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Zelte, Turnhallen, Container – Flüchtlingselend wächst – Unterkünfte fehlen – jede Hilfe willkommen

Die Lage ist dramatisch: Die Zustände in vielen Ländern Europas und der angrenzenden Gebiete treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Für die Stadt und den Landkreis Konstanz heißt das, eine rasant steigende Zahl an Flüchtlingen teils langfristig und möglichst auch menschenwürdig unterbringen zu müssen. In der Gemeinderatssitzung am Donnerstag gab die Verwaltung einen Überblick über ihre Sicht auf die hochdramatische Lage.

Der Föderalismus in Deutschland zeigt seine teils skurrilen Seiten bei der Unterbringung der Flüchtlinge sehr deutlich: Zuständig für die Schaffung von Erst- wie auch Anschlussunterkünften sind am Ende die Landkreise und Kommunen, und da die Landkreise als reine Verwaltungseinheiten keine eigenen Grundstücke besitzen, ist es Aufgabe der Städte und Gemeinden, den Landkreisen Grundstücke zur Verfügung zu stellen, auf denen die Landkreise Gebäude etwa für Flüchtlinge errichten können.

Da die Städte und Gemeinden die Landkreise über eine Kreisumlage finanzieren, sorgen sie indirekt auch für die Finanzierung der Gebäude und sonstigen Unterbringungskosten für die Flüchtlinge. Dafür wiederum erhalten sie und/oder die Landkreise von Bund und Ländern bestimmte Mittel, die aber von hinten bis vorn kaum für eine menschenwürdige Unterbringung dieser oft traumatisierten Menschen ausreichen. Diese zerstörten Menschen, die teils direkt aus Kriegsgebieten kommen, werden zusätzlich auch noch von der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas und anderen „freien Trägern“ betreut, die dafür aber wieder bei Kreisen und Kommunen kassieren – glauben Sie bloß nicht, dass die das umsonst tun oder gar Rabatt geben – aber immerhin, sie tun, was sie können, und wovor sich die Kommunen gern drücken. Verstehen Sie dieses System? Ich auch nicht.

Konstanz bleibt seinen Anteil bisher schuldig

Im Idealfall sollen alle Städte und Gemeinden eines Landkreises einen gleichen Anteil leisten, und Konstanz als größte Kommune des Landkreises Konstanz muss dementsprechend 1/3 der dem Landkreis zugewiesenen Flüchtlinge aufnehmen. Das aber tut die Stadt bisher nicht, und jetzt wird es allerhöchste Zeit, dass sie dem Landkreis entsprechende zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten und Grundstücke anbietet.

Oberbürgermeister Uli Burchardt erklärte, die Konstanzer Bürgerinnen und Bürger seien durchaus zur Integration der Flüchtlinge bereit und auch ehrenamtlich sehr rührig. Aber Konstanz habe Raumprobleme wie kaum eine andere deutsche Stadt. Er nahm zuerst einmal den Bund in die Pflicht, indem er schnellere Asylverfahren forderte und beklagte, dass auch abgelehnte BewerberInnen sowie Flüchtlinge aus [angeblich] sicheren Herkunftsländern praktisch überhaupt nicht „rückgeführt“ würden, und das seien rund 40% der Flüchtlinge; in Konstanz sei sogar eine Person aus Spanien darunter, die man nicht wieder loswerde. Er forderte Bund und Länder auf, diese Menschen schnell abzuschieben, da sie echten Kriegsflüchtlingen den Platz wegnähmen. Dass Uli Burchardt hier die angeblichen Scheinasylbewerber vom Westbalkan gegen die Kriegsflüchtlinge aus Syrien ins Feld ausspielte, war sicher keine seiner Sternstunden.

Es fehlen 300–400 Plätze

Er betonte, dass angesichts des Drucks, in diesem Jahr in Konstanz noch 300–400 zusätzliche Unterbringungsplätze zu schaffen, keine Zeit für Verhandlungen mit privaten Grundstückseigentümern mehr sei und nur Flächen im städtischen Besitz für neue Flüchtlingsunterkünfte in Frage kommen. Aufgrund der verschiedenen rechtlichen Bestimmungen für Flüchtlingsunterkünfte und Wohnungsbau könnten dies auch Flächen sein, die für das städtische Handlungsprogramm Wohnen ohnehin nicht in Betracht kommen, so dass hier keine Konkurrenzsituation vorliege.

Die Stadt hat jedenfalls eine neue zentrale E-Mail-Adresse eingerichtet, unter der Bürger auf Wohnraum hinweisen können, der leer steht, oder der Stadt Wohnraum für Flüchtlinge anbieten können: wohnraumvorschlag@konstanz.de.

Umbau auf Transco-Gelände dauert

Kristine Hanke vom Amt für Stadtplanung und Umwelt belegte nochmals die Dramatik der Situation: Konstanz soll bis zum Jahresende 620 Unterbringungsplätze nachweisen, kann bisher aber in Steinstraße und Luisenstraße nur knapp die Hälfte davon anbieten. Den Rest gibt es schlichtweg nicht, und das Jahr hat nur noch sechs weitere Monate. Man braucht zwei Typen von Unterkünften: 1. Gemeinschaftsunterkünfte in größeren Einheiten für die Erstunterbringung, 2. Wohnungen für die mehr oder weniger dauerhafte Anschlussunterbringung (in der Regel nach 24 Monaten). Bisher hat man auf dem Transco-Gelände an der Max-Stromeyer-Straße ein leerstehendes Gebäude für 80-100 Flüchtlinge gefunden, aber bis das Ding hergerichtet ist, wird wenigstens ein Jahr vergehen.

Dieses Gebäude, so ergänzte Thomas Stegmann, der Leiter des Hochbau- und Liegenschaftsamtes, ist ein altes Wehrmachtsgebäude, in das der Landkreis, denn der ist der Bauherr und (s.o.) für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig, Räume, Küchen, Bäder, Fluchtwege usw. einbauen muss, und mit dem Bauantragsverfahren dauere das gut 12 Monate oder mehr. Am Mühlenweg/Zergle können etwa 20 Wohneinheiten für 70-80 Menschen entstehen, aber auch diese Baumaßnahme wird etwa 12 Monate dauern. Deshalb suche die Stadt schon jetzt nach Flächen für eine „temporäre Bauweise“. „Temporäre Bauweise“ hört sich zwar eher nach einem nicht sommertauglichen Iglu an, meint aber etwas anderes: Man will die Flüchtlinge in Containern unterbringen, die sogar wintertauglich sein sollen.

Zelte und Turnhallen

Uli Burchardt gab zu: „Bei Gemeinschaftsunterkünften hängen wir in der Luft.“ Angesichts der Dringlichkeit der Unterbringung in den nächsten Monaten gab es aus vielen Richtungen zahlreiche Vorschläge, Jürgen Puchta (SPD) brachte die zeitweilige Nutzung von Flächen des Landes ins Gespräch, etliche Gemeinderätinnen und -räte plädierten für das Aufstellen von Containern oder die Anmietung und den Umbau von Flächen im Telekom-Hochhaus. Aber selbst hier warnte Uli Burchardt, als er auf die Nachfrage von Gabi Weiner (JFK), ob es denn eine Lösung bis Jahresende gebe, in den Saal rief: „Nein, selbst für Container braucht man eine Infrastruktur, Fundamente, Wasserversorgung, Strom und so weiter, das dauert. Wir haben nur Zelte und Turnhallen!“

Anke Schwede (LLK) forderte daraufhin einmal mehr eine Aufstellung der in Konstanz leerstehenden Wohnräume und Gewerbeflächen und schlug vor, die Stadt möge sich an der Renovierung von Wohnraum auch für Flüchtlinge beteiligen und dafür den Besitzern eine langfristige Sozialbindung auferlegen. Außerdem forderte sie eine menschenwürdige Flüchtlingsunterbringung, unter anderem mit Begegnungsräumen.

Dass daraus nichts wird, ist klar: Sozialbürgermeister Andreas Osner meinte, dass Gemeinschaftsräume die ohnehin knappen Kapazitäten überfordern würden (derzeit rechnet die Verwaltung mit 4,5 Quadratmetern für einen Flüchtling, ab 1. Januar 2016 muss sie mit 7 Quadratmetern rechnen). Immerhin: Osner sagte es mit hörbarem Bedauern in der Stimme.

Wer hat gepennt?

Man kann sich die Frage stellen, wer hier versagt hat: Die Stadt, der Landkreis, das Land, der Bund, die Weltgemeinschaft? Hat auch nach den Erfahrungen seit 2001 in Afghanistan niemand gesehen, was passieren wird, wenn man noch weitere Länder und Regionen wie jene des Nahen Ostens komplett destabilisiert? Waren auf den verschiedenen Ebenen Raffgier, Rachedurst, Blindheit und Mordlust wirklich so verbreitet, dass niemand an die Opfer dachte, die (oft genug vergeblich!) versuchen würden, ihr Leben und das ihrer Kinder zu retten? Konnte niemand dieses Problem ahnen? Doch! Aber der Konstanzer Gemeinderat hat dieses Scheißelend nur zu verwalten und zu mildern, er hat nicht über Krieg und Frieden zu befinden.

Natürlich ist Uli Burchardt zuzustimmen, als er alle Versuche etwa von Andreas Ellegast (CDU) abbügelte, den Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge zugunsten von Konstanz ändern zu wollen: Singen, Engen und Stockach hätten ihre Quote bisher deutlich übererfüllt und jetzt sei Konstanz gefragt. Letztlich sei es aber Aufgabe des Landkreises und nicht der Stadt, leere Immobilien in Konstanz anzumieten oder Grundstücke zu bebauen, die Stadt könne dabei nur assistieren.

Ein weiteres Problem, das Flüchtlinge ganz besonders trifft, benannte er aber auch für einen CDU-Oberbürgermeister ungewöhnlich deutlich: Die Immobilienbesitzer. „Da sind“, und dies ist O-Ton Uli Burchardt, „manche Krisengewinnler unterwegs, die ganz ungeniert zulangen“. Immobilienspekulanten ist die Zwickmühle der Kommunen klar, und da versucht so mancher, seine Schrottimmobilie dem Landkreis gegen pures Gold anzudienen.

Für einen CDU-Oberbürgermeister nicht verwunderlich, vergaß Uli Burchardt allerdings, die logische Konsequenz zu erwähnen: Die sofortige Enteignung dieser Spekulanten zu fordern, die mit dem Flüchtlingselend einen Reibach machen wollen.

O. Pugliese

Klinikprotest: 300 von 162 000

seemoz-Krankenhaus-ver.di-009300 Beschäftigte zogen gestern vor das Konstanzer Kliniktor: Krankenschwestern, Pfleger, auch Ärzte und Auszubildende, wenige Patienten und immerhin ein Geschäftsführer. Bei der größten Protestaktion vor deutschen Krankenhäusern im ganzen Land ging es um bessere Personalausstattung und humane Arbeitsbedingungen.

Hannes Hänsler vom Betriebsrat (BR) fasste die Forderungen der Gewerkschafter zusammen:
► Gesetzliche Personalbemessung jetzt,
► Einhaltung der Pausen und des Gesundheitsschutzes,
Schichten sollen mit mindestens zwei Pflegefachpersonen besetzt werden,
► die Bundesländer müssen wieder für eine ausreichende Finanzierung sorgen.

Und diese Forderungen unterstützte sogar Geschäftsführer Rainer Ott, der nach einigen Irritationen im Vorfeld nicht nur doch noch an der Protestaktion teilnahm, sondern vor den fast 300 DemonstrantInnen an die Politiker appellierte, „endlich für genügend Mittel zu sorgen, damit die Beschäftigten ohne schlechtes Gewissen gute Arbeit machen können.“

162 000 Beschäftigte fehlen nach Berechnungen der Gewerkschaft ver.di an deutschen Krankenhäusern  – 162 000 Nummerntafeln wurden darum im ganzen Land verteilt, damit die protestierenden Beschäftigten den Mangel sichtbar machen konnten. 124 solcher Schilder hatte der Betriebsrat am Konstanzer Klinikum verteilt, weil dort 124 Stellen unbesetzt sind. BR Hänsler rechnete nach: Mehr als die Hälfte der Demonstranten bekam keine Tafel mehr ab – hochgerechnet ergibt das 300 Protestierer.

In Radolfzell, Singen und Tuttlingen, am Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen und Donaueschingen, bei der Helios-Klinik in Rottweil und der SRH Klinik in Oberndorf  – überall dasselbe Bild. In ganz Deutschland wurde der Pflegenotstand (be)greifbar gemacht. Und auch Kommunalpolitiker demonstrierten mit. In Konstanz waren mit Normen Küttner (FGL) und Markus Nabholz (CDU) sogar zwei im Pflegedienst beschäftigte Stadträte unter den ProtestiererInnen. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di nahmen allein in Baden-Württemberg 90 Krankenhäuser mit bis zu 15 000 Beschäftigten teil.

Hintergrund der Proteste ist die Enttäuschung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Krankenhausreform. Ver.di kritisiert, die bis zu 660 Millionen Euro, die die Kliniken bis 2018 für zusätzliches Pflegepersonal bekommen sollen, seien kaum ein Zehntel des eigentlich benötigten Geldes.

hpk

Stadträtin und Bundesvorsitzender als Spitzenduo der Linken für die Landtagswahl

Akbulut-RiexingerDie Mannheimer Linke-Stadträtin Gökay Akbulut und der Linke-Bundesvorsitzende Bernd Riexinger sollen Spitzenkandidat_innen für die baden-württembergische Landtagswahl im März 2016 werden. Das hat der Landesvorstand der Partei bei einer Pressekonferenz am 19. Juni bekanntgegeben. Landesgeschäftsführer Bernhard Strasdeit sagte, mit der Wahl des Spitzenduos werde deutlich, „dass wir entschlossen sind, die 5%-Hürde zu nehmen und dass die gesamte Partei, bis hin zur Parteispitze, überzeugt ist, dieses Ziel zu erreichen und in den baden-württembergischen Landtag einzuziehen.“

Strasdeit weiter: „Beide haben einen Lebenshintergrund und einen politischen Erfahrungsschatz, der uns für die zukünftige Arbeit im Landtag sehr wichtig ist.“ Die 32-jährige Gökay Akbulut – sie arbeitet bei einem Bildungsträger als Projektmitarbeiterin und als Dozentin – sei als Kommunalpolitikerin in Mannheim, einer Stadt mit vielen sozialen Brennpunkten, prädestiniert für diese Aufgabe. Nicht zuletzt auch, weil sie sich mit ihrem kurdisch-alevitischen Hintergrund für Intergration und Teilhabe von Migrant_innen einsetze, gegen Rassismus und gegen Ausgrenzung. Und Bernd Riexinger (59) habe es als Gewerkschafter von der Pike auf zu tun gehabt mit den Interessen von abhängig Beschäftigten. „Von Menschen, die darauf angewiesen sind, dass der gesellschaftliche Reichtum nicht nur oben ankommt, sondern auch bei ErzieherInnen, bei Pflegekräften, bei VerkäuferInnen und bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst.“

Der Bundesparteivorsitzende Riexinger selbst sieht gute Chancen für einen Einzug in den Stuttgarter Landtag. In einem Interview mit der „Kontext:Wochenzeitung“ verwies er auf die aktuellen Umfragen, in denen die Linke zwischen vier und fünf Prozent liegt. „Viele Wähler, insbesondere der Grünen und der SPD, sind enttäuscht. Viele haben bei der letzten Wahl taktisch gestimmt“, um den CDU-Ministerpräsidenten Mappus zu verhindern. Diesmal, so der Linkenpolitiker, „können die Leute völlig unbeschwert entscheiden“.

Nachdem der Politikwechsel durch Grün-Rot ausgeblieben sei, „braucht dieser Landtag dringend einen roten Farbtupfer, sprich eine Opposition, die ihren Namen verdient“. Den Ministerpräsidenten Kretschmann bezeichnete der Linkenpolitiker als „grüne Inkarnation von Erwin Teufel“, dessen Popularität zwar unbestritten sei. „Das heißt aber nicht, dass 72 Prozent der Baden-Württemberger mit seiner Politik einverstanden sind. Hören die Hartz-IV-Empfänger, die Niedriglöhner, die Erwerbslosen ein Wort von ihrem Ministerpräsidenten? Lieber spricht er mit den Bossen über Hightech in Silicon Valley.“ In ihrer Politik komme seine Partei als grüne FDP daher und habe mit sozialer Gerechtigkeit nichts mehr gemein.

Bereits zuvor hatte die Südwest-Linke eine weitere Personalie bekanntgemacht. In Stuttgart soll Hannes Rockenbauch für den Landtag kandidieren, Stadtrat und über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus bekannter Stuttgart21-Kritiker. Der 34-jährige Diplomingenieur hatte 2012 bei der OB-Wahl in der Landeshauptstadt mehr als 10 Prozent der Stimmen geholt.

jüg

Bernd Riexinger zu seiner Landtagskandidatur.

Film: „Sí, se puede! Sieben Tage bei der PAH“

PAH1Die neugegründete Konstanzer Gruppe der Roten Hilfe zeigt am kommenden Dienstag im Treffpunkt Petershausen einen Dokumentarfilm über die neue Massenbewegung gegen Zwangsräumungen in Spanien. Danach laden die Veranstalter_innen dazu ein, über Widerstandsformen, Beispiele der Selbstorganisation und kollektive solidarische Strukturen zu diskutieren.

Die Plattform der Hypothekengeschädigten PAH (Plataforma de Afectados por la Hipoteca) gründete sich 2009 in Barcelona um Widerstand gegen Zwangsräumungen zu organisieren. Sie ist heute eine der wichtigsten Organisationsstrukturen der gesellschaftlichen Mobilisierung gegen die Krise in Spanien. Mit dem Ausbruch der Immobilienkrise hatte eine Welle von Zwangsräumungen durch Spanien zu rollen begonnen. Zuvor waren Menschen jahrzehntelang von Politik und Banken zum Erwerb von Wohneigentum auf Hypothekenbasis gedrängt worden. Mit der Krise schnellten nicht nur die Hypothekenraten in die Höhe, ihre Folgen führten auch dazu, dass viele ihre monatlichen Raten nicht mehr zahlen können. Das Ergebnis sind bis heute hunderttausende Zwangsräumungen im gesamten Land (von über 550.000 diesbezüglichen Anordnungen ist die Rede).

Mittlerweile gibt es die PAH in über 200 Städten in Spanien. Die PAH versteht sich als horizontal und nicht hierarchisch organisierter Zusammenschluss von lokalen Plattformen, in denen Betroffene und mit diesen solidarische Menschen vor Ort zusammenarbeiten. Teilnahme und Mitarbeit setzen keine Mitgliedschaft voraus sondern basieren auf dem Prinzip der Asamblea. Die PAH verhindert Zwangsräumungen, eignet sich leerstehende Gebäude an, organisiert nachbarschaftliche Solidarität, entwickelt Aktionen und Kampagnen und beteiligt sich an den spanischen Krisenprotesten.

Eine besondere Aktualität bekommt der Film durch den Wahlsieg von Ada Colau, die bei den spanischen Kommunalwahlen am 24. Mai 2015 als Spitzenkandidatin für das Wahlbündnis Barcelona en Comú (Barcelona vereint) antrat. Ada Colau war eine der Gründerinnen der PAH und ist seit dem 13. Juni 2015 Bürgermeisterin von Barcelona. In dem Film, der die PAH Barcelona über sieben Tage begleitet, wird Ada Colau in verschiedenen Interviewbeiträgen zu hören und zu sehen sein.

PM/red

Dienstag, 23. Juni, 19 Uhr, Konstanz, Treffpunkt Petershausen
„Sí, se puede! Sieben Tage bei der PAH“

Dokumentarfilm (50 Min.) über die neue Massenbewegung gegen Zwangsräumungen in Spanien

Wohnungspolitische Irrfahrt der Landesregierung mit Folgen für Konstanzer Mieter_innen

Auch die Mieter_innen von rund 400 Konstanzer Wohnungen sind von einem Milliardendeal der Südewo-Gruppe mit der Deutsche Annington AG betroffen. Erst vor drei Jahren hatte die Landesregierung grünes Licht für den Verkauf von 19.500 Wohnungen in öffentlichem Besitz – sie gehörten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) – an die Investoren-Gruppe unter Führung der Patrizia AG gegeben. Das Augsburger Unternehmen hatte beim Erwerb versichert, die Wohnungen langfristig bewirtschaften zu wollen. Mit dem Weiterverkauf nach nur drei Jahren kann man jetzt aber einen Gewinn von einer halben Milliarde Euro einstreichen – was zählt da das Geschwätz von gestern.

Für die LINKE ist der Deal eine Folge der Wohnungspolitik der baden-württembergischen Landesregierung, “die blindlings auf Privatisierung setzt”, so Gregor Mohlberg vom Landesvorstand der Partei. Es handele sich um eine “wohnungspolitische Irrfahrt” der Regierung, die zu recht in der Kritik von Mieterverbänden und Kommunalpolitiker_innen stehe.

Der Mieterbund Bodensee hat den Verkauf ebenfalls scharf kritisiert. „Die Südewo-Eigentümer haben durch Mieterhöhungen und Wohnungsverkäufe abkassiert,“ sagte der Verbandsvorsitzende Herbert Weber. „Die Zeche zahlen die Mieter, die für schlechter werdende Leistungen immer höhere Mieten tragen mussten, damit der Konzern Profite machen konnte.“ In Konstanz und anderen Städten sei durch den mehrfachen Verkauf der Wohnungen preisgünstiger Wohnraum übermäßig verteuert worden.

Versprechungen des neuen Besitzers Annington, er ist bundesweit einer der größten Player im Vermietungsgeschäft, er verfolge eine langfristige, “am Mieter ausgerichtete Strategie”, können eingedenk den Erfahrungen mit dem Kurzzeiteigentümer Südewo vermutlich getrost als leeres Geschwätz  abgetan werden. Das gilt im übrigen auch für die Beteuerungen, des neuen Eigentümers, die von Südewo versprochene “Sozialcharta” werde beibehalten. Für den Mieterbundvorsitzenden sind solche Zusicherungen kaum mehr als Gerede: “Das Versprechen einer Sozial-Charta verbessert in der Regel nicht den Mieterschutz, sondern soll das schlechte Gewissen der Öffentlichkeit beruhigen.” Praktische Schutzwirkungen für die Mieter habe das kaum gehabt, so Weber. Zudem eilt Annington der Ruf einer knallharten Unternehmenspolitik voraus, die einzig darauf ausgerichtet ist, Maximalprofite auf dem Rücken der Mieter_innen zu erzielen.

Für DIE LINKE ist dies ein weiteres Beispiel für die desaströse Wohnungspolitik der grün-roten Landesregierung. Durch Wohnungsprivatisierungen wird Wohnraum zum reinen Spekulationsobjekt. Investoren und Aktienbesitzer bestimmen so über einen Politikbereich, der einst zur Daseinsfürsorge gezählt wurde. Die aktuellen Kreditförderungsprogramme der Stuttgarter Regierung für sozialen Wohnungsbau bleiben wirkungslos. Die Zahl der Baufertigstellungen liegt seit Jahren, so auch 2014, fast um 20.000 Einheiten unter der von der Landesregierung selbstgesetzten Zielmarke von 50.000 Wohnungen.

DIE LINKE fordert dagegen eine Ende von Wohnungsprivatsierungen und verlangt den aktiven Einstieg von Bund und Land in die Förderung.

jüg

 

Linke Liste fordert: Wohnungsleerstand sofort ermitteln!

Leerstand_kein_zustand426_01Konstanz braucht deutlich mehr Wohnungen als im “Handlungsprogramm Wohnen” vorgesehen, und es braucht sie schneller als von der Stadtverwaltung geplant. Dazu trägt neben der ohnehin schon hohen Nachfrage nach Wohnraum auch die steigende Zahl an Flüchtlingen bei, die von der Stadt untergebracht werden müssen.

Aus Verwaltungskreisen war mehrfach zu hören, dass in Konstanz Gewerbeflächen, Wohnungen und ganze Häuser leer stehen. So werden in Konstanz derzeit rund 35 000 Quadratmeter vorhandene Gewerbefläche nicht genutzt, wie das Büro Dr. Acocella jüngst in einem Gutachten ermittelt hat. Wir fordern die Verwaltung auf, diese Zahl genau zu beziffern und mitzuteilen, ob zumindest einige dieser Flächen mit vertretbarem Aufwand in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden könnten.

Außerdem ist eine Auflistung der leerstehenden Wohnungen und Wohnhäuser dringend nötig. Die LLK hat eine solche Erfassung schon mehrmals vorgeschlagen und fordert sie hiermit erneut. Dabei geht es vorrangig nicht darum, diese Immobilienbesitzer wegen eines Verstoßes gegen das Zweckentfremdungsverbot zu brandmarken.

Wir wissen vielmehr, dass manche Immobilieneigentümer aus finanziellen Gründen davor zurückschrecken, ihre Wohnungen und Häuser so zu renovieren, dass sie zur Vermietung angeboten werden können. Unser Vorschlag: Die Stadt sollte mit diesen Immobilienbesitzern in Verhandlung treten und ihnen anbieten, sich an der Sanierung des leerstehenden Wohnraums finanziell zu beteiligen. Im Gegenzug müssen sich die Besitzer verpflichten, ihre Immobilie nach der Renovierung langfristig und zu einem sozialen Preis der Stadt zur Vermietung zu überlassen.

Anders verhält es sich mit jenen Immobilieneigentümern, die ihren Wohnraum nachweislich aus Spekulationsgründen leer stehen oder gar verrotten lassen. In diesen Fällen muss das Zweckentfremdungsverbot unverzüglich zum Tragen kommen.

Wir hoffen, dass diese Maßnahmen dazu beitragen, den Konstanzer Wohnungsmarkt im Interesse der Bevölkerung zu entlasten, und fordern die Verwaltung zu schnellem Handeln auf.

Anke Schwede, Holger Reile
Linke Liste Konstanz (LLK)

Nazi-Monument zum antifaschistischen Denkmal umgestalten

Chérisy-Soldat1Die Linke Liste Konstanz (LLK) kritisiert seit Jahren die Untätigkeit der Stadt im Umgang mit dem Soldatenstandbild, das den Eingang zum Chérisy-Areal verunstaltet. Mehrfach haben die Verantwortlichen bei der Stadtverwaltung Vorstöße beispielsweise der Konstanzer Friedensinitiative aber auch von Anwohnern ins Leere laufen lassen, die eine Auseinandersetzung mit diesem steinernen Relikt der nationalsozialistischen Barbarei forderten.

Wenn nun am kommenden Dienstag der Kulturausschuss das Thema erneut berät, erwarten wir endlich ein substantielles Ergebnis. Da aus denkmalschutzrechtlichen Gründen die Beseitigung der Statue nicht in Frage zu kommen scheint, fordert die LLK, dass das Nazi-Monument zu einem antifaschistischen Denkmal umgestaltet wird. Die von der Stadtverwaltung vorgeschlagene Gedenktafel reicht dafür nicht aus. Der weichgespülte Textentwurf des Stadtarchivars Jürgen Klöckler für eine solche Tafel ist zudem völlig ungeeignet, um eine angemessene Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des verbrecherischen Regimes zu befördern. Er stuft das Standbild letztlich als X-beliebiges kunstgeschichtliches Zeugnis unter anderen ein und trägt damit mehr zur Verharmlosung als zur kritischen Auseinandersetzung bei.

Die LLK unterstützt deshalb den Vorschlag der Friedensinitiative, die eine breite öffentliche Diskussion darüber will, wie ein solches Denkmal zu gestalten wäre. An kundigen Historikern und kreativen Köpfen, die Vorschläge für eine angemessene Gestaltung erarbeiten können, fehlt es uns wahrlich nicht. Eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wehrmacht und dem Schicksal der Deserteure sind aus unserer Sicht Themen, die aufgegriffen werden müßten.

Die Linke Liste weist außerdem darauf hin, dass das Denkmal inzwischen auch zu einem erheblichen Verkehrshindernis geworden ist. Das Wohnquartier Chérisy wächst seit Jahren, gegenwärtig entstehen zwei neue Studierendenwohnheime. Die Folge sind unter anderem ein zunehmender Rad- und Autoverkehr, dem der enge Eingangsbereich nicht mehr gewachsen ist. Eine Umgestaltung muss deshalb auch dafür genutzt werden, behindertengerechte Gehsteige und Fahrradwege anzulegen. Die ESG e.V. hat dafür Vorschläge entwickelt, die berücksichtigt werden sollten.

Anke Schwede, Holger Reile, Stadträte, Linke Liste Konstanz
Hans-Peter Koch, Marco Radojevic, Kreisräte, DIE LINKE. Konstanz

Gewerbesteuernachzahlung: Geld muss sozialem Wohnungsbau und Personal zugutekommen

Paukenschlag bei der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am Donnerstag: Die Stadt Konstanz erhält eine Gewerbesteuer-Nachzahlung in Höhe von 16,3 Millionen Euro, von der voraussichtlich die Hälfte in die Stadtkasse fließen wird. Das ist das Ergebnis einer Nachprüfung des Finanzamts, das bei einem „großen Unternehmen“ – klar ist, es handelt sich um Takeda – noch einmal die Bücher geprüft hatte. Nach 2012 muss der Pharmakonzern nun also erneut Millionen nachzahlen, die er der Stadt mit Hilfe kreativer Buchführung vorenthalten wollte.

Dem Oberbürgermeister und den ihn stützenden Fraktionen gehen so langsam die Argumente für den rigiden Sparkurs der Verwaltung aus. Regelmäßig hat man die finanzielle Zukunft in den düstersten Farben gemalt und vor allem Investitionen im Sozialbereich mit dem Hinweis auf die angeblich miese Haushaltslage abgebügelt. Zwar wiegelte Stadtoberhaupt Uli Burchardt laut Südkurier bei der Ausschusssitzung gleich mit der Behauptung ab, das Geld sei „im Grunde bereits durch die Planung vervespert“, aber auch hartgesottenen Neoliberalen wie Jürgen Faden dämmert: Das Sparen werde nun wohl noch schwerer.

Die LLK-Stadträtin Anke Schwede hat auf Pressenachfrage völlig richtig umgehend zu Protokoll gegeben, die Mehreinnahmen – nach Abzug verschiedener Abgaben fließen voraussichtlich zwischen 8 und 9 Millionen ins Stadtsäckel – müssten eingesetzt werden, um “endlich soviel Personal in der Stadtverwaltung einzustellen, dass die jetzigen Angestellten entlastet werden und die Stadt ihre Aúfgaben verantwortungsbewusst erledigen kann”. Außerdem, so Schwede weiter, müsse vor allem in den sozialen Wohnungsbau investiert werden.

jüg

Uniwahlen: GOLL mit großem Zugewinn

GOLL-LogoDie Wahlen zum Studierendenparlament an der Universität Konstanz brachten ein hocherfreuliches Ergebnis für die überparteiliche Grüne Offene Linke Liste (GOLL), die sich als sozialökologisch, undogmatisch und emanzipatorisch einstuft. Die GOLL konnte bei dem Urnengang am 9. und 10. Juni ihr Ergebnis von 8,6 Prozent 2014 in diesem Jahr auf 14,4 Prozent steigern und erreichte damit den größten Zugewinn aller angetretenen Listen. Ins Studierendenparlament, es hat insgesamt 23 Mitglieder, entsendet die GOLL in dieser Legislaturperiode Marco Radojevic, Luise Schönemann und Michael Schiefelbein. Das Ergebnis ist gerade deshalb hocherfreulich, weil sich die GOLL-Kandidat_innen dafür entschieden hatten, im Gegensatz zu den anderen Listen auf Wahlkampfaktivitäten zu verzichten, um nicht auch noch die Universität der Logik der Parteipolitik zu unterwerfen.

Die GOLL wird 2015 wie schon im vergangenen Amtsjahr ihre Arbeitsschwerpunkte auf die politischen Bildung, die praktischen Flüchtlingssolidarität und die Bekämpfung des Primats der Ökonomie an der Universität legen. Wir laden jetzt schon alle anderen progressiven Listen dazu ein, gemeinsam an einer emanzipatorischen Bildung, einer politischen Studierendenschaft und dem Erhalt und Ausbau direktdemokratischer Elemente in der Studierendenschaft zu arbeiten. Diese Zusammenarbeit, die in der letzten Legislatur listenübergreifend meist hervorragend funktioniert hat, ist uns ein wichtiges Anliegen.

Kritisch wollen wir an die anderen Listen weitergeben, dass alle gemeinsam daran arbeiten müssen, die Wahlbeteiligung, sie lag bei niedrigen 10,7 Prozent, zu steigern. Nur so kann die Legitimation studentischen Engagements gestärkt werden. Wir glauben, dass sich in unserem Ergebnis auch widerspiegelt, dass Listen, die auf Kooperation statt auf kleinliche parteipolitische Außeinandersetzungen setzen, in der Studierendenschaft stärker nachgefragt werden. Deshalb sollten alle ernsthaft darüber nachdenken, ob man in Zukunft weiter Unmegen an Geld, Zeit und Papier für den Wahlkampf verschwenden will. Die GOLL jedenfalls sieht das außerordentlich gute Ergebnis als Ermutigung, ihre undogmatische links-emanzipatorische Arbeit fortzusetzen.

Marco Radojevic

Arbeitsgerichtsverfahren: Arbeiter will im Lohndumping-Fall sein Recht einklagen

Lohndumping auf Cherisy-Baustelle

Tatort Chérisy: 56 Stunden die Woche malochen für lau?

Prozessauftakt am Arbeitsgericht Radolfzell in Sachen Lohnbetrug auf einer Chérisy-Baustelle: Die Güteverhandlung zwischen Josip Knezevic, vertreten durch Rechtsanwalt Wirlitsch, und der SEN Bau GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Celic, startete mit erheblicher Verspätung und drehte sich erst einmal um eine Kündigung – über Lohndumping wird später verhandelt. Dennoch sorgte die Verhandlung für Brisanz und sogar Unterhaltung.

Wie bereits berichtet, entzünden sich die Streitigkeiten an einem Bauvorhaben im Chérisy-Areal. Die mit der Errichtung eines Wohngebäudes beauftragte Peter Grossbau GmbH hat dort als Generalunternehmer mehrere Subunternehmen mit Teilaufgaben des aufwändigen Gewerks betraut. Zu denen gehört die SEN Bau GmbH. Josip Knezevic, seit noch nicht ganz einem Jahr Mitarbeiter in diesem Unternehmen, und wohl einige weitere Kollegen beschwerten sich, dass Lohnrückstände in beträchtlichen Höhen aufgelaufen waren. Knezevic klagte daraufhin Katarina Frankovic, sprachbegabte Mitarbeiterin des DGB-Projekts „Faire Mobilität“, sein Leid und bekam Hilfe durch die engagierte Unterstützerin ausländischer Arbeitnehmer.

Wer darf die Kündigung aussprechen?

Gegenstand des Prozesses war nicht der Streit um den ausstehenden Lohn, thematisiert wurde erst einmal die Arbeitgeberreaktion: Statt den Mahnungen Knezevics nachzukommen, kündigte die SEN Bau GmbH diesen außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Gestritten wurde jetzt um die Wirksamkeit unter anderem dieser Kündigung. In einem Parallelverfahren, das für den 15.6.2015 um 16.40 Uhr am Arbeitsgericht Radolfzell angesetzt ist, macht der Kläger ausstehenden Lohn seit November 2014 (!) geltend.

Kündigungserklärungen können nicht einfach von jedermann abgegeben werden. Allein kündigungsberechtigte Personen können eine Kündigung aussprechen – eine vermeintlich selbstverständliche Tatsache. Allerdings verkompliziert sich dies, sobald ein Stellvertreter eingeschaltet wird. Im Grundsatz gilt: Für fast jedes Geschäft muss man nicht höchstpersönlich auftreten, sondern kann einen Anderen mit dessen Besorgung beauftragen. Allerdings muss man den Stellvertreter hierzu bevollmächtigen. Bei einseitigen Rechtsgeschäften, wie zum Beispiel der Kündigung, muss der Stellvertreter dem Gegenüber nachweisen – und das mit dem Original der Vollmacht –, dass eine Vollmacht bestand.

Josip Knezevic wurde ohne solch einen Hinweis gekündigt, die Kündigung wurde von Rechtsanwalt Wirlitsch unverzüglich zurückgewiesen und schon sah die Prozessgrundlage der Beklagten SEN Bau GmbH ziemlich schlecht aus.

Wer wusste wann vom ausstehenden Lohn?

Allerdings hatte diese noch eine zweite Kündigung erklärt, sodass sich die Prozessbevollmächtigten und die Vorsitzende über Vergleichsverhandlungen Gedanken machen konnten. Was im Hin und Her der Anwälte nicht zur Sprache kam: Es schien der Beklagten weit und breit an einem Kündigungsgrund zu fehlen. Stattdessen konnte man im Laufe der Erörterungen einen Anlass identifizieren: Knezevic hatte, nachdem er erfolglos Lohn von seiner Arbeitgeberin verlangt hatte, den Mut, die Peter Grossbau GmbH von den ausstehenden Löhnen zu informieren und verlangte seinen Lohn nun vom Generalunternehmer. Dies ist laut Mindestlohngesetz und Arbeitnehmer-Entsendegesetz sein gutes Recht. Für nicht gezahlten (Mindest-)Lohn hat der Generalunternehmer einzustehen.

Hierauf veranlasste die Peter Grossbau GmbH die Auflösung ihrer Geschäftsbeziehung zur SEN Bau GmbH, was dort naturgemäß nicht zum Wohlwollen gegenüber Herrn Knezevic beigetragen haben dürfte. Kurz darauf lag die erste Kündigung auf dem Tisch. Interessanterweise zeigte sich dabei eine Diskrepanz zu den Angaben der Generalunternehmerin gegenüber dem Gemeinderat. Nachdem Holger Reile, Linke Liste Konstanz, bei der Stadtverwaltung angefragt hatte, ob diese oder die beauftragte Bauunternehmerin etwas von den Problemen bei der Lohnzahlung der SEN Bau GmbH wisse, sagte die Peter Grossbau GmbH, von solchen Vorgängen würde sie vollkommen überrascht und hätte bis zur Anfrage des Stadtrats nichts gewusst. Diese Diskrepanz sollte aufgeklärt werden.

Wer bestimmt die Arbeitszeit?

Hier enden die zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalte und Prozessbeobachter geraten in ein Gewirr aus widerstreitenden Vorstellungen vom Arbeitsverhältnis zwischen der SEN Bau GmbH und Josip Knezevic.

Anwalt Celic bestritt für seine Mandantin, dass es mehrere solcher Fälle von unterbliebener Lohnzahlung gegeben habe. Unklar ist auch, wie viele Stunden pro Woche Knezevic arbeiten musste. Der Kläger behauptet, er wäre laut Arbeitsvertrag verpflichtet, 56 Std./Woche zu arbeiten. Die Beklagte trägt vor, sie würde ganz tariftreu maximal 40 Std./Woche fordern können. § 3 des Arbeitszeitgesetzes beschränkt die tägliche Arbeitszeit, mit Ausnahmen, auf maximal acht Stunden, sodass sich eine 6-tägige Arbeitswoche auf maximal 48 Stunden addieren kann. Demgegenüber scheinen im Juli und August 2014 tatsächlich gut 56 Wochenstunden abgerechnet und abgeleistet worden zu sein.

Die Streitfrage verschärft sich dadurch, dass Josip Knezevic keinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten hat. Trotz mehrmaliger Nachfrage war die Beklagte bis zum Prozesstermin nicht in der Lage, einen schriftlichen Arbeitsvertrag vorzulegen. Strittig ist zwischen den Parteien auch die Höhe der zu zahlenden Vergütung: Knezevic sagt, er wurde auf dem Bau als Vorarbeiter eingesetzt, damit stehen ihm durch Tarifvertrag 14,20 €/Std. zu. Rechtsanwalt Celic meinte, er wäre vielmehr als Hilfsarbeiter tätig gewesen, was mit der niedrigsten Vergütungsstufe des Tarifvertrags von ca. 11 € zu entlohnen wäre.

Wie kam es zum überraschenden Vergleich?

Trotz dieser komplizierten und gerade für die Arbeitgeberin ungemütlichen Ausgangssituation einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Kläger Knezevic soll einen halben Monatslohn als Abfindung erhalten und das Arbeitsverhältnis zum 31.5. geendet haben. Da ja schon die Höhe des Monatslohns in Streit stand, konnte man nicht einfach einen Fixbetrag halbieren, sondern traf sich in der Mitte, was im Ergebnis 1600 € brutto bedeutet. Doch selbst diesen Betrag wollte Rechtsvertreter Celic nicht ohne Rücksprache mit seiner Mandantschaft vereinbaren, und so wurde der Vergleich unter Widerrufsvorbehalt gestellt. Sollte eine der beiden Seiten innerhalb von zwei Wochen schriftlich Widerruf beim Arbeitsgericht einlegen, trifft man sich am 21.7.2015, 12.00 Uhr zum Kammertermin.

Wenn man eine Prognose wagen darf…

Im streitigen Termin hätte die Beklagte SEN Bau GmbH wohl kaum eine Chance, siegreich aus dem Prozess hervorzugehen. Der abgeschlossene Vergleich ist wohl das Höchste, was aus solch einer verfahrenen Lage herauszuholen ist. Seit einigen Tagen bestünde Annahmeverzug, wäre die Kündigung wirksam, sodass rückwirkend einige tausend Euro an Lohnansprüchen auflaufen würden, ohne dass Josip Knezevic hätte dafür arbeiten müssen.

Für den Rechtsstreit in Sachen Lohnanspruch lässt sich festhalten: Der gesamte Prozess steht auf tönernen Füßen. Es scheint kaum eine Grundlage für eine gütliche Einigung zu geben, schließlich drohen im Hintergrund viele andere Kollegen und deren kommende Prozesse. Das gestrige Verfahren war nur der erste Streich: Wir freuen uns auf den Termin am 15.6.2015 um 16.40 Uhr und werden erneut berichten.

Simon Pschorr