. Soll hier dem neuen Investor ein Gefallen erwiesen werden? Und: ein ‚Gschmäckle‘ der besonderen Art bekommt diese Vorlage noch dadurch, dass als Referenz für die Notwendigkeit des Projekts Herr Maugé angegeben wird, der aufgrund seiner Funktion als Geschäftsführer des Bodenseeforums gewiss kein objektiver Fürsprecher ist.”

Ein weiterer wichtiger Grund für die Ablehnung, so Schwede weiter,  sei “die eindeutige Haltung der Bürgergemeinschaft Petershausen, die sich mehrfach für den Erhalt und die Einbeziehung dieser Grünfläche in den Herosé-Park eingesetzt hat. Dieses Anliegen haben betroffene Bürgerinnen und Bürger zuletzt am 2. Mai diesen Jahres in einem Bürgergespräch an Ort und Stelle zum Ausdruck gebracht. Sie setzen sich zu Recht dafür ein, in ihrem Stadtteil eine gute Lebensqualität zu bewahren und haben für dieses Anliegen zahlreiche Unterschriften gesammelt. Dieser Forderung schließen wir uns an, deshalb werden wir mit ‚Nein‘ stimmen und dieses bürgerfeindliche und rein gewinnorientierte Projekt ablehnen.“

Eine Kontroverse am Rande entspann sich um die Frage, für welchen Preis das Grundstück den Besitzer wechseln soll. Übereinstimmend heißt es sowohl in der Verwaltungsvorlage, die der Haupt- und Finanzausschuss schon am 7. Juli beschlossen hatte, als auch in der Vorlage, die den Stadträt_innen am Donnerstag vorlag, der Quadratmeterpreis betrage 435 Euro. Nachdem LLK-Rätin Schwede darauf hingewiesen hatte, der Gutachterausschuss habe den Wert doch auf 495 Euro festgelegt, versicherte Christoph Sigg (Hochbau- und Liegenschaftsamt), das sei auch der Betrag, über den zu beschließen sei. Beide Vorlagen sagen jedoch etwas anderes aus, dort ist der niedrigere Wert festgehalten und eine Tischvorlage mit dem korrigierten Verkaufspreis gab es nicht. Versehen, Schlamperei oder doch ein Versuch, die Rät_innen auszutricksen? Wir bleiben dran. (jüg)

Streit um Pappelallee vertagt

Tägermoos-KahlschlagIm seit Monaten anhaltenden Streit um die Zukunft der Pappelallee im Tägermoos hat der Gemeinderat am Donnerstag beschlossen, den seit Februar geltenden Fällstopp bis auf weiteres aufrechtzuerhalten.

Der Beschluss, er fiel ohne Gegenstimmen bei fünf Enthaltungen deutlich aus, sieht außerdem die Bildung einer Expertengruppe vor, der neben Verwaltungsvertretern auch die Bürgerinitiative, die Naturschutzverbände BUND, NABU und WWF CH sowie Repräsentant_innen der Gemeinde Tägerwilen und des Kantons angehören sollen. Dieses Gremium soll ein “Zielkonzept” für das gesamte Areal Rheinweg im Tägermoos entwickeln und dem Rat vorlegen, der dann das letzt Wort hätte.

Die Kahlschlagzone, die die Stadt zu Jahresbeginn mit einer unangekündigten Fällaktion geschaffen hatte, lässt sie nun erst einmal mit Schwarzpappeln bepflanzen. Eine Zwischenlösung, mit der auch die Bürgerinitiative leben könne, wie ein Vertreter nach der Sitzung sagte. Ausgestanden dürfte der Pappelstreit aber damit noch lange nicht sein.

Denn die Kontroverse ums Tägermoos dreht sich im Kern um die Grundsatzfrage, ob der bisherige Charakter des von – einst aus kommerziellen Gründen gepflanzten – Hybridpappeln gesäumten Wegs erhalten bleibt (dafür ist die Bürgerinitiative) oder das Naherholungsgebiet ökologisch diversifiziert und zum Auwald umgestaltet werden soll (was in nicht alltäglicher Allianz Verwaltung und Naturschutzverbände fordern). Die Position der Linken Liste erläuterte im Gemeinderat Holger Reile, dessen Redebeitrag wir im folgenden dokumentieren. (jüg)

WORTLAUT | Bei der seit Monaten andauernden Debatte zum Thema Pappelallee im Tägermoos kann man rückblickend ernüchtert feststellen: Da wurden Fehler gemacht, die man sich hätte ersparen können. Richtig ist, es gibt den Beschluss vom Januar 2012, unter anderem die Hybrid-Pappeln abschnittsweise durch standortgerechte Baumarten zu ersetzen. Das ist nachzulesen, auch hier in der Vorlage, und das sollte man auch zur Kenntnis nehmen. Aber: Bei diesem empfindlichen Thema, das vor allem hier in Konstanz in der Regel tsunamiartige Gefühlswallungen in Gang setzt, hätten wir uns mehr Sensibilität gewünscht.

Es wäre angebracht gewesen, vor dem beabsichtigten Kahlschlag am 3. Februar erneut die Bürgerschaft darauf hinzuweisen, dass man nun umsetzen möchte, was Jahre zuvor in der Hauptsache beschlossen wurde. Ganz sicher wäre dann eine Situation entstanden, die nicht zu der Verhärtung geführt hätte, die sich in den vergangenen Monaten aufgebaut hat und wohl kaum mehr zur Zufriedenheit aller gelöst werden kann. Diese Sensibilität hätten wir uns vorab gewünscht, abseits von Paragraphenreiterei und amtlicher Sturheit.

Also nahm das Desaster seinen Lauf und riss tiefe Gräben auf. Von Seiten der Verwaltung war seit Monaten die Rede davon, es habe sich um ein Kommunikationsproblem gehandelt. Mit Verlaub: Für Kommunikation braucht man in der Regel einen Ansprechpartner – den aber gab es nicht und er wurde auch nicht an den Verhandlungstisch gebeten. Der Verwaltung stand nämlich der Sinn gar nicht nach Kommunikation, sie wollte das umsetzen, was einst beschlossen wurde und ließ die Kettensägen Fakten schaffen.

Da wäre, ich wiederhole mich ganz bewusst, sehr viel mehr Fingerspitzengefühl angesagt gewesen. Um die dann zu Recht aufgebrachten Gemüter zu beruhigen, war in Sachen Schadensbegrenzung vermehrt von Bürgerbeteiligung die Rede. Das klang erstmal gut, aber diese Bürgerbeteiligung, vor Ort oft hergetragen wie eine respekteinflößende Monstranz, entpuppte sich in diesem Fall im Endeffekt als staubiger Bettvorleger, der die Fronten erneut verhärten ließ.

Eine kritische Anmerkung kann ich aber auch der Gegenseite nicht ersparen. Quasi über Nacht ist seit Februar die Anzahl sogenannter Baumschutzexperten sprunghaft gestiegen. Das erinnerte mich an die Situation hierzulande, wenn große Fußballturniere anstehen: Auch dann fühlt sich fast jeder zum Bundestrainer berufen, darunter viele, die gerade mal wissen, dass ein Ball rund ist.

Auch zum Tägermoos bekamen wir als Entscheidungsträger unterschiedliche Vorschläge auf den Tisch. Dazu kam, dass sich die diversen Naturschutz-Verbände in der Einschätzung der Sachlage weitgehend uneinig waren und immer noch sind. Bund und Nabu gegen BI und umgekehrt. Ein Gutachten hier, ein anderes dort, anderntags neue Einlassungen und kurz später ein völlig neuer Aspekt, der umgehend von der anderen Seite zerrissen wurde. Hilfreich war das leider nur in den seltensten Fällen und hat oft zu Irritation beigetragen. Soweit mein kurzer Rückblick auf das letzte halbe Jahr.

Zum Schluss: Nach den Erklärungen, abgegeben von der Verwaltung hier und heute vor über 70 Zeugen, können wir die Vorlage mittragen.

Holger Reile