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Linke lädt ein: Griechenland – Hoffnung für einen Aufbruch in Europa

SyrizaDer Kreisvorstand der Linken lädt die Mitglieder der Partei, aber auch alle Interessierten, zu einer Mitgliederversammlung am 4. März ein. Hauptthema der Versammlung werden der Wahlsieg von Syriza in Griechenland und die damit verbundenen Möglichkeiten für einen sozialen und demokratischen Aufbruch in Europa sein.

Die Wahlen in Griechenland waren vor allem auch ein Votum über die bisherige Krisenpolitik der Europäischen Union. Deren bestimmende Mächte, allen voran Deutschland, setzen auf eine gnadenlose Austeritätspolitik, die darauf zielt, die Hauptverursacher der Krise, die Finanz- und Wirtschaftsmächtigen, zu retten, während man gleichzeitig der Bevölkerungsmehrheit in den am meisten betroffenen Ländern Südeuropas einen brutalen sozialen Kahlschlag verordnet. Die Folgen dieser Politik sind in jeder Hinsicht verheerend, sie hat breite Schichten in den vergangenen Jahren in bittere Armut gestürzt, selbst rudimentäre Sozialleistungen, medizinische Grundversorgung und  Rentenansprüche sind nicht mehr gewährleistet.

Diesen neoliberalen Rezepten hat eine große Mehrheit in Griechenland am 25. Januar mit der Wahl von Syriza eine klare Absage erteilt. Die neue Regierung hat dem schnell Taten folgen lassen und sich umgehend an die Umsetzung eines sozialen Sofortprogramms gemacht, mit der die drückende soziale Not im Land gelindert werden soll.

Seitdem versuchen die herrschenden Eliten in Brüssel und Berlin, die neue Regierung in Athen mit allen Mitteln zu erpressen. Sie soll alle politischen Ziele, für die sie gewählt worden ist, aufgeben und weiter nach der Pfeife der Troika tanzen. Offenbar will man an Griechenland ein Exempel statuieren, um jedem klarzumachen, dass eine alternative Politik in Europa von den Mächtigen nicht geduldet wird.

Wir wollen über die Hintergründe der sozial verheerenden und ökonomisch kontraproduktiven Troika-Politik der EU sprechen und vor allem darüber, welche Chancen für die gesellschaftliche Linke durch den Wahlsieg von Syriza für eine andere Politik in Europa entstanden sind, für eine soziale Alternative und einen demokratischen Aufbruch. Wir wollen nicht zuletzt die Möglichkeiten ausloten, welchen Beitrag zur Unterstützung dieses Aufbruchs für einen wirklichen Politikwechsel auf unserem Kontinent wir vor Ort leisten können. Dazu laden wir alle Interessierten herzlich ein.

Mittwoch, 4. März, 19 Uhr,
Konstanz, “Weinteufele” (Konradigasse 15)

NPD plant Aufmarsch in Singen, Stadt kontert mit “Bürgerfest”, Linke für vielfältigen Protest

Naziaufmärsche stoppenDie NPD plant am 28. Februar einen Aufmarsch in Singen. Unter dem Motto “Asylflut stoppen” hat die  faschistische Partei eine Demonstration angemeldet, auf der sie ihre menschenverachtende Propaganda in der Stadt unter dem Hohentwiel verbreiten will. Die Stadt Singen hat in einer E-Mail an verschiedene Gruppen und Parteien mitgeteilt, es sei ihr “nicht möglich die Kundgebung zu verbieten. Vor dem Verwaltungsgericht würden unsere zur Verfügung stehenden Argumente nicht standhalten.”

Es ist ebenso traurig wie unverständlich, dass die Stadtverwaltung noch nicht einmal den Versuch unternimmt, den Nazi-Aufmarsch zu verbieten; Argumente dafür gibt es genug, sind doch als Begleitmusik gerade der Aufmärsche von Pegida & Co, an die sich die NPDler ersichtlich anhängen wollen, die Übergriffe auf Flüchtlinge sprunghaft angestiegen. Selbst wenn die Stadt Singen mit einem Verbot vor Gericht gescheitert wäre, hätte man doch immerhin ein deutliches politisches Signal gesetzt. Dass man es im Rathaus bei “strikte(n) Auflagen” für den Nazi-Aufmarsch belassen will, ist da noch nicht einmal ein schwacher Trost.

Gänzlich untätig wollte die Stadtspitze jedoch offenbar auch nicht bleiben und so plant die Verwaltung für den 28. Februar, einen Samstag, parallel zur Nazi-Demo ein “Bürgerfest” auf dem Rathausplatz. Das soll bei einem Treffen verschiedener Gruppierungen am kommenden Donnerstag (19.2.) im Rathaus vorbereitet werden, “eine Bühne ist bereits für uns reserviert”, heißt es in der Mitteilung aus dem Büro von Oberbürgermeister Häussler dazu.

Die Linke begrüßt und unterstützt alle gegen die rassistische Stimmungsmache der NPD gerichteten Aktivitäten. Sie hält es für notwendig, dass sich der Widerstand gegen die rechten Rattenfänger möglichst breit und vielfältig manifestiert. Dazu gehört auch, dass wir den Nazis am 28. Februar vor Ort gegenübertreten und ihnen deutlich machen, dass sie – nicht nur – in Singen nichts zu suchen haben.

Jürgen Geiger

Protest gegen geplante Abschiebung von Roma-Flüchtlingen: „Es geht um Menschenwürde“

Keine Abschiebung von Konstanzer Schulkindern in die ObdachlosigkeitUm die 120 Menschen zeigten gestern ihre Solidarität mit den Flüchtlings-Familien in Konstanz. Der Arbeitskreis Roma-Solidarität hatte in aller Eile zu einer Kundgebung auf die Marktstätte gerufen, um über das Schicksal der von Abschiebung bedrohten Familien zu informieren.

Jürgen Weber vom Arbeitskreis Roma-Solidarität Konstanz warnte vor allzu großer Zuversicht: „Am 24. Februar steht der nächste Abschiebeschub bevor.“ Und dann werden wieder Flüchtlinge auch aus Baden-Württemberg in die Obdachlosigkeit, in die Arbeitslosigkeit, in die Krankheit ohne Fürsorge abgeschoben. Wie alle anderen Redner kritisierte er die Abschiebepolitik der grün-roten Landesregierung und geißelte den Begriff der “Armutsflüchtlinge”: „Für diese Armut gibt es Ursachen – und die liegen vornehmlich in der Diskriminierung der Roma“. Weber griff zu einem drastischen Vergleich: Angewendet auf die Situation der Juden in Nazi-Deutschland vor der Reichspogromnacht, bedeute die heute geltende Rechtslage, dass ihnen kein Asyl gewährt worden wäre, da sie zwar vielfach ausgegrenzt, aber (noch) nicht per Gesetz verfolgt worden seien. Wie andere RednerInnen wies er auf die Notwendigkeit hin, Druck aus der Bevölkerung auf die verantwortlichen Politiker auszuüben, um die menschenfeindliche Abschiebepraxis zu beenden.

Für die betroffenen Familien sprachen deren Väter Ersin Kazimov und Sloboda Selimi. Beide bedankten sich für die Hilfe der deutschen Freunde, beide sprachen für ihre Kinder, die so froh seien, endlich eine Schule besuchen zu dürfen. Auch Sloboda Asamovic berichtete vom Leid der Flüchtlinge – sein Haus in Serbien sei mutwillig zerstört worden, würde er abgeschoben, wisse er nicht wohin: „Sie brauchen nur die Youtube-Beiträge zu schauen, um zu wissen, wie es meinem Volk auf dem Balkan geht.“

Das haben offensichtlich die Verantwortlichen in Stuttgart nicht getan – sich über die Lebensumstände der Roma in den Balkanstaaten zu informieren, kritisierte Simon Pschorr von der Linken Liste Konstanz, die ebenso wie der Kreisverband der Linken für ein Bleiberecht für die Flüchtlinge eintritt. Er forderte nicht nur die Landesregierung, sondern auch den Kreistag auf, endlich einen Abschiebestopp während des Winters zu realisieren: „Werden Sie sich ihrer Verantwortung bewusst“, rief er den Bürgermeistern des Landkreises und den Kreisräten zu, die erst kürzlich gegen einen solchen Abschiebestopp im Kreistag votiert hatten.



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„Es geht um Menschenwürde“, rief Rudy Haenel, Anwalt der von Abschiebung bedrohten Familien, den Demonstranten zu. Er nannte die Drittstaaten-Regelung, nach der Asylbewerber abgeschoben werden dürften, „perfide und bürokratisch“, bemängelte die juristischen Eingriffsmöglichkeiten und forderte die Demonstranten auf, in ihrer Unterstützung für die Flüchtlinge nicht nachzulassen: „Nur der Druck der Öffentlichkeit kann die Herren in Stuttgart belehren“. Er jedenfalls, alter Grünen-Wähler, würde Herrn Kretschmann kein zweites Mal wählen.

Lorenz Neuberger, Vertreter der Ortsgruppe von Amnesty International, griff die Landesregierung ebenfalls scharf an. Der Behauptung des Ministerpräsidenten Kretschmann, niemand werde in die Obdachlosigkeit abgeschoben hielt er das Beispiel der jüngst abgeschobenen Freiburger Flüchtlingsfamilie  entgegen. Eine Besuchergruppe hatte darüber berichtet, die Familie sei völlig mittellos und müsse in der Notunterkunft eines Lagers hausen; von Seiten der Behörden gäbe es keinerlei Unterstützung, alle Kinder seien inzwischen erkrankt. Der Amnesty-Vertreter erklärte außerdem, das Konstrukt der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ sei nichts als ein Vorwand, um Flüchtlinge abzuschrecken und das Asylrecht auszuhöhlen. Nur zu bereitwillig glaube man deshalb Behauptungen der Regierungen, die einer Überprüfung nicht standhielten. Amnesty fordert deshalb eine Ende dieses Konzepts, weil es ein Angriff auf faire Verfahren sei. „Jeder hat ein Recht, um Hilfe zu bitten“. Angesichts der zahlreichen Schikanen, denen sich Roma (nicht nur) auf dem Balkan ausgesetzt sähen, könne durchaus von einer Verfolgung der Ethnie gesprochen werden.  Er sprach sich deshalb im Namen der Menschenrechtsorganisation für ein humanitäres Bleiberecht für die betroffenen Familien aus.

hpk/Redaktion, Fotos: Andrea Siedow/Hans-Peter Koch

Linke-Kreisvorstand: GVV-Wohnungen müssen in öffentlicher Hand bleiben

GVV-Eigenwerbung

Eigenwerbung der Singener GVV: Erst Steuergelder verzockt, dann marktkonform abgewickelt. Die Zeche sollen die MieterInnen zahlen (Foto: facebook.com/gvvsingen).

Der skandalöse Zusammenbruch der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Singen GVV ist ein Musterbeispiel dafür, wie kommunale Entscheidungsträger nicht mit öffentlichem Eigentum umgehen dürfen. Hauptziel der 1985 auf Beschluss des Singener Gemeinderats gegründeten GmbH, die sich zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Singen befindet, ist es, „bezahlbaren Wohnraum für eine große Bevölkerungsschicht“ zu schaffen (Eigendarstellung beim Internetauftritt der Stadt Singen). Man bescheinigt sich selbst „Sicherheit und Kompetenz in allen Fragen rund ums Wohnen“. Das muss nach der Insolvenz der Gesellschaft im vergangenen Jahr für die MieterInnen der rund 460 Wohnungen, die sich noch im GVV-Besitz befinden wie Hohn klingen. Denn als Folge des Zusammenbruchs droht nun der Verkauf der Wohnungen an private Immobilienunternehmen.

Die Führung der Wohnungsbaugesellschaft hatte sich in den vergangenen Jahren auf immer windigere Zockereien eingelassen, für die die Finanzierung des Hegau-Towers mit 20 Millionen Euro aus Swap-Geschäften, nur ein Beispiel ist. Dubiose Finanzgeschäfte mittels Swaps, Derivaten, Währungswetten pumpten eine Blase auf, die irgendwann platzen mußte. Den doppelten Schaden haben die Bürgerinnen und Bürger, denn nicht nur finanzierten sie die städtische Gesellschaft; nach der Insolvenz müssen sie mit ihren Steuergeldern auch für den angerichteten Schaden aufkommen. Für das Jahr 2015 sieht der städtische Haushalt erneut 8 Millionen vor, die als Verlustausgleich für die GVV-Überreste fällig werden. Bezeichnend ist, dass bis heute alle Beteiligten, Ober- und Baubürgermeister, Gemeinde- und Aufsichtsrat, die Verantwortung für den Zusammenbruch des Unternehmens weit von sich weisen, in dessen vermeintlichem Glanz sie sich jahrelang gerne gesonnt hatten.

Besonders bitter könnte es aber nun für die MieterInnen der GVV-Wohnungen kommen, denn der Insolvenzverwalter sucht bundesweit nach potentiellen Käufern. Die Folgen des Verscherbelns öffentlicher Wohnungsbestände an die Privatwirtschaft sind sattsam bekannt. Selbst wenn sie nicht in die Hände von Heuschrecken fallen sollten, die sie als Verfügungsmasse für weitere Spekulationsgeschäfte nutzen wollen, drohen den Betroffenen saftige Mieterhöhungen und Verdrängung – man will schließlich Profite erzielen.

Der Kreisverband der Linken fordert deshalb, dass die Stadt Singen alles unternimmt, um einen Verkauf der GVV-Wohnungen an einen oder mehrere private Investoren zu verhindern. Angesichts des drückenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum und zunehmender Armut ist es notwendig, alles zu unternehmen, damit die Wohnungen in öffentlicher Hand bleiben. Die Stadt darf sich keinesfalls endgültig vom sozialen Wohnungsbau verabschieden, im Gegenteil: angesichts der angespannten Lage sind Initiativen für einen Ausbau des Bestands an bezahlbarem öffentlichem Wohnraum nötig. Dazu braucht Singen eine eigene Wohnungsbaugesellschaft mit klar definiertem sozialem Auftrag. Wohnen ist ein Menschenrecht und muss deshalb im Zentrum der kommunalen Daseinsvorsorge stehen.

Kreisvorstand DIE LINKE. Konstanz, Jürgen Geiger

Abschiebungen “vorerst ausgesetzt” – am Montag Kundgebung für Bleiberecht

Abgeschobene Familie Ametovic

Von der Polizei am 20. Januar in Freiburg aus ihrer Wohnung geholt und abgeschoben: Familie Ametovic (Foto: “Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung”).

Der Arbeitskreises Roma-Solidarität im Landkreis Konstanz ruft für kommenden Montag zu einer Kundgebung in der Konstanzer Innenstadt auf. Sie richtet sich gegen die drohende Abschiebung zweier in der Sammelunterkunft in der Steinstraße lebenden Familien und soll der Forderung nach Bleiberecht für die Betroffenen Nachdruck verleihen. Zwar, so der Arbeitskreis in einer Pressemitteilung, konnte die unmittelbare Abschiebedrohung “kurzfristig abgewendet und beim Innenministerium in Stuttgart eine Aussetzung der Abschiebung erwirkt werden”. Das teilte der grüne Landtagsabgeordnete Siegfried Lehmann mit, der sich nach Bekanntwerden der Abschiebepläne und den örtlichen Protesten dagegen, in der Sache persönlich an Innenminister Gall gewendet hatte. Die Deportation der aus Mazedonien und Serbien stammenden Roma, unter ihnen sieben Kinder, ist damit aber noch längst nicht vom Tisch: das Ministerium hat das “unmittelbare Schiebeverfahren” lediglich “vorerst ausgesetzt”, wie es in einem Schreiben des zuständigen Ministerialdirektors heißt. Immerhin können die Familien, die seit Tagen in ständiger Angst leben, nun erstmal etwas aufatmen und der Solidaritätsbewegung bleibt mehr Zeit, um weitere rechtliche und politische Schritte in die Wege zu leiten.


„Keine Abschiebung von Konstanzer Schulkindern in die Obdachlosigkeit!
Alle Kinder bleiben hier!“

Kundgebung, Montag, 9. Februar 2015, 17 Uhr, Konstanz, Marktstätte, Kaiserbrunnen


Auch Annette Groth, Linke-Bundestagsabgeordnete im Bodenseekreis und menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion, hat sich Anfang Februar zu Wort gemeldet. In einem Offenen Brief vom 5.2. an Ministerpräsident Kretschmann setzt sie sich für die aus Freiburg abgeschobene Roma-Familie Ametovic und zwei von der Abschiebung bedrohte Roma-Familien aus Konstanz ein. Groth fordert den Ministerpräsidenten auf, der Familie Ametovic “die sofortige Wiedereinreise nach Freiburg zu ermöglichen” und die geplante Abschiebung der beiden Konstanzer Roma-Familien “sofort zu stoppen”. Die Abgeordnete greift Kretschmann scharf an. Kein Wort verliere er darüber, dass in den sogenannten sicheren Herkunftsländern “für Roma ganz offensichtlich menschenunwürdige Zustände” herrschten. Die Landesregierung habe die Möglichkeit, den betroffenen Roma als Angehörige einer diskriminierten Personengruppe aus humanitären Gründen Aufenthalt zu gewähren (siehe Kasten).

Bei der Konstanzer Kundgebung am Montag werden unter anderem auch Angehörige der bedrohten Familien zu Wort kommen. Nicht nur ihnen ist eine breite Unterstützung zu wünschen. Der Kreisvorstand der Linken und die Linke Liste Konstanz rufen ihre Mitglieder und SympathisantInnen zur Teilnahme an der Kundgebung auf.

Jürgen Geiger

WORTLAUT | Groth-Brief an Ministerpräsident Kretschmann:
Roma aus humanitären Gründen Aufenthalt gewähren

In einem Offenen Brief an MP Kretschmann setzt sich Annette Groth, menschrechtspolitische Sprecherin DIE LINKE im Bundestag und  Abgeordnete im Bodenseekreis, für die abgeschobene Roma-Familie Ametovic und zwei von der Abschiebung bedrohte Roma-Familien aus Konstanz ein. Sie schreibt:

„…seitdem sich die Landesregierung Baden-Württembergs ausdrücklich gegen einen Abschiebestopp während der Wintermonate ausgesprochen hat, mehren sich die Abschiebungen und Abschiebeandrohungen von Roma-Familien in die sogenannten „sicheren Herkunftsländer“. Die Abschiebung der alleinerziehenden Mutter, Frau Ametovic, mit ihren sechs Kindern von Freiburg nach Serbien am 20.01. hat überregional Entsetzen und Kopfschütteln ausgelöst. Inzwischen liegt ein erschütternder Bericht von MitarbeiterInnen des Jugendhilfswerks Freiburg über ihre Reise nach Serbien vom 28.-31. Januar vor. Der Bericht beschreibt detailliert mit ausführlichem Bildmaterial die gegenwärtige Lebenssituation von Frau Ametovic und ihren Kindern und kommt zu dem erschreckenden Fazit: ‚Die komplette Lebenssituation der Familie (Unterkunft; Verpflegung; finanzielle Mittel; gesundheitlicher Zustand, alle Kinder sind körperlich unterentwickelt) lässt keine Hoffnung, dass sie selbständig ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Hilfen von außen, die notwendig wären, sind nicht gegeben.‘

Inzwischen wurde ein zweiter Fall aus Konstanz bekannt: Hier sollen ebenfalls zwei Roma-Familien mit insgesamt sieben minderjährigen Kindern nach Serbien bzw. Mazedonien abgeschoben werden. In seiner Pressemitteilung vom 03.02. klärt der ‚Arbeitskreis Roma-Solidarität im Landkreis Konstanz‘ über die Hintergründe auf und weist auf die Tatsache hin, dass die Familien angesichts ‚schwerer Unwetter und Überschwemmungen in den letzten Tagen‘ in ‚vollkommen zerstörte Roma-Siedlungen‘ in die Obdachlosigkeit und damit das Elend abgeschoben werden sollen.

In beiden Fällen weisen die verantwortlichen Vertreter des Regierungspräsidiums und der Landesregierung gebetsmühlenhaft auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsverfügungen: Gerichte hätten entschieden, Petitionsausschüsse hätten verworfen und Ärzte die Reisefähigkeit geprüft.

Leider reihen auch Sie sich in diesem Sinn ein: Auf die Frage:  ‚Wie vereinbaren Sie mit Ihrem Gewissen das Abschieben der Roma-Familie nach Serbien? ‘ während Ihrer Online-Sprechstunde am 29.01. antworten Sie: ‚Jeder Einzelfall wird geprüft und die Prüfung dieser Familie hat eben ergeben, dass sie zurückgeführt werden kann…‘. Kein Wort von Ihnen, dass in den sogenannten ‚sicheren Herkunftsländer‘ für Roma ganz offensichtlich menschenunwürdigen Zustände herrschen,  nicht der leiseste Zweifel an möglichen Fehlentscheidungen und nicht einmal die Andeutung, dass die bisherigen Entscheidungen auch moralisch hinterfragt werden könnten.“

Annette Groth weiter: „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, angesichts des drohenden Absturzes der Familie Ametovic ins endgültige Elend fordere ich Sie auf, der Familie die sofortige Wiedereinreise nach Freiburg zu ermöglichen.

Angesichts der drohenden Obdachlosigkeit der beiden Konstanzer Roma-Familien fordere ich Sie auf, die Abschiebung sofort zu stoppen.

Eine Aufenthaltsgewährung ‚aus humanitären Gründen‘ für Roma als diskriminierte Personengruppe kann das Land Baden-Württemberg auf Grund besonderer Umstände und moralischer Verpflichtungen erlassen. Dazu gibt es für die obersten Landesbehörden weiten politischen Beurteilungsspielraum. Nutzen Sie diesen Spielraum endlich, Herr Ministerpräsident!

Ich frage mich als Protestantin auch, wie Sie diese Abschiebungen mit Ihrer christlichen Überzeugung vereinbaren.“

Friedrichshafen, den 05.02.2015

Keine Abschiebungen in Obdachlosigkeit und Winterkälte!

Alle Kinder bleiben hier

Flüchtlingskinder aus der Sammelunterkunft in der Konstanzer Steinstraße.

Wieder einmal stehen Flüchtlingen in der Stadt Konstanz Tage banger Ungewissheit bevor. Zwei Familien, darunter sieben Schulkinder und eine schwangere Mutter, wollen die Behörden innerhalb der nächsten drei Wochen abschieben. Die Deportation ist rechtskräftig, die Asylanträge wurden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, wie das Bündnis Abschiebestopp mitteilt.

Die betroffenen Familien sind aus Serbien und Mazedonien nach Deutschland geflohen, um sich den alltäglichen rassistischen Diskriminierungen zu entziehen, denen sie in ihren Heimatländern ausgesetzt waren. Bei den betroffenen Flüchtlingen handelt es sich um Roma, sie gehören damit einer Ethnie an, die überall auf der Welt, besonders aber auf dem Balkan, systematisch verfolgt und diskriminiert wird. Die ethnische Zugehörigkeit kann sich niemand aussuchen, es ist kein Verbrechen, als Rom geboren zu werden – und doch werden die dort lebenden Familien genau so behandelt. Auch in Deutschland sehen sich Roma immer wieder rassistisch motivierten Vorurteilen ausgesetzt.

Schicken die Behörden diese Menschen zurück in ihre Heimat, stehen sie vor dem Nichts. In den vergangenen Monaten haben mehrere große Hochwasser auf dem Balkan viele Romasiedlungen zerstört, darunter auch der ehemalige Wohnort der mazedonischen Familie. Die Familien sind verzweifelt, sie wissen nicht, wo sie angesichts der herrschenden Winterkälte unterkommen sollen. Der Staat würde sie in die Obdachlosigkeit abschieben! Dabei hatte die Regierung Kretschmann versprochen, Abschiebungen in die Obdachlosigkeit nicht dulden zu wollen. Wieder einmal zeigt sich, mit welcher Schamlosigkeit die Landesregierung uns belügt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Grün-Rot diese Familien, wie auch alle Anderen, die unter die Bestimmung der „sicheren Herkunftsstaaten“ fallen, opfert, um mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen im konservativen Milieu zu punkten.

Anstatt jedes Asylgesuch einzeln genau zu prüfen, beteiligt sich die Regierung Kretschmann damit an der weiteren Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl, das in Artikel 16 in unserem Grundgesetz verankert ist. Der Staat behandelt die Betroffenen nicht als Menschen, die Hilfe bedürfen, sondern als nicht verwertbares Humankapital, das es möglichst effizient zu entfernen gilt. Von den Abschiebungen in die Obdachlosigkeit wären zudem auch minderjährige Kinder betroffen, dies würde gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen, die auch Deutschland unterzeichnet hat.

Der Konstanzer Gemeinderat hat im letzten Jahr die Petition „Alle Kinder bleiben hier“ unterstützt, deren Ziel es war, genau das zu verhindern, was jetzt den Schulkindern droht. Vor wenigen Tagen haben 2000 Menschen unter dem Motto „Konstanz ist Bunt“ gegen Fremdenfeindlichkeit, für Menschlichkeit und Toleranz demonstriert. Dafür können wir jetzt gemeinsam ein deutliches Zeichen setzen: Wehren wir uns gegen die geplanten Abschiebungen!

Mit diesem Aufruf schließen wir uns dem Appell des Bündnisses Abschiebestopp an, das durch seine Arbeit mit den Flüchtlingen auf diesen wie auf viele andere Fälle von Abschiebung und Rassismus aufmerksam macht. Verhindern wir gemeinsam grausame und entrechtende Abschiebungen. Refugees are welcome!

Anke Schwede, Holger Reile, Simon Pschorr
Linke Liste Konstanz

Ukraine-Konflikt: Das Drehbuch wurde nicht in Kiew geschrieben

ReinhardLauterbach

Der Journalist Reinhard Lauterbach referierte am 29. Januar in Konstanz zu den Hintergründen der Ukraine-Krise (Foto: Nicolas Kienzler).

In der Ukraine tobt ein Krieg, dem seit Februar 2014 mindestens 5000 Menschen zum Opfer gefallen sind, täglich fordern die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung in Kiew und den “Volksrepubliken” im Osten des Landes weitere Tote und Verwundete. Was sind die Ursachen des blutigen Konflikts an einer Nahtstelle der kapitalistischen EU-Mächte und des russischen Staates, wer trägt die Verantwortung und welche Interessen leiten seine ständige Eskalation. Für die hiesigen Medien liegen die Dinge klar: Nach dem Sieg der Demokratiebewegung im Herbst 2013, die auf dem Majdan-Platz in der Hauptstadt Kiew den Sturz der korrupten, kremlhörigen Regierung Janukowytsch erkämpft hat, versucht Russland nun mit allen Mitteln, das Rad zurückzudrehen; mit Hilfe der russischstämmigen “Separatisten” im Osten des ukrainischen Territoriums will der russische Präsident Putin das Land am Nordufer des Schwarzen Meers wieder in seinen Machtbereich zwingen.

Ein ganz anderes Bild der Lage und der Hintergründe zeichnet Reinhard Lauterbach. Der Journalist und ausgewiesene Osteuropa-Kenner, er war lange Jahre als ARD-Hörfunk-Korrespondent in den postsowjetischen Ländern unterwegs und schreibt heute unter anderem für die “junge Welt”, räumte am vergangenen Donnerstag auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Konstanz mit den hierzulande gepflegten Mythen gründlich auf. Vor rund 50 ZuhörerInnen analysierte er die Motive der an dem Konflikt beteiligten Akteure innerhalb und außerhalb der Ukraine.

Wie viele der Länder, die nach dem Ende der Sowjetunion in die “Freiheit” entlassen wurden, leidet die Bevölkerung in der Ukraine darunter, dass sich meist ehemalige Parteifunktionäre die sowjetischen Staatsbetriebe unter den Nagel gerissen haben. Diese Oligarchen seien dadurch nicht nur binnen weniger Jahre zu märchenhaftem ökonomischem Reichtum gekommen, so Lauterbach, sie sind es, die in diesen Gesellschaften häufig auf mafiöse Weise die politische Macht ausüben, eines der probatesten Mittel der Herrschaftssicherung ist dabei die Korruption. “Die Ukraine ist heute eine der korruptesten Gesellschaften der Welt”, so Lauterbach, “man muss buchstäblich für alles Schmiergeld zahlen”. Für die Bevölkerungsmehrheit bedeute diese Entwicklung große soziale Unsicherheit und wachsende Armut. Im Fall der Ukraine zeige sich das unter anderem daran, dass sich heute allein 2,5 Millionen ArbeitsemigrantInnen in Polen verdingen. Das Land führt die europäischen Niedriglohn- und Armutsstatisken an. Keine Überraschung also, dass sich die Unzufriedenheit in sozialen Protesten Luft machte, ebensowenig, dass diese vor allem im Westteil des Landes mit dem Wunsch nach Annäherung an den vermeintlichen Wohlstandsgaranten Europäische Union verknüpft wurden.

Ebenso klar ist für Lauterbach allerdings, dass das Drehbuch dafür nicht in Kiew geschrieben wurde, sondern in Brüssel, Berlin und Washington. Er verweist darauf, dass die Ukraine seit Langem eine zentrale Rolle in den geopolitischen Planspielen der NATO-Staaten einnimmt. So habe beispielsweise der einflußreiche US-Vordenker Zbigniew Brzezinski die Ukraine als “geopolitischer Dreh- und Angelpunkt” bezeichnet, ohne den „Russland kein eurasisches Reich mehr“ wäre. Lauterbach berichtet auch, dass die angeblich spontan entstandene Protestbewegung von Beginn an von außen beeinflußt war. “Die mediale Begleitung der Proteste kam von Anfang an aus einer Hand.” Der Euromajdan, so der Osteuropa-Kenner, sei “keine spontane Erfindung zusammengeströmter Zivilgesellschaftler” gewesen. Der Journalist, auf dessen Aufruf hin die Proteste begannen, war Mitarbeiter eines westlich gesponsorten Nachrichtenportals und gründete am Tag danach einen Fernsehsender, der Live-Bilder von den Protesten sendete. Finanziert wurde er von der Stiftung des US-Milliardärs Soros, den Botschaften der USA und der Niederlande in Kiew sowie nicht genannten Privatleuten. Vitali Klitschko, der eine zentrale Rolle in der europafreundlichen „Demokratiebewegung“ spielen sollte, sei über Jahre von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaut worden. Lauterbach ist überzeugt: Hier ging es von Beginn an um einen “Regime Change” mit dem Ziel, westliche Einflussmöglichkeiten auszubauen. Dafür nahm man in den westlichen Hauptstädten billigend in Kauf, dass die neuen Kiewer Machtaber die mehrheitlich russischstämmige Bevölkerung im Osten des Landes, die nicht nur wirtschaftlich eng mit der Russischen Föderation verbunden ist, von Beginn an massiv diskriminierte. Russenhass bis hin zu Mord und Totschlag ist seitdem angesagt. Für ihn ist es deshalb kein Zufall, dass in der Bewegung rasch nationalistische und faschistische Kräfte ton- und handlungsangebend wurden.

Dass sich der russische Nachbar von dieser Entwicklung bedroht sieht, liegt für Lauterbach auf der Hand. Denn mit dem Umsturz in Kiew ist eine prowestliche Regierung an einer entscheidenden Stelle der russischen Peripherie installiert worden. Das wiege weit schwerer als die Tatsache, dass dem Kreml der Verlust der Ukraine als Handelspartner droht. Für die von Kiew behauptete und auch vom Westen kolportierte angebliche Absicht Russlands, den Donbass zu annektieren, hat er nur ein Schulterzucken übrig. Moskau könne gar kein Interesse daran haben, sich die marode Region einzuverleiben. „Mit der Übernahme der Krim ins eigene Land hat Russland einen Pyrrhussieg errungen, denn die Krim war auch seine stärkste Lobby in der Ukraine“, ganz abgesehen von den damit verbundenen hohen Folgekosten. Weitere Lasten sei man nicht bereit zu tragen, zumal ein direkter Anschluss des Aufstandsgebietes an die Russländische Föderation nicht nur weiteren internationalen Konfliktstoff bieten würde und weder wirtschaftlich noch strategisch entscheidende Vorteile brächte, nicht einmal einen Landzugang auf die Krim. Nach Lauterbachs Überzeugung ist Russland bisher trotz der militärischen Erfolge der „Volksrepubliken“ im Osten der eigentliche Verlierer des Konflikts. So sei auch zu erklären, dass die Moskauer Regierung inzwischen mehrfach signalisiert hat, ihr Hauptziel sei nicht mehr Föderalisierung der Ukraine, sondern nur noch die Erhaltung ihres Status als blockfreies Land.

In der Diskussion nach möglichen Zukunftsszenarien für die Region befragt, äußerte sich Reinhard Lauterbach pessismistisch. Die Wirtschaftsleistung sei massiv eingebrochen, vor allem im Osten die Infrastruktur in hohem Maß zerstört, die Kriegskosten bezifferten sich auf 5 Millionen Euro am Tag; trotzdem liege eine Annäherung der Konfliktparteien in weiter Ferne. Manches deute auf einen langfristig angelegten Krieg niedriger Intensität, der durchaus im Sinne der um wachsenden Einfluß in der Region bemühten NATO-Staaten sein könnte. So hätte man „ein geostrategisches Sprungbrett im Süden Osteuropas und einen jederzeit eskalierbaren Regionalkonflikt“ geschaffen.

Lauterbachs verhalten geäußerte Hoffnung liegt vor allem darin, dass sich inzwischen offenbar eine zunehmende Kriegsmüdigkeit im Land bemerkbar macht. Davon zeuge nicht nur die wachsende Zahl der Desertionen, sondern auch die Tatsache, dass die Kiewer Regierung vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet hat, das Offizieren erlaubt, Soldaten auch mit vorgehaltener Waffe zum Kämpfen zu zwingen.

Jürgen Geiger

Buchtipp: Reinhard Lauterbach: Bürgerkrieg in der Ukraine. Geschichte, Hintergründe, Beteiligte
Edition Berolina, Berlin, November 2014, 9,99 EUR; ISBN 9783958410015

Zur Diskussion um ein Zweckentfremdungsverbot in Konstanz

Am vergangenen Donnerstag hat auf Antrag der CDU eine Mehrheit im Gemeinderat die Verabschiedung einer Satzung verhindert, nach der die Zweckentfremdung von Wohnraum untersagt ist. Die Vorlage wurde wie schon mehrere Male zuvor in die Fachausschüsse zurückverwiesen. Wieder einmal hat es der Bürgerblock damit geschafft, eine längst überfällige Maßnahme hinauszuschieben, mit der die drückende Wohnungsnot in der Stadt zumindest ansatzweise gelindert werden könnte.
Zur Diskussion um das Zweckentfremdungsverbot veröffentlichen wir einen Beitrag von Simon Pschorr.

Ziel: Bezahlbarer Wohnraum

Die Bekämpfung der Wohnungsnot in Konstanz ist eines der vorrangigen Ziele der politischen Arbeit der Linken Liste Konstanz. Eines der Instrumente in der Bestrebung um einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt mit fairen, bezahlbaren Preisen ist das Zweckentfremdungsverbot. An diesem Zweck muss sich die effektive Wirkung eines solchen Vehikels messen lassen. Es handelt sich um eine Satzung der Stadt, die einen breiten Zugriff auf gewerblich genutzten Wohnraum ermöglichen soll.

Von einer interessierten Bürgerin wurden wir gefragt, warum wir das Zweckentfremdungsverbot unterstützen. Widerspricht es nicht dem Recht auf freie Verfügbarkeit über das Eigentum? Kann es nicht Gründe geben, die zu einer Umwandlung von Wohnraum berechtigten oder sie erforderlich machen?

Wir wollen darlegen, warum wir für diese Maßnahme einstehen und zeigen, dass es sich nicht um eine unberechtigte Beschneidung des Eigentumsrechts der Eigentümer handelt.

Wirkmechanismus: Zukünftige Umwandlungen verhindern

Welche Funktionsweise erfüllt das Zweckentfremdungsverbot? Auf welche Wohnungen greift das Zweckentfremdungsverbot zu?

Im Gegensatz zum von den konservativen Parteien propagierten Bild berührt das Zweckentfremdungsverbot den Bestand von bereits gewidmeten Ferienwohnungen und anderen Gewerberäumen nicht – dieser Bestand ist schon durch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes geschützt! Das seit 2013 geltenden baden-württembergische Zweckentfremdungsgesetz richtet sich allein gegen die zukünftige Umwandlung von Wohnraum in Gewerbeflächen, einschließlich der Nutzung als Ferienwohnung. Darüber hinaus sollen Neubauten nicht für solche Zwecke genutzt werden (Wortlaut siehe Kasten).

Ein Zweckentfremdungsverbot würde also lediglich den Bau oder Umbau neuer, zusätzlicher Ferienwohnungen oder Gewerbeflächen unterbinden.

WORTLAUT | Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum

§ 2 Befugnis der Gemeinden

(1) Gemeinden mit Wohnraummangel können durch Satzung mit einer Geltungsdauer von höchstens fünf Jahren bestimmen, dass im Gemeindegebiet oder in Teilen davon Wohnraum nur mit ihrer Genehmigung überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf (Zweckentfremdung). Eine Zweckentfremdung liegt insbesondere vor, wenn der Wohnraum

  1. überwiegend für gewerbliche oder berufliche Zwecke verwendet oder überlassen wird,
  2. baulich derart verändert oder in einer Weise genutzt wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist,
  3. nicht nur vorübergehend gewerblich oder gewerblich veranlasst für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird,
  4. länger als sechs Monate leer steht oder
  5. beseitigt wird.

(2) Einer Genehmigung bedarf es nicht für

  1. die anderweitige Verwendung von Wohnraum, der nach dem 31. Mai 1990 unter wesentlichem Bauaufwand aus Räumen geschaffen wurde, die anderen als Wohnzwecken dienten oder
  2. einen Leerstand von Wohnraum über die Dauer von sechs Monaten hinaus, soweit dieser durch überwiegende schutzwürdige private Interessen gerechtfertigt ist.

Erforderlichkeit: Augenwischerei Anreizsysteme

Seit Jahren schon fehlt es in der Stadt an Wohnraum. Eine weitere Zuspitzung der Problematik war absehbar und wurde auch von Demoskopen vorhergesagt. Bisher war die Stadtverwaltung jedoch nicht in der Lage, ein effektives Gegenmittel für diese Krankheit zu finden. Anstatt sich konsequent für die Schaffung von Wohnraum einzusetzen, versuchte die Stadt, teilweise durch freiwillige Selbstverpflichtung, teilweise durch Apell und Aufruf private Bauträger dazu zu bringen, ihre Gebäude dem Mietmarkt zugänglich zu machen. Auf Knien zu betteln verspricht nirgendwo hohe Erfolgschancen. Haben Sie schon einmal versucht, Ihren Arbeitgeber um mehr Lohn anzuhalten, ohne dass Sie eine gute Verhandlungsposition hatten? Eben. Die halbherzigen Versuche der Stadtverwaltung zeigten deshalb wenig Erfolg.

Gleiches gilt für Versuche, durch finanzielle Anreize Bautätigkeit anzuregen. Kommunen haben im staatlichen Verwaltungsgefüge nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, diesen Markt mittels Boni zu stimulieren. Steuerrecht ist nun einmal Bundesangelegenheit und die Stadtkassen sind nicht derart gut gefüllt, dass sie die enormen Gewinne ausgleichen könnten, die durch den Verkauf von Wohnraum oder dessen Umwandlung zu erzielen sind. Solche Versuche sind von vorne herein zum Scheitern verurteilt.

Berechtigte Interessen: Umnutzung zur Wohnbaufinanzierung?

Allein auf das Erreichen der Zwecksetzung abzustellen, wäre kurzsichtig. Wie jede staatliche Maßnahme berührt das Zweckentfremdungsverbot auch Interessen Anderer. In diesem Fall kollidiert es mit Freiheiten insbesondere der Wohnungseigentümer. Diese Kollision verlangt nach einer umsichtigen Abwägung der Güter.

Teilweise wird argumentiert, die Nutzung von potenziellem Wohnraum als Ferienwohnung oder zu Zwecken des Kleingewerbes würde gerade dazu dienen, den Bau des Wohngebäudes und damit von Wohnungen zu finanzieren. Angesichts der aktuell exorbitanten Baukosten sei anders nämlich eine lukrative, rentable Errichtung von Gebäuden de facto unmöglich.

Wir glauben nicht, dass über den Umweg des Baus von Ferienwohnungen ein nennenswerter Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot geleistet werden kann. Dagegen sprechen insbesondere folgende Argumente: Eine Ferienwohnung muss über eine besondere Struktur und Raumaufteilung verfügen. Häufig werden kleine Wohnflächen mit möglichst vielen separierten Räumen als Ferienwohnungen vermietet – meist mehrköpfige Familien wollen für kurze Zeit darin nächtigen und Privatsphäre genießen, sich jedoch nicht dauerhaft einrichten. Gleichzeitig erfordert eine Ferienwohnung von den betreibenden Personen Pflege, Gäste wollen versorgt werden, was meist dazu führt, dass man familiär dauerhafte Aufgaben verteilt. Dies wird auch mit zunehmendem Alter selten aufgegeben, sondern im Gegenteil häufig auf die Nachkommen vererbt. Eine Ferienwohnung bietet sich durch Lukrativität als rentable Altersvorsorge geradezu an. Warum sollte man das aufgeben? Vor allem weil der Raubbau an unserem Rentensystem immer mehr Leute zwingt, sich zusätzliche Vorsorgequellen erschließen. Die Motivation für eine Umwidmung von Ferien- in Mietwohnungen tendiert also in den allermeisten Fällen gegen Null.

Auch das Baurecht spricht gegen eine Rückwandlung in Wohnraum. Nach geltender Landesbauordnung ist eine solche Nutzungsumwandlung baulich genehmigungspflichtig. Wer beantragt schon gern eine Baugenehmigung?

Leider können wir an dieser Stelle nur eine typisierende Betrachtung vornehmen, die im Einzelfall anders gelagert sein kann. Auch uns sind schon Fälle zu Ohren gekommen, bei denen gerade eine Refinanzierung des Baus durch gewerbliche Nutzung angestrebt war. Mit dem Erlass einer Satzung wird jedoch nicht der Einzelfall geregelt, sondern eine für eine Vielzahl von Fällen geltende Entscheidung getroffen. Die Gesamtbetrachtung spricht eher gegen das Finanzierungsmodell, zumeist wird ein gewinnbringenderes Geschäft ohne Ärger mit den Mietern angestrebt, wenn man eine Ferienwohnung betreibt.

Geeignetheit: Nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung

Das Zweckentfremdungsverbot allein ist ein Akt der Symptombekämpfung und keine dauerhafte Lösung. Auch dies sieht das oben genannte Gesetz nicht vor, sondern beschränkt die Satzung der Gemeinden auf fünf Jahre! Wir sind der Ansicht, dass allein kommunale Bautätigkeit zu einer dauerhaften Entlastung des Wohnungsmarktes führen kann. Nur so kann auch Wohnraum geschaffen werden, den sich auch Normal- oder Geringverdiener leisten können. Doch dieses Lösungsmodell stößt bei den konservativen Parteien auf heftige Gegenwehr. Es besteht für diese gar kein Interesse an einer dauerhaften Lösung, ihre Mitglieder profitieren von bleibend hohen Miet- und Wohnungspreisen. Viele Gemeinderäte verfügen über eigene Immobilien. Die wiederholte Verweisung des Zweckentfremdungsverbots in den Ausschuss bei der letzten Gemeinderatssitzung ist dafür nur ein Beispiel. Aus gleichen Gründen werden weiterhin Gewerbeflächen ausgewiesen und Gewerberaum gebaut, obwohl keine Nachfrage besteht. Es erscheint geradezu paradox, mit welcher Ignoranz gegenüber dem Wohnraumproblem die Stadtverwaltung und ihre willfährige Bestätigungsmehrheit im Rat weiter Gewerbeflächen schafft, obwohl bereits jetzt viele leer stehende Flächen für Gewerbebetriebe existieren und tagtäglich durch Abwanderung neue Räume freiwerden. Anstatt diese konsequent in Wohnraum umzuwandeln, betet man das Mantra vom attraktiven Wirtschaftsstandort herunter. Wir können und wollen dies nicht unterstützen. Setzen wir uns also für eine Veränderung der Wohnungsmarktpolitik in der Stadt ein, sie hat es dringend nötig!

Vorrangige Aufgabe der Stadt ist es, selbst initiativ zu werden und für eigene Bautätigkeiten zu sorgen. Wir fordern deshalb schon seit Jahren die Ausweitung der Aktivitäten der WOBAK. Leider scheint die Stadtverwaltung mit Blindheit geschlagen und verdrängt bewusst den sozialen Aspekt der Wohnraumproblematik. Wir werden uns auch weiter mit Zähnen und Klauen gegen die städtische Beschwichtigungspolitik wehren! Mit einem Zweckentfremdungsverbot ist ein winziger Schritt getan, doch der Marathon liegt dann noch vor uns. Wir wollen weiter geradeaus laufen, und wenn wir die anderen Fraktionen im Gemeinderat huckepack nehmen müssen.

Diskurs: Rationalisierung der eigenen Position

Wir möchten noch einmal ausdrücklich der Fragestellerin danken. Sie hat uns Anlass gegeben, uns noch einmal intensiv mit unserer eigenen Position auseinanderzusetzen. Man muss die eigenen Anschauungen immer wieder prüfen, immer wieder testen, ob man gute Gründe hat, für oder gegen etwas einzutreten. Uns liegt der Dialog am Herzen, mir als Antwortender genauso wie uns als Gruppierung. Stellen Sie uns Ihre Fragen, provozieren Sie, fordern Sie uns heraus; wir freuen uns auf das Gespräch!

Simon Pschorr, Linke Liste Konstanz

Gemeinderat: Wir wollen gequält werden

Die gestrige Sitzung war eine der kürzesten Sitzungen des Gemeinderats seit langem, und sie beschäftigte sich mit einem bunten Strauß von Themen – unter anderem mit der Frage, wie lange Gemeinderatssitzungen in Zukunft dauern sollen. Die SPD hatte ein Ende um 21.30 Uhr beantragt, kam damit aber nicht durch.

Demokratie verlangt ihren primären Opfern, kurz: den Gemeinderätinnen und -räten sowie der Verwaltung, einiges ab, und in den letzten Jahren haben sich Dauer und Zahl der Sitzungen ganz erheblich ausgedehnt. Deshalb forderte Jürgen Puchta für die SPD, man möge die um 16.00 Uhr beginnenden Gemeinderatssitzungen in Zukunft um 21.30 Uhr abbrechen und notfalls zwei Zusatztermine pro Jahr einlegen.

Den langjährigen Zuhörer packte bei der folgenden – ausgedehnten – Diskussion massive Skepsis. Von den Zuhörerbänken aus betrachtet sind gemeinhin mindestens 75 Prozent aller Redebeiträge der Gemeinderätinnen und -räte schlichtweg überflüssig. Man merkt als gewiefter Zuhörer recht schnell: Hier werden längliche Redebeiträge vor der Sitzung verfasst und am Ende auch live gehalten, und es ist völlig egal, dass die Vorredner schon ausführlich dasselbe gesagt haben. Manchen Rednerinnen und Rednern mangelt es an geistiger Flexibilität, ihre vorgefertigten Beiträge dem aktuellen Diskussionsstand anzupassen oder – was dem Zuhörer oft lieber wäre – zurückzuziehen; für andere Redner in großen Fraktionen und Gruppierungen ist es einfach ein Stück Macht, bei einem Thema als erste ihrer Fraktion sprechen und somit eine ganz persönliche Duftmarke setzen zu dürfen, und diese Macht wollen sie auskosten. Und wenn ein Hinterbänkler vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr die Chance erhält, etwas zu sagen, will natürlich auch er am Schaulaufen vor Publikum und Presse teilnehmen.

Ergo: Die Zermürbung wächst, und wie Peter Kossmehl (FWK) beklagte, sind nicht nur die Sitzungen des Gemeinderates zu lang, sondern auch die der Ausschüsse. Er, der selbst eher zu den Stillen im Lande gehört, forderte “Disziplin der Einzelnen”, aber auch der Sitzungsführung (sprich des Oberbürgermeisters) und schlug seinen Kollegen und Kolleginnen vor, Anfragen an die Verwaltung doch erst mal per Mail einzureichen, statt sie gleich in den Gemeinderat zu tragen. Andere Stimmen hinwiederum beklagten, dass es bei insgesamt 169 Terminen für Gemeinderatsmitglieder allein in diesem Jahr unmöglich sei, sich zu beschränken.

Oberbürgermeister Uli Burchardt positionierte sich deutlich gegen die Zeitbegrenzung, weil er sie für nicht praktikabel hält. Allein im letzten Jahr habe es 611 Sitzungsvorlagen gegeben, die zum Teil drei verschiedene Gremien passieren mussten. Er schlug vor, Entscheidungen doch nicht zuerst in den Ausschüssen abzustimmen und dann noch mal zur endgültigen Abstimmung in den Gemeinderat zu bringen, sondern sie gleich vom Ausschuss entscheiden zu lassen. Außerdem erinnerte er daran, dass man Themen auch ohne vorherige Diskussion direkt abstimmen lassen könne.

Für eine fundamentale Umorientierung setzte sich hingegen Holger Reile (Linke Liste) ein: Das Gerede vom Ehrenamt sei mittlerweile überholt, er und viele Kolleginnen und Kollegen arbeiteten etwa 60 Stunden im Monat, und es sei an der Zeit, dieser Professionalisierung des Gemeinderates Rechnung zu tragen und den Gemeinderätinnen und -räten in Anlehnung an andere Gemeinden wenigstens einen Sockelbetrag von EUR 700 pro Monat zu zahlen. Nur so sie es möglich, die äußeren Umstände der Gemeinderatsarbeit für breite Kreise attraktiver zu gestalten. “Das wäre auch ein Anreiz für viele, die sich bisher ein kommunalpolitisches Mandat weder zeitlich noch finanziell leisten können.”

Das Schlusswort hatte wieder einmal Oberbürgermeister Uli Burchardt: “Wir wollen gequält werden” tirilierte er, auf Reiles Bemerkung “Die Schmerzgrenze ist erreicht” Bezug nehmend, in den Saal. Am Ende stimmte eine deutliche Mehrheit der Rätinnen und Räte gegen eine Zeitbegrenzung der Sitzungen, und auf Dauer dürfte sich wohl die Einsicht breit machen, dass die Tätigkeit im Gemeinderat mehr ein Halbtagsjob ist. Denn der Wunsch nach weiser Selbstbescheidung beim Reden gilt am Ende immer nur den Reden der anderen.

O. Pugliese

WORTLAUT | Holger Reile zum Thema Zeitbegrenzung bei Sitzungen

Wir können dem Antrag der SPD nicht zustimmen. Es ist schlichtweg weder sinnvoll noch umsetzbar, regelmäßig um 21.30 Uhr die Sitzungen zu beenden und damit dynamische Prozesse abrupt zu unterbrechen und eventuell Entscheidungen zu blockieren. Davon haben wir rein gar nichts, außer zusätzliche Belastungen, wie die Verwaltungsvorlage richtigerweise anmerkt.

Der Antrag ist gut gemeint, deckelt aber ein übergeordnetes Problem, das ich kurz schildern möchte. Machen wir uns nichts vor: Das Mandat hier kommt einem Halbtagsjob gleich. Wer das Amt ernstnimmt, und das tun hier fast alle, muss monatlich mit 60 Arbeitsstunden rechnen, oft auch mehr. Ausschuss-Sitzungen, Gesamtgemeinderat, Ortstermine, Beiräte aller Art, Besprechungen in der Fraktion oder Gruppe, Informationsveranstaltungen, dazu meist zeitraubende Recherche bei umstrittenen oder schwer zu durchschauenden Themen – die Schmerzgrenze ist längst erreicht. Leisten können sich das überwiegend nur noch finanziell abgesicherte Ruheständler oder gut gestellte Freiberufler. Und das hat dazu geführt, nicht nur in Konstanz, dass dieses Gremium keineswegs das ist, was es eigentlich sein sollte: Ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung. Schauen wir uns doch bloss um …

Der oft bemühte Einwand, das sei schließlich ein Ehrenamt, greift längst nicht mehr und gleicht einem Totschlagargument. Die Anforderungen an uns sind mittlerweile derart gestiegen, dass beispielsweise die strukturelle und auch finanzielle Ausstattung auf völlig neue Füße gestellt werden muss. Das heißt nicht, dass ein kommunalpolitisches Amt automatisch zu Wohlstand führt, aber ein Sockelbetrag von monatlich 700 Euro wäre durchaus angemessen. Erst kürzlich hat sich der Freiburger Rat auf ein monatliches Grundsalär von 850 Euro pro Kopf geeinigt. Es gab auch aus der Bevölkerung keinen Widerspruch und der Arbeitsaufwand der Freiburger Rätinnen und Räte gleicht dem unsrigen. Das wäre auch ein Anreiz für viele, die sagen, dass sie sich gerne einbringen würden, sich aber ein kommunalpolitisches Mandat vor allem weder zeitlich noch finanziell leisten können.

Ein anderer Punkt: Jeder hier erhält monatlich rund 120 Euro für Mitarbeiter. Das macht zusammen etwa 5000 Euro monatlich. Wir fänden es besser, wenn diese Summe zu gleichen Teilen allen zugute käme – also etwa 700 Euro pro Fraktion oder Gruppierung. Damit könnte man eine Zuarbeiterin oder einen Zuarbeiter zumindest halbwegs vernünftig bezahlen, was auch zu einer Entlastung der Räte beitragen würde. Das übrigens wird in Freiburg und auch anderswo genauso praktiziert.

Klar ist doch: Eine Professionalisierung der Kommunalpolitik hat längst stattgefunden, nur die Rahmenbedingungen für die Mandatsträger hinken noch gewaltig hinterher. Wir entscheiden hier über insgesamt dreistellige Millionenbeträge und die Anforderungen an das Mandat steigen ständig. 169 Termine alleine in diesem Jahr, und es werden noch einige dazu kommen. Darauf müssen wir reagieren. Die Debatte über eine Zeitbegrenzung der Gemeinderatssitzungen, werte Genossinnen und Genossen der SPD, ist da bestenfalls ein vernachlässigbarer Nebenschauplatz.

Klassenkampf light: Zweckentfremdungsverbot wieder mal verschoben

Mieterbund_Bodensee

Fordert das Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum in Konstanz seit Langem: Der Mieterbund Bodensee, links der Vorsitzende und SPD-Stadtrat Herbert Weber (Foto: mieterbund-bodensee.de).

Die gestrige Gemeinderatssitzung sollte ein Meilenstein für die Konstanzer Mieter werden: Auf der Tagesordnung stand wieder einmal das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, und dieses Mal sollte es klappen. Allerdings hatten sich die Vertreter der Vermieterinteressen im Gemeinderat etwas ausgedacht, und jetzt geht das Zweckentfremdungsverbot erst mal wieder einen langen Weg durch die Ausschüsse, ehe wieder darüber abgestimmt wird.

Man hätte es sich denken können: Nachdem die “Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum”, kurz: “Zweckentfremdungsverbot” im Mai 2014 nach intensivem propagandistischen Gegenfeuer durch die Hausbesitzer (“Sozialismus”, “Enteignung”) im Gemeinderat gescheitert war, durfte es frühestens im Dezember 2014 erneut abgestimmt worden, denn ein Antrag darf erst nach Ablauf von sechs Monaten wieder neu eingebracht werden. Immerhin geht es um nichts Geringeres als die höchst profitable Umwandlung Hunderter weiterer Mietwohnungen in Arzt- und sonstige Praxen und vor allem in Ferienwohnungen – letztere sind nicht nur massiv teurer als Mietwohnungen, sondern dürften auch noch leckeres Schwarzgeld in die Kassen der Vermieter spülen, weil zumindest Teile der Miete bei Anreise in bar zu entrichten sind und eine Quittung auszustellen gelegentlich auch mal vergessen wird – dem Mieter ist’s letztlich egal, weil er seinen Urlaub eh nicht von der Steuer absetzen kann.

Der traditionelle Vorkämpfer der Konstanzer Mieterinteressen, Herbert Weber (SPD) dürfte sich – bei allem Respekt – gestern in den Arsch gebissen haben: In der Dezembersitzung 2014 gab es eine derart umfangreiche Tagesordnung im Gemeinderat, dass er als Antragssteller aus purer kollegialer Freundlichkeit schließlich einer Vertagung der eigentlich schon damals fälligen Neuabstimmung über das Zweckentfremdungsverbot zugestimmt hat. Und das wurde ihm gestern von den Bürgerlichen wahrlich perfide vergolten.

Tricky Matthias

Zu Beginn der Sitzung stellte (ausgerechnet!) Matthias Heider (CDU) den Antrag, das Zweckentfremdungsverbot in den Ausschuss zurückzuverweisen, weil es noch erheblichen Beratungsbedarf gebe. Man müsse erst einmal prüfen, wie sich denn ein Zweckentfremdungsverbot in anderen Städten auf den Wohnungsmarkt ausgewirkt habe, man solle auch externen Sachverstand herbeiziehen und überhaupt in eine intensive und gründliche Beratung darüber eintreten und sich schlau machen.

Herbert Weber bemerkte in seiner Gegenrede treffend, diese Vorlage sei so oft diskutiert worden, dass es keinen Beratungsbedarf mehr gebe und man jetzt sofort drüber abstimmen könne, und Holger Reile (LLK) rief empört “So was von hinterhältig” in den Saal. Auf der (offenkundig naiven) linken Seite hatte man mit einem derartigen Trick nicht gerechnet, sondern eher erwartet, dass das – eigentlich im bürgerlichen Lager auf der Rechten positionierte – Junge Forum Konstanz, das nach den Wahlen im letzten Sommer neu in den Gemeinderat kam, nicht umhin kann, für das Zweckentfremdungsverbot zu stimmen, so dass es am Ende reichen könnte.

Ab in die Ausschüsse

Der Trick, nicht abzustimmen, sondern in den Ausschuss zurückzuverweisen, ist laut Oberbürgermeister Uli Burchardt rechtlich möglich, weil dieser Antrag, wie oft er dem Gemeinderat früher auch vorlag, seit der gestrigen Sitzung wieder als neu gilt und nicht in den Ausschüssen vorberaten wurde. Daher dürfe er in den Ausschuss verwiesen werden, wenn neun Gemeinderatsmitglieder dafür stimmen, und am Ende kamen sogar 15 Stimmen (vor allem CDU, FWK) für die Verweisung zusammen.

Natürlich ist der angebliche Beratungsbedarf nichts weiter als ein fadenscheiniger Vorwand, eine erneute Abstimmung über das Zweckentfremdungsverbot auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, aber St. Nimmerlein ist nicht umsonst der Säulenheilige aller eingeschworenen Feinde der Menschheit – gestern dürften ihm die ansonsten so hartherzigen Konstanzer Vermieter und Immobilienspekulanten so manches Kerzle angezündet haben.

O. Pugliese