Author Archives: Juergen

Verkehr: Den gordischen Knoten durchschlagen

Der Hitzesommer, unter dem auch Konstanz geächzt hat, ist zwar überstanden. Für Wissenschaftler wie Mojib Latif, einen der führenden Klimaforscher des Landes, ist indes klar: Die lange Dürreperiode ist ein Beleg für die Erderwärmung. Latif hat die Regierung harsch für ihre Blockade von Klimaschutz-Programmen kritisiert. Bei der Reduzierung der CO2-Schadstoffe im Verkehr etwa habe sie „komplett versagt“, das „Geschäftsmodell mit den dicken Autos ist zu ertragreich“. Das gilt nicht nur für Berlin.

Trotz aller Lippenbekenntnisse ist auch Konstanz weit von einer Verkehrswende entfernt. Die Lokalpolitik versucht sich an der Quadratur des Kreises, weil ihre Konzepte eisern an der Vorfahrt für den motorisierten Individualverkehr festhalten, die Radinfrastruktur und den ÖPNV dagegen nur zögerlich ausbauen. Gerade wegen der hiesigen Besonderheiten – Insellage, Tourismusmagnet, Handelszentrum – gilt: Wer den gordischen Knoten entwirren will, muss ihn durchschlagen. Das gelingt nur, wenn wir die Innenstadt autofrei machen. Dazu müssen die Busse takt- und streckendichter, vor allem aber billiger fahren, am besten ticketfrei. Das brächte soziale Vorteile, mehr Lebensqualität und wäre zudem einmal ein wirklicher Beitrag gegen den Klimawandel.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt Nr. 18/2018)

Berlin macht’s vor: Kitas müssen gebührenfrei werden

Kinder kosten Geld und sind für viele Familien heute eine Investition, die sie sich kaum mehr leisten können. Nicht nur Essen, Kleidung und Freizeitaktivitäten belasten den Geldbeutel, entgegen aller Versprechungen ist auch die Bildung nicht kostenfrei. Nun gut – es gibt (bisher) keine Schulgebühren, doch Kindererziehung fängt nicht erst mit der Einschulung an! Frühkindliche Erziehung in der Kita und dem Kindergarten setzt den Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg. Leider sind beide Einrichtungen bis heute gebührenpflichtig. Die Gebühren belasten gerade Eltern, die besonders auf das Betreuungsangebot angewiesen sind: Alleinerziehende und Familien mit so geringen Einkommen, dass beide Eltern auf eine bezahlte Arbeit angewiesen sind. Dann bleiben häufig die im Durchschnitt noch immer schlechter bezahlten Frauen zu Hause oder müssen, prekär beschäftigt, in Teilzeit arbeiten. Das Land Berlin hat daraus jetzt die richtigen Konsequenzen gezogen: Gebührenfreie Kita für alle! Das ist ein wertvoller Beitrag für Bildungsgerechtigkeit, insbesondere aber für Geschlechteregalität. Aus guten Ideen sollte man lernen – das bringen sie einem schon in der Kita bei. Deswegen: Schaffen wir die Kita- und Kindergartenbeiträge in Konstanz ab.

Simon Pschorr (zuerst erschienen im Amtsblatt Nr. 17/2018)

Konstanz muss sicherer Hafen werden

Mehr als 1400 Menschen sind allein im ersten Halbjahr an den EU-Außengrenzen im Mittelmeer ertrunken. Was das mit uns zu tun hat? Viel, denn sie wurden auf der Flucht vor Krieg und Elend Opfer einer rigiden Abschottungspolitik, bei der die deutsche Regierung zu den Taktgebern gehört. Angestachelt durch die Hetze von AfD, CSU und vieler Medien werden Flüchtende zu Sündenböcken für hausgemachte soziale Probleme gestempelt. Bund und Länder verschärfen das eingeschränkte Asylrecht weiter und richten Lager ein. Inzwischen geht man soweit, zivilen Rettungsschiffen das Anlaufen von Häfen zu verweigern und Seenotretter*innen zu bestrafen, während in Libyen Folterlager finanziert werden, um Hilfesuchende fernzuhalten. Doch gegen diese menschenverachtende Praxis regt sich Widerstand. Zehntausende im Land haben für sichere Fluchtwege demonstriert, auch in Konstanz. Zudem wollen immer mehr Städte (u.a. Berlin, Köln, Düsseldorf, Bonn) nicht Teil dieser unmenschlichen Politik sein. Sie haben sich zu „sicheren Häfen“ erklärt, dazu bereit, gerettete Geflüchtete aufzunehmen. Die LLK meint: Dazu muss auch Konstanz gehören und wird deshalb im Rat initiativ werden. Es wäre ein Bekenntnis zu Humanität und eine solidarische Antwort auf die rechte Hetze.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt)

Demo in Konstanz: “Seenotrettung ist kein Verbrechen”

Es war ein starkes Zeichen gegen die Abschottungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten: Um die 400 Leute gingen am 28. Juli in Konstanz auf die Straße, die gegen die Kriminalisierung privater Seenotrettungs-Missionen protestierten und sichere Häfen für die zu Tausenden vor Krieg, Verfolgung und Elend über das Mittelmeer fliehenden Menschen forderten. Die Linke Liste Konstanz und DIE LINKE hatten ihre Mitglieder und Unterstützer*innen zur Beteiligung aufgerufen.

Begonnen hatte die Demonstration, organisiert von einem lokalen Unterstützer*innenkreis der erst vor wenigen Monaten entstandenen internationalen Basisbewegung “Seebrücke”, am Benediktinerplatz mit einer per Lautsprecher an die Teilnehmer*innen übertragenen Botschaft aus Malta. Seenotretter*innen, die auf der Mittelmeerinsel auf Druck unter anderem des deutschen Innenminstiers Seehofer von den örtlichen Behörden am Auslaufen gehindert werden, appellierten an die Demonstrant*innen: “Wir brauchen Eure Unterstützung in Deutschland, um den Politikern jetzt Druck zu machen – wir auf See, Ihr auf der Straße: Gemeinsam für mehr Hilfe und mehr Humanität“.

Der Demonstrant*innen, die dann vom Benediktinerplatz über die Fahrradbrücke durch die Straßen und Gassen Innenstadt zogen, machten unüberhörbar immer wieder deutlich, was eigentlich selbstverständlich ist, in Zeiten des europaweiten Rechtsrucks aber gegen die Seehofer, Salvini, Kurz & Co verteidigt werden muss: “Seenotrettung ist kein Verbrechen”. Lautstark skandierten sie Parolen, die auf die Folgen der EU-Abschottungspolitik hinwiesen, die im Mittelmeer Tag für Tag Menschenleben fordert (“Wir sind nicht alle, es fehlen die Ertrunkenen”), positionierten sich gegen Nationalismus (“raus aus den Köpfen”), forderten offene Grenzen (“No border, no nation: stop deportation”)  und riefen zu internationalistischem Widerstand gegen die Rechtsentwicklung auf (“Solidarität heißt Widerstand, Kampf dem Faschismus in jedem Land”).

Höhepunkt der knapp zweistündigen Protestaktion war dann eine Kundgebung auf der Marktstätte, bei der zwei Aktivisten zu Wort kamen, die sich für die Rettung von Geflüchteten engagieren. Reto Plattner, einer davon, ist Mitglied des in Zürich beheimateten Projekts “Watch The Med – Alarmphone”. Die Gruppe hat eine Art Call-Center für in Seenot geratene Geflüchtete aufgezogen und versucht über Funk und Mobiltelefon Hilfe für Flüchtende zu organisieren und zu koordinieren, denen der Ertrinkungstod droht. Ein Engagement, das oft an den Kampf gegen Windmühlen erinnert. Plattner berichtete von den tödlichen Folgen der EU-Politik durch die gezielte Drosselung staatlicher Hilfseinsätze und die Schließung von Häfen für private Hilfsmissionen. Allein bis Juni seien in diesem Jahr mehr als 1400 Menschen ertrunken, mindestens ebensoviele gelten als vermisst. Das “reiche Europa”, forderte der Zürcher Aktivist abschließend, müsse angesichts des tausendfachen Sterbens im Mittelmeer die Abschottungspolitik endlich einzustellen und die Grenzen für die Geflüchteten öffnen.

Eine Forderung, der sich der zweite Redner unter dem Beifall der Demonstrant*innen anschloss. Friedhold Ulonska kennt das Drama, das sich täglich auf dem Mittelmeer abspielt, aus eigener Anschauung. Er ist einer der Kapitäne der Seenotrettungsgruppe “Sea Eye” und hat selbst sechs Rettungseinsätze geleitet. Vor gebannt lauschenden Demo-Teilnehmer*innen berichtete der gebürtige Norddeutsche, der seit seinem Studium in Rottenburg wohnt, von den Erfahrungen, die er bei den Hilfsaktionen gemacht hat: Vom Gefühl der Ohnmacht angesichts tausendfachen Sterbens, aber auch von der Notwendigkeit der Rettungsmissionen und vor allem von der Wichtigkeit, Widerstand von unten gegen die menschenverachtende Politik der europäischen Autoritäten zu leisten. Den Wortlaut des eindrucksvollen Beitrags, den er uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, veröffentlichen wir im Anschluss.

Ausruhen will man sich bei der Konstanzer Seebrücke auf dem Erfolg der Demonstration nicht, kündigten die Veranstalter*innen am Ende der Kundgebung an. So soll die Stadt Konstanz in die Pflicht genommen werden, dem Beispiel von Städten wie etwa Berlin oder Frankfurt zu folgen, und sich demonstrativ zu einem sicheren Hafen zu erklären, in dem Geflüchtete Aufnahme finden. Dass die Forderungen der Seebrücke-Initiative durchaus mit Resonanz rechnen können, zeigt auch das Ergebnis der Spendensammlung. Rund 700 Euro sind am Samstag in knapp zwei Stunden zusammengekommen. Sie gehen nun an die Rettungsprojekte “Sea-Eye”, “Watch The Med – Alarmphone” und “Humanitarian Pilots Initiative – HPI”.

jüg/Fotos: Andreas Sauer


“Wir brauchen ein Europa, das keine Festung baut, sondern alle Menschen als das behandelt, was sie sind: Menschen”

Guten Tag, vor fast genau einem Jahr war ich auf der „Sea-Eye“ vor der libyschen Küste als Kapitän im Einsatz. Wir waren acht Menschen an Bord. Innerhalb von nur zwei Tagen – am 11. und 12. Juli – wurden 6.920 Menschen aus mehr als 50 Booten vor dem Ertrinken gerettet. Alle Retter haben bis zur Erschöpfung gearbeitet: Wir, die Freunde auf 10 Schiffen anderer ziviler Hilfsorganisationen, die Männer und Frauen an Bord eines halben Dutzends Schiffe der italienischen Küstenwache, die Soldatinnen und Soldaten auf noch einmal genauso vielen europäischen Marineschiffen. Gemeinsam konnten wir diese Menschen retten – soweit ich weiß, musste niemand sterben. Das haben wir gemeinsam geschafft – zivile Helfer, Polizei und Militär haben bestens zusammengearbeitet, um zu tun, was jedes Seemanns Pflicht ist: Menschen in Not auf dem Meer zu helfen, ungeachtet ihrer Herkunft, ungeachtet der Umstände, ungeachtet der Gründe, die sie in ihre Notlage gebracht haben.

In diesem Jahr ist alles anders. Ich wäre gern mit meiner Crew auf der „Seefuchs“ – das ist ebenfalls ein Schiff von „Sea Eye“ – Anfang Juli wieder ausgelaufen. Es wäre meine siebte Mission gewesen, die ich mit dieser Organisation oder auf Schiffen der anderen deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch und Mission Lifeline gefahren wäre. Doch daraus wurde nichts: Unsere Schiffe wurden und werden im Hafen von Valletta auf Malta festgehalten. Wir haben Auslaufverbot – mit fadenscheinigen Begründungen. Der Kapitän der „Lifeline“, den man mit 230 Geretteten an Bord tagelang nicht in den Hafen gelassen hat, steht für seine Rettungstat sogar in Malta vor Gericht – das hatte der Herr Seehofer so gefordert. Zuvor schon hat Italien seine Häfen für Schiffe geschlossen, die Flüchtende an Bord haben – inzwischen lassen sie selbst ihre eigenen Marineschiffe nicht mehr rein. Tagelange Irrfahrten auf dem Mittelmeer waren die Folge – jeder hier erinnert sich sicher noch an Berichte über die „Aquarius“, die „Open Arms“ und andere, die bis nach Spanien fahren mussten, um ihre Gäste in einen sicheren Hafen bringen zu können. Was für ein Skandal!

Dafür gab es damals ein großes Medienecho. Heute sitzen wieder 50 Menschen auf einem Schiff fest – seit nunmehr 16 Tagen! Kein Land lässt sie in den Hafen, weder Malta noch Italien, und selbst Tunesien nicht – man will „keinen Präzedenzfall schaffen“, heißt es zur Begründung. Seit 16 Tagen! Und kaum einer nimmt noch Notiz davon.

Es ist eine Schande, was Europa da gerade vorführt. Die Politik will eine Festung bauen, sich abschotten, dichtmachen – so, als gelte es, unseren Kontinent gegen barbarische Horden zu verteidigen. Europa legt seine zivilen Helfer an die Kette. Selbst das zivile Suchflugzeug Moonbird darf nicht mehr starten. „Moonbird“ hat viele Boote von Flüchtenden entdeckt, die sonst keiner gefunden hätte. „Moonbird“ hat auch dokumentiert, was niemand sehen soll: Zweimal hat die Besatzung z.B. beobachtet, wie europäische Marineschiffe das Weite suchten, als sie in die Nähe eines Flüchtlingsbootes kamen. Gegenkurs und Hebel auf den Tisch!

Ich kann es leider nicht anders sagen: So tötet Europa Menschen.

Offenbar ist sich Europa darin einig, dass Humanität, dass Menschenrechte, dass die Genfer Flüchtlingskonvention nur für Europäer, nur für Weiße gilt, deren Wohlstand es zu verteidigen gilt. In solchen Selektionen haben wir Deutschen ja Erfahrung.

Das Schlimmste daran ist: Das alles geschieht auf dem Rücken gequälter Menschen. Ich habe viele von ihnen gesehen und kennengelernt. Ich habe ihre Geschichten gehört und das Entsetzen in ihren Augen gelesen, wenn sie von ihren Erlebnissen in Libyen erzählten – stotternd meist, denn das lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Schlechte Verpflegung, unzumutbare Camps, fehlende Hygiene sind noch die kleinsten Probleme. Da geht es um Folter und Vergewaltigung. Man lässt die Menschen ihre Verwandten anrufen und prügelt sie dabei – die Schmerzensschreie sollen der Erpressung Nachdruck verleihen. Da werden Menschen demonstrativ erschossen, in Zwangsarbeit gesteckt oder als Sklaven verkauft, für 400 € das Stück.

Das alles geht Europa nichts an? Da fällt unseren Politikern nichts Anderes ein, als dichtzumachen? Und, noch schlimmer: Da finanziert man libysche Milizen wie die sogenannte Küstenwache, damit sie für Europa die Drecksarbeit machen und diese armen Menschen eingesperrt halten? Diese Küstenwache ist nichts Anderes als ein Haufen Gangster, die selbst im Geschäft mit dem Menschenhandel ihr Geld verdient. Jetzt werden sie dafür auch noch von der EU bezahlt, mit meinem und Deinem Steuergeld.

Leute, in Libyen brennt es lichterloh. Die Menschen, die dort in den Lagern sitzen – egal, warum sie dorthin gekommen sind – können nicht zurück in die Heimatländer. Dieser Weg ist ihnen versperrt. Die einzige Möglichkeit, der Hölle in Libyen zu entkommen, ist über das Meer. Selbst das können sie sich nicht aussuchen: Erst, wenn ihre Peiniger sie ausgepresst haben wie eine Zitrone, erst, wenn die Frauen von ihren Vergewaltigern schwanger sind, werden sie auf die Boote geschleppt. Viele haben mir gesagt, sie ertrinken lieber im Meer als nach Libyen zurück zu gehen: Das geht wenigstens schnell. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass schon gerettete Menschen verzweifelt ins Meer sprangen, als ein libysches Schiff auftauchte – aus purer Angst, in die Hölle zurück zu müssen.

Das alles geht Europa nichts an? Aus den Augen, aus dem Sinn?

Uns, die zivilen Seenotretter, legt man an die Kette, damit wir nicht helfen können. Man schikaniert die Schiffe. Man sieht ungerührt zu, wie die Flüchtenden absaufen. Die unmittelbare Folge: 629 Tote im Juni diesen Jahres – das gab es noch nie auf dem zentralen Mittelmeer! Und das sind nur die, von denen man sicher weiß.

Ich höre jetzt oft: Ihr lockt die Leute doch erst auf das Meer. Das ist nachweislich falsch und verdreht die Tatsachen: Wir, die zivilen Seenotretter, sind erst entstanden und gekommen, weil die Menschen geflohen sind – und weil die EU-Staaten 2014 ihre Rettungsmission eingestellt haben. Seitdem die EU angefangen hat, die zivile Rettung zu behindern, hat sich die Zahl der Flüchtenden in Libyen mehr als verdoppelt – eine Million Menschen warten dort jetzt. Wir wären gerne überflüssig!

Ich höre jetzt oft: Sorgt doch lieber dafür, dass die Menschen keinen Grund mehr haben zu fliehen. Ja klar, das ist auch unser Wunsch! Aber es ist wie bei der Feuerwehr: Wenn ein Haus brennt, dann hilft es niemandem, wenn man über Brandschutz diskutiert. Dann muss man erstmal löschen.

Ich höre jetzt oft: Wir können doch nicht alle aufnehmen! Natürlich nicht, das will auch niemand. Und natürlich sind die Geflüchteten für Europa eine Herausforderung. Aber sollen wir sie deshalb ertrinken lassen? Und wer sonst als das reiche Europa – das seinen Wohlstand nicht zuletzt der Ausbeutung Afrikas verdankt – könnte diese Herausforderung stemmen?

Ich höre jetzt oft: Ihr bringt die ganzen Verbrecher in unser Land. Das ist Quatsch. Die weitaus meisten Ganoven sind immer noch Biodeutsche, wie das in bestimmten Kreisen heißt. Und natürlich (sic!) sind unter 1.000 Geflüchteten auch einige Arschlöcher und Verbrecher. Aber nicht mehr als unter tausend Badenern, Schwaben oder Bayern.

Wir, Sea-Eye und die anderen zivilen Retter, sind kein Taxi-Dienst. Wir sind der Notarztwagen. Unsere Mission ist es, das Schlimmste zu verhindern, wenn es schon fast zu spät ist. Wir alleine schaffen es nicht auch noch, die Ursachen zu beseitigen. Wir schaffen es nicht auch noch, die Folgen zu bewältigen – gerade dafür gibt es Gott sei Dank andere Initiativen, zu denen viele von Euch gehören. Vielen Dank für Eure Arbeit!

Ich bin an der Nordsee aufgewachsen. Ich wohne seit meinem Studium in Rottenburg. Vor knapp 20 Jahren habe ich das Bodensee-Schifferpatent gemacht. Es war für mich nur eine kurze theoretische Prüfung im Multiple-Choice-Verfahren – bei aller Eigenständigkeit der See-Staaten wurden mir meine Patente für die Praxisprüfung anerkannt.

Ich bekam Frage 302: „Was tun Sie, wenn ein Mitglied Ihrer Crew über Bord geht?“ Es gab drei Antworten zur Auswahl:

  • Ich gebe Vollgas, fahre in den nächsten Hafen und hole Hilfe.
  • Ich werfe Rettungsmittel aus und versuche, das Crewmitglied wieder an Bord zu nehmen.
  • Ich setze die Flagge auf Halbmast.

Ich denke, auch jeder Nicht-Seemann hier weiß intuitiv, was die richtige Antwort war …

Der humorvolle Beamte, der sich diese Antworten ausgedacht hat, ist sicher längst in Pension. Er hat sich bestimmt nicht träumen lassen, dass heute Politiker die dritte Antwort durchsetzen wollen: Krokodilstränen ok, aber bloß nicht retten! Denn genau das ist es, was Europa gerade vormacht.

Müssen wir jetzt die Bodensee-Schifffahrtsordnung ändern? Nein, das werden wir nicht, sie und das internationale Seerecht bleiben, was die Rettung von Menschen in Not angeht, natürlich wie sie sind. In meinem Europa gilt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das ist nicht umsonst der erste Artikel der EU-Charta und des deutschen Grundgesetzes. Der erste! Alle anderen Themen sind zweitrangig.

Bei den Seehofers und Salvinis und Kurzen gilt diese Priorität nicht mehr. Da gehen Wählerstimmen vor Humanität – Menschenrechte hin oder her. Natürlich muss der Seehofer weg! Natürlich brauchen wir eine Regierung, die nicht von Stacheldraht spricht, sondern vom Leiden der Flüchtenden. Natürlich brauchen wir ein Europa, das keine Festung baut, sondern alle Menschen als das behandelt, was sie sind: Menschen.

Unsere Politiker sind jetzt im Urlaub, vielleicht am Mittelmeer, falls sie sich dort trotz der Asyltouristen, der Migrantenflut, der Invasion aus Afrika noch hintrauen. Ich habe den Eindruck, sie richten sich immer ungenierter nicht mehr nach Grundsätzen und Werten, sondern nur noch nach dem Wind, den sie aus ihrem Wahlvolk wahrnehmen. Das bayrisch-Berliner Schmierentheater vor einigen Wochen war dafür eine passende Inszenierung.

Wenn das so ist: Lasst uns diesen Wind ändern!

Momentan weht er kräftig von rechts. Lasst uns den Wind drehen, so dass er von links, von oben oder unten kommt. Zeigen wir den Politikern, dass der brüllende Sturm aus dem rechten Sumpf nicht „das Volk“ ist! Die „Seebrücke“ ist ein starkes Zeichen dafür, dass sich die Gesellschaft diese Vereinnahmung nicht gefallen lässt. Diese Demonstration heute ist ein Eckpfeiler. Lasst uns so weitermachen – gemeinsam in Orange und jeder an seinem Platz!

Friedhold Ulonska


Kreistag einstimmig für LINKE-Antrag zu Bleiberecht aller Geflüchteten in Ausbildung und Arbeit

Einstimmig hat der Konstanzer Kreistag bei seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause am 23.7. einen Antrag der LINKEN angenommen, der den Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) auffordert, “allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit – unabhängig von ihren Herkunftsländern – ein Bleiberecht zu erteilen”. Die LINKE-Kreisrät*innen Anke Schwede und Hans-Peter Koch hatten eine Initiative von mehr als 90 baden-württembergischen Unternehmen aufgegriffen. Weiterlesen

Da lachen ja die Hühner

Die Verwaltung ist um einen Kniefall vor einem Großkonzern selten verlegen und hat daher im Podcast der Gemeinderatssitzung am 10.07. das Wort „Vonovia“ mit einem Piepston unhörbar gemacht. Außerdem gab es im Gemeinderat viel Schelte für den lückenhaften Entwurf einer Vereinbarung über das neue Konstanzer KINA, für das die Stadt Flächen auf dem Siemens-Areal anmieten will. Anscheinend hat die Verwaltung aus der Katastrophe Kompetenzzentrum wenig über den Umgang mit privaten Investoren gelernt.

Kräftig Haue bezog Wirtschaftsförderer Friedhelm Schaal vom Konstanzer Gemeinderat für seine Vorlage für das geplante KINA (Konstanzer Innovationsareal) auf dem ehemaligen Siemens-Gelände. Das gesamte Areal gehört inzwischen der Immobilienfirma i+R, nachdem die Stadt auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet hatte. Das Unternehmen „Gründerschiff“, das Jungunternehmen begleitet, will von i+R eine Fläche von 24.100 Quadratmetern auf dem Siemens-Gelände mieten. Davon will die Stadt wiederum 4000 Quadratmeter für das Technologiezentrum (TZK) sowie 6100 Quadratmeter für das KINA haben. Im KINA sollen dann besonders zukunftsträchtige Firmengründungen eine Heimat finden. Erwartet werden Mieten von etwa 3 bis 7 Euro pro Quadratmeter, die aber auch überschritten werden können, mehr ist derzeit nicht bekannt.

Schaal liegt dabei insbesondere ein „Accelerator“ (der neue Firmen schneller erfolgreich machen soll) am Herzen, und es eilt ihm, weil solche Einrichtungen derzeit in den Genuss von Fördermitteln kommen können und die Konstanzer Verwaltung mit ihren Förderanträgen gegenüber anderen Städten nach seinen Angaben schwer zurückliegt – Gründe für diesen zeitlichen Rückstand nannte Schaal übrigens nicht.

Stadt als (Unter-) Mieterin

Die Eigentümerin i+R ist nicht bereit, der Stadt die entsprechenden Flächen auf dem Gelände zu verkaufen. Die Stadt kann also nur Mieterin werden, Ziel ist ein auf 15 Jahre begrenzter Mietvertrag. An dieser Vermietung wollen natürlich sowohl i+R als auch „Gründerschiff“ verdienen. Das motivierte Stephan Kühnle (FGL) zu der etwas späten Erkenntnis, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn die Stadt das Gelände damals selbst gekauft hätte. Holger Reile (LLK) erinnerte ihn daran, dass die Linke Liste damals wenig Unterstützung bei ihrer Forderung erhielt, die Stadt solle das Gelände kaufen: „Jetzt befindet sich die Stadt gegenüber dem neuen Besitzer i+R auch wegen des neuen Innovationsprojekts in der Rolle des Bittstellers, und unser Handlungsspielraum hängt ganz und gar davon ab, ob der Besitzer den Daumen hebt oder senkt. Das muss den BürgerInnen doch wie ein Schildbürgerstreich vorkommen! Trotz wortreicher Beteuerungen bleibt Fakt: Der Rat soll die Katze im Sack kaufen, denn die Miethöhen stehen überhaupt noch nicht fest.“

Bloß keine zweite Investitionsruine

Dass den GemeinderätInnen die schlechten Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum, an dem Schaal ebenfalls führend beteiligt war, noch in den Knochen stecken, zeigte die allgemeine Skepsis, die der Verwaltungsvorlage bei aller grundsätzlichen Zustimmung zum Projekt KINA entgegenschlug. Roger Tscheulin (CDU) sprach wohl dem gesamten Rat aus dem Herzen: „Wir wollen uns nicht über den Tisch ziehen lassen!“ Das Vertrauen in die Redlichkeit von Investoren ist nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Kompetenzzentrum und anderen Projekten der öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) in ganz Deutschland zerstört, denn meist zahlt die öffentliche Hand einfach nur drauf.

Aus dem Gemeinderat kamen immer wieder Fragen vor allem zum Vorkaufsrecht, die Schaal teils in Verlegenheit brachten. Roger Tscheulin, als Anwalt mit den Fallstricken in Verträgen bestens vertraut, wies darauf hin, dass das geplante Vorkaufsrecht der Stadt für die fraglichen Flächen nur dann greift, wenn der Besitzer i+R die Flächen eines Tages an Dritte weiterverkauft. Ein eigenes Ankaufsrecht für die Stadt ist laut Tscheulin aber nicht vorgesehen, die Stadt kann also von sich aus nichts tun, um die Flächen von KINA und TZK eines Tages zu übernehmen. Wenn mich meine Ohren nicht täuschten, bemerkte Schaal dazu ziemlich leise, das habe er anders verstanden.

Wasserdichte Verträge

Dass bei diesem Projekt, in dem es um viele Dutzend Millionen geht, nur der Vertragstext zählt und nicht irgendwelche mündlichen Äußerungen des Investors gegenüber dem städtischen Wirtschaftsförderer, schien Schaal nicht berücksichtigt zu haben, er scheint eher blauäugig an die Sache herangegangen zu sein. Er betonte denn auch zu seiner Verteidigung, dass er kein Jurist sei. Über den Eigentümer i+R sagte er, dieser habe „Kaufmannsehre“ und plane, das Areal erst zu entwickeln und später irgendwann wieder zu verkaufen.

Auf die Frage, was denn aus den städtischen Investitionen in KINA und TZK im Falle eines Verkaufs oder einer Pleite wird, antwortete Schaal eher ausweichend, er gehe davon aus, dass die städtischen Investitionen bei der späteren gutachterlichen Festlegung eines eventuellen Kaufpreises berücksichtigt werden. Der OB sprang Schaal zwar bei, es war aber zu spüren, dass ihm sein bei manchen Fragen sichtlich überforderter Wirtschaftsförderer langsam auf die Nerven ging. Schaal hatte ja auch schon als Interims-Geschäftsführer des Bodenseeforums für sich auf Ahnungslosigkeit plädiert.

Keine Vertagung

Angesichts derart wachsweicher Äußerungen forderte die LLK, die gesamte Vorlage zurückzuziehen und in überarbeiteter Form nach der Sommerpause erneut zu beraten. Dem hielt Schaal entgegen, das gefährde die Einhaltung der Antragsfristen für die Fördermittel. Angesichts dieses Zeitdrucks wurde die Vertagung vom Rat mit großer Mehrheit abgelehnt.

Sehr hartnäckige Kritik kam auch von Jürgen Puchta (SPD). Er forderte von der Verwaltung ausdrücklich eine „ordentliche, juristisch abgesicherte“ Beschlussvorlage. Sein Vorschlag, jetzt erst mal einen Rahmenmietvertrag abzusegnen und den schwierigen Punkt des Vorkaufs- und/oder Ankaufsrechts später noch einmal zu verhandeln und zu beschließen, wurde von Schaal wegen der Zeitnot zurückgewiesen.

Am Ende wurde die Beschlussvorlage vom Gemeinderat gründlich umformuliert, was einer ungewöhnlich unverhohlenen Kritik an der Vorlage der Verwaltung gleichkommt. Oberbürgermeister Uli Burchardt nannte das zwar einen angesichts der Größenordnung dieses Geschäfts normalen Vorgang, aber es ist in den letzten Jahren kaum einmal vorgekommen, dass eine Verwaltungsvorlage vom Rat derart zerpflückt wurde. Am Ende wurde die überarbeitete Vorlage dann mit 20 Ja- bei 15 Neinstimmen angenommen.

Zensur oder Irrtum

Holger Reile (siehe Foto), der im Gemeinderat mit seinem schmucken neuen „Vonovia – Nein danke“-T-Shirt so manche Blicke auf sich zog, wollte von der Verwaltung wissen, weshalb in dem im Internet veröffentlichten Podcast der Gemeinderatssitzung am 10.07. der Name des Unternehmens „Vonovia“ aus seinen Redebeiträgen herausgepiepst wurde.

Der Oberbürgermeister wies Reile darauf hin, dass seine Anfrage früher hätte eingereicht werden müssen, weshalb er sie nicht jetzt mündlich, sondern in den nächsten Tagen schriftlich beantworten werde. Außerdem habe er den Podcast mit Reiles Beitrag gar nicht gesehen und wisse daher nicht, worum es überhaupt gehe.

Normen Küttner (FGL), der ebenfalls gepiepst worden war, berichtete, die Verwaltung habe ihm auf seine Anfrage hin mitgeteilt, das sei ein technischer Fehler gewesen. Die Zensur einer öffentlich gehaltenen Rede eines Volksvertreters zum Schutz des übel beleumundeten Konzerns Vonovia war nur ein läppischer technischer Fehler? Wer bitte soll das glauben?

Inzwischen tat die Verwaltung kund und zu wissen, man habe aus Angst vor einer Klage von Vonovia jene Firma, die den Podcast produziert, damit beauftragt, das Wort Vonovia mit einem Piepston unhörbar zu machen. Korrigieren könne man das leider nicht mehr, weil der fragliche Podcast inzwischen nicht mehr im Netz stehe. Aber immerhin gibt sich die Verwaltung einsichtig: Das sei ein Fehler gewesen. Und großzügig gibt sie sich auch, denn immerhin soll der kurze Wortwechsel über das Herauspiepsen des Namens „Vonovia“, der im Gemeinderat am Donnerstag stattfand, im nächsten Podcast zu sehen sein.

Das kann es aber noch nicht gewesen sein. Es stellt sich die Frage, ob die Verwaltung Redebeiträge von GemeinderätInnen nach Herzenslust zensieren darf, wenn sie ihr oder irgendwelchen Unternehmen nicht passen. Es bleibt zu hoffen, dass der Gemeinderat solche Zensurmaßnahmen nicht klaglos hinnimmt, denn sonst könnten Verwaltung und Unternehmertum schon bald damit beginnen, sich aus den Aufnahmen der Sitzungen am Computer ihre Lieblingsberichterstattung zusammenzuschnippeln.

O. Pugliese (Foto: O. Pugliese)

Betteln ist kein Verbrechen – LLK will Auskunft zu Kampagne der Stadt

Seit einigen Wochen stößt man an vielen Stellen der Innenstadt auf Plakate gegen “aggressives Betteln”. Sie sind Teil einer Kampagne der Konstanzer Stadtverwaltung, mit der Menschen aus dem Stadtbild verbannt werden sollen, die ihr Leben durch Betteln fristen müssen. Mit Flyern und Plakaten, heißt es dazu aus dem Rathaus, erkläre man, “welche Formen des Bettelns erlaubt und welche verboten sind”. Zudem gingen die Stadtbehörden in Zusammenarbeit mit der Polizei durch verstärkte Kontrollen “gegen das aufdringliche und bandenmäßig organisierte Betteln” vor. Städtische und polizeiliche Ordnungskräfte hätten darüberhinaus mit der Räumung von Lagern begonnen, in denen die ins Visier genommenen Menschen Unterkunft finden.

Als “aggressiv” gilt der Verwaltung dabei schon, wer eine Person anspricht oder auf sie zugeht. Schon im Mai hatte Oberbürgermeister Uli Burchardt die Öffentlichkeit auf die Kampagne eingestimmt. So verstieg er sich etwa zu der Aussage, wer Bettler*innen Geld spende, verschärfe das Problem noch. Ziel sei es, konkrete Hilfestellungen zu erarbeiten, “wie sie (die Bürger) persönlich mit dem Thema betteln umgehen beziehungsweise wie sie sich verhalten können”. Ärgert sich das Stadtoberhaupt, dem vermutlich die Geschäftswelt in den Ohren liegt, etwa, dass die meisten Leute sich an den bettelnden Menschen kaum stören oder sogar Geld geben.

Ein zynisches Handeln, das Abscheu erregen muss. Nicht gesellschaftliche Zustände, die Menschen zum Betteln zwingen, skandalisieren die wohlbestallten Stadtfunktionäre, sondern deren schwächsten Opfer. Die Menschen, die der entfesselte Kapitalismus mittlerweile auch in seinen europäischen Stammländern in wachsender Zahl ins soziale Aus befördert, gelten ihnen offenbar nur als hässliche Flecken auf dem herbeihalluzinierten Hochglanzbild vom (Einkaufs-)Paradies Konstanz. Nach bekanntem Muster bekämpft man deshalb die Armen und nicht, wie es die eigentliche Aufgabe verantwortungsbewußter Stadtpolitik sein müsste, den gesellschaftlichen Skandal der Armut.

Um dieser schlechten Sache Nachdruck zu verleihen, greifen die Verantwortlichen auf unbewiesene Behauptungen zurück, wonach etwa oft organisierte Bettelbanden zu Werke gingen, denen anschließend “Hintermänner” das Geld abnähmen (nebenbei: im Wirtschaftsleben nennt man sowas Firma). Beweise für diese seit Jahren landauf, landab kolportierten Vorwürfe kann die Verwaltung allerdings nicht vorlegen.

Das abstoßende Vorgehen der Stadtverwaltung war für die Linke-Liste-Stadträtin Anke Schwede Anlass, der Verwaltung schriftlich kritische Fragen zu dieser Kampagne zu stellen. Der Wortlaut:

“Wir bitten im Zusammenhang mit der Plakatkampagne der Stadt Konstanz gegen sogenanntes aggressives Betteln um die Beantwortung folgender Fragen:

Erstens: Welche Definition aggressiven Bettelns legt die Stadt bei ihrem Vorgehen gegen bettelnde Menschen zugrunde? Die in der Stadt dargestellten Plakate zeigen, dass schon das körpernahe Ansprechen vorbeilaufender PassantInnen durch einen auf dem Boden sitzenden Bettler verboten ist. Ebenfalls aggressiv ist demnach aus Sicht der Stadt Betteln, wenn eine Bettlerin ein Kind auf dem Schoß hält. Ohne eine nachvollziehbare Definition von verbotenem Betteln legen die Plakate aber eine Pauschalverurteilung sämtlicher BettlerInnen nahe. Denn nicht die BettlerInnen selbst sind in Konstanz das Problem, sondern die Umstände, durch die Menschen zu mitunter zweifelhaften Methoden gezwungen werden, ihr Überleben zu sichern.

Zweitens: Wie viele BettlerInnen wurden von Polizei und Ordnungsdienst kontrolliert und geahndet? Welche Strafen wurden ausgesprochen?

Drittens: Welche handfesten polizeilichen Beweise liegen vor, dass in Konstanz Betteln bandenmäßig organisiert ist?

Viertens: Wie viele Schlaflager von bettelnden Menschen wurden aufgelöst und wie will die Stadt sicherstellen, dass nicht auch „stille“ BettlerInnen von dieser Maßnahme betroffen sind?”

Antwort auf diese Fragen hat der Oberbürgermeister für die nächste Gemeinderatssitzung am 19. Juli in Aussicht gestellt. Es wäre wünschenswert, wenn die Rät*innen dabei nicht unter sich blieben. Gegen die städtische Anti-Bettler*innen-Kampagne macht inzwischen erfreulicherweise auch eine Gruppe von Aktivist*innen mobil, die breite Unterstützung verdient hat. Den Rechtsruck der Gesellschaft erleben wir auf vielen Politikfeldern. Die zynische Verwaltungs-Kampagne ist eines davon.

jüg

LLK im Gemeinderat: Nein zum “Konstanz-Panorama”

Eine Investorengruppe um die Bierbrauer-Familie Ruppaner will Konstanz eine weitere touristische Attraktion bescheren. Neben der Schänzlebrücke soll bald das sogenannte Konstanz-Panorama die Kassen der Betreiber klingeln lassen. Die Pläne sehen einen massiven, fast 40 Meter hohen Rundbau vor, in dessen Innern ein Monumentalbild des Leipziger Malers Yadegar Asisi den Besucher*innen einen Eindruck vom mittelalterlichen Leben in Konstanz zu Konzilszeiten vermitteln soll.

Stadtverwaltung und bürgerliche Fraktionen begrüßen das Projekt und ebneten bei der Gemeinderatssitzung am 10. Juli den Investoren den Weg. Wieder mal wittert das bürgerliche Lager eine “Chance”, um den “Standort” aufzupolieren. Aus dem Schaden, den die Stadt in der jüngsten Vergangenheit durch solche vermeintlichen Standort-Knüller erlitten hat – nur ein Stichwort: Bodenseeforum -, scheint man nicht klug werden zu wollen. Mit den Stimmen von CDU, FWG, FDP und JFK beschloss der Rat, das dafür vorgesehene Grundstück an der Schänzlebrücke vom Bund zu kaufen.

Die Linke Liste lehnt das Projekt ab, weil es erneut einen falschen Akzent in der Stadtentwicklung setzen würde. Konstanz braucht nicht noch mehr Tourismusattraktionen, sondern dringend Wohnungen, die sich die Bürger*innen leisten können. Die einseitige Zurichtung der Stadt auf die Geschäftsinteressen der Branchen, die mit dem Fremdenverkehr Geschäfte machen, kollidiert zudem nicht nur immer öfter mit den Bedürfnissen der Bürger*innen, sondern macht auch die Stadt vom Erfolg eines einzigen Wirtschaftszweigs abhängig. Der Redebeitrag von Linke-Liste-Stadtrat Holger Reile im Wortlaut.

Kolleginnen und Kollegen, wenn man hier einigen so zuhört, dann könnte man den Eindruck gewinnen, Konstanz stünde vor einer gewaltigen kulturellen und wirtschaftlichen Bereicherung, die den Ruhm der Stadt in die weite Welt tragen werde. Dem aber ist meiner Meinung nach nicht so und wir werden auch nicht zustimmen.

Seit einiger Zeit rührt auch die hiesige Tageszeitung gewaltig die Trommel für das Projekt und gebärdet sich als ehrenamtlicher Projektförderer. Allein schon dieser Kampagnenjournalismus müsste uns äußerst vorsichtig stimmen und noch mehr, wenn man bedenkt, welche Projekte in der Vergangenheit vom örtlichen Meinungsmacher als angebliche Chancen für die Stadt bezeichnet wurden. Da sei nur an das als „Jahrhundertchance“ titulierte „Konzert- und Kongresshaus“ auf Klein Venedig erinnert – das durch die Vernunft der BürgerInnen gerade noch verhindert werden konnte – oder auch an das Bodenseeforum, dessen dickes Ende bald um die Ecke kommen wird. Für beide Projekte stand die angeblich so kritische Heimatzeitung lange Zeit Pate.

Nun also ein Panoramaturm, der – so stand kürzlich zu lesen – sogar zum Wahrzeichen der Stadt werden könnte. Da stimmen wir doch eher der Aussage von Museumsleiter Tobias Engelsing zu, der schon im Vorfeld befürchtete, hier bahne sich erneut ein Projekt an, an dessen Sinn man durchaus zweifeln dürfe. Wir zweifeln mit, denn das Vorhaben ist einzig und allein darauf bedacht, noch mehr Touristen in die Stadt zu locken und mit ihnen in Zukunft fette Kasse zu machen. Und erneut stellt sich die Frage: Was verträgt unsere Stadt noch und was ist im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger? Noch mehr Tourismus, noch mehr Hotels? Konstanz als Spielwiese für Spekulanten und Profitmaximierung, während gleichzeitig hunderte befürchten müssen, dass ihnen – der laut Oberbürgermeister Burchardt „unanständige“ Immobilienhai Vonovia – das Leben vermiest und sie in ihrer Existenz bedroht. Ist das die Richtung, die Konstanz einschlagen soll?

Unserer Meinung nach wären die Investoren des geplanten Panoramaturms gut beraten, ihre Millionen in ein Projekt zu investieren, zu dem sie aufgrund der Eigentumsverhältnisse direkten Zugriff haben. Ich meine das Areal der alten Ruppanerbrauerei in der Hussenstraße, also direkt im Herzen der Stadt. Seit Jahren schon kümmert dieser Schandfleck vor sich hin. Wie wäre es denn, frage ich die Familien Scheidtweiler und Ruppaner hier vor laufender Kamera, wenn sie an dieser Stelle ihr Füllhorn ausschütten und dort in Angriff nehmen, was unsere Stadtgesellschaft mit am allernötigsten braucht: Nämlich den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Damit könnten Sie ein Zeichen setzen. Ich bin gespannt auf ihre Antwort.

 

Dampf machen für eine soziale Wohnungspolitik

LLK und Linke unterstützen Mieter*innen in der Schwaketenstraße, die sich gegen Vonovia wehren.

Der Gemeinderat hat Stellung bezogen gegen die mit Modernisierungen begründeten Mieterhöhungen von Vonovia in der Schwaketenstraße, der OB richtete gar einen Videoappell an das Unternehmen. Ein gute Entwicklung, denn noch im Mai lehnten es Rat und OB ab, Ross und Reiter zu nennen. Zu verdanken ist das vor allem dem durch den Protest der Betroffenen aufgebauten Druck.

Für uns war von Beginn an klar: Es ist nicht hinnehmbar, dass der Immobiliengigant Baumaßnahmen nutzen will, um die BewohnerInnen noch unverschämter abzukassieren. Nicht vergessen werden darf aber: Die Abzock-Masche ist dank vermieterfreundlicher Gesetze ganz legal und nur möglich, weil Bund und Land seit Langem öffentliches Eigentum an Investoren verscherbeln. Auch die Häuser in der Schwaketenstraße, einst sozialer Wohnraum in öffentlicher Hand, gelangten so in den Besitz des Miethais.

Konstanz macht dieses Spiel mit und rollt häufig genug selbst den Roten Teppich für Vonovia & Co aus, während Forderungen nach mehr sozialem Wohnungsbau oft unbeachtet verhallen. Schluss damit: MieterInnen sollten gemeinsam der Stadt und den Parteien Dampf machen für eine soziale Wohnungspolitik in Kommune, Land, Bund. Miethaie gehören enteignet – Wohnen ist keine Ware, sondern Menschenrecht.

J. Geiger (zuerst erschienen im Amtsblatt 14/2018)

Rechte Hetze für „ethnokulturelle“ Volksgemeinschaft – Stadt soll Stellung nehmen

Gerangel und Tumult auf der Konstanzer Marktstätte, “Nazis-raus”-Sprechchöre schrecken Café-BesucherInnen und Pas­santInnen auf. Einige AntifaschistInnen empörten sich am vergangenen Samstag lautstark über Angehörige der sogenannten Identitären Bewegung (IB), die rund um den Kaiserbrunnen Propagandamaterial ver­teil­ten. Nicht zum ersten Mal warben die Rechts­extremen in der Universitätsstadt für ihre völkisch-nationalistischen Ziele, diesmal hatten sie dazu sogar den Segen der Stadt­ver­waltung, wie von IB-Akteuren mehrfach betont und auf Anfrage auch von der Polizei bestätigt wurde. Weiterlesen

Solidarisch mit Herz, Kopf und Füßen

Packende Zweikämpfe, traumhafte Pässe, atemberaubende Torschüsse – all das könnte protokolliert werden in einem Bericht über das Jedermensch-Fußballturnier am vergangenen Samstag auf den Plätzen der Schänzlesporthalle zu Konstanz. War aber nicht die Hauptsache, denn gekickt wurde vor allem gegen Rassismus und Sexismus, und dabei stand es am Ende 24:0 für Humanität und Solidarität.

24 Teams samt Anhang waren es nämlich, die dem Ruf der OrganisatorInnen vom Café Mondial gefolgt waren, mit ihrer Teilnahme ein Zeichen gegen Rassismus und Sexismus zu setzen. Eine stattliche Zahl buchstäblich bunt gemischter Kickerkollektive, die Mut macht. Umso mehr als das Sportfest unter dem Eindruck eines EU-Treffens stand, den die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zutreffend als “Gipfel der Unmenschlichkeit” bezeichnet hat.

Bei strahlendem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen jagten sie am Samstag dem runden Leder nach – muslimische Frauen, gestandene Alteingesessene, Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien, MigrantInnen aus Kurdistan und der Türkei, AntifaschistInnen aus Deutschland, sogar einige AnarchistInnen aus Griechenland wurden gesichtet – kurzum Menschen aus aller Frauen Länder, im sportlichen Wettstreit vereint.

Eingestimmt auf das bunte Spektakel hatte zu Beginn der Veranstaltung für die OrganisatorInnen Anna Blank. Die Referentin für Diversity an der Konstanzer Uni bezeichnete Rassismus und Sexismus als Phänomene, die “nur in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Privilegien und ungerechten Machtverteilungen” funktionieren. Systeme, die geändert werden können, wenn Menschen “Kollektive bilden, die eine subversive Kultur leben, Gegenkulturen stark machen und etablieren”. Blank verwies auf die “wunderbare Selbsterklärung” der Stadt Konstanz gegen Rassismus, die aber nur mit Veranstaltungen wie dieser und an Orten wie dem Café Mondial mit Inhalten gefüllt werde. An Sozialbürgermeister Alexander Osner, der zuvor das Grußwort der Stadt gesprochen hatte, appellierte sie: “erhalten Sie, pflegen Sie und ermöglichen Sie politisch diese Räume”. Und noch ein zweites Anliegen gab sie dem Bürgermeister mit auf den Weg: Die Einrichtung einer unabhängigen Antidiskriminierungsstelle bei der Stadt.

Natürlich dürfte allen Beteiligten, als sie am Ende des kräftezehrenden aber hoch gelungenen Turniers vom Platz wankten, klar gewesen sein, dass es deshalb nicht weniger „deutsch in Kaltland“ (Anna Blank) geworden ist. Mut schöpfen für die kommenden Herausforderungen im Kampf um gesellschaftliche Emanzipation konnte mensch am Samstag auf dem grünen Rasen aber allemal.

War noch was? Na gut, hier also die sportlichen Ergebnisse: Platz eins belegt Team Agrana, Zweiter wird Lokomotiv Toleranz, den dritten Rang teilen sich Afghan Konstanz und Kabul United.

jüg (Fotos: jüg/hpk)

 

Herrn Burchardts Zensur-Versuch

Bei der Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstag wurde heftig über den Immobilienriesen Vonovia debattiert, der auch MieterInnen in Konstanz das Fürchten lehrt (siehe hier). Ganz am Ende der Sitzung dann ein Eklat: CDU-Oberbürgermeister Uli Burchardt fragte den Rat, ob es nicht besser sei, die kritischsten Passagen Richtung Vonovia im Podcast zu löschen. Da brach ein Sturm der Entrüstung los. Anlass des oberbürgermeisterlichen Zensur-Angebots war vor allem der Redebeitrag von LLK-Rat Holger Reile. Hier sein Text im Wortlaut.

Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, noch frisch in Erinnerung ist uns, als hier Mieterinnen und Mieter um Hilfe gebeten haben, weil sie befürchten, durch die Übernahme ihrer Wohnungen von Vonovia würden ihre Mieten steigen, und zwar zum Teil um bis zu 50 Prozent. Ihre Ängste sind berechtigt, denn mietrechtlich einseitige Regelungen ermöglichen es auch dem Vonovia-Konzern, die angekündigten teuren Modernisierungsmaßnahmen zum großen Teil auf die Mieterinnen und Mieter abzuwälzen – eine Art Raubzug, den vor allem Vonovia bundesweit in Gang gesetzt hat.

Die derzeitigen Möglichkeiten einer Kommune, dem entgegen zu wirken, sind begrenzt, denn die Hauptverantwortung für diese Entwicklung tragen der Bund und die Länder. Mit dem Ausstieg aus dem öffentlich betriebenen Sozialwohnungsbau, Gesetzesänderungen zu Lasten von Mieterinnen und Mietern, dem großflächigen Verkauf von öffentlichem Grund an Privatinvestoren – auch in Konstanz lange so und zum Teil immer noch praktiziert – und der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit seit den 90er Jahren wurden die Voraussetzungen für diese Fehlentwicklungen geschaffen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an Artikel 14 im Grundgesetz erinnern. Ausdrücklich fordert dieser, dass der Gebrauch des Eigentums auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen solle. Das gelte in besonders starkem Maß für Grund und Boden sowie für Wohnraum. Wir brauchen deshalb unverzüglich gesetzliche Vorgaben, die Wohnungsunternehmen zu sozialer Bewirtschaftung, Instandhaltung und Mietermitbestimmung verpflichten.

Fakt ist, nun auch bei uns: Langjährige Mieter fürchten um ihre Zukunft und einige müssen damit rechnen, sich die bald steigenden Mieten wegen angeblicher Sanierungsmaßnahmen nicht mehr leisten zu können. In einer Presseerklärung ließ der Oberbürgermeister verlauten, er habe mit den Vonovia-Verantwortlichen darüber geredet und man hätte ihm versichert, dass Vonovia für derlei Probleme Lösungen finden würde. Doch genau das behauptet Vonovia überall da, wo sie sich Wohnungen zum Leidwesen ihrer Opfer unter den Nagel gerissen haben – Beschwichtigungsversuche, für die Deutschlands mittlerweile größtes Wohnungsunternehmen sattsam bekannt ist.

Nun liegt uns also ein Resolutionsentwurf der Verwaltung vor, der den Mietern den Rücken stärken soll, uns aber nicht überzeugt, da er die Vonovia als Verursacherin der existentiellen Bedrohung für die Betroffenen nicht benennt. Damit ist denen allerdings nicht gedient, denn überall dort, wo der Konzern wütet, wird er auch benannt.

Sie ließen – Herr Oberbürgermeister – im Vorfeld sinngemäß verlauten, eine Nennung von Vonovia würde zu unnötiger Schärfe beitragen. Wir denken, dass Klartext in Richtung dieses Konzerns durchaus angebracht ist.

Einige der Forderungen in der Resolution sind dúrchaus richtig, aber in der Vorlage sind auch Formulierungen zu finden, die wir so nicht mittragen können. Nur zwei Beispiele: „Steigende Mieten“, so der Eingangssatz, „könnten in unserer Stadt zunehmend zum Armutsrisiko werden“. Mit Verlaub, sie könnten nicht nur, denn teilweise sind sie das längst. Oder die Behauptung, von unserer Seite würden in Sachen Wohnungsversorgung die, Zitat: „Handlungsmöglichkeiten einer Kommune voll ausgeschöpft“. Dem ist leider nicht so, und das wissen Sie auch. Oder, drittes Beispiel: In der Vorlage steht zu lesen, Zitat: „Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt droht zudem Konstanzer Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt zu verdrängen“. Zitat Ende. Auch das eine Verharmlosung, denn der Vertreibungsprozess ist längst im Gange.

Ich komme zum Schluß: Mit der Verabschiedung einer wie auch immer gearteten Resolution ist es für uns von der Linken Liste nicht getan. Vielmehr geht es darum, die betroffenen Mieter auch weiterhin tatkräftig und solidarisch zu unterstützen – und zwar nicht nur mit einem Papier, das in der Vonovia-Zentrale postwendend in irgendeiner Schublade verschwinden wird. Ich denke, es ist an der Zeit, diesen und auch anderen Betongoldhändlern zu verdeutlichen: Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware, mit der nach Belieben spekuliert oder gehandelt werden darf.

red (Foto: H. Reile)

Wohnen: So darf es nicht weitergehen

Die Vonovia SE ist nicht nur die größte private Vermieterin in Deutschland, sondern hat auch allerbeste Chancen, bei der Umfrage nach dem seinen Kunden verhasstesten deutschen Unternehmen einen unrühmlichen Spitzenplatz zu erzielen. Auch in Konstanz treibt der Konzern aus Bochum MieterInnen auf die Barrikaden. Der Gemeinderat beschloss gestern angesichts der Vorgänge in der Schwaketenstraße eine Resolution an Bund und Land zur Wohnungspolitik plus einige Zeilen an die Adresse der Vonovia.

Auch in der gestrigen Gemeinderatssitzung traten in der Bürgerfragestunde wieder betroffene Mieterinnen ans Mikrofon. So wollte eine Vertreterin der Mieterinitiative Schwaketen von Oberbürgermeister Uli Burchardt wissen, welche Zusicherungen der denn in seinem Telefonat mit Klaus Freiberg, einem Mitglied des Vorstandes von Vonovia, erreicht habe und ob es die auch schriftlich gebe.

Sie verwies noch einmal darauf, dass in den betroffenen Wohnungen in der Schwaketenstraße überflüssige Sanierungen vorgenommen werden sollen, deren Kosten dann auf die Mieter abgewälzt würden. Die Zusage von Einzelfallregelungen in sozialen Härtefällen sei sinnlos, denn hier brauche man keine Einzelfallregelung, sondern eine Gesamtlösung für alle. Die Vonovia wolle dort 15 Jahre junge Fenster durch neue ersetzen und eine stärkere Isolierung anbringen, weil solche Kosten auf die Mieter umgelegt werden können. Die marode und gesundheitsgefährdende Wasserversorgung hingegen werde nicht repariert. Sie lud den Oberbürgermeister ein, die Schwaketenstraße zu besuchen und sich vor Ort ein Bild von den Zuständen dort zu machen.

Vonovia liefert „Factsheet“

Der Oberbürgermeister nahm ihre Einladung an und berichtete, außer besagtem Telefonat mit dem Vorstand habe es auch ein Treffen mit zwei Regionalverantwortlichen der Vonovia im Rathaus gegeben, und das sei ein „sehr kritisches“ Gespräch gewesen. Die Vonovia habe vor wenigen Stunden wie vereinbart ein Informationsblatt geliefert, das die Verwaltung jetzt in Zusammenarbeit mit ExpertInnen in Ruhe auswerten und dann veröffentlichen wolle. Ansonsten stehe man mit der Vonovia im Dialog, und der sei noch nicht abgeschlossen – weiteres dann in einer der Gemeinderatssitzungen im Juli. Der Oberbürgermeister wies auch mehrfach darauf hin, dass die Stadt Konstanz auf die Wohnungspolitik keinen Einfluss habe, denn Wohnungspolitik sei Bundes- und Ländersache. Mangels eigener Befugnisse könne die Stadt also nur das Gespräch suchen, mehr gehe nicht.

Als dann der Tagesordnungspunkt 5 aufgerufen wurde, eine „Erklärung des Gemeinderates der Stadt Konstanz an den Bund und das Land Baden-Württemberg zur schnelleren Entlastung des Wohnungsmarktes“, hatten sich die Publikumsstühle leider schon weitgehend geleert. Es wäre interessant gewesen, die Reaktionen der betroffenen MieterInnen auf die Debatte mitzuerleben.

Ein „Raubzug“

Der Resolutionsentwurf der Verwaltung erwähnte die Vonovia mit keinem Wort und begann so: „Steigende Mieten könnten in unserer Stadt zunehmend zum Armutsrisiko werden.“ Für den ersten Redner, Holger Reile (LLK), war das ein gefundenes Fressen, er sprach von „einer Art Raubzug, den vor allem Vonovia bundesweit in Gang gesetzt hat“ und gegen den man auch durch die Nennung des Firmennamens Klartext reden müsse, was der Oberbürgermeister als unnötige Schärfe abgelehnt habe. Auch, dass steigende Mieten zunehmend zum Armutsrisiko werden „könnten“, wie die Verwaltung schrieb, schien Reile lächerlich formuliert: Die Mieten seien bereits seit Längerem ein reales Armutsrisiko, und BürgerInnen würden durch die hohen Mieten schon jetzt aus Konstanz vertrieben. Ihm war die Vorlage der Stadt insgesamt nicht scharf genug, sondern eine Verharmlosung der für viele MieterInnen existenziell bedrohlichen Lage. „Mit der Verabschiedung einer wie auch immer gearteten Resolution ist es für uns von der Linken Liste nicht getan. Vielmehr geht es darum, die betroffenen Mieter auch weiterhin tatkräftig und solidarisch zu unterstützen. Es ist an der Zeit, diesen und auch anderen Betongoldhändlern zu verdeutlichen: Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware, mit der nach Belieben spekuliert und gehandelt werden darf.“

Roger Tscheulin (CDU) fand die namentliche Erwähnung der Vonovia in der Erklärung durchaus möglich, verwies aber darauf, dass es nicht nur die Vonovia sei, sondern etliche Firmen, die vor allem in Ballungsräumen die Mieten in die Höhe treiben. Das sei eine Folge der verfehlten Wohnungspolitik der Vergangenheit, die ausschließlich auf die Innenverdichtung statt zusätzlich auch auf Außenentwicklung gesetzt habe (ein Seitenhieb in Richtung Grüne).

Er forderte neben einer Regulierung des Mietrechts auch eine verstärkte Neubauförderung, das Bereitstellen von Grundstücken sowie schnellere Genehmigungsverfahren. Aber all’ das sei Sache der Bundespolitik – dass die seit Langem von seiner Partei dominiert wird, die die derzeitige miese Lage der MieterInnen damit maßgeblich zu verantworten hat, erwähnte er nicht eigens. Er nannte eine Renovierung, die zu 199 Euro mehr Miete führe, dem Mieter aber nur eine Einsparung von 11 Cent pro Quadratmeter und Monat bringe, mit allem Recht „nicht nachhaltig“. Er hätte auch von„Beutelschneiderei“ sprechen können.

Ein Versagen (fast) aller Parteien

Ganz in seinem Element war bei diesem Thema natürlich Herbert Weber (SPD), der Vorsitzende des Mieterbundes, der schon früh dafür eingetreten ist, auch die Außenentwicklung voranzutreiben und Areale wie den Hafner zu bebauen. Er forderte an Reiles Adresse, der Konstanzer Gemeinderat solle sich einstimmig hinter die Resolution an Bund und Land stellen. Er sah die Schuld daran, dass Konzerne wie Vonovia so viele Wohnungen kaufen konnten, auf allen Seiten, bei Schwarzen und Grünen ebenso wie ausdrücklich auch bei seiner SPD, denn die öffentliche Hand habe über Jahre hinweg ihre Wohnungen an die Konzerne regelrecht verschleudert. Er berichtete, dass der Mieterbund einen Architekten beauftragt habe, die Baumaßnahmen der Vonovia zu kontrollieren, aber das sei schwierig. Der Bochumer Immobilienriese arbeite nämlich kaum mit örtlichen Handwerkern zusammen, sondern setze auf Unternehmen von außerhalb, die letztlich zu seinem eigenen Einflussbereich gehörten.

Für die Freien Wähler erklärte Jürgen Faden, dass die ausufernden Bauvorschriften in Deutschland bei Neubauten 30 bis 40 Prozent der Kosten ausmachten. Er forderte, in Zukunft höher zu bauen und die Bauverfahren zu beschleunigen. So beschäftige man sich bereits seit vier Jahren mit dem Marienweg in Litzelstetten. Er nannte auch das nach seiner Meinung beste Mittel gegen Altersarmut: Sich beizeiten eine Immobilie zu kaufen. Da hätte er auch genau so gut den Armen empfehlen können, einfach reich zu werden.

Zwei Texte beschlossen

Der Oberbürgermeister betonte noch einmal, dass die vorgelegte Resolution sich nicht an die Vonovia, sondern an Bund und Land richte, und schlug vor, zwei Texte zu beschließen. Der erste ist eine Resolution an Bund und Land, in der die Stadt Konstanz u.a. folgendes fordert:

– Der soziale Wohnungsbau muss besser gefördert werden.
– Bund und Land sollen Grundstücke aus ihrem Besitz gezielt an kommunale Träger [wie die Konstanzer Wobak] zu ermäßigten Konditionen veräußern.
– Bundes-und Landesregierung sollen Planungsprozesse beschleunigen.
– Der Deutsche Bundestag soll so schnell wie möglich mit Hilfe geeigneter gesetzlicher Regelungen die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt begrenzen, wofür die Stadt etliche Einzelvorschläge unterbreitet.
– Der Bau von Betriebswohnungen soll gefördert werden.

Zusätzlich, und das war der intensiven Debatte und wohl auch dem entschlossenen Auftreten der Mieterinnen geschuldet, hat der Gemeinderat einen zweiten Text beschlossen, der sich gegen Vonovia richtet, und der lautet meiner Erinnerung nach sinngemäß so geht (er wurde erst während der Sitzung formuliert und liegt daher noch nicht schriftlich vor): „Die Wohnungswirtschaft hat eine soziale und ökologische Verantwortung. Der Gemeinderat der Stadt Konstanz hält den Austausch von Fenstern und andere geplante Maßnahmen in der Schwaketenstraße für verfrüht und unwirtschaftlich und fordert die Vonovia SE daher auf, darauf zu verzichten und sich auf Maßnahmen zu beschränken, deren Nachhaltigkeit nachweisbar ist.“

Es steht allerdings zu befürchten, dass man sich bei der gigantischen Vonovia (3,6 Milliarden Euro Umsatz, 8500 MitarbeiterInnen) diese Erklärung nicht mal hinter den Spiegel steckt, weil da schon längst kein Platz mehr für weitere Resolutionen ist. Aber es ist erfreulich, dass alle Gemeinderätinnen und -räte aus allen Lagern mittlerweile erkannt haben, dass es so nicht weitergehen darf.

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz.de)

Falsches Signal

2017 kam in Lodi, Partnerstadt von Konstanz seit über 30 Jahren, eine neue Bürgermeisterin ins Amt: Sara Casanova von der rechtsextremen Lega. Wir meinen – wie bereits in einer Stellungnahme der LLK zu ihrem Amtsantritt formuliert -, dass beim ersten offiziellen Besuch der Lega-Politikerin kritische Worte des Oberbürgermeisters angebracht gewesen wären. Angesichts des wachsenden Einflusses von fremdenfeindlichen und islamophoben Parteien können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und die Lega wie eine „normale“ demokratische Partei behandeln.

In ganz Europa sind politische Kräfte auf dem Vormarsch, die auf soziale Probleme, die konzern- und bankenhörige Regierungen in globalem Maßstab zu verantworten haben, mit der Mobilisierung von menschenfeindlichen Ressentiments reagieren. Statt die eigentlich Verantwortlichen für diese Ungerechtigkeiten zu benennen, von denen zunehmend auch die reichen kapitalistischen Kernländer betroffen sind, suchen die Höckes, Le Pens, Orbans & Co nach Sündenböcken. In Italien besorgt dieses Geschäft die Lega – leider so erfolgreich, dass sie nun in der Regierung sitzt. Kaum an den Schalthebeln der Macht, lässt sie ihrer Hetze rassistische Taten folgen und verwehrt beispielsweise einem Schiff mit rund 600 erschöpften MigrantInnen an Bord die Einfahrt in einen italienischen Hafen; Innenminister und Lega-Chef Salvini will sogar alle privaten Seenotretter vertreiben. Ein Akt beispielloser Unmenschlichkeit angesichts tausender ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer.

Für diese Politik steht auch Casanova – sie ehrenvoll zu empfangen, ist das falsche Signal. In der Konstanzer Erklärung „FÜR eine Kultur der Anerkennung und GEGEN Rassismus“ haben sich Oberbürgermeister und Gemeinderat verpflichtet, „Nein zu sagen, wenn Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit Migrationsgeschichte angefeindet werden“. Am 11. Juni wurde diese Chance verpasst.

Beide Stadtoberen könnten sich ein Beispiel am Handeln eines ihrer Amtskollegen nehmen. Leoluca Orlando, der Bürgermeister der sizilianischen Hafenstadt Palermo, wandte sich am 10. Juni gegen die Absicht der italienischen Rechtsregierung, die Häfen für alle Schiffe zu sperren, die Geflüchtete im Mittelmeer aufnehmen. Er kündigte an, dass Palermo alle diese Rettungsschiffe aufnehmen wird. Orlando initiierte auch eine „Charta von Palermo“, in der es heißt: „Von der Migration als Problem zur Freizügigkeit als unveräußerlichem Menschenrecht“. Bravo, das ist ein Politiker, dessen Eintrag das Goldene Buch der Stadt schmücken würde.

Anke Schwede (Foto: Stadt Konstanz)

Veranstaltung mit Gökay Akbulut: „Es kommt auf jede Stimme an“

Am 24. Juni wird in der Türkei gewählt. Es geht um das Amt des Staatspräsidenten, zudem entscheiden die Wähler*innen über die Zusammensetzung des Parlaments. Im Wahlkampf hat der autoritär regierende Amtsinhaber Erdogan die Zügel der Repres­sion noch einmal angezogen und drangsaliert die Opposition. Der lange Arm des Autokraten reicht dabei bis nach Deutschland. Die Lage in der Türkei vor den Wahlen ist am 21.6. auch Thema einer Veranstaltung im Treffpunkt Petershausen in Konstanz mit der linken Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut.

Nicht nur 59 Millionen Wahlberechtigte in der Türkei können am 24. Juni ihre Stimmen abgeben, auch rund drei Millionen im Ausland lebende Menschen mit türkischem Pass sind an die Urnen gerufen, fast die Hälfte davon (1,44 Mio.) lebt in Deutschland. Wer indes dieser Tage Kolleg*innen oder Bekannte mit familiären Wurzeln in der Türkei auf das Thema anspricht, erntet oft reserviertes Schweigen.

Für Gökay Akbulut, die 1990 mit ihren Eltern nach Deutschland kam, ist das keine Überraschung. Auch hierzulande habe sich unter den türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren eine Stimmung der Einschüchterung breitgemacht, sagt die Linke-Abgeordnete mit kurdischen Wurzeln, die sich in ihrer Heimatstadt Mannheim in kurdischen Vereinen engagiert. „Viele trauen sich nicht mehr, ihre politische Haltung offen kundzutun, weil sie fürchten, dass sie dadurch Probleme für ihre Angehörigen in der Türkei verursachen könnten.“ Zudem habe die türkische Regierung, so Akbulut weiter, „ein breites Netzwerk an Spitzeln und Agenten inmitten der Bundesrepublik installiert“, die ungehindert Informationen über Oppositionelle sammelten und an die Regierungsbehörden in Ankara weiterleiten. „Zu glauben, dass diese Praxis sich nicht auf das Wahlverhalten der Stimmberechtigten in Deutschland auswirkt, wäre naiv.“

Quo vadis Türkei?

Welch große Bedeutung den Auslandsstimmen zukommt, hat Amtsinhaber Erdogan Anfang Juni deutlich gemacht, als er die Wahlberechtigten im Ausland aufrief: „Bringt auch in Europa mit Gottes Hilfe die Urnen zum Platzen“. Für Erdogan geht es bei diesen Wahlen um viel. Gewinnt der im Ausnahmezustand autoritär regierende Staatspräsident erneut, kann er die im April letzten Jahres beschlossene Verfassungsreform, die das Land in eine Präsidialdiktatur verwandeln würde, umgehend in Kraft setzen und damit seine Alleinherrschaft endgültig zementieren.

Die Türkei vor den Wahlen: Wer stoppt Erdogans Marsch in die Diktatur?
Veranstaltung mit Gökay Akbulut, MdB DIE LINKE

Veranstalter: Bodensee-Solidaritätsbündnis Afrin/Rojava, seemoz e.V.
Termin, Ort, Zeit: 21. Juni 2018, Konstanz, Treffpunkt Petershausen, 18:30 Uhr

Unmut wächst

Die Vorverlegung des eigentlich erst für November 2019 vorgesehenen Wahltermins um mehr als ein Jahr kann als Indiz für die wachsende Nervosität des Autokraten gewertet werden. Noch vor wenigen Monaten hatte sich Erdogan für unantastbar gehalten und vorgezogene Wahlen kategorisch abgelehnt. Der nach dem vermeintlichen Pusch 2016 von ihm entfesselte nationalistische Hype, dem er seinen Höhenflug verdankte, verfängt indes zunehmend weniger. Die desaströsen Folgen der Politik des Regierungsbündnisses aus der reaktionär-islamistischen AKP und der ultranationalistischen MHP sind inzwischen unübersehbar. Die türkische Wirtschaft lahmt, die Erwerbslosigkeit wächst stetig, die Inflationsrate steigt dramatisch und der staatliche Schuldenberg wird immer größer.

So hat die türkische Lira in rasanter Talfahrt rund 20 Prozent an Wert gegenüber Dollar und Euro verloren. Gleichzeitig steigen die Preise drastisch, um bis zu 18 Prozent sind es für Lebensmittel, was selbst für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen empfindliche Einbußen bedeutet. Wie ernst das Regime selbst die Lage nimmt, zeigt nicht zuletzt Erdogans Aufruf an die Bevölkerung, private Dollar- und Eurobestände in Lira umzutauschen, um die Währung zu stützen.

Der soziale Preis, den die Bevölkerung für Erdogans aberwitzig teure Großmachtpolitik und seine Kriegsabenteuer zahlt, ist inzwischen so hoch, dass sich wachsender Unmut bemerkbar macht. Mit den vorgezogenen Wahlen will der Amtsinhaber den Sack nun zu machen, solange er sich noch fest im Sattel glaubt.

Freie Wahlen? Fehlanzeige

Im Wahlkampf, der unter den Bedingungen des Ausnahmezustands stattfindet, hat der autokratische Machthaber die Repressionsschraube noch einmal kräftig angezogen. Zu den Tausenden, die wegen Regierungskritik schon in den Gefängnissen sitzen, sind in den vergangenen Wochen scharenweise weitere Regierungskritiker*innen gekommen. Mit aller Härte gehen Polizei und Justiz gegen Angehörige oppositioneller Kandidaten und Parteien vor. Vor allem Unterstützer*innen der linken „Demokratischen Partei der Völker“ (HDP) und kurdische Aktivist*innen hat die Staatsmacht im Visier. Fast täglich werden HDP-Wahlkomitees und -Wahlhelfer verhaftet, in vielen kurdischen Städten hat die staatliche Zwangsverwaltung öffentliche Wahlwerbung für die linke Partei untersagt, vor allem in der Westtürkei sind Überfälle auf Infostände und Veranstaltungen der HDP an der Tagesordnung.

Gleichzeitig sorgen die rigide staatliche Zensur, Medienverbote und die juristische Verfolgung von Journalist*innen für eine stromlinienförmige Pro-Erdogan-Propaganda. Schon im Vorfeld hatte die AKP-MHP-Regierungskoalition zudem aus Angst vor einer möglichen Abwahl das Wahlrecht zu ihren Gunsten geändert. So können etwa Stimmen ohne Bestätigungsstempel als gültig gewertet werden, die in der Vergangenheit vor Ort erfolgte Auszählung soll unter zentraler Aufsicht stattfinden – die Türen für Manipulationen stehen damit weit offen.

Schon im Mai hatte das Wüten der Erdogan-Regierung die UN auf den Plan gerufen. Der Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein forderte die Aufhebung des Ausnahmezustands und verurteilte die Einschränkung von Menschenrechten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. „Es sei schwer vorstellbar, wie glaubwürdige Wahlen abgehalten werden könnten, wenn regierungskritische Meinungsäußerungen ‚schwer bestraft‘ würden“, wurde Hussein bei spiegel-online zitiert. „Die Regierung müsse den Bürgern ermöglichen, ‚vollständig und auf Augenhöhe‘ an den Staatsangelegenheiten teilnehmen und sowohl wählen, als auch gewählt werden zu können.“

Die 1982 in der Türkei geborene, 1990 mit den Eltern nach Deutschland migrierte und in Mannheim lebende Gökay Akbulut ist im vergangenen Jahr auf der baden-württembergischen Landesliste der Partei DIE LINKE in den Bundestag gewählt worden. Die Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds seit Jahren mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Türkei. Sie engagiert sich politisch und sozial in kurdischen Vereinen und ist zudem Stadträtin in ihrer Heimatstadt Mannheim. Im Bundestag vertritt die Linke-Politikerin ihre Fraktion als migrationspolitische Sprecherin.

Hoffnungsträgerin HDP

Aktuellen Umfragen zufolge könnte Erdogan im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit verfehlen, seinem Regierungsbündnis aus AKP und MHP droht gar der Verlust der parlamentarischen Mehrheit. In dieser Situation kommt es deshalb nun sowohl bei der Präsdidenten- als auch der Parlamentswahl besonders auf die Stimmen für die HDP und ihren Kandidaten Selahattin Demirtas an, der Wahlkampf vom Gefängnis aus machen muss. Nur wenn die HDP und ihr Kandidat trotz aller Repressionen erneut die undemokratische 10-Prozenthürde überspringen, könnte – aufgrund des Wahlrechts – der Durchmarsch Erdogans und seiner politischen Fußtruppen gestoppt werden. Auch programmatisch ist die linke Partei die einzige Kraft, die nicht nur den Bruch mit dem islamistisch-faschistischen Kurs von AKP und MHP will, sondern auch den nationalistischen Konzepten etwa der kemalistischen CHP eine Absage erteilt.

So hat sich die HDP die sofortige Beendigung des Ausnahmezustands und die Wiederherstellung der demokratischen Gewaltenteilung auf die Fahnen geschrieben, sie will die Zensur aufheben und die politischen Gefangenen befreien. Zudem tritt die Partei für entschiedene Sozial- und Bildungsreformen ein, will die Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung und anderer Minderheiten unterbinden und fordert ein sofortiges Ende der gegen die kurdischen Autonomiegebiete gerichteten Angriffskriege Erdogans in Syrien und dem Irak.

Für Gökay Akbulut, die als Abgeordnete der Linken für den Erfolg der Schwesterpartei HDP wirbt, kommt es deshalb auf jede Stimme an. Sie ruft die Wahlberechtigten in der Bundesrepublik zur Stimmabgabe für die HDP auf. Mit ihrem Sprung über die 10-Prozent-Hürde würde es eng werden für den Autokraten Erdogan und sein Regierungsbündnis. Die AKP, ist Akbulut überzeugt, werde deshalb wohl nichts unversucht lassen, um die HDP unter die Wahlhürde zu drücken. Selbst eine Manipulation der Ergebnisse hält sie nicht für ausgeschlossen. “Auch aus diesem Grund wird es bei diesen Wahlen auf jede abgegebene Stimme ankommen, auch in Deutschland.“

J. Geiger

Fotos: HDP-Kundgebung am 10.6. in Istanbul – anfdeutsch.com; Gökay Akbulut – T. Mardo Mannheim.


Die Türkei vor den Wahlen: Wer stoppt Erdogans Marsch in die Diktatur?
Veranstaltung mit Gökay Akbulut, MdB DIE LINKE
Veranstalter: Bodensee-Solidaritätsbündnis Afrin/Rojava, seemoz e.V.
Termin, Ort, Zeit: 21. Juni 2018, Konstanz, Treffpunkt Petershausen, 18:30 Uhr

Vorfahrt für den roten Arnold!

Auf der letzten Sitzung des Technischen und Umweltausschusses ging es mal wieder um das leidige Thema Verkehr, das nach wie vor für Verdruss in der Stadt sorgt. FGL und JFK hatten beantragt, eine Gratisnutzung der Stadtwerke-Busse an Samstagen zu prüfen. Schon im März forderte die Linke Liste Konstanz als ersten Schritt zum ticketfreien Nahverkehr eine entschiedene Senkung der Buspreise.

Aber was soll ein samstäglicher Gratisbus bringen? Die Stadt ist trotz schwächelndem Frankenkurs weiterhin Ende der Woche Richtung Laube und Döbele überfüllt – das heißt, auch die Busse stünden mit laufenden Motoren im Stau und kämen nicht weiter. Viel mehr Sinn macht doch, Autos weitestmöglich, besser ganz, aus der Stadt zu verbannen. LLK-Stadtrat Holger Reile wollte wissen, welche Kosten auf die Stadt zukämen, wenn der Einzelfahrschein wie im Radolfzeller Stadtbus generell einen Euro kosten würde. Die Antwort steht aus.

Aber auch der Vorschlag des Stadtseniorenrates, einen Kurzstreckentarif einzuführen, ist angesichts der stetig wachsenden Stadt unterstützenswert. Wer nicht gut zu Fuß ist und nur kurz zum Arzt will, mit schweren Taschen vom Einkaufen kommt oder regelmäßig den Friedhof besuchen möchte, sollte nicht den vollen Preis entrichten müssen.

Anke Schwede (erscheint auch im Amtsblatt 11/2018)

Kirche, Kinder und Kohle

Der Konstanzer Gemeinderat zeigte sich am letzten Donnerstag endlich einmal bockig gegenüber der katholischen Kirche. Er stimmte gegen das Ansinnen der Verwaltung, der Kirche die Mieten für einige Kinderbetreuungseinrichtungen doch nicht zu erhöhen. Die Kirche hatte im Vorfeld in einem allgemein als hochnäsig empfundenen Schreiben solche Erhöhungen als grundsätzlich nicht diskussionsfähig zurückgewiesen.

In Matthäus 19:14, heißt es sinngemäß, Jesus habe gefordert, „lasset die Kinder zu mir kommen“. Daran halten sich die beiden christlichen Großkirchen bis heute nur allzu gern und sind in der Kinderbetreuung und -erziehung höchst aktiv. Dafür nehmen sie – auch wenn in der Bibel von einem Eintrittsgeld nicht die Rede ist – von den Kommunen, auch von der Stadt Konstanz, üppige Zuschüsse.

Die Kirche selbst trägt also nur einen Bruchteil der Personal- und Immobilienkosten für diese Einrichtungen, mit denen sie sich doch so gern schmückt und in denen sie natürlich auch Kirchensteuerzahler-Nachwuchs rekrutieren will. Aber wenn’s ums Geld geht, können die frommen Männer ziemlich ruppig werden.

Darum geht es

Die Behandlung im Gemeinderat stand am Schluss ausgiebiger Diskussionen in den Ausschüssen, über die seemoz in den letzten Wochen mehrfach berichtete. Im Kern geht es darum, dass die Stadt Konstanz von der Katholischen Kirchengemeinde für die Kinderbetreuung in St. Verena, St. Georg und St. Martin insgesamt 27.954 € mehr Miete fordert. Die Gebäude und Grundstücke gehören der Stadt und die muss auch für deren Erhalt und Ausbau aufkommen. Der Konstanzer Gemeinderat hatte jetzt darüber zu befinden, ob die Stadt, wie von der Kirche gefordert, auf diese Mieterhöhung verzichten soll oder nicht.

Der Leiter des Sozial- und Jugendamtes Alfred Kaufmann umriss den Hintergrund: Bereits 1993 wurden die Verträge mit der Kirche über die fraglichen Einrichtungen vereinbart. Damals meinte man wegen geringer Geburtenzahlen, dass man einige Kinderbetreuungseinrichtungen eh bald schließen müsste, an irgendwelche Mietanpassungen dachte man vor diesem Hintergrund damals wohl nicht. Der bald darauf beginnende und weiter anhaltende Baby-Boom habe später alle Planungen über den Haufen geworfen.

Oh Gott, die Kosten

Im Raum stand die Drohung, dass die Kirche sich bei Mehrkosten aus der Kinderbetreuung zurückzieht und die Verträge kündigt, Kinderlein hin oder her. Dann müsste die Stadt die Kitas eines Tages selbst betreiben und verlöre auch den kirchlichen Zustupf zum Betrieb. Deshalb mahnten Wolfang Müller-Fehrenbach und Roger Tscheulin (beide CDU), man möge die Kirche besser nicht vergrätzen, denn sonst werde es für die Stadt teurer, und außerdem zahle die Kirche anderswo für städtische Immobilien auch keine Miete. Das widersprach übrigens der Aussage von Alfred Kaufmann, dass es durchaus einige Städte gebe, die der Kirche für städtische Immobilien Miete berechnen. Joachim Filleböck (CDU) nannte es „ordnungspolitisch falsch, aber sozialpolitisch richtig“, der Kirche nachzugeben, denn die werde eventuelle höhere Kosten sofort auf die Eltern abwälzen. Er forderte außerdem, dass in Konstanz alle Kinderbetreuungseinrichtungen von den Eltern gleiche Gebühren verlangen sollten, denn bisher seien die Gebührensätze je nach Kita sehr unterschiedlich.

Auch Holger Reile (LLK) war bei diesem Thema hörbar in seinem Element, als er die GemeinderätInnen als „Brüder und Schwestern in Christo“ ansprach und Müller-Fehrenbach, der stets ein eifriger Vertreter kirchlicher Interessen im Gemeinderat war, die Seligsprechung in Aussicht stellte. Ansonsten argumentierte er aber gegen die Kirche: 28 000 € Mehrkosten seien für diesen reichen Glaubenskonzern nur ein Nasenwasser, und es könne nicht sein, dass man 25 Jahre alte Verträge als unveränderbar ansehe. Um das Wohl der Kinder brauche man auch keine Angst zu haben, denn die Kirche werde die Kindergärten nicht über Nacht schließen.

Es geht auch anders

Nachdem es in den Ausschüssen noch so ausgesehen hatte, als werde die Mieterhöhung, wie vom OB gewünscht, zurückgepfiffen und der Gemeinderat vor der Kirche zu Kreuze kriechen, fiel die Abstimmung dann unerwartet aus: Es gab nur elf Stimmen zugunsten der Kirche und 26 gegen sie bei zwei Enthaltungen.

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht und ob dies am Ende ein Schritt in Richtung der Rückführung dieser Kindergärten aus kirchlicher in städtische Hand sein wird. Es ist immer wieder überraschend zu sehen, wie wenig sich in den 130 Jahren seit dem Ende des Bismarckschen Kulturkampfes in Sachen Trennung von Staat und Kirchen getan hat. Gerade die katholische Kirche tritt weiterhin am liebsten in Gutsherrenmanier auf, man denke nur noch an die Diskussionen um eine gelegentliche Öffnung des Gartens am Münster für die Öffentlichkeit. Sie lässt sich bis heute Teile ihres Personals wie Theologieprofessoren oder Organisten vom Staat bezahlen und hortet Milliardenbeträge und Immobilien. Bei allem jenseitigen Getue ist sie weiterhin ein mächtiger eigener Staat im Staate, der auch Kindesmissbrauchs- und Finanzskandale ungerührt aussitzt.

Der Linke Holger Reile rief jedenfalls angesichts des Abstimmungsergebnisses ein hoffnungsfrohes „Hosianna“ in den Saal.

O. Pugliese (zuerst erschienen bei seemoz.de)